Gleichberechtigung
Als die (wenigen) Mütter und (vielen) Väter des Grundgesetzes sich darauf einigten, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in die Verfassung aufzunehmen, war das Recht in vielerlei Hinsicht noch durch eindeutige Diskriminierungen von Frauen geprägt. Dies galt vor allem im Bereich der Familie. Der Ehemann entschied nicht nur über alle Angelegenheiten des ehelichen Lebens, über Wohnsitz und Kinder, sondern musste beispielsweise auch zustimmen, wenn seine Ehefrau berufstätig sein wollte.
Es war und ist offensichtlich, dass solche Regelungen mit Gleichberechtigung nicht zu vereinbaren sind. Das Grundgesetz gab dem Gesetzgeber in einem besonderen Artikel (Artikel 117 Absatz 1 GG) daher bis zum 31. März 1953 Zeit, um die gesamte Rechtsordnung gleichberechtigungskonform zu gestalten. Doch der Prozess dauerte viel länger, als es sich die Mütter und Väter der Verfassung damals vorgestellt hatten. Noch in den 1990er-Jahren existierten Regelungen, die Frauen ausdrücklich benachteiligten. Inzwischen aber gibt es praktisch kaum noch Gesetze, die Rechtsfolgen an ein bestimmtes Geschlecht anknüpfen. Ist damit auch der Gleichberechtigungssatz überflüssig geworden?
Zwei Verständnisse von Gleichberechtigung
Eine (noch immer verbreitete) Ansicht will den Gleichberechtigungssatz im Grundgesetz ausschließlich als Differenzierungsverbot verstehen. Danach verbietet Gleichberechtigung, das Merkmal Geschlecht im Recht zu verwenden. Intuitiv neigen viele Menschen zu einem solchen Verständnis des Gleichberechtigungssatzes und es prägte früher auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Geschlecht, für das kein Mensch "etwas kann", soll irrelevant sein für die Zuteilung von Rechten und Pflichten.
Gerade weil das Geschlecht die Identität der Person stark prägt, erscheint es höchst brisant, dieses Kriterium in der Rechtsordnung anzuwenden. Der Gebrauch birgt die Gefahr, nicht nur unterschiedliche Rechtsfolgen anzuordnen, sondern auch Urteile über den vermeintlich höheren oder niedrigeren Wert einer Person abzugeben; ihr in letzter Konsequenz möglicherweise sogar die gleiche Menschenwürde abzuerkennen. Zudem liegen die Vorzüge des Differenzierungsverbots bei der Anwendung auf der Hand. Das Prinzip ist genauso einfach in der Anwendung, wie es seine knappe Formulierung verheißt: Kommt das Merkmal Geschlecht vor, ist eine Norm verfassungswidrig, kommt es nicht vor, ist sie verfassungsgemäß. Es urteilt ohne Ansehen der Person und entspricht damit – so der US-amerikanische Rechtsprofessor Owen Fiss – dem Inbegriff allen Rechts, der blinden Justitia.
Eine neuere Auffassung versteht den Gleichberechtigungssatz jedoch nicht nur formell, sondern auch materiell; sie bezieht die tatsächlichen Auswirkungen von Regelungen in die Prüfung mit ein. Nach ihr kommt es nicht (allein) darauf an, ob das Merkmal Geschlecht ausdrücklich verwendet wird. Auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertritt eine solche Position: Das Gleichberechtigungsgebot will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Der Gleichberechtigungssatz zielt nach Aussage des Gerichts "auf die Angleichung der Lebensverhältnisse". Auch der Gesetzgeber erkannte, dass es nicht ausreichte, geschlechtsdifferenzierendes Recht abzuschaffen. Bei der Verfassungsreform 1994 wurde daher ein weiterer Satz in das Grundgesetz aufgenommen: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin" (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG).
Wirkungsweise im Hinblick auf Phasen der Diskriminierung
Der zentrale Grund für die geschilderte modernere Auffassung lässt sich erkennen, wenn die Phasen der rechtlichen Bekämpfung von Diskriminierung in den Blick genommen werden.
Mit einem Verständnis des Gleichberechtigungssatzes als Differenzierungsverbot kann lediglich formale Gleichstellung erreicht werden. Ideal und Ergebnis ist eine Rechtsordnung, die auf Geschlecht keinen Bezug nimmt. Als Differenzierungsverbot verstanden hat sich die Funktion des Gleichberechtigungsgebots heute im Wesentlichen erledigt, da die Gleichberechtigung – auf dem Papier – verwirklicht wurde.
Fraglich ist jedoch, ob auf Grundlage eines solchen Verständnisses Diskriminierung angemessen bekämpft werden kann. Diskriminierung verläuft typischerweise in mehreren Phasen. Vereinfachend gesprochen lassen sich drei Phasen rechtlicher Diskriminierung unterscheiden, die sich überlappen können und in deren Verlauf auch Rückschläge nicht ausgeschlossen sind. Diese Phasen entsprechen der historischen Entwicklung, wie sie sich bei der Frauendiskriminierung in Europa beobachten lässt und ähnlich auch bei der rassistischen Diskriminierung in den USA verlief.
