Der Beginn des Niedergangs
Wachsende Unzufriedenheit
Vor allem in den staatlichen Betrieben wuchs die Unzufriedenheit. Es fehlte an technischen Ausrüstungen, Ersatzteilen und Rohstoffen, sodass sich die Stillstandszeiten der Maschinen häuften. Arbeitsorganisation und Arbeitsdisziplin waren miserabel und die Motivation der Beschäftigten näherte sich dem Nullpunkt. Es kam nun häufiger vor, dass Einkäufe von knappen Konsumgütern während der Arbeitszeit erledigt wurden. Immer öfter musste sich der Parteisekretär im Werk die Frage gefallen lassen, ob die Parteiführung überhaupt die reale Lage der Arbeiter kenne. Da sich viele Werke, wie zum Beispiel in der Chemieindustrie, in einem beklagenswerten Zustand befanden, häuften sich die Betriebsunfälle und Havarien. Im Chemiekombinat Bitterfeld herrschten Bedingungen, die die Gesundheit der Belegschaft akut gefährdeten. Die unkontrollierte Freisetzung von Schadstoffen und das Ignorieren von Grenzwerten belasteten die Umwelt. Dies führte zur Bildung von unabhängigen Natur- und Umweltschutzgruppen, insbesondere in den südlichen industriellen Ballungsgebieten der DDR.
Hinzu kam der Missmut über das nicht eingelöste Versprechen, im Gleichklang mit der internationalen Anerkennung der DDR die Reisefreiheit auszuweiten. In immer stärkerem Maße forderten DDR-Bürger ihr Recht auf Freizügigkeit, das die DDR-Führung mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 offiziell anerkannt hatte. Es stieg die Zahl derjenigen, die einen "Antrag auf ständige Ausreise" beim DDR-Innenministerium stellten. Hatten 1978 offiziell 11 287 Bürger eine Übersiedlung nach Westdeutschland bzw. West-Berlin beantragt; waren es 1984 schon 36 699. Daran konnten auch die Schikanen staatlicher Instanzen sowie örtlicher SED-Leitungen nichts ändern, die den Alltag vieler Ausreiseantragsteller erschwerten.
Darüber hinaus ließ ein Generationenkonflikt, der sich seit den 1970er Jahren in der DDR herausgebildet hatte, die Loyalität gegenüber dem SED-Staat und damit die innere Stabilität der Gesellschaft schwinden. Hatte die "Aufbaugeneration" noch fabelhafte soziale Aufstiegschancen erhalten, blieb der in der DDR aufgewachsenen Generation der Karriereweg oftmals versperrt. Die soziale Mobilität nahm rapide ab, die freie Berufswahl wurde insbesondere im akademischen Bereich zunehmend eingeschränkt. So wuchs unter den "in die DDR Hineingeborenen" die Unzufriedenheit darüber, dass die "Alten" ihren Lebensentwürfen im Weg standen. Auch aus beruflicher Perspektivlosigkeit entwickelten sich gesellschaftliche Konflikte, die dann im Herbst 1989 offen aufbrachen.
Im letzten Jahrzehnt der DDR waren jedoch nicht Verweigerung, Ausreise oder gar Widerstand die typischen Verhaltensmuster der großen Mehrheit. Insgesamt herrschte eher eine Mischung aus Mitwirkung und Distanz, aus symbolischer Teilnahme und Rückzug in private Nischen, die kleine Freiheiten oder Freiräume erlaubten. Unter den echten und vermeintlichen Zwängen zur Anpassung als Überlebensstrategie äußerte man sich privat anders als öffentlich – in den Parteien, Organisationen, im Kreis der Kollegen im Betrieb. Auf diese Weise entstand ein von Konformität geprägtes, fast kleinbürgerliches Milieu, in dem viele mit einem gewissen Stolz auf das materiell-sozial Erreichte blickten. Zugleich wuchs der Ärger darüber, dass die politische Führung der Bevölkerung noch immer elementare demokratische Grundrechte verweigerte. Wie viele Menschen sich letztlich aus Opportunismus oder Angst vor Repressionen mit den politischen Verhältnissen arrangierten, vermag niemand zu sagen. Man darf allerdings nicht das bis zuletzt aufrecht erhaltene Ausmaß an Repression übersehen, das Partei und Staat zur Verfolgung vermeintlicher oder tatsächlicher Gegner aufbrachten. Daneben gab es aber auch noch immer junge Menschen, die sich durch ihr Elternhaus, die Schule und Jugendorganisationen für die Idee des Sozialismus begeistern ließen. Doch auch ihnen fiel es zunehmend schwerer, ihre ganz persönlichen Erfahrungen im "realen Sozialismus" mit den Idealen einer sozial gerechten Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen.
Wirtschaftlicher Verfall
Die Wirtschaft der DDR stand Anfang der 1980er Jahre vor dem Zusammenbruch. Die Ziele des Fünfjahrplans 1981 bis 1985 konnten die Kombinate und volkseigenen Betriebe nicht erfüllen, sodass sie stillschweigend korrigiert werden mussten. Im Interesse des kurzfristigen Erfolges kürzte die Regierung den materiellen Aufwand und die Investitionen für die Forschung, wodurch die technologische Basis der Industrie immer mehr vernachlässigt wurde. Die steigenden Rohstoffkosten auf dem Weltmarkt mussten mit zusätzlichen Exporten vor allem von Konsumgütern, Maschinen und Ausrüstungen bezahlt werden. Diese wurden unter anderen Markennamen in den Versandhauskatalogen und Kaufhäusern Westdeutschlands zu Billigpreisen angeboten, während die eigene Bevölkerung auf sie verzichten musste.
