Die Weltwirtschaftskrise setzt auch das von Auslandsgeldern abhängige deutsche Wirtschaftsleben unter starken Druck. Schon bald herrscht Massenarbeitslosigkeit, der die Sozialsysteme nicht mehr gewachsen sind. Arbeitslose im Hof des Arbeitsamts Hannover, 1931 (© picture-alliance/akg, Walter Ballhause)
Die Ära Brüning
Übergang zur Präsidialregierung
Die Weltwirtschaftskrise setzte der in den Jahren zuvor erreichten Stabilisierung ein Ende. Amerikanische Auslandsinvestitionen und Kreditmittel blieben aus, weil die Gelder nun in den USA selbst gebraucht wurden. Das traf das von diesen Mitteln abhängige deutsche Wirtschaftsleben hart. Produktionsrückgänge und Massenentlassungen waren die Folge.
Die Zahl der Arbeitslosen, die in Deutschland 1927 mit 1,5 Millionen ihren tiefsten Stand erreicht hatte und auch im Folgejahr kaum höher war, betrug nach einem Konjunktureinbruch im November 1928 bereits zwei Millionen und nur zwei Monate später schon mehr als drei Millionen. Im Januar 1932 erreichte die Arbeitslosenzahl mit etwas mehr als 6 Millionen ihren Höhepunkt. Das Bruttoinlandsprodukt ging nach dem Zusammenbruch der Weltbörsen um 6,7 Prozent zurück, die Steuereinnahmen brachen weg.
Arbeitslosigkeit 1924 bis 1932 (© bpb)
Das deutsche Sozialversicherungssystem war derartigen Belastungen nicht gewachsen. Die staatliche Arbeitslosenversicherung, die der Reichstag erst 1927 eingeführt hatte, sollte die Erwerbslosenfürsorge der Gemeinden ablösen. Die Beiträge, drei Prozent des Lohns, wurden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern je zur Hälfte aufgebracht. 1927 herrschte eine Hochkonjunktur und die Eigenmittel der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung waren für maximal 1,4 Millionen Erwerbslose berechnet. Als 1929, bedingt durch die Wirtschaftskrise, die Konjunktur einbrach, geriet die Anstalt rasch an ihre Grenzen und musste sich verschulden.
Die verschiedenen Parteien im Kabinett des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) hatten höchst unterschiedliche sozialpolitische Vorstellungen. Die SPD schlug vor, die Beitragssätze um ein halbes Prozent zu erhöhen. Die DVP lehnte dagegen Beitragserhöhungen kategorisch ab, da die finanziellen Belastungen der Unternehmer ohnehin schon sehr hoch seien. Sie wollte stattdessen die Entschuldung der Reichsanstalt durch den Abbau sozialer Leistungen erreichen, was wiederum bei den Sozialdemokraten auf vehementen Widerspruch stieß.
An diesen Debatten scheiterte die Regierung von Hermann Müller (SPD), die letzte Koalition unter Beteiligung der Sozialdemokraten. Neuer Reichskanzler wurde am 30. März 1930 der Fraktionsvorsitzende des Zentrums Heinrich Brüning. Von Hindenburg erhielt er den ausdrücklichen Auftrag, sein Kabinett "nicht auf der Basis koalitionsmäßiger Bindungen" zu bilden. Brüning berief Politiker des Zentrums, der DDP, der DVP, der DNVP sowie konservativer Splitterparteien. Etliche hatten schon, teils in anderen Positionen, vorherigen Kabinetten angehört, doch insgesamt hatten sich die Gewichte deutlich nach rechts verschoben.
Die Regierung Brüning war das erste Präsidialkabinett, eine Regierung, die sich nicht mehr auf eine parlamentarische Mehrheit stützte. Seine Amtszeit erwies sich als entscheidende Wegmarke auf dem Weg zur "Zerstörung der parlamentarischen Republik" (Hans-Ulrich Wehler). In seiner Regierungserklärung betonte der Reichskanzler, seine Regierung sei "der letzte Versuch, die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen", drohte also unverhohlen mit Neuwahlen.
Brünings Handlungsfähigkeit hing vom Wohlwollen des Reichspräsidenten ab, der nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung Notverordnungen erlassen konnte. Diese Notverordnungen waren eigentlich, wie ihr Name es auch nahelegt, für den Fall des Staatsnotstandes gedacht und sollten dem Reichspräsidenten die Möglichkeit geben, in einem solchen Fall "die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen [zu] treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht".
Machtmechanismus der Präsidialregierungen (1930-1933) (© bpb)
De facto wurde dieses für den absoluten Ausnahmefall gedachte Instrument mit zunehmender Handlungsunfähigkeit des Reichstags mehr und mehr zum Ersatz für die reguläre Gesetzgebung. Der Reichstag konnte zwar die Aufhebung der Notverordnungen verlangen, die auf Initiative des Reichskanzlers vom Reichspräsidenten erlassen wurden. Dafür war aber die Mehrheit der Abgeordneten nötig, die nur erreicht wurde, wenn die SPD mitwirkte.
Brüning verfolgte eine restriktive, deflationäre Finanzpolitik, die sich allgemein um Senkung des Preisniveaus sowie den Erhalt der Kaufkraft bemühte und vor allem am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts orientiert war. Sein Regierungsprogramm konzentrierte sich auf die Sanierung des Staatshaushalts, vorrangig auf Kosten der sozial Schwachen, auf die Überwindung der Wirtschaftskrise und den Aufbau eines vom Parlament unabhängigen Regierungsapparats. Zudem ging es ihm um außenpolitische Erfolge, insbesondere eine Beendigung des Reparationsregimes.
Dies alles sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland seine Position als europäische Großmacht wiedererlangte. Der Etat der Reichswehr blieb deshalb von jeglicher Kürzung im Staatshaushalt verschont.
Außerdem musste die weitere Finanzierung der Arbeitslosenversicherung geklärt werden, an der die Vorgängerregierung zerbrochen war. Brüning erhöhte die Beiträge mehrfach. Um die im Young-Plan vereinbarten Ziele zu erreichen, war es notwendig, dass die Währung stabil blieb und die noch immer hohen Reparationszahlungen geleistet werden konnten.
Dagegen gab es Widerstand auf der linken wie der rechten Seite des Reichstags. Das Haushaltsanierungsprogramm, das Brüning vorlegte, wurde abgelehnt. Daraufhin setzte er seine Vorlage mit Hilfe einer Notverordnung gemäß Artikel 48 der Verfassung durch. Doch der Reichstag hob die Notverordnung mit den Stimmen von KPD, SPD, DNVP und NSDAP wieder auf und Hindenburg setzte Neuwahlen an. Brüning legte wenige Tage später die Notverordnung in geringfügig veränderter Form erneut vor. Dagegen konnte der aufgelöste Reichstag keinen Einspruch mehr erheben.