In der ersten Phase wird die Kategorie Geschlecht bzw. Rasse in der Rechtsordnung eingesetzt, um Menschen erster und zweiter Klasse explizit zu unterscheiden. Ausdruck solcher Regelungen ist die Aberkennung des Bürgerstatus, wie er sich etwa in Apartheid (der Rassentrennung im früheren Südafrika), im Ausschluss vom Wahlrecht oder in der Unterordnung von Ehefrauen unter den Ehemann manifestiert. In dieser Phase, in der die Menschenrechtswidrigkeit besonders offensichtlich in Erscheinung tritt, ist das Verbot, das betroffene Merkmal zu verwenden, ein sinnvolles und hinreichendes Mittel, um Diskriminierung abzubauen. Ein Verständnis der besonderen Gleichheitssätze als Differenzierungsverbote ist angemessen.
In einer zweiten Phase, die vor allem im Zusammenhang mit der Frauendiskriminierung zu beobachten ist, geht es darum, weniger gravierende Differenzierungen abzubauen: Es gibt noch eine Reihe von Rechtsnormen, die an das Merkmal Geschlecht anknüpfen, aber für eine Übergangsphase gerechtfertigt erscheinen, weil sie für typische Konstellationen zutreffen. Zur Bekämpfung dieser Diskriminierungen kann ebenfalls ein Verständnis des Gleichheitssatzes als Differenzierungsverbot dienen. Indem es die Verwendung des Merkmals Geschlecht untersagt, verbietet es Geschlechtsstereotypisierungen. Denn das Geschlecht ist kein präzises Merkmal für die Vorhersage über menschliche Fähigkeiten. Will man körperlich Schwache von bestimmten Arbeiten verschonen, ist es verboten, dafür das Merkmal Geschlecht einzusetzen, auch wenn zutreffen sollte, dass Frauen durchschnittlich weniger Körperkraft aufweisen als Männer. Aber eben nicht alle: Es gibt starke Frauen und schwache Männer. Das Differenzierungsverbot nützt in dieser zweiten Phase des Abbaus von Diskriminierung daher primär "untypischen Frauen", also denen, welche die typischen Merkmale ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht aufweisen, sondern eher den jeweiligen männlichen Standards entsprechen.
Zudem kommen in dieser Phase die "Privilegien" der Frauen auf den Prüfstand: besondere Arbeitsschutzbestimmungen, der Ausschluss von der Feuerwehr- oder Wehrpflicht, zusätzliche freie Hausarbeitstage für Frauen, der frühere Eintritt in die Rente oder die Witwenrente, die der Witwer nicht erhält, um einige Beispiele zu nennen. In dieser Phase berufen sich dann auch Männer verstärkt auf den Gleichberechtigungssatz; das Differenzierungsverbot nützt ihnen. Doch die meisten dieser "Privilegien" für Frauen sind ohnehin zwiespältig. Sie begünstigen Frauen nicht nur, sondern benachteiligen sie auch. Das Nachtarbeitsverbot schließt Frauen von besser bezahlten Arbeitsstellen aus, die erwerbstätige Frau sieht ihren hinterbliebenen Ehegatten schlechter versorgt als ein erwerbstätiger Mann die Ehegattin. Selbst Regelungen, die eindeutig nur vorteilhaft für die jeweils betroffene einzelne Frau sind, wie etwa die Verschonung von der Wehrpflicht, verstärken patriarchale gesellschaftliche Vorstellungen über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Während in dieser zweiten Phase das Differenzierungsverbot zu weitgehend angemessenen Ergebnissen führen kann, ändert sich dies entscheidend, nachdem alle ausdrücklich nach dem Geschlecht differenzierenden Regelungen beseitigt sind. Jetzt geht es in einer dritten Phase um die Frage, inwieweit die typischen Institutionen der Gesellschaft gleichheitskonform ausgelegt sind. In dieser Phase befinden wir uns derzeit. Es geht um strukturelle Veränderungen. Ein Beispiel: Die Gesellschaft hat sich entsprechend der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau eingerichtet. Deutliches Beispiel dafür ist etwa die lange währende Benachteiligung von Teilzeitarbeitenden im Wesentlichen aus dem Grund, dass der "normale Arbeitnehmer" als Vollzeitarbeitnehmer gedacht wird. Dies hat Auswirkungen auf das Arbeits- und Sozialrecht, ohne dass in den entsprechenden Rechtsnormen auf das Merkmal Geschlecht Bezug genommen wird. Begnügt man sich mit formaler Gleichbehandlung nach dem Geschlecht, ist der Umstand, dass die volle Rente nur bei ununterbrochener Erwerbsbiografie erreicht wird, irrelevant. Denn es gibt keinen logisch zwingenden Grund, warum Frauen eher als Männer ihren Berufsweg – etwa wegen Kinderbetreuung – unterbrechen. Solche typischen geschlechtsbezogen unterschiedlichen Auswirkungen werden nur dann in den Blick genommen, wenn sie nicht von vornherein durch das alleinige Abstellen auf formelle Gleichbehandlung ausgeschieden werden.