Weiter verschärft wurde die Wirtschaftskrise durch den Umstand, dass sich die Erdöllieferungen aus der UdSSR, für die Preise unter Weltmarktniveau gezahlt wurden, von 1982 bis 1987 um insgesamt rund 13 Millionen Tonnen verringerten. Dies wirkte sich besonders auf den Export von Erdölprodukten aus, der noch bis Mitte der 1980er Jahre hohe Devisengewinne eingebracht hatte.
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Allein innerbetriebliche Improvisationskunst und der westliche Devisentropf vermochten den wirtschaftlichen Verfall halbwegs aufzuhalten. Doch die ständig steigenden Kreditzinsen und Tilgungsraten ließen die Schuldenlast der DDR gegenüber dem Westen bis 1981 auf 23 Milliarden DM der Deutschen Bundesbank anwachsen. 1982 stand die DDR kurz davor, die Zahlungsunfähigkeit zu erklären und damit das Vertrauen des internationalen Geldmarktes zu verlieren. Rettung in der Not brachte 1983 ein Milliardenkredit bundesdeutscher Banken, den der staatliche Devisenbeschaffer und MfS-Offizier Alexander Schalck-Golodkowski mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß eingefädelt hatte.
Die Finanzspritze in Milliardenhöhe rettete zwar die Zahlungsfähigkeit der DDR und sorgte für wirtschaftliche Entspannung. Sie hatte aber auch einen von Strauß geforderten politischen Preis: Im Spätsommer 1983 begann für die Öffentlichkeit überraschend der Abbau der 1972 auf Weisung Honeckers installierten Selbstschussanlagen ("Tötungsautomaten") und der einst auf sowjetische Weisung verlegten Minen an der innerdeutschen Grenze. Ende 1984 waren die Selbstschussanlagen demontiert, Ende 1985 die Minen geräumt. Zugleich versprach die DDR Erleichterungen bei deutsch-deutschen Familienzusammenführungen.
Ost-West-Konfrontation
Im Verhältnis zwischen Washington und Moskau kam es in den 1980er Jahren zu einer drastischen Verschlechterung. Dazu trug der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 maßgeblich bei. Immer mehr trat politische und militärische Konfrontation an die Stelle der Entspannungspolitik. Mit der Stationierung sowjetischer atomarer Raketen mittlerer Reichweite (SS 20) in der DDR und der Tschechoslowakei erreichte der Warschauer Pakt eine militärtechnische Überlegenheit in Europa. Die NATO antwortete mit dem Brüsseler "Nachrüstungsbeschluss" vom Dezember 1979, der 1983 zur Stationierung moderner amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen (Pershing-II, Cruise Missiles) in Westdeutschland führte. Begleitet wurde die weltpolitische Entwicklung durch krisenhafte wirtschaftliche Erscheinungen auf den Weltmärkten, innerhalb des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und nicht zuletzt in der Sowjetunion.
Dort litten die Menschen in den 1980er Jahren unter Missernten und großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nicht zuletzt infolge des Rüstungswettlaufs mit den Vereinigten Staaten, und es war – nicht nur wirtschaftlich-technologische – Stagnation eingetreten, die auch Auswirkungen auf die anderen RGW-Länder hatte. Die Verhältnisse änderten sich auch nicht nach dem Tod des seit 1964 amtierenden Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Breschnew, und in den kurzen Amtszeiten seiner Nachfolger Juri Andropow und Konstantin Tschernenko. Erst Michail Gorbatschow, der ab 11. März 1985 als Generalsekretär der KPdSU folgte, leitete angesichts der tief greifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise der Sowjetunion mit Glasnost und Perestroika ("Offenheit" und "Umgestaltung") Reformen ein.
Deutsch-deutsche Beziehungen
Im Schatten der deutlichen Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen stand zu Beginn der 1980er Jahre auch das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Ungeachtet ihrer Loyalitätspflichten im jeweiligen Bündnis bemühten sich beide Seiten jedoch, die wechselseitigen Beziehungen nicht zu gefährden, die sie als "Sicherheitspartnerschaft" und "Verantwortungsgemeinschaft" begriffen. Für Honecker waren nicht zuletzt die wirtschaftlichen Verbindungen zur Bundesrepublik wichtig.
Im Dezember 1981 kam es zum mehrfach verschobenen Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der DDR. Am Werbellinsee bei Berlin konnten allerdings nur einige kleinere Verbesserungen im deutsch-deutschen Verhältnis erzielt werden. Bereits 1979 war ein Energieabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet worden; in den 1980er Jahren wurde der Kreditrahmen ("Swing") im deutsch-deutschen Handel erweitert. Beim Besuch Honeckers im September 1987 in Bonn wurden drei weitere Abkommen geschlossen. Im Ausland wurde der Empfang Honeckers, den man in Bonn protokollarisch mit anderen ausländischen Gästen gleichen Ranges gleichstellte, als ein Sich-Abfinden mit der staatlichen Teilung verstanden. Staatsrechtlich machte die Bundesrepublik der DDR jedoch keine Zugeständnisse, eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR kam nicht in Frage.