Reichstagswahlen September 1930
Die Reichstagswahlen fanden am 14. September 1930 statt. Die NSDAP, die lange Zeit nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, hatte zuletzt bei regionalen Wahlen beachtliche Erfolge erzielt und war zum Beispiel bei den Landtagswahlen in Sachsen auf 14,4 Prozent gekommen. Bei den Reichstagwahlen erzielte sie nun einen sensationellen Erfolg. Statt 2,6 Prozent erhielt sie diesmal 18,3 Prozent der Stimmen und stellte daraufhin mit einer von zwölf auf 107 Abgeordnete angewachsenen Vertretung die zweitstärkste Reichstagsfraktion.
Wählerwanderung am Beispiel von DNVP und NSDAP (© bpb)
Viele Stimmen hatten die Nationalsozialisten der DNVP abgenommen, der sie mit ihrer noch entschiedeneren "nationalen Opposition" zunehmend den Rang abliefen. Die DNVP bekam nur noch 7 Prozent der Stimmen, nach 14,3 Prozent zwei Jahre zuvor. In der Partei hatte es schwere Auseinandersetzungen gegeben, deren Ausgangspunkt die Bewertung des Young-Plans war: Der radikal antidemokratische Flügel unter Hugenberg, der ihn ablehnte, dominierte die Partei. Die etwas gemäßigteren Kräfte um Kuno Graf Westarp hatten die DNVP verlassen und die Konservative Volkspartei (KVP) gegründet, die aber nur auf 0,8 Prozent der Stimmen kam.
Die Agrarkrise, die der eigentlichen Wirtschaftskrise vorausging, hatte vor allem in Norddeutschland eine Radikalisierung der Landbevölkerung bewirkt (siehe Quellentext "Forderungen des Landvolkes von Schleswig-Holstein" im Kapitel "Interner Link: Gefährdete Stabilität 1924-1929"). Auch davon profitierte in besonderem Maße die NSDAP. Die Partei war inzwischen nahezu für das gesamte bürgerliche Lager zunehmend attraktiv geworden. Die Reichstagswahlergebnisse der Parteien rechts von der SPD zeigten das überdeutlich. DDP, DVP, DNVP, Wirtschaftspartei und Bauernparteien verloren zusammen innerhalb weniger Jahre fast vier Fünftel ihrer Wählerinnen und Wähler, ihr Anteil fiel von 47 Prozent 1924 auf 10 Prozent bei den Reichstagswahlen im Juli 1932.
Hinzu kam, dass die Nationalsozialisten eine beträchtliche Anzahl Wahlberechtigter mobilisieren konnten, die zuvor den Wahlurnen ferngeblieben waren. Betrug die Wahlbeteiligung am 4. Mai 1924 77,4 Prozent, lag sie am 31. Juli 1932 bei 84 Prozent, was einem Zuwachs von 7,6 Millionen abgegebenen Stimmen entsprach.
Es gab allerdings zwei stark weltanschaulich geprägte Milieus, bei denen die Erfolge der NSDAP deutlich unter dem Durchschnitt lagen: das katholische Milieu und die sozialistische bzw. kommunistische Arbeiterbewegung. Das Zentrum konnte sich seine religiös gebundene Wählerbasis bis zum Schluss nahezu vollständig erhalten. Die KPD, deren Ideologie derjenigen der NSDAP genau entgegengesetzt war, vermochte es, ihren Stimmenanteil in den Jahren von 1928 bis 1932 sogar von 10,6 auf 14,3 Prozent zu steigern.
Die NSDAP war die erste Partei, die Menschen im ganzen Land ansprach, ohne regionale, konfessionelle oder soziale Begrenzung. Damit könnte man sie fast als erste moderne Volkspartei begreifen. Das war sie aber nicht in dem Sinne, wie dieser Begriff heute verwendet wird. Sie war zwar im Prinzip für Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten offen, aber keineswegs für diejenigen, die unterschiedlichen Weltanschauungen anhingen und schon gar nicht für die Angehörigen ethnischer Minderheiten. Vielmehr verstand sie sich als Volkspartei eines rassistisch exklusiv definierten Volkes, das einer einheitlichen Ideologie folgte. In der Geschichtswissenschaft wird deshalb in Bezug auf die NSDAP im Allgemeinen nicht von einer Volkspartei gesprochen, sondern eher von einer "Omnibus-Partei", sozusagen einem großen Fahrzeug, in dem sehr viele, aber nicht alle mitfahren durften.
Nach dem Wahlsieg der NSDAP im September 1930 gab es Stimmen, die Reichskanzler Brüning rieten, die Partei in seine Regierung aufzunehmen. Er stand jedoch einer Verbindung mit den erstarkten Nationalsozialisten unverändert sehr reserviert gegenüber, sodass auch ein Sondierungsgespräch am 5. Oktober 1930 kein greifbares Ergebnis brachte. Die von Brüning erhoffte loyale Opposition wurde von Hitler rundheraus abgelehnt, der sich auch keineswegs an den Wunsch Brünings hielt, das Gespräch geheim zu halten. Brüning sah, dass hier keine Verständigung möglich war.
In langen Verhandlungen gelang es ihm andererseits, die Sozialdemokraten zu einer Tolerierung seiner rigiden Sparpolitik zu bewegen. Der Reichstag wurde nur noch selten einberufen, dafür folgte eine Notverordnung der anderen, insgesamt waren es mehr als 60 in weniger als zwei Jahren. Mit einem drastischen Sanierungsprogramm versuchte Brüning, den Haushalt zu konsolidieren und zugleich auf diplomatischer Ebene ein Ende der Reparationen zu erreichen. Mit dieser Politik nahm er in Kauf, dass sich die Krisensituation durch die scharfen sozialen Einschnitte weiter zuspitzte. Gleichzeitig verhielt er sich außenpolitisch erstaunlich ungeschickt (siehe unten).
Erschwerend kam hinzu, dass die Hoffnung der Finanzwelt, der Sparkanzler könne für seinen unternehmerfreundlichen Kurs eine politische Mehrheit gewinnen, mit dem Wahlergebnis vom 14. September 1930 spektakulär gescheitert war. Die Parteien, der in seinem Kabinett vertretenen Regierungsmitglieder hatten allesamt Stimmen verloren. Das förderte die Verunsicherung. In den folgenden Wochen wurden nicht weniger als 300 Millionen Reichsmark an ausländischen Einlagen von deutschen Bankkonten abgezogen. Verunsicherte inländische Anleger, denen die Erinnerung an die Inflation noch in den Knochen steckte, hoben sogar mehr als 600 Millionen Reichsmark von ihren Konten ab.