Quellentext Diskriminierungsklagen vor Gericht
[…] Das Recht auf Teilzeitarbeit steht im Gesetz, und dennoch wird es oft unterlaufen. Auch viele andere Gesetze, die insbesondere Frauen vor Diskriminierung schützen sollen, werden auf dem Arbeitsmarkt ausgehebelt. […]
Julia Oesterling […] hat oft erlebt, wie Frauen für gleiche Arbeit ungleich bezahlt werden und kaum eine Chance auf eine Karriere bekommen. "Die wenigsten Frauen sind bereit, sich juristisch dagegen zu wehren", sagt die Berliner Anwältin. Das liege nicht nur daran, dass sie sich nicht trauen. Viele hätten gar nicht das Geld.
In Arbeitsrechtsprozessen muss man schon in der ersten Instanz die Kosten für den eigenen Anwalt selbst tragen, auch dann, wenn man später gewinnt. Außerdem sind die Fristen in solchen Prozessen sehr kurz: Innerhalb von zwei Monaten nach der mutmaßlichen Diskriminierung muss man den Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung schriftlich beim Arbeitgeber geltend machen. Zahlt dieser nicht, muss man innerhalb weiterer drei Monate gegen ihn klagen, um eine Entschädigung zu bekommen. "Und mit einer Diskriminierungsklage ist das Arbeitsverhältnis in der Regel beendet", sagt die Rechtsanwältin Oesterling. […]
Die meisten Klagen vor dem Arbeitsgericht enden in Vergleichen. Das führt dazu, dass es extrem wenige Urteile gibt, die Diskriminierungen wegen des Geschlechts betreffen. So schließt sich ein Teufelskreis: Vergleiche werden nicht veröffentlicht, sodass betroffene Frauen im Dunkeln tappen, wenn es um die Rechtslage geht. Das wiederum hält sie meist davon ab, vor Gericht zu klagen.
Dabei gibt es längst einen Weg, wie sich Diskriminierungen bekämpfen ließen. Erforderlich ist eine kritische Masse, wie zahlreiche psychologische Studien ergeben haben: ein Drittel Frauen an der Spitze. So änderten sich männlich geprägte Strukturen, meinen Verhaltensökonomen wie Iris Bohnet von der Harvard-Universität. […]
Kerstin Bund / Astrid Geisler / Anne Kunze, "Der große Unterschied", in: DIE ZEIT Nr. 13 vom 21. März 2019
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Häufig werden besondere Gleichheitssätze, also solche, die eine Kategorie explizit benennen, fast automatisch mit Differenzierungsverboten gleichgesetzt. Denn das Differenzierungsverbot erscheint einfach und durchschlagend: Da es allein die explizite Verwendung des Merkmals Geschlecht untersagt, reicht ein Blick auf die Rechtsnorm aus; auf die tatsächlichen Verhältnisse kommt es nicht an. Dabei ist es gerade bei besonderen Gleichheitssätzen unumgänglich, auch die materielle Gleichbehandlung in den Blick zu nehmen. Denn besondere Gleichheitssätze, wie der Gleichberechtigungssatz, sind jeweils das Ergebnis von historischen Erfahrungen und Emanzipationsbewegungen. Die Benachteiligung dieser Gruppen ist bereits lang andauernd und gravierend. Sie hat damit besonders deutliche Spuren in der Ausgestaltung des Rechts hinterlassen. Um zu verhindern, dass die traditionelle Diskriminierung fortwirkt, muss das Gleichheitsverständnis auch tatsächliche Auswirkungen einbeziehen.
Mittelbare Benachteiligung
Die zentrale Rechtsfigur, um solche scheinbar geschlechtsneutralen, diskriminierenden Strukturen aufzubrechen, ist die "mittelbare Benachteiligung". Danach sind auch Regelungen verboten, die sich überwiegend zu Lasten von Frauen auswirken und die nicht durch gute Gründe zu rechtfertigen sind. Ein Beispiel, über das der Europäische Gerichtshof im Jahr 2017 zu entscheiden hatte: In Griechenland wurde für die Zulassung zur Ausbildung im Polizeidienst seit 2003 eine Mindestgröße von 1,70 Meter verlangt. Diese Regelung war völlig "geschlechtsneutral", denn die Mindestkörpergröße galt für Männer wie Frauen. Mit dem oben beschriebenen Verständnis der Gleichheit als Differenzierungsverbot muss man die Regelung billigen.