Die Opposition formiert sich
Frieden schaffen ohne Waffen
In den 1980er Jahren führte die zunehmende Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens, vor allem der Jugendlichen und Heranwachsenden, in der DDR zu immer stärkeren Protesten, die hauptsächlich unter dem Dach der evangelischen Kirche organisiert wurden. Angeregt durch die westdeutsche Protestbewegung gegen die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik bildeten sich, angelehnt an Kirchengemeinden, örtliche Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen. Der Ost-Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann initiierte zusammen mit dem Regimekritiker Robert Havemann den Aufruf "Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen". Den Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" trugen Jugendliche als Plakette auf ihrer Kleidung genauso wie einen von den evangelischen Kirchen in der DDR offiziell herausgegebenen Aufnäher, der die von der Sowjetunion den Vereinten Nationen geschenkte Plastik "Schwerter zu Pflugscharen" zeigte und auf die entsprechende Bibelstelle verwies. Die Staatsmacht reagierte in der gewohnten Weise: In Schulen, öffentlichen Einrichtungen und auf Straßen und Plätzen wurden Jugendliche zum Teil gewaltsam zum Entfernen dieses Symbols von ihrer Kleidung veranlasst. Im Februar 1982 wurde Eppelmann vorläufig festgenommen.
Am 20. September 1982 veranstaltete der evangelische Pfarrer Christian Führer in der Nikolaikirche in Leipzig das erste montägliche Friedensgebet, "offen für alle". Die Montagsgebete wurden eine der Keimzellen der friedlichen Revolution von 1989. Allerdings konnten oder wollten sich nicht alle Kirchenleitungen im Interesse ihrer traditionellen Gemeindeglieder und ihrer Beziehungen zum SED-Staat mit den Aktionen der Friedens-, Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen identifizieren. Das führte in den folgenden Jahren zu einer gewissen Emanzipation der aktivsten jungen Regimekritiker von der Kirche. So kam es im März 1986 zur Gründung der "Initiative Frieden und Menschenrechte" durch Bürgerrechtler wie Wolfgang Templin, Bärbel Bohley, Gerd und Ulrike Poppe sowie den Schriftsteller Lutz Rathenow.
Inhaltlich konzentrierten sich die meisten informellen Gruppen der 1980er Jahre auf Themen wie Menschenrechte und Pluralismus oder ließen sich von pazifistischen und ökologischen Ideen leiten. Es waren zunehmend nicht mehr nur kirchliche Kreise, die über Wehrdienstverweigerung und zivilen Friedensdienst, Ächtung von Kriegsspielzeug und die verheerenden Folgen der Umweltverschmutzung laut nachdachten. Die SED-Führung reagierte im Vergleich zu den 1950er Jahren mit subtilen Methoden: Kurzzeitige Verhaftungen, geheimdienstliche Observierungen, langjährige Haftstrafen und der Zwang zur Ausreise in den Westen sollten einschüchtern und psychisch zermürben. Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS wurden benutzt, um die Gruppenzusammenhänge zu schwächen und deren Aktionsfeld einzuschränken. Der geballten Staatsmacht gelang es jedoch nicht, die Formierung der DDR-Opposition zu verhindern.
Reformverweigerung
Als die Pläne des sowjetischen Partei- und Staatschefs Gorbatschow für die Umgestaltung und Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, für Perestroika und Glasnost, in der UdSSR im Januar 1987 in der DDR bekannt wurden, avancierte zum ersten Mal in der Geschichte der DDR ein Generalsekretär der KPdSU zum Hoffnungsträger breiter Kreise der DDR-Bevölkerung und auch vieler SED-Mitglieder. Sie erwarteten, dass die SED-Führung den Reformkurs Gorbatschows unterstützen und mitvollziehen würde. Doch das Politbüro blockte jeglichen Reformansatz vehement ab. In einem Interview mit dem DDR-Korrespondenten des Hamburger Magazins "stern" im April 1987, das vom SED-Zentralorgan nachgedruckt wurde, sagte das Politbüromitglied Kurt Hager: "Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?" Diese Äußerung verursachte in breiten Kreisen Enttäuschung und Wut.
Ausreisewelle
Während die regimekritischen Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen innerhalb der DDR die Gesellschaft reformieren wollten, sahen nun immer mehr Menschen nur in der Flucht und Übersiedlung in den Westen eine Möglichkeit, ihr Leben frei zu gestalten. Als im Mai 1989 Ungarn überraschend mit dem Abbau der Grenzbefestigungen zu Österreich begann und dies auch über die westlichen Fernsehsender in der DDR bekannt wurde, schwoll der Strom von Fluchtwilligen aus der DDR nach Ungarn an. In der Nacht zum 11. September 1989 öffnete Ungarn die Grenze für DDR-Bürger, und in wenigen Tagen waren bereits 15 000 in Österreich angekommen, die in die Bundesrepublik weiterreisten.
Während die Grenzen Ungarns geöffnet blieben, besetzten Bürger der DDR auch die Botschaft der Bundesrepublik in Prag, um ihre Ausreise zu erzwingen. Bis Ende September stieg die Zahl der Flüchtlinge auf dem Botschaftsgelände auf etwa 6000 Personen. Um Entlastung zu schaffen, ließ Honecker sie am 30. September mit Sonderzügen über das Territorium der DDR in die Bundesrepublik bringen. In der DDR versuchten Verzweifelte auf die Flüchtlingszüge aufzuspringen, während in Prag Massen neuer DDR-Flüchtlinge in die geräumte Bonner Botschaft strömten. Daraufhin wurde der pass- und visafreie Verkehr zwischen der DDR und der CSSR auf Honeckers Anordnung am 3. Oktober "zeitweilig" ausgesetzt, um die Ausreisewelle zu stoppen. Bei einer von Honecker angewiesenen zweiten Ausreiseaktion kam es am 4. Oktober in Dresden, als Flüchtlingszüge mit rund 10000 Menschen aus Prag den von Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelten Hauptbahnhof passierten, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und einer aufgebrachten Menschenmenge, darunter viele Fluchtwillige.