Bankenkrise
Die Basis für das Funktionieren des deutschen Finanzmarkts war fragil. Ein entscheidendes Element waren ausländische Kredite, die überwiegend nur kurze Laufzeiten hatten, gleichzeitig aber den Banken die Mittel lieferten für langfristige Kredite an Industrie und Gewerbe. Das Reichsbankengesetz vom 30. August 1924 sicherte der Reichsbank einerseits ihre Unabhängigkeit, verpflichtete sie andererseits allerdings zu einer beachtlichen Mindestdeckung der ausgegebenen Geldmenge durch Gold bzw. in Gold konvertierbare Devisen. Diese gesetzlich vorgeschriebene Währungsdeckung beschränkte den Handlungsspielraum der Reichsbank. Nach Jahren der Prosperität hatte bereits 1928 eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lage eingesetzt. In Folge des "Schwarzen Donnerstags" im Oktober 1929 wurde dann vermehrt ausländisches Kapital aus Deutschland abgezogen. Dieser Kapitalabfluss gewann nach den Reichstagswahlen im September 1930 weiter an Dynamik.
Am 8. Mai 1931 veröffentlichte die Österreichische Credit-Anstalt ihre Bilanz für das Vorjahr, die einen Verlust von 140 Millionen Schilling auswies; drei Tage später erklärte sie ihre Zahlungsunfähigkeit. Am 11. Mai gab auch der Karstadt-Konzern große Verluste bekannt. Diese Vorgänge verstärkten das Klima der Unsicherheit. Allein im Mai 1931 wurden Devisen im Wert von 288 Millionen Reichsmark von deutschen Banken abgezogen. Es war absehbar, dass bald auch die Reichsbank in Zahlungsschwierigkeiten geraten würde.
In dieser Situation legte Brüning am 5. Juni eine zweite "Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" vor, die weitere harte soziale Einschnitte vorsah. Er begleitete diesen Schritt mit einer öffentlichen Erklärung, dass weitere Reparationsleistungen für Deutschland im Moment nicht tragbar seien. Dabei übernahm Brüning die Diktion der Rechtsradikalen und bezeichnete die Reparationen als "Tribute".
Das internationale Echo auf Brünings "Tributaufruf", wie die Erklärung bald allgemein genannt wurde, war verheerend. Trotz einer Erhöhung des Diskontsatzes von fünf auf sieben Prozent verminderte sich der Devisenbestand der deutschen Zentralbank in den Tagen bis zum 17. Juni 1931 von drei auf 1,7 Milliarden Reichsmark. Die Reichsbank war also schon vor dem Ausbruch der eigentlichen Bankenkrise nahezu illiquide geworden. Mit seiner ungeschickten Erklärung hatte Brüning den Zustand, den er als Vorwand für die Aussetzung der Reparationen benutzen wollte, erst herbeigeführt.
Am 17. Juni wurde ein sehr hoher, existenzbedrohender Verlust bei der Norddeutschen Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei ("Nordwolle") bekannt. Jahrelang hatte die Geschäftsführung versucht, die finanzielle Lage zu verschleiern, und dabei auch vor betrügerischen Bilanzmanipulationen nicht zurückgescheut. Inzwischen waren Verluste von 145 Millionen Reichsmark aufgelaufen, was mehr als der Hälfte der Bilanzsumme entsprach und sich nicht länger verschleiern ließ. Der Zusammenbruch des größten europäischen Wollverarbeitungsunternehmens brachte auch zwei seiner Großgläubiger, die Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank) und die Dresdner Bank in große Schwierigkeiten.
Um das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen, wurde am 8. Juli per Notverordnung ein Wirtschaftsgarantieverband geschaffen, der die Haftung für die ausländischen Darlehen übernehmen sollte. (Insgesamt wurden in den Tagen der Bankenkrise nicht weniger als 25 Notverordnungen vom Reichspräsidenten erlassen.) Die Danat-Bank rettete das aber nicht mehr. Die Lage spitzte sich weiter zu, als auch die Dresdner Bank Insolvenz anmelden musste. Die Schließung der Danat-Bank am 13. Juli löste einen Ansturm der Kunden auf die übrigen Banken und Sparkassen aus.
Die Regierung sah sich gezwungen, den 14. und 15. Juli zu Bankfeiertagen zu erklären, was Brüning zunächst hatte vermeiden wollen. Die Schalter der Banken blieben geschlossen, die Reichsbank musste die Devisenbewirtschaftung einführen und die Konvertierbarkeit der Reichsmark aussetzen, das heißt, der Zahlungsverkehr mit dem Ausland wurde staatlicher Kontrolle unterstellt. Die Danat-Bank wurde mit der Dresdner Bank zwangsfusioniert, wobei Letztere ebenso wie die Commerzbank nun in Staatsbesitz überging. Weitere Banken und Unternehmen gerieten trotz aller Bemühungen der Regierung in Zahlungsschwierigkeiten, die Krise zog auch die mit 2,5 Milliarden Reichsmark im Ausland verschuldeten Länder und Gemeinden in Mitleidenschaft.
Nach den Bankfeiertagen reglementierte die Regierung die Auszahlungsmodalitäten der Kreditinstitute. Um einen möglichst schnellen Abbau der Beschränkungen im Zahlungsverkehr zu erreichen, wurde am 28. Juli 1931 die Akzept- und Garantiebank gegründet. Eine Woche später wurde der unbeschränkte Zahlungsverkehr wiederaufgenommen. Dagegen hielt die Regierung an der Devisenbewirtschaftung noch bis September fest. Auf Grundlage der Notverordnung vom 19. September 1931 wurde ein "Reichskommissar für das Bankgewerbe" berufen, der eine einheitliche Bankenaufsicht etablieren sollte. In intensiven Verhandlungen mit den alliierten Regierungen war es Brüning außerdem im August 1931 gelungen, für sechs Monate ein Moratorium – das heißt einen Zahlungsaufschub – für die Reparationszahlungen zu erreichen, die durch das Abkommen von Lausanne vom 9. Juli 1932 dann ganz beendet wurden.
Harzburger Front
Wenige Monate vor der Bankenkrise hatte der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht ein Buch mit dem Titel "Das Ende der Reparationen" veröffentlicht, das enormes Aufsehen erregte. Schacht war von einem entschiedenen Befürworter zu einem lautstarken Gegner des Young-Plans geworden, weil dieser nach seiner Ansicht nicht richtig umgesetzt worden sei. Er nutzte sein Buch nicht nur, um seine politische Wendung nach rechts zu rechtfertigen, sondern auch zu einer Generalabrechnung mit Reichskanzler Brüning, dem er vorwarf, die "sozialistische Finanzpolitik" seines Vorgängers Müller fortzusetzen.