Dennoch ist da ein Problem: Es ist offensichtlich, dass eine Mindestkörpergröße sehr viel mehr Frauen ausschließt als Männer; es liegt der Tatbestand einer mittelbaren Benachteiligung vor. Durch die Rechtsfigur der mittelbaren Benachteiligung wird mithin verlangt, dass es gute Gründe für eine solche Regelung gibt. Die griechische Regierung hatte sich auf die Sicherung der Einsatzbereitschaft der Polizei berufen. Der Europäische Gerichtshof weist diese Argumentation zurück. Zwar sei die Sicherung der Einsatzbereitschaft als wichtiges Ziel anzuerkennen, die dafür erforderliche körperliche Eignung ergebe sich aber nicht zwingend aus einer Mindestkörpergröße.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Rechtsfigur der mittelbaren Benachteiligung ist. Denn überkommene Strukturen entstammen einer Zeit, die patriarchal geprägt war. Werden diese Strukturen nicht auf ihre Erforderlichkeit überprüft, werden Frauen weiterhin durchs Raster fallen.
Instrumente der Gleichstellung
Nachdem sich gezeigt hatte, dass mit der Beseitigung von Regelungen, die an das Geschlecht anknüpfen, noch lange keine tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen hergestellt worden war, sollten zusätzliche Instrumente aktiv für Gleichstellung sorgen. So erließen Bund und Länder seit den 1980er-Jahren Gleichstellungsgesetze, die typischerweise ein ganzes Bündel von Maßnahmen enthielten, um dieses Ziel zu erreichen.
Gleichstellungsbeauftragte
Ein wichtiges Instrument war die Schaffung der Position einer Gleichstellungsbeauftragten (vor 2006 unter der Bezeichnung Frauenbeauftragte, siehe auch Abschnitt Gleichbehandlungsgesetz, AGG, im folgenden Kapitel) in den Dienststellen der öffentlichen Verwaltung. Die Gleichstellungsbeauftragten sollen sicherstellen, dass Diskriminierung unterbleibt, Gleichstellung fördern und entsprechende Maßnahmen einbringen. Sie werden daher in viele Verwaltungsverfahren eingebunden und sollen überwachen, dass alles ordnungsgemäß verläuft. Sie erarbeiten die Gleichstellungspläne (siehe unten), schlagen konkrete Instrumente zur Erreichung der Gleichstellung vor und dienen zudem als Anlaufstelle bei sexueller Belästigung.
Gleichstellungspläne
Die meisten Gleichstellungsgesetze enthalten die Anforderung, in jeder Dienststelle Gleichstellungspläne – in den 1980er-Jahren hießen sie noch Frauenförderpläne – aufzustellen. Diese müssen neben einer Dokumentation des Ist-Zustands Ziele für die Verbesserung der Gleichstellung in den anschließenden, zumeist vier oder fünf Jahren vorgeben. Was aber passiert, wenn diese Ziele nicht erreicht werden? Die Sanktionen der Gesetze sind meist harmlos: Das Bundesgleichstellungsgesetz sieht beispielsweise lediglich vor, dass die Abweichungen begründet werden müssen.
Qualifikation
Bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst spielt die Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber eine entscheidende Rolle. Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes bestimmt: "Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte." Doch die Beurteilung von Qualifikation ist in den meisten Fällen nur begrenzt objektiv: Unterschiedliche Kriterien können für ausschlaggebend angesehen werden und auch die Frage, wie gut eine zur Auswahl stehende Person ein Kriterium erfüllt, lässt sich durchaus unterschiedlich beurteilen. Hier besteht ein breites Einfallstor für Diskriminierung. Vielen erscheint beispielsweise das forsche Auftreten eines Bewerbers als Signal für Durchsetzungsstärke, während das identische Verhalten einer Bewerberin als aggressiv wahrgenommen wird.
Die Gleichstellungsgesetze versuchen auf zweierlei Weise gegenzusteuern. Die Berücksichtigung einiger Kriterien wird explizit verboten, wie beispielsweise das Dienstalter, der Zeitpunkt der letzten Beförderung oder die Einkommenssituation des Ehepartners – alles Kriterien, die sich zuvor vielfach zu Lasten von Frauen ausgewirkt hatten. Andere Kriterien sollen hingegen mit in die Entscheidung einbezogen werden, insbesondere Erfahrungen und Fähigkeiten, die durch familien- und pflegebezogene Aufgaben erworben wurden.
Quoten
Große Hoffnung setzte man anfangs in Quotenregelungen. Dabei hatten diese – wegen des Leistungsgrundsatzes im Grundgesetz – typischerweise die Form, dass in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert waren, Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt werden sollten (sogenannte Entscheidungsquote). Das (unterrepräsentierte) Geschlecht sollte als I-Tüpfelchen auf der Waage dienen. Doch selbst diese – sehr schwache – Form von Quotenregelungen stieß auf erheblichen Widerstand. Diejenigen, die gegen die Quoten waren, argumentierten, dass hier ein Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot vorliege, weil eine Verwendung des Merkmals Geschlecht in der Rechtsordnung unzulässig sei. Für das Differenzierungsverbot sei irrelevant, an wessen Geschlecht und zu welchen Zwecken angeknüpft werde. Diejenigen, die die Quotenregelung befürworteten, hielten dagegen; es mache einen erheblichen Unterschied, ob das Geschlecht zur Diskriminierung oder zur Förderung der Inklusion benachteiligter Gruppen diene. Dieser Streit wurde vielfach vor Gericht ausgefochten. Die Debatte ebbte ab, nachdem der Europäische Gerichtshof in zwei Fällen entschieden hatte, dass "absolute und unbedingte" Quoten mit dem Europarecht nicht vereinbar seien, weiche Quoten mit Härteklauseln, die auch die Situation des männlichen Bewerbers berücksichtigen, hingegen schon.