Organisierte Oppositionsbewegung
Im Sommer und Herbst 1989 traten regimekritische Gruppen mit Reformforderungen an die Öffentlichkeit. Ausgangspunkt einer breiten Oppositionsbewegung waren die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989, die unbeeindruckt von den Änderungen der Wahlgesetze in der Sowjetunion, Ungarn und Polen in Form der Einheitswahl, ohne Auswahlmöglichkeiten zwischen mehreren Kandidaten, stattgefunden hatten. Die Wahlergebnisse waren wie schon in den Vorjahren manipuliert worden, doch diesmal hatten Angehörige von Friedens- und Umweltgruppen vielerorts die Auszählung der Ergebnisse in den Wahllokalen beobachtet und erhoben den Vorwurf der "Wahlfälschung". Die anschließenden zahlreichen Proteste und Eingaben an den Staatsratsvorsitzenden Honecker wurden von breiteren Bevölkerungskreisen bis hinein in die SED unterstützt und trugen dazu bei, die gesellschaftliche Isolation der oppositionellen Gruppen zu überwinden. Mit gestärktem Selbstvertrauen, mit neuen Initiativen und Organisationsformen stellten die Bürgerrechtler die Opposition auf ein breiteres Fundament.
Im Juli 1989 unterzeichneten die Theologen Markus Meckel und Martin Gutzeit den "Aufruf zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine sozialdemokratische Partei in der DDR ins Leben zu rufen". Am 7. Oktober gründeten 43 Personen im Pfarrhaus in Schwante (Brandenburg) die "Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP)". Anfang September 1989 wurden alle, "die an einer Umgestaltung unserer Gesellschaft mitwirken wollen", aufgerufen, Mitglieder des "Neuen Forums" zu werden. Den Gründungsaufruf unterzeichneten 30 Personen, unter ihnen Bärbel Bohley. In wenigen Tagen schlossen sich 4000 Menschen an. Mitte September 1989 trat als dritte Gruppe die "Bürgerbewegung Demokratie Jetzt" mit der Forderung nach einer friedlichen demokratischen Erneuerung der DDR an die Öffentlichkeit. Anfang Oktober konstituierte sich schließlich trotz massiver Behinderungen durch Polizei- und Staatssicherheitskräfte in Ost-Berlin die Reformbewegung "Demokratischer Aufbruch". Im Zentrum der Forderungen oppositioneller Bewegungen standen die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, politische Reformen und unabhängige Wahlen.
Massenproteste
Die SED-Führung sah sich im Herbst 1989 nicht nur einer zunehmend breiter werdenden oppositionellen Bewegung gegenüber. Vor allem in Leipzig beteiligten sich nach den montäglichen Friedensgebeten in der Nikolaikirche trotz verstärkten Einsatzes von Polizei sowie Angehörigen der Staatssicherheit, trotz Festnahmen und Verurteilungen wegen "Zusammenrottung" immer mehr Menschen an Demonstrationen. Waren es zunächst Hunderte, die Reise-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit forderten, so gingen bald Tausende für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf die Straße. Bereits am 2. Oktober demonstrierten mehr als 20000 in der Leipziger Innenstadt. Am 9. Oktober 1989 waren es trotz angedrohter militärischer Gewalt durch aufmarschierende Sicherheitskräfte 70000 Menschen. Sie skandierten "Wir sind das Volk". Mehr als 120000 Menschen beteiligten sich dann am 16. Oktober in Leipzig an der bis dahin größten Demonstration für Reformen und demokratische Erneuerung in der DDR. Nach Friedensgebeten in den evangelischen Kirchen zogen sie, diesmal unbehelligt durch die Sicherheitskräfte, erstmals auch mit Transparenten und Plakaten in großer Zahl durch die Innenstadt. Auf diesen forderten sie "Freie Wahlen", "Pressefreiheit", "Meinungsfreiheit", "Neue Männer braucht das Land", "Die Mauer muß weg", "Ökologie statt Ökonomie", "Zivildienst ist ein Menschenrecht". Spätestens jetzt hatte begonnen, was als "friedliche Revolution" in der DDR in die Geschichte eingehen sollte.
Das Ende der SED-Herrschaft
Die Absetzung Honeckers
Honeckers Auftritt auf der offiziellen Feier zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR im Berliner "Palast der Republik" am 6. Oktober 1989 zeigte vor allem einen alten Man, der nicht gewillt war, Veränderungen in Staat und Gesellschaft zuzulassen. Angesichts dieses Starrsinns und um die Macht der SED zu retten, zwang eine Mehrheit von Mitgliedern des SED-Politbüros Honecker, am 18. Oktober 1989 vor einem eilig einberufenen ZK-Plenum aus "gesundheitlichen Gründen" seinen Rücktritt zu erklären. Anschließend wählte das Zentralkomitee der Partei Egon Krenz zum neuen Parteichef. Er war seit 1983 Mitglied des Politbüros und galt als Kronprinz Honeckers. Am 24. Oktober 1989 wählte ihn die Volkskammer zum Vorsitzenden des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR.