Der ursprünglich liberale Schacht setzte sich inzwischen für ein Bündnis von DNVP und NSDAP ein. Trotzdem war es eine Sensation, dass der als Retter der deutschen Währung hoch angesehene ehemalige Reichsbankpräsident am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg auftrat. Er nahm dort an einer Großveranstaltung der "nationalen Opposition" teil, die auf Alfred Hugenbergs Initiative zustande gekommen war. Schacht hielt eine aufsehenerregende Rede, in der er die Geldpolitik der Reichsbank, die inzwischen von dem ehemaligen Reichskanzler Hans Luther geleitet wurde, scharf angriff.
Bad Harzburg gehörte zum Freistaat Braunschweig, der seit den Landtagswahlen vom 14. September 1931 von einer Koalition aus NSDAP und der Bürgerlichen Einheitsliste, zu der sich DVP, DNVP und einige kleine Rechtsparteien zusammengeschlossen hatten, regiert wurde. Es waren die gleichen Kräfte, die schon das Volksbegehren gegen den Young-Plan getragen hatten und die nun die sogenannte Harzburger Front bildeten.
Hinzu kamen der großagrarisch orientierte Reichslandbund, viele hochrangige Militärs wie Generaloberst Seeckt, der als Chef der Heeresleitung 1926 entlassen worden war und nun für die DVP im Reichstag saß, Angehörige des Hochadels, darunter zwei Söhne von Kaiser Wilhelm II., führende Vertreter der Industrie wie Fritz Thyssen und andere Repräsentanten des republikfeindlichen Deutschland wie der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß. Hier vollzog sich der demonstrative Schulterschluss der alten Eliten des Kaiserreiches mit der aufstrebenden kleinbürgerlichen Massenbewegung der Nationalsozialisten.
Die Tagung am 11. Oktober 1931, einem Sonntag, begann mit einem "Feldgottesdienst", zu dem 2000 SA-Leute und 3000 Angehörige des "Stahlhelms" mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel aufmarschierten. Anschließend fand eine gemeinsame Sitzung der Reichstagsabgeordneten von NSDAP und DNVP statt. Das Ziel der Harzburger Front war der Sturz des Reichskanzlers Brüning. Die Führer der nationalen Verbände betonten, dass sie "die heutige Regierung und das heute herrschende System" ablehnten, und verlangten die Aufhebung der von Brüning initiierten Notverordnungen und eine Neuwahl des Reichstags.
Umrahmt war die Veranstaltung von Aufmärschen der paramilitärischen Organisationen. Hitler ließ es sich gerne gefallen, dass der Glanz der prominent besetzten Versammlung auch auf ihn fiel. Er hatte in diesem Bündnis von vornherein ein Mittel gesehen, seine Reputation zu mehren. Das Bündnis war vor allem deshalb für ihn von großem Wert, weil die NSDAP damals nur über einen bescheidenen Presseapparat verfügte, während Hugenbergs Medienimperium seinen Namen nun noch in den entlegensten Winkeln des Deutschen Reiches bekannt machte.
Gleichzeitig achtete Hitler aber darauf, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Der große Wahlerfolg vom September 1930 hatte seiner Bewegung eine enorme Schubkraft verliehen. Die NSDAP war nun nicht mehr, wie noch beim Kampf gegen den Young-Plan, der Juniorpartner der Deutschnationalen, sondern hatte mehr als doppelt so viele Reichstagsabgeordnete. Hitler sah sich damit berechtigt, die Führungsrolle zu beanspruchen.
Er betonte mit seinem Führungsanspruch im rechtsextremen Lager zugleich die Eigenständigkeit der nationalsozialistischen Bewegung. So verweigerte er die Teilnahme am gemeinsamen Mittagessen und verließ nach dem Vorbeimarsch der SA demonstrativ die Tribüne, ohne die Parade des "Stahlhelms" abzuwarten. Das alles war sehr bewusst kalkuliert. Eine Woche später ließ er vor dem Braunschweiger Schloss 100.000 Angehörige der SA und anderer nationalsozialistischer Verbände aufmarschieren, um zu demonstrieren, wozu die NSDAP alleine in der Lage war. Bei den Straßenkämpfen, die diese Machtdemonstration provozierte, gab es mehrere Tote und viele Verletzte. Das war Propaganda nach Hitlers Geschmack.
Am 16. November 1931 brachten die in Bad Harzburg versammelten politischen Kräfte im Deutschen Reichstag einen Misstrauensantrag gegen Brüning ein, der von NSDAP, DNVP, der Mehrheit der DVP und auch der KPD – wenngleich auch aus anderen Motiven – unterstützt wurde. SPD, Zentrum, DDP und einige Kleinparteien stimmten dagegen, sodass der Antrag knapp scheiterte. Brüning war noch einmal gerettet, was nicht zuletzt daran lag, dass es keinen überzeugenden Gegenkandidaten gab.
Wahl des Reichspräsidenten 1932
Reichspräsidentenwahlen 1932 (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 50 072)
Das Jahr 1931 brachte bei allen Landtagswahlen weitere Erfolge für die NSDAP. Die Partei fühlte sich nun stark genug, den offenen Schlagabtausch mit der traditionellen Rechten zu suchen. Brünings Initiative, die Amtszeit des Reichspräsidenten Hindenburg mittels einer Verfassungsänderung zu verlängern und dem 84-Jährigen einen erneuten Wahlkampf zu ersparen, lehnte die NSDAP kategorisch ab. Da sowohl die NSDAP als auch die DNVP eigene Kandidaten aufstellten, war völlig klar, dass Hindenburg aus diesem Wahlkampf nur dann als Sieger hervorgehen konnte, wenn die Wählerinnen und Wähler der SPD, die noch immer die größte Partei war, für ihn stimmen würden. Eine Vorstellung, die er als zutiefst demütigend empfand.
Er entschloss sich deshalb erst zu einer erneuten Kandidatur, als dies von "breiten Volksschichten", nicht aber von einer Partei gefordert wurde. Es fand sich ein "Hindenburg-Ausschuss" zusammen, an dessen Spitze der parteilose Berliner Oberbürgermeister Heinrich Sahm stand und dem unter anderen der Schriftsteller Gerhard Hauptmann, der Maler Max Liebermann und der frühere Reichswehrminister Gustav Noske angehörten.