Karikatur Gleichberechtigung (© Thomas Plaßmann / Baaske Cartoons)
Karikatur Gleichberechtigung (© Thomas Plaßmann / Baaske Cartoons)
Der Schwerpunkt der Quotendiskussion hat sich in den vergangenen Jahren verlagert. Die Aufmerksamkeit gilt jetzt eher der Partizipation von Frauen in Gremien. So hat der Gesetzgeber im Jahr 2015 eine Dreißig-Prozent-Quote für Aufsichtsräte vorgeschrieben. Die Gremien, in welche die Bundesregierung Personen entsendet, sollen – in Stufen – eine paritätische Besetzung mit Männern und Frauen erreichen. Diskutiert wird auch über die Frage, ob ein Gesetz eine stärkere Partizipation von Frauen im Deutschen Bundestag festlegen soll.
Regulierung der Kategorie Geschlecht
Die Einteilung der Menschen in (nur) zwei, grundsätzlich unveränderbare Geschlechter – Männer und Frauen – war lange selbstverständliche Grundlage der deutschen Rechtsordnung wie der Gesellschaft. Man hätte also erwarten können, dass diese Grundvoraussetzung auch normativ an prominenter Stelle, etwa in der Verfassung oder am Anfang des Bürgerlichen Gesetzbuches, festgehalten würde. Doch eine solche ausdrückliche Normierung fehlt. Nur an versteckter Stelle finden sich Regelungen, wie etwa über die Eintragung des Geschlechts in das Geburtenbuch oder in die Geburtsurkunde.
Bis heute verzichtet das Recht darauf, festzulegen, woraus sich genau ergibt, welche Geschlechter es gibt bzw. woran Weiblichkeit oder Männlichkeit festgemacht wird. Erst eine 2016 ergangene Änderung für intersexuelle Kinder benennt überhaupt nur ausdrücklich die zwei traditionellen Geschlechter ("Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden…"). Das Recht legt sozusagen automatisch die in der Gesellschaft vorhandenen Anschauungen zugrunde. Hier lässt sich eine interessante Wechselwirkung beobachten: Solange etwas als selbstverständlich angesehen wird, wird es nicht ausdrücklich rechtlich geregelt.
Die besondere Fixierung eines Sachverhalts im Recht verweist daher oft gerade auf Zeiten des Übergangs. So stammt etwa die explizite Regelung der Mutterschaft "Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat." (§ 1591 BGB) nicht aus dem 19. Jahrhundert, sondern erst aus dem Jahr 1997, als die reproduktionsmedizinische Entwicklung frühere Selbstverständlichkeiten wie die natürliche Geburt ins Wanken brachte. Eine Festlegung, dass eine Ehe verschiedengeschlechtliche Personen voraussetzt, ist im Bürgerlichen Gesetzbuch sogar nie getroffen, sondern immer nur vorausgesetzt worden. Erst seit 2017 spricht das Gesetz überhaupt das Geschlecht der Ehegatten an: Seit der Öffnung der Ehe für alle bestimmt das Gesetz "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." (§ 1353 BGB).
Für drei Personengruppen sind die allmählichen Öffnungen und Veränderungen im Recht in Bezug auf Geschlecht besonders wichtig: homosexuelle, transsexuelle und intersexuelle Menschen.
Homosexualität
Lange Zeit wurde männliche Homosexualität kriminalisiert. Homosexuelle Männer konnten wegen ihrer Lebensweise ins Gefängnis kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen alten § 175 des Strafgesetzbuchs im Jahr 1957 noch gebilligt. Endgültig abgeschafft wurden besondere Strafvorschriften für männliche Homosexuelle erst 1994. Das 2001 erlassene Lebenspartnerschaftsgesetz stellte einen wichtigen Schritt zur Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften dar. Dadurch wurde ihnen ermöglicht, eine verfestigte rechtliche Bindung einzugehen. Doch zunächst wurde Paaren, die eine Lebenspartnerschaft eingingen, eine Reihe von Privilegien der Ehe vorenthalten. Erst aufgrund zahlreicher Gerichtsentscheidungen, sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs, wurden viele dieser Ungleichbehandlungen behoben. Einen (vorläufigen) Schlusspunkt setzte die 2017 erfolgte Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare.