Der Nachfolger Honeckers gab zwar mit seinem Begriff von der "Wende" zu verstehen, dass sich die SED-Führung nun um Kurskorrekturen bemühen würde. Eine wirkliche Demokratisierung der Gesellschaft und Reformen in Politik und Staat standen jedoch nicht auf der politischen Agenda. Die Menschen auf den Straßen der DDR aber forderten einen sofortigen und deutlichen Bruch mit der bisherigen Politik und denen, die für sie verantwortlich waren. So wurde die SED-Führung von den Ereignissen, die von einer breiten Bevölkerungsmehrheit bestimmt wurden, überrollt. Denn zur gleichen Zeit gingen die Demonstrationen im ganzen Land weiter, erfassten neben den Bezirks- und Großstädten auch Mittel- und Kleinstädte und nahmen an Teilnehmerzahlen und Intensität zu. An manchen Tagen demonstrierten in der gesamten DDR mehrere hunderttausend Menschen. Die meisten Teilnehmer verzeichneten die Montagsdemonstrationen in Leipzig, wo sich am 30. Oktober wieder rund 200000 beteiligten.
Öffnung der Grenze
Währenddessen hielt die Massenabwanderung von DDR-Bürgern weiter an. Nachdem die DDR den pass- und visafreien Verkehr mit der CSSR am 1. November wieder zugelassen hatte, setzte erneut der Ansturm von Ausreisewilligen auf die Bonner Botschaft in Prag ein. Am 3. November öffnete die CSSR ihre Grenze zur Bundesrepublik für DDR-Bürger, woraufhin allein vom 4. bis zum 6. November mehr als 23 500 Menschen die DDR über die CSSR verließen. Unter dem Druck der Ereignisse legte die Regierung der DDR am 9. November 1989 eine vorgezogene Ausreiseregelung vor, die bis zum Inkrafttreten eines neuen Reisegesetzes gelten sollte. Diese "zeitweilige Übergangsregelung für Reisen und ständige Ausreisen aus der DDR in das Ausland" bedeutete faktisch die Einführung der allgemeinen Reisefreiheit, die zuvor auf den Massendemonstrationen gefordert worden war. Als das Politbüromitglied Günter Schabowski dies während einer Pressekonferenz am frühen Abend des 9. November bekannt gegeben hatte, strömten hunderttausende Menschen noch in der Nacht zum 10. November über die offiziellen Grenzübergangsstellen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin. Die Bilder der tanzenden Menschen auf der Berliner Mauer wurden im Ausland nicht nur als Ausdruck für den starken Veränderungswillen der Ostdeutschen wahrgenommen, sondern auch als Symbol für den Zusammenbruch des Sozialismus und das Ende des Kalten Krieges.
Die Regierung Modrow
Bereits zwei Tage zuvor, am 7. November 1989, war der damals aus 44 Mitgliedern bestehende Ministerrat unter seinem Vorsitzenden Willi Stoph geschlossen zurückgetreten, blieb aber bis zur Wahl einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt. Die Volkskammer bestimmte am 13. November Hans Modrow zum Vorsitzenden des Ministerrates und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Modrow, der bisher SED-Bezirkssekretär in Dresden gewesen war, galt als Reformer und Anhänger der Politik Gorbatschows. Kurz darauf gab Ministerpräsident Modrow seine Regierungserklärung ab und stellte seine Regierung vor. Dem neuen, erheblich verkleinerten Ministerrat gehörten jetzt 28 Mitglieder an. Die vier Koalitionspartner der SED – CDU, LDPD, NDPD, DBD – stellten zusammen elf Mitglieder. In seiner Regierungserklärung am 17. November versprach Modrow eine Wirtschafts-, Bildungs- und Verwaltungsreform sowie ein langfristig angelegtes Programm mit dem Ziel, Ökonomie und Ökologie in Übereinstimmung zu bringen.
Mit der Bildung der Regierung Modrow verlagerte sich die Macht in der DDR von der SED auf die Regierung, die sich jetzt nur noch der Volkskammer verantwortlich fühlte. Am 1. Dezember 1989 änderte die Volkskammer die Verfassung und strich den Passus über die führende Rolle der SED. Die Volkskammer war jedoch noch immer kein vom "Volk" frei gewähltes Parlament, sondern eine nach dem Willen der SED zusammengesetzte und nach einer von ihr inspirierten Einheitsliste beschickte Kammer. Umso mehr drängten die Menschen auf freie Wahlen.
Der Zerfall der SED
Im Herbst 1989 befand sich die SED selbst in einem rasanten Zerfallsprozess. Hatten der Partei noch Anfang des Jahres fast 2,3 Millionen Mitglieder angehört, häuften sich seit Oktober 1989 die Austritte: bis Ende Januar 1990 kehrten 907 480 Mitglieder und Kandidaten der Partei den Rücken. Am 3. Dezember traten Generalsekretär Krenz, das Politbüro und danach auch das Zentralkomitee geschlossen zurück. Am 6. Dezember erklärte Egon Krenz seinen Rücktritt als Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates. Bei der Bevölkerung galt er als Vertreter der verhassten alten politischen Elite. Sein Nachfolger im Staatsrat wurde der LDPD-Vorsitzende Manfred Gerlach. Wenige Tage zuvor waren die Blockparteien aus dem "Demokratischen Block" ausgetreten, in dem sie über vier Jahrzehnte hinweg nahezu bedingungslos der SED gefolgt waren.
