Ägypten nimmt eine weitere Hürde im politischen Übergangsprozess, der mit der Revolution im Frühjahr 2011 begann: Am 23. und 24. Mai findet die erste Präsidentenwahl nach der Entmachtung von Hosni Mubarak statt. Sollte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, findet am 16. und 17. Juni eine Stichwahl statt.
13 Kandidaten wurden zur Wahl zugelassen
Ende April hat die oberste Wahlkommission Ägyptens die endgültige Liste der Kandidaten für die erste Präsidentenwahl vorgestellt. Für die Muslimbrüder, die bereits Parlament und Senat dominieren, tritt der Vorsitzende der Partei für Gerechtigkeit und Freiheit, Mohammed Mursi, an. Unter den weiteren Kandidaten finden sich der frühere Außenminister und ehemalige Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, und Abdel Moneim Abul Futuh, ein früheres führendes Mitglied der Muslimbruderschaft. Die Muslimbrüder hatten ihn ausgeschlossen, nachdem er eigenmächtig seine Kandidatur angekündigt hatte. Mit Ex-General Ahmed Schafik tritt zudem ein ehemaliger Mubarak-Vertrauter an.
Knapp die Hälfte der Kandidaten ausgeschlossen
Die Wahlkommission hatte zehn der 23 Bewerber von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Unter ihnen sind populäre Politiker, die realistische Chancen auf das Präsidentenamt gehabt hätten, wie etwa der Ex-Geheimdienstchef und Ex-Vizepräsident Omar Suleiman. Dieser galt lange Zeit als Favorit des Militärs. Aufgrund seiner Nähe zu Hosni Mubarak war er jedoch auch umstritten. Die Wahlkommission schloss ihn aus, da ihm Unterschriften von Unterstützern fehlten.
Auch der aussichtsreiche Kandidat der radikal-islamistischen Salafisten, Hazem Abu Ismail, wurde ausgeschlossen. Die verstorbene Mutter von Abu Ismail hatte offenbar auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Gemäß dem Wahlgesetz dürfen nur Kandidaten zur Wahl zugelassen werden, die die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen und von ägyptischen Eltern abstammen.
Die Kandidatur der einzig weiblichen Bewerberin, der Journalistin Bothaina Kamel, scheiterte ebenfalls, da sie die erforderlichen 30.000 Unterstützungs-Unterschriften nicht vorweisen konnte.
Aussichtsreiche Kandidaten
Nach dem Ausschluss mehrerer religiöser Präsidentschaftsanwärter scheint Abul Futuh der aussichtsreichste islamistische Bewerber. Er versucht jedoch auch säkulare Ägypter anzusprechen, zunehmend mit Erfolg: Auch Intellektuelle und liberal gesinnte Mitglieder der Mittelklasse Ägyptens wollen für ihn stimmen. Viele Unterstützer hat er auch unter früheren Anhängern der Muslimbrüder.
Als größter Konkurrent tritt Amr Mussa in Erscheinung. Ihm wird jedoch vorgeworfen, als langjähriger Außenminister unter Mubarak Teil des repressiven Regimes gewesen zu sein. Sein Vorteil ist dagegen seine jahrzehntelange Erfahrung im politischen Betrieb. Zudem könnte er als säkulares Gegengewicht zum islamistisch dominierten Parlament fungieren.
Der lange Zeit als möglicher Bewerber für das Präsidentenamt gehandelte Mohamed ElBaradei hatte sich bereits vor einiger Zeit aus dem Rennen zurückgezogen. Der frühere Leiter der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) und Friedensnobelpreisträger hatte dies damit begründet, dass keine fairen und freien Wahlen unter der Militärherrschaft zu erwarten seien.
Seit mehr als einem Jahr ist der Oberste Militärrat (SCAF), das Führungsgremium der ägyptischen Streitkräfte, an der Macht. Es wurde nach dem Sturz von Mubarak damit betraut, den Übergangsprozess Ägyptens zu begleiten. Nach dem vom Militärrat vorgelegten Zeitplan soll die derzeitige Übergangsphase bis zum 30. Juni 2012 mit der Machtübergabe an einen zivilen Präsidenten abgeschlossen sein. Ob dieser Zeitplan eingehalten wird, ist jedoch ungewiss.
Weiterhin chaotische Verhältnisse
Repressalien gegen Opposition, Zivilgesellschaft und unabhängige Medien bestimmen vielerorts den politischen Alltag Ägyptens. Laut Militärrat sind mehrere Tausend Zivilisten seit Februar 2011 in Schnellverfahren vor Militärgerichten zu teils hohen Haftstrafen verurteilt worden. Zu der angespannten politischen Stimmung trägt zudem die katastrophale wirtschaftliche Situation bei. Dem Land geht es heute wirtschaftlich schlechter als vor der Revolution. Hunderttausende Menschen haben wegen der Einbrüche im Tourismus-Sektor ihre Arbeit verloren und haben kaum Geld für Nahrungsmittel.
Somit ist die Euphorie des Umsturzes der Ernüchterung gewichen. Längst richtet sich die Wut hauptsächlich gegen den Militärrat. Zwar sind seither wichtige Repräsentanten des gestürzten Regimes vor Gericht gestellt und die ersten freien Parlamentswahlen seit mindestens 60 Jahren durchgeführt worden. Allerdings lassen die anhaltenden Demokratiedefizite auch immer mehr Zweifel am versprochenen Transformationsprozess aufkommen.