Transsexualität
Streng reguliert war auch der Umgang mit der Veränderung des Geschlechts. Menschen, die zwar körperlich einem Geschlecht zuzuordnen waren, sich aber psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, hatten lange Jahre keine Möglichkeit, in ihrem psychischen Geschlecht zu leben. Erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978 ermöglichte transsexuellen Menschen überhaupt den offiziellen Wechsel ihres Geschlechts. Das Transsexuellengesetz – für damalige Verhältnisse relativ weitgehend – wurde 1980 in Folge dieser Entscheidung erlassen. Auch die weiteren Verbesserungen für transsexuelle Menschen wurden wesentlich von der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angestoßen, die nach und nach immer mehr Einschränkungen für verfassungswidrig erklärte. Einer freien Wahl des Geschlechts setzt das Recht jedoch erhebliche Grenzen: So entschied der Bundesgerichtshof am 6. September 2017, dass ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, der ein Kind geboren hat, als "Mutter" in das Geburtsregister einzutragen ist.
Intersexualität
Massiv war auch über viele Jahre der Leidensdruck für intersexuelle Personen, also Menschen, deren geschlechtliches Erscheinungsbild nicht nur männlich oder nur weiblich ausgeprägt ist, sondern eine Mischung darstellt. Sie wurden häufig zwangsweise auf ein Geschlecht festgelegt, was zumeist mit irreversiblen medizinischen Eingriffen verbunden war. Insbesondere ist es Eltern bisher nicht verboten, medizinische Vereindeutigungen des Geschlechts ihres Kindes zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem es selbst noch keinen Willen bilden kann. Im Jahr 2016 wurde rechtlich ermöglicht, dass bei intersexuellen Kindern die Festlegung des Geschlechts in der Geburtsurkunde unterbleiben kann. Doch verstieß auch diese Regelung, den Geschlechtseintrag einfach offen zu lassen, gegen die Grundrechte der Betroffenen. Das Bundesverfassungsgericht verlangte, dass – wenn der Gesetzgeber überhaupt eine Registrierung des Geschlechts fordert – auch bei intersexuellen Menschen ein positiver Geschlechtseintrag möglich sein müsse. Der Gesetzgeber hat das Personenstandsgesetz daraufhin Ende 2018 dahingehend geändert, dass auch die Geschlechtsangabe "divers" in das Geburtenregister eingetragen werden kann.
Insgesamt ist nachweisbar, dass sich die Festlegung auf eine binäre Geschlechterordnung im Recht langsam abschwächt.
Quellentext Vom Bedeutungsverlust der Geschlechtszugehörigkeit
[…] Es ist seit langem bekannt, dass alle kulturellen Kategorisierungen von Menschen (auch die von Ethnizität oder Rasse) automatisch einen "Rest" des Nichtklassifizierbaren erzeugen. […] Dies gilt auch für die Geschlechtsklassifikation, die in allen bekannten menschlichen Gesellschaften zunächst als eine binäre Unterscheidung mit nur zwei Seiten praktiziert wird. […]
In den europäischen Gesellschaften, die historisch lange nur zwei Geschlechtsklassen kannten, kommen für diesen "Zwischenraum" mehr Menschen in Frage als gemeinhin bekannt. Diese Gesellschaften haben – unter medizinischer Regie – nur für ein kleines Segment ihrer Populationen drei Figuren zwischen den Geschlechtern hervorgebracht: Intersexuelle […] befinden sich körperlich zwischen den Geschlechtern. […] Transsexuelle besiedeln in Selbstdarstellung und Selbstverständnis einen Zwischenraum, ohne jemals "eindeutig" auf der anderen Seite ankommen zu können. Homosexuelle schließlich galten mit Bezug auf die Wahl des Sexualpartners […] etwa ein knappes Jahrhundert als zwischengeschlechtliche Wesen. Reste dieser Kategorisierung als "Drittes Geschlecht" finden sich noch in ästhetischen Formen ihres Lebensstils und in alltagsweltlichen Stereotypen.
Über diese drei Figuren hinaus betrifft die binäre Geschlechtsklassifikation aber auch die wachsende Zahl von Menschen, die in geschlechtsuntypischen Berufen arbeiten, etwa als Krankenpfleger, Erzieher, Soldatin, Truckerin […]. Sie sehen sich […] der Alternative ausgesetzt, entweder eine Dissonanz zwischen ihrer Geschlechtszugehörigkeit und ihrer Berufstätigkeit zu erleben (sich beispielsweise dem Vorwurf der "Unweiblichkeit"oder "Unmännlichkeit" auszusetzen) oder aber achselzuckend darauf zu beharren, dass ihr Geschlecht für ihre berufliche Tätigkeit vollkommen irrelevant ist, nichts zur Sache tut, im Grunde auch niemanden etwas angeht.