Die SED-Parteibasis traute Krenz auch nicht zu, die SED zu retten. Als zeitweilige Parteiführung wurde ein aus 25 Mitgliedern bestehender Arbeitsausschuss gebildet, der einen von der Basis geforderten außerordentlichen Parteitag vorbereiten sollte. Dieser fand schließlich in zwei Abschnitten am 8./9. und 16./17. Dezember 1989 in Berlin statt. Nachdem Regierungschef Modrow sich auf dem Parteitag strikt gegen eine von vielen Delegierten geforderte Auflösung der Partei gewandt hatte, entschied sich eine große Mehrheit für die Weiterexistenz. Parteivorsitzender wurde mit 95,3 Prozent der Stimmen der Rechtsanwalt Gregor Gysi. In einer außenpolitischen Entschließung sprach sich der Parteitag für eine "souveräne sozialistische DDR" aus. Die Partei strebe eine "Vertragsgemeinschaft" mit der Bundesrepublik an und sei offen für die Idee konföderativer Strukturen. Schließlich wurde die Umbenennung der Partei in "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands / Partei des demokratischen Sozialismus (SED/PDS)" beschlossen. Seit Januar 1990 trat die Partei dann nur noch als "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) in Erscheinung.
Die Auseinandersetzung mit dem weltanschaulichen Erbe blieb eine Aufgabe, mit der sich die Partei noch auf Jahre hinaus beschäftigen musste, ohne sie jedoch zu bewältigen. Trotz heftiger innerparteilicher Diskussionen gelang es nicht, das Verhältnis zur alten SED hinsichtlich der Ideologie und des Personals gründlich und konsequent zu klären. Hartnäckig klammerte sich auch die neue Führung an ihr unrechtmäßig erworbenes Parteivermögen, mit dem sie die materielle Existenz der Partei sichern wollte. Erst im August 1998 konnte eine unabhängige Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen, in dem sie die Höhe des sichergestellten ehemaligen SED-Vermögens mit 2,014 Milliarden DM bezifferte. Das von der Nachfolgerin der Treuhandanstalt, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), verwaltete Altvermögen der SED hatte aus Barmitteln und zahlreichen Immobilien bestanden. Es konnte nun nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages an die neuen Länder und Berlin ausgezahlt werden, soweit es nicht an früher Berechtigte zurückzugeben war.
Runder Tisch
Da bis zum Dezember 1989 die alten politischen Strukturen fortbestanden, mussten auf dem Weg zur Demokratie in der DDR neue Wege beschritten werden. Auf Einladung der Kirchen trat deshalb am 7. Dezember der paritätisch besetzte "Zentrale Runde Tisch" im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte zu seiner ersten Tagung zusammen. Unter der Gesprächsleitung von Kirchenvertretern trafen sich hier in den folgenden Monaten Vertreter von SED/PDS und der nach Eigenständigkeit strebenden Blockparteien mit Abgesandten der neu entstandenen oppositionellen Bürgerbewegungen. Es ging um einen grundsätzlichen Meinungsaustausch über die Situation in der DDR und Schritte zur Überwindung der Krise. Obwohl der "Runde Tisch" keine parlamentarische oder Regierungsfunktion ausüben konnte, existierte damit eine zweite quasi-parlamentarische Institution, die vor wichtigen Entscheidungen der Volkskammer mit eigenen Vorschlägen einbezogen wurde. Bereits auf der ersten Tagung sprachen sich die Teilnehmer für den 6. Mai 1990 als Termin für die ersten freien Wahlen in der DDR und für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung aus. Der im März 1990 vom "Runden Tisch" vorgelegte Entwurf einer neuen Verfassung spielte allerdings auf dem Weg zur deutschen Einheit keine Rolle mehr.
Von der friedlichen Revolution zur deutschen Einheit
Außenpolitische Rahmenbedingungen
Bereits zum Jahresende 1989 wurden die ersten Weichen gestellt, um die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Am 28. November hatte Bundeskanzler Helmut Kohl ein Zehnpunkteprogramm verkündet, das als Ziel der Politik der Bundesregierung die staatliche Einheit in konföderativen Strukturen nannte. Am 1. Februar 1990 legte Regierungschef Modrow auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin sein Konzept "Deutschland, einig Vaterland" vor. Eine endgültige Lösung der deutschen Frage könne nur in freier Selbstbestimmung der Deutschen in beiden Staaten erreicht werden, in Zusammenarbeit mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und unter Berücksichtigung der Interessen aller europäischen Staaten. Fraglich war indes, wie die Sowjetunion und das westliche Bündnis auf die deutschlandpolitischen Initiativen reagieren würden.
Modrow hatte sich Ende Januar 1990 in Moskau vom sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow das Einverständnis zu seinem Plan einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten geholt. Am 10. Februar erhielten auch Bundeskanzler Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei einem Besuch in Moskau das Einverständnis der UdSSR. Im Kreml war man zu der Einsicht gekommen, dass die Wiedervereinigung Deutschlands unvermeidlich sei. Im Gegenzug sicherte die Bundesrepublik dem ökonomisch schwer angeschlagenen Riesenreich Wirtschaftshilfe in erheblicher Größenordnung zu. Dementsprechend sah Bonn von nun an keinen Anlass mehr, der Regierung Modrow mit einer Milliardenhilfe unter die Arme zu greifen. Ein entsprechender Wunsch, der aus anhaltender finanzieller Zwangslage und drohender Zahlungsunfähigkeit der DDR resultierte, wurde auf dem deutsch-deutschen Gipfel am 13./14. Februar 1990 zurückgewiesen.