Das "vaterländische" Deutschland dagegen hielt sich weitestgehend fern. Der "Stahlhelm" stellte mit seinem zweiten Vorsitzenden Theodor Duesterberg sogar einen eigenen Kandidaten auf. Duesterberg wurde auch von der DNVP unterstützt, der er seit 1919 angehörte. Für die KPD kandidierte ihr Vorsitzender Ernst Thälmann. Der eigentliche Gegenspieler Hindenburgs aber war der Kandidat der NSDAP. Adolf Hitler war als Staatenloser nicht wählbar. Nachdem frühere Versuche, ihn einzubürgern, gescheitert waren, ernannte der nationalsozialistische Innen- und Volksbildungsminister im Freistaat Braunschweig Hitler der Form halber zum Regierungsrat, wodurch er automatisch die Staatsangehörigkeit im Freistaat Braunschweig erhielt und nun für das Amt des Reichspräsidenten kandidieren konnte.
Hitler erhielt am 13. März im ersten Wahlgang 30,1 Prozent der Stimmen und bereitete damit Hindenburg, der auf 49,6 Prozent kam, die Schmach, sich einem zweiten Wahlgang stellen zu müssen. Da Thälmann und Duesterberg mit 13,2 und 6,8 Prozent weit abgeschlagen waren, konzentrierte sich die Auseinandersetzung im zweiten Wahlgang ganz auf Hitler und Hindenburg.
Hitler wurde in der NSDAP-Wahlpropaganda als "Mann der Kraft" dargestellt, der im ersten Wahlgang allein elf Millionen Stimmen auf sich vereinigt hatte und "gegen Parteikadaver und Interessenhaufen" stand. Wogegen acht verschiedene "Interessenhaufen", vom Zentrum bis zur Wirtschaftspartei, zusammen nur 18 Millionen Stimmen für Hindenburg hätten mobilisieren können.
Im zweiten Wahlgang wollte Hitler noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Nachdem der amtierende Reichspräsident einen "Osterfrieden" verkündet hatte, blieben für den Wahlkampf in der zweiten Runde nur sechs Tage. Um in dieser kurzen Zeit möglichst viele Menschen zu erreichen, setzte Hitler ein neues Mittel ein, das Flugzeug. So konnte er täglich mehrere Massenversammlungen in verschiedenen Städten abhalten. Dabei begleiteten ihn Kameraleute, die die Wahlkampfreise dokumentierten. "Hitler über Deutschland" wurde der erste nationalsozialistische Propagandafilm.
So etwas hatte es noch nie gegeben und diese "Amerikanisierung" des Wahlkampfes war auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten. Aber sie trug dazu bei, Hitlers Nimbus als moderner Volkstribun weiter zu festigen. Der Wahlgang am 10. April 1932 brachte mit 36,8 Prozent einen weiteren Stimmenzuwachs. Einerseits war das ein großer Erfolg, andererseits blieb der Abstand zu Hindenburg, der auf 53 Prozent kam, dennoch deutlich.
Das Ende der Weimarer Republik
Preußenschlag
Hitler stürzte sich sofort mit einer zweiten Deutschlandflug-Kampagne in den nächsten Wahlkampf. Am 24. April gab es in fünf Ländern Landtagswahlen. Sie erbrachten durchweg starke Stimmengewinne für die NSDAP, die mit Ausnahme von Bayern, wo sie noch knapp hinter der BVP lag, nun überall zur stärksten Partei wurde.
Am bedeutsamsten war der Wahlausgang in Preußen, dem Land, das nach Bevölkerung und Fläche zwei Drittel des Deutschen Reiches ausmachte. Die SPD erreichte dort nur noch 21,2 Prozent der Stimmen, während die NSDAP auf 36,3 Prozent kam. Zusammen mit den 12,8 Prozent der KPD reichte das für eine negative Mehrheit, die jede neue Regierungsbildung verhinderte. Das "rote Preußen" war unter seinem Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) seit 1920 ein Hort relativer Stabilität gewesen. Nun hatte die Regierung Braun, die sich in der Vergangenheit auf eine Weimarer Koalition gestützt hatte, keine Mehrheit mehr und amtierte nur noch geschäftsführend.
Auch auf nationaler Ebene verschärfte sich die Krise der Demokratie. Brüning hatte in einem rastlosen Wahlkampf Hindenburg eine zweite Amtszeit verschafft, doch der verzieh es ihm nicht, dass er seinen knappen Sieg ausgerechnet Katholiken und Sozialdemokraten, den verhassten "Reichsfeinden" von einst, verdankte. Der Dissens verschärfte sich, als der Reichswehr- und geschäftsführende Reichsinnenminister Wilhelm Groener, einer der wenigen entschiedenen Gegner der NSDAP unter den Militärs, ein Verbot der SA verfügte.
Für ein solches Verbot gab es Gründe und Anlässe in Fülle, aber es widersprach der Linie des Generals Kurt von Schleicher. Schleicher, ein Vertrauensmann Hindenburgs, war Chef des Ministeramtes, was dem Amt des Staatssekretärs in anderen Ministerien entsprach, und wollte die SA als Rekrutierungsreserve für die Wiederaufrüstung nutzen. Er drängte Groener erfolgreich zum Rücktritt als Wehrminister. Schleicher, der im Dezember 1932 für kurze Zeit selbst Reichskanzler wurde, verfolgte eine Querfrontstrategie zur Ausschaltung der Sozialdemokratie. Er strebte ein Bündnis aus dem linken Flügel der NSDAP um Gregor und Otto Strasser ("Strasser-Flügel") sowie sozialpolitisch aufgeschlossenen nationalen Kräften an, wobei auch ein Teil der Gewerkschaften einbezogen werden sollte.
Der Konflikt beschleunigte das Ende der Ära Brüning. Den letzten Anstoß gab der Versuch Brünings, die enorm hohen Hilfsgelder für die völlig überschuldeten Landgüter im Osten zugunsten anderer agrarpolitischer Prioritäten zu kürzen. Dies hätte den erneut an den Rand der Unfinanzierbarkeit geratenen Staatshaushalt entlastet und ermöglicht, den durch die Aufgabe von Gutsbetrieben frei werdenden landwirtschaftlichen Grund an Siedler zu vergeben. Dieser Plan wurde von den ostelbischen Gutsbesitzern als "Agrarbolschewismus" diffamiert. Hindenburg war als Besitzer des Gutes Neudeck von diesem Thema persönlich betroffen. Er erklärte brüsk, er werde keine einzige Notverordnung mehr unterzeichnen, woraufhin Brüning am 30. Mai seinen Rücktritt erklärte.
Zu Brünings Nachfolger wurde auf Schleichers Betreiben Franz von Papen ernannt, der ebenfalls der Zentrumspartei angehörte. Aber das war nur eine formale Gemeinsamkeit. Nachdem er 1925 für die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten eingetreten war, hatte Papen in seiner Partei lediglich eine marginalisierte Stellung am Rand der Partei eingenommen. Bis April 1932 hatte er dem Preußischen Landtag als Abgeordneter angehört und auf ein Ende der Koalition seiner Partei mit der SPD hingearbeitet. Nun kam er auf spektakuläre Weise ans Ziel. Auf Papens Vorschlag hin enthob Hindenburg den geschäftsführenden preußischen Ministerpräsidenten Braun und seine Regierung am 20. Juli 1932 per Notverordnung ihres Amtes und ernannte Papen zum Reichskommissar in Preußen. Damit war die letzte wesentliche Regierungsbeteiligung der SPD beseitigt.