Mit dieser zweiten Haltung bewegen sie sich in einen anderen Zwischenraum der Geschlechter. Nicht den der "Intersexualität", sondern den der Indifferenz. […] Die Gesellschaft hat sich seit der Neuzeit in unterschiedliche Felder ausdifferenziert, und für die Funktionsweise der meisten dieser Felder ist die Geschlechtszugehörigkeit […] schlicht irrelevant. Ihre Bedeutung hat sich auf das private Leben und Interaktionsbeziehungen konzentriert. […] Auch im Selbstverständnis […] rückt das Geschlecht in den Hintergrund: Seine identitäre Relevanz tritt hinter die berufliche Identität, das Bildungsniveau oder die politische und religiöse Überzeugung zurück. Das Recht hat diese Entwicklung teils nachvollzogen, teils forciert, indem es in den Verfassungen demokratischer Gesellschaften in der Regel an prominenter Stelle Geschlechtsblindheit verlangt, wo Geschlecht nichts zur Sache tut. Es gibt inzwischen zahlreiche gesellschaftliche Institutionen, wo diese Geschlechtsindifferenz zu den normalisierten Erwartungen gehört: So darf Geschlecht keine Rolle spielen, wenn es um das Bewerten mittels Zensuren, das Fällen von Gerichtsurteilen oder die Vergabe von Arbeitsplätzen geht. […]
Aber auch im privaten Leben finden sich Anzeichen einer wachsenden Geschlechtsindifferenz. […] Was einmal per Geschlecht festgelegt war, ist in den meisten Paarbeziehungen zum Gegenstand individueller Aushandlung geworden. […] Weitere Zeichen wachsender Geschlechtsindifferenz liegen in der Zunahme bisexueller Orientierungen, das heißt einer stärker geschlechtsunabhängigen Wahl von Sexualpartnern. […]. Der juristische Nachvollzug dieser Entwicklung ist die Öffnung der Ehe für Homosexuelle. […]
In Anbetracht der genannten gesellschaftlichen Entwicklungen ist eine dritte Geschlechtsoption in soziologischer Sicht eine kulturell schon lange naheliegende Korrektur, mit der das Recht eine gesellschaftliche Entwicklung nachvollzieht, die in den individualisierenden Strukturen der modernen Gesellschaft tief angelegt ist. […]
Stefan Hirschauer ist Professor für Soziologie und Gender Studies an der Universität Mainz.
Stefan Hirschauer, "Im Zwischenraum der Geschlechter", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 10. November 2017
QuellentextUnd wo bleibt die Fortpflanzung? Zwei Positionen
[…] Es gibt einen entscheidenden Punkt, an dem sich die quirlige Vielfalt, in dem uns die Geschlechtlichkeit immer mehr erscheint, mit großer Klarheit auf das Binäre von Mann und Frau zusammenzieht: die Fortpflanzung. Fortpflanzen kann ein Individuum sich nur entweder durch Gebären oder durch Zeugen, nur als Frau oder als Mann – […] weshalb Mann und Frau zusammenkommen müssen (und sei es in der Petrischale). Da es hier um nichts weniger als um die Hervorbringung der nächsten Generation oder schlicht um die Zukunft der gesamten Art geht, ist diese Frage nicht marginal.
Die freie, jetzt auch vom Verfassungsgericht protegierte Entfaltung aller individuellen Varianten des Geschlechts und des Sexuellen ist begrüßenswert. Zum universalen Motiv der Familiengründung und der dafür unerlässlichen Heterosexualität steht sie gleichwohl in einer unaufhebbaren Spannung. […]
Andreas Hansert, "Und die Fortpflanzung?", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 16. November 2017
Andere sehen das anders: So hat ein Trans-Mann, der ein Kind geboren hat, geklagt, dass er als Vater und nicht als Mutter des Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen wird.
Ute Sacksofsky
Zentrale Rechtskämpfe
Angesichts der vielfältigen Bereiche, in denen Frauen um ihre Rechte gekämpft haben, ist ein vollständiger Überblick ausgeschlossen. Hier können daher nur die "Dauerbrenner", die vielfach diskutierten, großen Themenschwerpunkte beleuchtet werden. Dabei ist es freilich wichtig zu sehen, dass gerade die Arbeit im Detail von enormer Bedeutung für die juristische Praxis ist. Ob ein Gesetz eine bestimmte – anscheinend nebensächliche und lediglich formale – Klausel enthält, kann für eine ganze Reihe von Frauen von eminenter Bedeutung sein. Man denke nur an die Altersgrenzen bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst, die für Frauen wegen ihrer häufig unterbrochenen und verschlungenen Biografien schwerer zu erfüllen sind.
Familienrecht
Das Familienrecht bildete einen der ersten und zentralen Themenbereiche feministischer Rechtspolitik. Bis 1957 galt das patriarchale Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1900. Danach stand dem Mann die Entscheidung in allen Angelegenheiten zu, die das gemeinschaftliche eheliche Leben betrafen, das Vermögen der Frau wurde durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen, und er konnte sogar ihr Arbeitsverhältnis kündigen, "wenn sich ergiebt, daß die Thätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigt" (§ 1358 a. F.). Bei der elterlichen Sorge hatte die Meinung des Vaters Vorrang.
