Am 3. Dezember 2011 ist eine Änderung des Bundeswahlgesetzes in Kraft getreten, welche die Verteilung von Sitzen nach Bundestagswahlen neu regelt. Die entsprechende Gesetzesänderung war im September 2011 im Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD, Grünen und Linken beschlossen worden.
Überhangmandate und "negatives Stimmgewicht"
Bei der Änderung im Wahlrecht ging es auch um die Überhangmandate. Unter
Stein des Anstoßes für die Wahlrechtsreform war aber im Wesentlichen das "negative Stimmgewicht": Nach dem alten Wahlrecht wurden die nach Verhältniswahl über die Zweitstimme gewonnenen Mandate einer Partei zwischen ihren Landeslisten verrechnet. Wenn die Landesliste A einer Partei dann auf Kosten einer anderen Landesliste B dieser Partei ein Listenmandat hinzugewann, das im Land A aber ohnehin schon durch ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008
Am 3. Juli 2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht daher die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, die zu einem "negativen Stimmgewicht" führen können, für verfassungswidrig.
Das Phänomen des negativen Stimmgewichts verstoße gegen die Grundsätze der gleichen und unmittelbaren Wahl, so die Richter. Die Gleichheit der Wahl werde dadurch beschädigt, dass durch das "negative Stimmgewicht" nicht jede Stimme den gleichen Erfolgswert habe. Es bestehe sogar die Möglichkeit, durch die Abgabe einer Stimme den erwünschten Wahlausgang negativ zu beeinflussen.
Das Urteil verpflichtete den Gesetzgeber zu einer Neuregelung der Verteilung der Überhangmandate innerhalb von drei Jahren. So konnte die Bundestagswahl 2009 noch gemäß dem alten Wahlrecht durchgeführt werden. Die Frist zur Änderung des Gesetzes war am 30. Juni 2011 ausgelaufen, ohne dass eine Gesetzesänderung verabschiedet worden war.
Mögliche Alternativen für Änderungen des Wahlrechts könnten beim Entstehen der Überhangmandate, bei der Verrechnung der Direktmandate oder aber bei den Verbindungen der Landeslisten ansetzen, schlug das Urteil von 2008 vor.
Das neue Wahlrecht
Durch die Wahlrechtsreform von 2011 wurde die Verbundenheit der Landeslisten aufgelöst: Die Verrechnung der Mandate zwischen den verschiedenen Landeslisten einer Partei ist nun nicht mehr möglich. Die Anzahl der Bundestagsabgeordneten aus einem Land ergibt sich damit alleine aus den Wählerstimmen in diesem Land.
Durch die Änderung habe man die Grundstruktur des bestehenden Wahlrechts nicht angetastet, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Günter Krings. Im Zuge der neuen Regelung würden die Überhangmandate "tendenziell reduziert".
Klagen gegen das neue Gesetz
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten die Neuregelung für unvereinbar mit den Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit, der Chancengleichheit der Parteien und der Unmittelbarkeit der Wahl, und haben deswegen im Rahmen eines Organstreitverfahrens und eines Normenkontrollantrags das Verfassungsgericht angerufen. Es stelle die Demokratie auf den Kopf, so der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, dass durch Überhangmandate eine Partei durch mehr Stimmen nicht zwingend eine Mehrheit an Sitzen erhalte. Bemängelt wird auch, dass die Änderung das Auftreten eines negativen Stimmgewichts nicht ganz ausschließt. Auch die Verfassungsbeschwerde von 3.063 Bürgern in der Sache wird am Dienstag verhandelt.
Die Wahlrechtsreform wird nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch unter Juristen kontrovers diskutiert. In einer Expertenanhörung vor dem Innenausschuss des Bundestags hielten manche der geladenen Experten die Änderungen der Koalition für angemessen. Andere waren der Auffassung, dass der Entwurf dem BVerfG-Urteil nicht gerecht wird.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird erst in einigen Monaten erwartet.