Den Vorwand für dieses Vorgehen lieferte der "Altonaer Blutsonntag": Nachdem die Regierung Papen das von Brüning im April 1932 erlassene Verbot der SA aufgehoben hatte, waren am 17. Juli 1932 7000 aus ganz Schleswig-Holstein zusammengetrommelte uniformierte SA-Leute durch die zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörende Stadt Altona (Elbe) gezogen. Das provozierte die dort dominierende Anhängerschaft der KPD und der SPD und es folgte eine Schießerei zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und der Polizei, an deren Ende 18 Tote und 285 Verletzte zu beklagen waren. Es war der blutige Höhepunkt einer Gewaltwelle, die den Reichstagswahlkampf 1932 zum brutalsten in der Geschichte der Weimarer Republik werden ließ.
Die Absetzung der Regierung Braun, der sogenannte Preußenschlag, entzog die sozialdemokratisch geprägte preußische Polizei der demokratischen Kontrolle. Zahlenmäßig dem durch den Versailler Friedensvertrag auf 100.000 Mann reduzierten Heer an Mannschaftsstärke weit überlegen, galt sie als wichtiger, das republikanische System stützender Ordnungsfaktor.
Mit Unterstützung einiger süddeutscher Länder, die den Föderalismus gefährdet sahen, erhob die Regierung Braun Klage vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig. Dieser kam am 25. Oktober zu einem Urteil von "grotesker Zwiespältigkeit" (Karl Dietrich Bracher): Die Richter erklärten die Maßnahmen des Reichskommissars Papen zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit wegen des Staatsnotstandes teilweise für rechtens, die Regierung Braun behalte aber ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber Landtag, Reichstag, Reichsrat und Reichsregierung. Ihre Absetzung sei nicht gerechtfertigt.
Daraufhin trat die ihrer realen Macht beraubte Regierung Braun als sogenannte Hoheitsregierung wieder zu ihren wöchentlichen Kabinettssitzungen zusammen. Ihre Tätigkeit wurde aber von der Reichsregierung nicht beachtet. Die Macht der Exekutive lag vielmehr bei den Vertretern der "Reichsexekution" unter Franz Bracht, den Papen zum stellvertretenden Reichskommissar in Preußen ernannt hatte.
Mit dem "Herrenreiter" Papen, der wie wenige das Versagen des deutschen Bürgertums angesichts der totalitären Herausforderung symbolisiert, war nicht nur die moralische Substanz der ersten deutschen Demokratie weitestgehend aufgezehrt, auch das parlamentarische System war nur noch ein Schatten seiner selbst. Papen, der im Stil höfischer Intrigen Politik machte, stand an der Spitze einer Regierung aus parteilosen Fachministern, von denen so viele adeliger Abstammung waren, dass die Regierung als "Kabinett der Barone" verspottet wurde. Bezeichnend für die neuen Machtverhältnisse war, dass Hindenburg Papen bei seiner Ernennung eine fast fertige Ministerliste präsentierte.
Der eigentliche Sinn des "Preußenschlages" enthüllte sich in den folgenden Wochen. Überall im Lande wurden sozialdemokratische und andere demokratische Polizeipräsidenten, Landräte und Beamte durch rechte Kräfte ersetzt. Keine andere Maßnahme der kurzlebigen Regierung Papen hat Hitlers "Machtergreifung" mehr entgegengearbeitet. Papen erfüllte alle Bedingungen, die die Nazis für die Tolerierung seiner Regierung gestellt hatten. Er hob das Verbot von SA und SS auf, ließ das Tragen von Uniformen wieder allgemein zu und schrieb Neuwahlen zum Reichstag aus. Dies alles geschah mit Wissen und Billigung des Reichspräsidenten. Hindenburg, der eigentlich kurz zuvor als Bollwerk gegen Hitler wiedergewählt worden war, konnte diese Erwartung nicht erfüllen, da er jede Zusammenarbeit mit der SPD grundsätzlich ablehnte und sich so unweigerlich mehr und mehr den Nationalsozialisten auslieferte.
Reichstagswahlen Juli 1932
Am 15. Juli 1932 startete Adolf Hitler seinen dritten Deutschlandflug. In 14 Tagen besuchte er von München bis Königsberg 50 große Wahlkampfkundgebungen und sprach zu annähernd zwei Millionen Menschen. Am 31. Juli stand das Ergebnis fest, das nun keine Überraschung mehr war: Mit 37,3 Prozent der Stimmen und 230 von 608 Abgeordneten wurde die NSDAP auch im Reichstag die mit Abstand stärkste Partei, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 21,6 Prozent und der KPD mit 14,3 Prozent. NSDAP und KPD, die radikalen Parteien am rechten und linken Rand, konnten jetzt auch im Reichstag eine negative Mehrheit bilden. Das Zentrum (12,4 %) und die BVP (3,2 %) erwiesen sich, gestützt auf ihre konfessionell gebundene Wählerschaft, als stabil, aber die anderen bürgerlichen Parteien verloren drastisch an Wählerzuspruch. Sie kooperierten bei der Wahl des Reichstagspräsidiums offen mit den Nationalsozialisten.
Zum neuen Reichstagspräsidenten wurde Hermann Göring gewählt, der gar nicht erst den Anschein zu erwecken suchte, er werde dieses Amt unparteiisch ausüben. Um ein "marxistenfreies" Präsidium zu erreichen, überging man den Anspruch der SPD, als zweitstärkste Fraktion den ersten Vizepräsidenten zu stellen. Die Sozialdemokraten wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Stattdessen wählte man den Zentrumsabgeordneten Thomas Esser. Zweiter und dritter Vizepräsident wurden Walther Graef (DNVP) und Hans Rauch (BVP).
Das katholische Lager stellte so, obwohl es nur über 97 Abgeordnete verfügte, zwei von vier Präsidiumsmitgliedern. Dabei hatten sich die Gewichte innerhalb des Zentrums sehr stark nach rechts verschoben. Tonangebend waren jetzt die ehemaligen Reichskanzler Marx und Brüning, außerdem Josef Joos, der auch dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angehörte, sowie der Prälat Ludwig Kaas, der 1929 den Parteivorsitz übernommen hatte und nach 1933 seine Karriere im Vatikan fortsetzte. Kaas vor allem propagierte einen Kurs der "Volkssammlung", aber auch andere prominente Zentrumspolitiker waren der Auffassung, der richtige Ausgleich für das langjährige Zusammengehen mit den Sozialdemokraten in Preußen sei eine Annäherung an die Nationalsozialisten auf Reichsebene. Tatsächlich hätte eine Koalition aus NSDAP und Zentrum, selbst ohne BVP, eine knappe Mehrheit im Reichstag hinter sich gehabt.
