Die Zuwanderung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus der Tschechischen Republik, Polen, Slowakei, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Slowenien nach Deutschland fällt geringer aus als erwartet. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) war im vergangenen Jahr davon ausgegangen, dass in den ersten zwei Jahren mit einer deutlichen Zuwanderung von 800.000 Personen zu rechnen sei. Vorsichtigere Schätzungen kamen von der Bundesregierung: Sie rechnete damit, dass jährlich bis zu 150.000 Arbeitnehmer zum Arbeiten nach Deutschland kämen. Bislang haben lediglich 79.000 osteuropäische Arbeitnehmer diese Chance wahrgenommen, teilte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am vergangenen Freitag (27. April) mit. Demgegenüber stehen 1,13 Millionen offene Stellen.
Als einen möglichen Grund für die moderate Zuwanderung nannte das IAB Sprachbarrieren und das deutsche Ausbildungssystem. "Viele junge Osteuropäer sprechen eher Englisch als Deutsch. Damit sei es viel leichter in den angelsächsischen Arbeitsmarkt einzutreten", sagte IAB-Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker dem ZDF-Morgenmagazin. Eine Hürde stelle laut Brücker auch das duale Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland dar - ein völlig anderes System als in den Herkunftsländern. Erschwerend kommt hinzu, dass Abschlüsse in Deutschland teilweise nicht anerkannt werden.
Mehr sozialversicherungspflichtige Stellen besetzt
Insgesamt bewertet das IAB die Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aber positiv. "Durch die zusätzliche Beschäftigung ergeben sich gesamtwirtschaftliche Gewinne für die deutsche Volkswirtschaft", so Brücker. Vor allem sozialversicherungspflichtige Stellen wurden neu besetzt: Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit stieg die sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigung aus den acht Ländern im Jahr 2011 um 82.000 Personen - und damit etwas stärker als die Nettozuwanderung. Das IAB erklärt dies damit, dass Personen, die bereits als Selbstständige in Deutschland gearbeitet haben, auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgestiegen seien.
Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte bleibt zentrale Aufgabe
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen betonte gegenüber dem ZDF-Morgenmagazin, dass die Politik weiterhin aktiv für qualifizierte Fachkräfte werben müsse. Die meisten Zuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten arbeiten als Leiharbeiter, im Baugewerbe, in der Industrie und in der Gastronomie. 20.600 von ihnen gingen nach Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg (11.700) und Nordrhein-Westfalen (14.800).
Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa
Die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit wurden von den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich angewendet. Deutschland und Österreich hatten die maximale siebenjährige Übergangsfrist ausgeschöpft und erst im vergangenen Jahr - als letzte der alten EU-15-Staaten - den Arbeitsmarkt für osteuropäische Arbeitnehmer geöffnet. Die Bundesregierung hatte befürchtet, dass eine verstärkte Migration von Arbeitskräften zu einem höheren Druck auf den Arbeitsmarkt und sinkenden Löhnen führen würde. Großbritannien, Irland und Schweden öffneten ihre Arbeitsmärkte für osteuropäische Bürger unmittelbar nach dem Beitritt. Die Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten führte die Freizügigkeit während der zweiten Phase der Übergangsfristen ab dem Jahr 2006 ein.