Auf der Seite des Westens befürworteten zunächst nur die USA die Vereinigungspläne, während Frankreich und Großbritannien sich gegen eine Veränderung des Status quo in Europa sträubten. Sie befürchteten, eine künftige Dominanz des wiedervereinigten Deutschlands könnte das europäische Gleichgewicht stören. Doch Ende Februar 1990 hatten auch London und Paris erkannt, dass der innere Einigungsprozess Deutschlands nicht aufzuhalten war , verlangten aber die Einbindung des vereinigten Deutschlands in die NATO, um ihren sicherheitspolitischen Interessen zu entsprechen. Während seiner Gespräche mit Bundeskanzler Kohl am 15. und 16. Juli 1990 in Moskau und in seinem Jagdhaus im Kaukasus gab Gorbatschow schließlich sein Einverständnis zur Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands im westlichen Militärbündnis. Damit war der Weg frei für die sogenannten Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zwischen den westlichen Bündnispartnern, der Sowjetunion und den Regierungschefs der DDR und der Bundesrepublik, in denen die konkreten Modalitäten der deutschen Einheit vereinbart wurden.
Die Volkskammerwahlen am 18. März 1990
Der Wahlkampf zu den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 machte die ungebremste Sogkraft der Bundesrepublik sichtbar. Die Stimmung in der Bevölkerung sprach inzwischen gegen eine reformierte DDR und für eine rasche Vereinigung mit dem westlichen Nachbarn. Deutlich wurde dies im Wandel der Losungen: Aus "Wir sind das Volk" wurde "Wir sind ein Volk". Die SPD, der Bund Freier Demokraten und vor allem das Wahlbündnis "Allianz für Deutschland", in dem sich die CDU mit der Deutschen Sozialen Union (DSU) und der Partei "Demokratischer Aufbruch" zusammengefunden hatte, konnten sich auf massive Wahlhilfe ihrer Partner in der Bundesrepublik stützen. So beherrschte die westliche Parteiprominenz weithin den Wahlkampf in der DDR.
Die ersten freien Wahlen seit 1946 gewann das konservative Bündnis "Allianz für Deutschland" mit 47,8 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 93,4 Prozent eine später nie wieder erzielte Höhe. Die SPD kam auf knappe 22 Prozent – ein Ergebnis, das weit unter ihren Erwartungen lag. Die PDS erreichte als drittstärkste politische Kraft 16,3 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. Die Liberalen erzielten etwas mehr als fünf Prozent. Enttäuschend war das Ergebnis für die Bürgerbewegungen "Neues Forum", "Initiative Frieden und Menschenrechte" und "Demokratie Jetzt", die sich im "Bündnis 90" zusammengeschlossen hatten: Sie kamen auf nur 2,9 Prozent. In der programmatisch vielschichtigen Bürgerbewegung glaubten nicht wenige noch immer an die Reformierbarkeit der DDR, was in der Bevölkerung allerdings nicht mehr populär war. Zudem waren sie im Wahlkampf beträchtlich benachteiligt, da ihnen im Unterschied zu den großen Parteien kein funktionierender Apparat (Presse, Gebäude, Druckereien) zur Verfügung stand. Die Parteien der "Allianz für Deutschland", die SPD und der Bund Freier Demokraten bildeten eine Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU).
Währungs- und Wirtschaftsunion
Das Ergebnis der Volkskammerwahlen war ein eindeutiges Votum für die Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik. Die meisten politischen Gruppierungen waren auf den Einheitszug aufgesprungen. Kontrovers diskutiert wurden nur noch das Tempo der staatlichen Vereinigung und die Vorgehensweise. Die ungebremste Westwanderung verschärfte die Wirtschaftskrise in der DDR und diktierte das Tempo. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990, mit der die D-Mark im Osten Einzug hielt, galt in der Bevölkerung als ein erster Schritt hin zur deutschen Einheit. Am 18. Mai 1990 unterzeichneten die beiden deutschen Finanzminister einen Staatsvertrag, mit dem die Löhne und Gehälter im Kurs von 1:1 umgestellt wurden. Sparguthaben konnten gestaffelt bis zu einem Betrag von 2000 bis 6000 Mark in DM umgetauscht werden, darüber hinaus galt ein Umrechnungskurs von 2:1.
Der Abschluss von Staatsverträgen
Als am 6. Juli 1990 die Verhandlungen über den Einigungsvertrag begannen, ging es um Einzelheiten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Die staatliche Vereinigung nach Artikel 146 GG fand in der DDR-Regierung, vor allem aber in der Bundesregierung keine Zustimmung, weil sie das Bonner Grundgesetz ungültig und somit die Ausarbeitung einer neuen Verfassung notwendig gemacht hätte. Für eine langwierige Verfassungsdebatte fehlte jedoch die Zeit. Zudem entschieden über die Bedingungen der deutschen Vereinigung nicht allein die DDR und die Bundesrepublik. Nicht nur aus Paris und London, vor allem aus Warschau kam die Forderung, dass ein vereintes Deutschland die bestehenden Grenzen in Europa anerkennen müsse. Das betraf insbesondere die Grenze zu Polen. Der Bundestag und die Volkskammer sicherten daher am 21. Juni 1990 in einer Entschließung die "Unverletzlichkeit" der polnischen Westgrenze, also der in Westdeutschland jahrzehntelang umstrittenen Oder-Neiße-Grenze, sowie die Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität des östlichen Nachbarn uneingeschränkt zu.