Im August 1932 kam es auch zu intensiven Verhandlungen über den Eintritt der NSDAP in die Regierung Papen, die aber an den überzogenen Forderungen der Nationalsozialisten scheiterten. Insbesondere wollte Hitler sich nicht mit dem Posten des Vizekanzlers zufriedengeben. Schleicher, Hindenburg und andere waren gewillt, Hitler sehr weit entgegenzukommen, aber noch wehrte der Reichspräsident sich dagegen, den Mann, der ihn bei seiner Wiederwahl so gedemütigt hatte, zum Reichskanzler zu berufen.
Gleichwohl sah Papen die Annäherungsversuche zwischen Zentrum und NSDAP mit Unbehagen, da sie das Ende seines Präsidialkabinetts bedeutet hätten. Seine einzige parlamentarische Stütze bildeten die 37 Abgeordneten der DNVP. Als der Reichstag am 12. September 1932 mit 512 gegen 42 Stimmen die Aufhebung der von Papen initiierten Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft verlangte, war das für ihn ein willkommener Anlass, den Reichstag erneut aufzulösen. Am selben Tag erklärte Papen im Rundfunk, er beschreite nunmehr "den Weg einer neuen unabhängigen Staatsführung", zu welcher der Reichspräsident ihn berufen habe.
Reichstagswahlen November 1932
Die Wahlen vom 6. November 1932 brachten nach Jahren stetig zunehmender Erfolge erstmals einen empfindlichen Rückschlag für die NSDAP. Mit 33,1 Prozent der Stimmen stellte sie nun statt 230 nur noch 196 Abgeordnete. Viele demokratisch gesinnte Menschen dachten schon, das Schlimmste sei überstanden und der nationalsozialistische Sturmlauf gegen die Republik gescheitert. Das Zentrum hatte ebenfalls – wenn auch nur leichte – Verluste hinnehmen müssen, sodass die rechnerische schwarz-braune Mehrheit vom Sommer dahin war. Allerdings verloren auch die Sozialdemokraten mit 20,4 Prozent Stimmanteile, während DNVP (8,3 %) und KPD (16,9 %) Stimmen und Mandate hinzugewannen.
An eine von einer Parlamentsmehrheit getragene Regierung war nach dieser Wahl noch weniger zu denken als zuvor. Prälat Kaas verlangte indes erneut eine "starke volksverbundene Reichsregierung" im Zeichen der "nationalen Sammlung", was nach Lage der Dinge nur eine Einbeziehung der NSDAP bedeuten konnte. Selbst Joseph Wirth, der ehemalige Reichskanzler und prominenteste Repräsentant des linken Flügels innerhalb des Zentrums, warb bei den Sozialdemokraten um Verständnis für eine solche Lösung.
Papen kam bald zu der Erkenntnis, dass er einer Regierung der "nationalen Konzentration" im Weg stand und erklärte am 17. November seinen Rücktritt. Kurz darauf plädierten Großagrarier und Industrielle in einer Eingabe an den Reichspräsidenten für einen Kanzler Hitler, doch dessen Unterredung mit Hindenburg blieb aus den gleichen Gründen wie drei Monate zuvor ohne positives Ergebnis. Der Feldmarschall wehrte sich noch immer gegen Hitlers Allmachtsanspruch und hätte ihm allenfalls die Kanzlerschaft einer vom Parlament getragenen Regierung zugestanden.
Am 3. Dezember berief Hindenburg schließlich General Kurt von Schleicher, der unter Papen bereits an die Spitze des Reichswehrministeriums gerückt war, zum neuen Kanzler. Schleicher stammte aus Brandenburg an der Havel und hatte in Berlin-Lichterfelde die Kadettenanstalt absolviert, wo er unter anderen Oskar von Hindenburg, den Sohn des späteren Reichspräsidenten, kennengelernt hatte. Im Krieg hatte er in der Obersten Heeresleitung gedient und sich 1918 für die Verständigung zwischen Reichswehr und Sozialdemokratie eingesetzt. Schleicher vertrat eine autoritäre Staatsauffassung, befürwortete aber zugleich die Einbindung der Arbeiterschaft.
Für kurze Zeit schien die Vision eines vorkonstitutionellen Staates auf, gestützt auf ein Bündnis, das vom SPD-nahen ADGB bis hin zu den Nationalsozialisten um Gregor Strasser, der inzwischen aus Protest gegen Hitlers "Alles-oder-nichts-Kurs" von sämtlichen Parteiämtern zurückgetreten war.
Doch schon am 28. Januar 1933 trat Schleicher wieder zurück, nachdem Hindenburg eine erneute Auflösung des Reichstags bei gleichzeitiger Verschiebung der Neuwahlen auf den Herbst 1933 verweigert hatte. Auch Zentrum und SPD mobilisierten ihre Energien gegen einen solchen "Reichsnotstand". Die beiden großen demokratischen Parteien verhielten sich Ende Januar 1933 so, als werde die Republik mehr von Schleicher als von Hitler bedroht. Dabei wäre Hitler womöglich nie Reichskanzler geworden, wenn Hindenburg Schleichers Vorschlag gefolgt wäre, den Reichstag aufzulösen, ohne Neuwahlen anzusetzen.
Machtübergabe an die Nationalsozialisten
Adolf Hitler wird Reichskanzler
In den letzten Januartagen trafen sich Hitler, Göring, Papen, Hugenberg, der "Stahlhelm"-Führer Seldte, Oskar von Hindenburg und der Staatssekretär und Chef der Präsidialkanzlei Otto Meißner zu intensiven Verhandlungen. Die Gespräche fanden in wechselnder Besetzung statt und gestalteten sich aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der Teilnehmer äußerst kompliziert. Hugenberg war zum Zusammengehen mit Hitler bereit, fürchtete aber die von diesem geforderte erneute Auflösung des Reichstags.
Zum entscheidenden Steigbügelhalter für Hitler wurde Papen, der auch Oskar von Hindenburg und Meißner auf seine Seite zog. Dem Reichspräsidenten wurde schließlich eine Kabinettsliste vorgelegt, die mehrere Minister der DNVP und verschiedene Parteilose enthielt, aber nur zwei Nationalsozialisten, Frick als Innenminister und Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Der Posten des Justizministers war freigeblieben, um bei Hindenburg den Eindruck zu erwecken, auch das Zentrum werde in die Regierung Hitler eintreten. Auf dieser Grundlage gab Hindenburg die Zustimmung zu dessen Ernennung.
Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler, am 31. Januar erklärte er die Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum, die in Wahrheit nie stattgefunden hatten, für gescheitert. Auf den zunächst freigelassenen Posten des Justizministers wurde Franz Gürtner (DNVP) berufen, der als bayerischer Justizminister den Nationalsozialisten mit erkennbarer Sympathie gegenübergestanden hatte und schon unter Papen und Schleicher Reichsjustizminister gewesen war.
Die DNVP stellte noch vier weitere Minister: Hugenberg war eine Art Superminister und übernahm das Wirtschaftsressort sowie das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, der "Stahlhelm"-Führer Franz Seldte wurde Arbeitsminister, Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk Finanzminister und Paul Freiherr von Eltz-Rübenach Verkehrs- und Postminister.
Die beiden Letztgenannten hatten dieselben Ministerposten auch schon unter Papen und Schleicher innegehabt, eines von vielen Signalen, die Kontinuität suggerieren sollten. Dass die DNVP im ersten Kabinett Hitler doppelt so viele Minister stellte wie die viermal so große NSDAP sollte ebenfalls den Eindruck erwecken, dass sich durch Hitlers Kanzlerschaft gar nicht so viel geändert habe. Papen übernahm das Amt des Vizekanzlers, eine Position, die in früheren Regierungen entweder gar nicht besetzt oder von einem Minister wahrgenommen worden war. Das Auswärtige Amt blieb in den Händen von Konstantin von Neurath, einem parteilosen Karrierediplomaten alter Schule, der im Ausland hohes Ansehen genoss, General Werner von Blomberg wurde Reichswehrminister. Sie alle sollten zur konservativen Umrahmung des von vielen als Emporkömmling empfundenen Reichskanzlers ihren Beitrag leisten.
Papen, der sich nicht ganz zu Unrecht als derjenige sah, der das alles eingefädelt hatte, war mit dem Ergebnis seines Intrigenspiels hochzufrieden. Der 30. Januar 1933, von den Nationalsozialisten als Beginn einer Revolution gefeiert, war zunächst weniger eine "Machtergreifung", wie der von ihnen propagierte Terminus lautete, als vielmehr eine Machtübertragung, die Aufgabe der Macht durch die alten Eliten.
Hitlers Kanzlerschaft war alles andere als unvermeidlich. Sie war gewollt, zuletzt sogar von Reichspräsident Hindenburg, der den "böhmischen Gefreiten" lange mit Verachtung gestraft hatte. Solange er noch lebte, nahm man auf den greisen Reichspräsidenten etwas Rücksicht und schonte zum Beispiel bei den Verfolgungsmaßnahmen Juden, die im Weltkrieg für ihre Tapferkeit an der Front ausgezeichnet worden waren.
Aber Hitler ging sehr rasch daran, den Rahmen, den man ihm hatte setzen wollen, zu sprengen und die alte Ordnung hinter sich zu lassen. Und diejenigen, die dazu ausersehen waren, ihn unter Kontrolle zu halten, legten zum allergrößten Teil ein erstaunliches Maß an Willfährigkeit gegenüber dem neuen starken Mann an den Tag. Hitler bestimmte das Tempo der Veränderungen und das war hoch. Seine konservativen Partner waren – ehe sie wussten, wie ihnen geschah – in der Defensive.
Reichstagswahlen März 1933
Die alten Eliten hatten das Risiko einer Einbindung der Nationalsozialisten in die Ausübung der politischen Macht dramatisch unterschätzt. Der Kampf gegen die ungeliebte Republik war ihnen wichtiger als die Abwehr gegen die radikalen Systemveränderer der NSDAP. Jetzt hatten sie das Gesetz des Handelns aus der Hand gegeben. Bereits am 1. Februar 1933 löste Hitler den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 5. März an, die dritten Reichstagswahlen in sieben Monaten.
Ein Streikaufruf der KPD lieferte den Vorwand für die Verordnung des Reichspräsidenten "Zum Schutz des deutschen Volkes" vom 4. Februar, die die in der Verfassung verankerten Grundrechte empfindlich einschränkte. Die Behörden nutzten die Verordnung vor allem zur willkürlichen Behinderung der KPD und der SPD im nun beginnenden Wahlkampf, wandten sie aber immer wieder auch gegen das Zentrum an. Nachdem in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar der Reichstag ausgebrannt war, erließ der Reichspräsident eine weitere Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat", die viele Grundrechte außer Kraft setzte und der Reichsregierung die Möglichkeit gab, in Befugnisse der Länder einzugreifen.
Die Reichstagswahlen vom 5. März 1933 waren die letzten, an denen mehr als eine Partei teilnahm. Mit 88,8 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung einen neuen Rekord. Die NSDAP steigerte ihren Stimmenanteil auf 43,9 Prozent. Das war einerseits ein gewaltiger Erfolg für eine Partei, die nur fünf Jahre zuvor noch bei 2,6 Prozent gestanden hatte. Andererseits hatte die Partei des neuen Reichskanzlers trotz einer riesigen Propagandaschlacht, bei der sie erstmals auch staatliche Mittel einsetzen konnte, nicht einmal die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Der Zuspruch für die Partei war noch immer nicht einheitlich. Am geringsten war die Wählerwanderung zur NSDAP bei den Katholiken und bei den Kommunisten ausgefallen, am stärksten bei denjenigen, die sich zuvor nicht an Wahlen beteiligt hatten, und bei denjenigen, die zur Wählerschaft der konservativen Mittelschichtparteien gehört hatten.
Ergebnisse der Reichstagswahlen 1919-1933 (© bpb)
Während die Nationalsozialisten in dem ländlich-evangelischen Wahlkreis Frankfurt/Oder auf 55,2 Prozent Stimmenanteil kamen, erreichten sie im benachbarten Berlin nur 31,3 Prozent. In der Reichshauptstadt dominierten trotz des massiven braunen Terrors nach wie vor die alten Arbeiterparteien SPD und KPD, die am 5. März 1933 immer noch 52,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten. Selbst nach Wochen intensivster Seelenmassage und angesichts eines nun im Scheinwerferlicht des Erfolges stehenden Adolf Hitler stimmte die Mehrheit der Deutschen nicht für die NSDAP. Allerdings gelang es der von der DNVP dominierte "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" knapp 8 Prozent der Stimmen zu erreichen, sodass die Regierung Hitler im Reichstag über eine sichere Mehrheit verfügte. Adolf Hitler konnte nun darangehen, die von ihm seit langem propagierte Diktatur Wirklichkeit werden zu lassen.