Dieser Schritt machte nun endgültig den Weg für die internationale Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands frei. Nachdem die UdSSR der Zugehörigkeit des vereinigten Deutschlands zur NATO zugestimmt hatte, unterzeichneten Vertreter der DDR, der Bundesrepublik sowie Frankreichs, der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der Sowjetunion am 12. September 1990 den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Dieser Staatsvertrag beendete die Viermächte-Verantwortung in Bezug auf Berlin und "Deutschland als Ganzes", das vereinigte Deutschland erhielt seine staatliche Souveränität zurück. Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag wurde darüber hinaus vereinbart, die Truppenstärke der deutschen Streitkräfte von 500000 auf 370000 Mann zu reduzieren und dauerhaft zu beschränken. Zudem verzichtete Deutschland auf die Herstellung, den Besitz von und die Verfügung über ABC-Waffen. Die Sowjetunion sicherte zu, ihre Truppen vom Gebiet der ehemaligen DDR bis spätestens 1994 abzuziehen, am 31. August 1994 verließen ihre letzten Militäreinheiten den Ostteil Deutschlands. Damit endete die seit 1945 währende sowjetische Militärpräsenz auf deutschem Boden.
In den deutsch-deutschen Verhandlungen ging alles ebenfalls sehr schnell. Am 31. August unterzeichneten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause den in nur acht Wochen ausgehandelten Einigungsvertrag, der die konkreten Bedingungen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik regelte: Änderungen im Grundgesetz, Fragen der Rechtsangleichung in Ostdeutschland, der öffentlichen Verwaltung und des ostdeutschen Staatsvermögens sowie verschiedene Aspekte der Bereiche Arbeit, Soziales, Frauen und Kultur. Strittige Fragen wie etwa die Forderungen nach einer Verfassungsdiskussion, des künftigen Regierungssitzes des vereinten Deutschlands oder einer einheitlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wurden vertagt. Zudem wurde das Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" vereinbart, mit dem die Enteignungen in der DDR nach 1949 rückgängig gemacht werden sollten. Hierfür mussten allerdings in einem komplizierten Prozess Vermögensfragen geklärt werden. Im Vorfeld des Einigungsvertrages hatte die Volkskammer bereits am 17. Juni das Treuhandgesetz verabschiedet. Die daraufhin eingerichtete Behörde, die der Aufsicht des Ministerpräsidenten unterstellt war, hatte den Auftrag, die in Staatshand befindlichen Betriebe, Grundstücke und Immobilien so rasch wie möglich in private Hand zu überführen. Am 20. September stimmten die beiden deutschen Parlamente dem Staatsvertrag mit großer Mehrheit zu.
Die deutsche Einheit
Noch vor der staatlichen Einheit hatten sich die DDR-Liberalen Mitte August mit der westdeutschen FDP vereinigt. Ende September vereinten sich die Sozialdemokraten und am 1. Oktober schlossen sich der "Demokratische Aufbruch" und die Bauernpartei der CDU an. Die Partei "Die Grünen" und das "Bündnis 90" einigten sich auf eine Zusammenarbeit bei der gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990. Verschiedene linke Gruppierungen verbanden sich mit der PDS.
Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes bei. Damit hörte die DDR auf, als Staat zu existieren. Mit der staatlichen Einheit wurden für alle Bürgerinnen und Bürgern der neuen Bundesländer jene Forderungen erfüllt, mit denen die Menschen im Herbst 1989 auf die Straße gegangen waren: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Erfahrung, mit friedlichen Massenprotesten, politischer Courage und gesellschaftlichem Reformwillen die kommunistische Diktatur im Osten zu Fall gebracht zu haben, wirkt bis heute.
Am 14. Oktober 1990 fanden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen statt. Nach der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990, aus der die CDU als stärkste Partei hervorging, wurde Helmut Kohl zum ersten Bundeskanzler des vereinten Deutschland gewählt.
Der mit der Einheit Deutschlands verbundene gesellschaftliche Umbruch veränderte die Lebenswelten der Ostdeutschen dramatisch. Für viele Menschen eröffneten sich dadurch neue Möglichkeiten der beruflichen und privaten Selbstentfaltung. Politische Gängelung, Gesinnungsterror und die Angst vor politischer Repression gehörten der Vergangenheit an. Der Einzug der westdeutschen Konsumwelt beendete auch die ostdeutsche Mangelwirtschaft. Doch zugeich mussten auch die Konsequenzen der Marktwirtschaft bewältigt werden, die insbesondere viele Arbeiter in den bislang staatlichen Betrieben überraschten. Millionen Beschäftigte in Wirtschaft und Verwaltung wurden arbeitslos, weil die privatisierten Betriebe den Übergang zur Marktwirtschaft nicht schafften oder große Staatsbetriebe geschlossen wurden.
Mit der Aktion "Aufbau Ost" versuchte die Bundesregierung in den folgenden Jahren, in den neuen Bundesländern ein selbst tragendes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, die Abwanderung in den Westteil Deutschlands zu stoppen, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen und die Transferabhängigkeit zu reduzieren. Bis 1995 wurden allein 82 Milliarden DM aus dem Fonds Deutsche Einheit für den Wiederaufbau im Osten aufgewendet. Die Maßnahmen hatten jedoch nicht in allen Bereichen den gewünschten Erfolg. Im Westen rief die Höhe der Kosten der Einheit Unmut hervor. Im Osten verbreitete sich das Gefühl, als Deutsche "zweiter Klasse" angesehen zu werden. Auf diese Weise haben die Deutschen die vielfach beschworene innere Einheit auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht erreicht. In den Köpfen vieler lebt die Erinnerung an das, was sie in den vierzig Jahren ihrer Trennung erlebten, fort. Um die Zukunft zu gestalten, bedarf es der Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte, die frei von neuen oder alten Legenden sein sollte.