Das (sogenannte) Gleichberechtigungsgesetz von 1957 beseitigte nur einen Teil der diskriminierenden Vorschriften. Zwar wurde das Bestimmungsrecht des Ehemanns abgeschafft, doch das väterliche Entscheidungsrecht blieb bestehen, bis es 1959 durch das Bundesverfassungsgericht als gleichberechtigungswidrig und nichtig erklärt wurde. Einen großen Fortschritt brachte die Scheidungsreform 1977, die es Frauen erstmals ermöglichte, von sich aus die Trennung von ihren Ehemännern zu betreiben, ohne den Verlust ihrer Kinder und/oder ihres Lebensunterhalts befürchten zu müssen.
Doch die Reform schaffte bei Weitem nicht ein gleichberechtigtes Familienrecht, denn die Folgen der Scheidung waren und sind für Frauen vielfach gravierender als für Männer. Dies zeigt sich vor allem im Unterhaltsrecht sowie im Sorgerecht. Seit der Unterhaltsreform 2008 gilt der Grundsatz der Eigenverantwortung, sodass Frauen sich nicht länger auf eine dauerhafte Unterhaltszahlung auch nach langer Ehe einrichten können. Dies ist besonders problematisch angesichts der Tatsache, dass der Staat mit dem Ehegattensplitting weiterhin Anreize für eine "Hausfrauenehe" setzt. Denn vom Ehegattensplitting profitieren nur solche Ehen, in denen die Einkommensunterschiede zwischen den Eheleuten möglichst groß sind – Ehen von Doppelverdienern bekommen vom Staat keine Steuererleichterung.
Quellentext Ehegattensplitting
Das Ehegattensplitting ist ein Verfahren, nach dem in Deutschland Verheiratete gemeinsam besteuert werden. Ihre individuellen Einkommen werden addiert und gleichmäßig auf beide Partner aufgeteilt (gesplittet). Für verheiratete Paare kann das finanziell günstig sein – umso mehr, je größer der Unterschied der beiden Einkommen ist. Grund für diesen Steuervorteil, der im Jahr 20 Milliarden Euro ausmacht, ist der progressiv steigende Einkommensteuer-Tarif. Er führt dazu, dass Steuerpflichtige mit hohen Einkünften überdurchschnittlich stark belastet werden. Würde man zwei berufstätige Eheleute generell wie zwei Alleinstehende besteuern, würde sich dies in der Ehe fortsetzen: Ein Ehepaar mit zwei stark unterschiedlichen Einkommen würde deutlich mehr Steuern zahlen als Partner, die ungefähr gleich viel verdienen.
Effekte des Ehegattensplittings. (© Lohnsteuerhilfeverein Vereinigte Lohnsteuerhilfe e. V. (VLH))
Effekte des Ehegattensplittings. (© Lohnsteuerhilfeverein Vereinigte Lohnsteuerhilfe e. V. (VLH))
Verfechter des Splittings möchten diese Ungleichbehandlung von Ehepaaren vermeiden und deshalb für jedes Ehepaar das gemeinsame Einkommen automatisch steuerrechtlich optimal, also gleichmäßig, aufteilen. Das Anliegen der Unterstützer: Der Staat soll sich nicht in eine Ehe einmischen, indem er mit dem Steuerrecht darauf hinwirkt, dass beide Partner möglichst gleich viel verdienen. Die Ehe sei eine vom Grundgesetz geschützte Einkommens- und Verbrauchsgemeinschaft. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht das Ehegattensplitting auch immer bestätigt. Gegner kritisieren, dass das Verfahren einer Emanzipation im Weg stehe. Denn es gebe einen starken Steuer-Anreiz für den weniger verdienenden Ehepartner – meistens die Frau –, weniger zu arbeiten mit allen Folgen, die das später hat: weniger Rente, erheblich weniger Geld nach einer Scheidung.
Stand: Februar 2016, Auf Basis von: Externer Link: https://www.wirtschaftundschule.de/wirtschaftslexikon/e/ehegattensplitting/ aktualisiert durch Ute Sacksofsky 2020
Inzwischen bildet nach einer Scheidung das gemeinsame Sorgerecht den Regelfall. Auch dies ist nicht unproblematisch. Denn gemeinsames Sorgerecht bedeutet, dass beide Eltern gemeinsam alle wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen. Häufig liegt aber die praktische, alltägliche Verantwortung bei den Müttern. Während diejenigen, die das Modell befürworteten, auf die positiven Effekte der väterlichen Einbindung in die Verantwortung für die Kinder hinwiesen, sahen diejenigen, die das gemeinsame Sorgerecht eher skeptisch beurteilten, darin ein Instrument, das Vätern ein Machtmittel im Nach-Scheidungs-Kampf in die Hand gibt.
Insbesondere im Hinblick auf Sorgearbeit wurden in den letzten Jahren wesentliche gleichstellungspolitische Maßnahmen erreicht. Dazu gehören etwa der Rechtsanspruch auf öffentliche Kinderbetreuung, die Flexibilisierung der Elternzeit und der Anspruch auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit nach Teilzeittätigkeit. Vor allem in diesem Bereich zeigt sich, dass Gleichstellungspolitik nicht allein für Frauen Vorteile bringt: Auch Männer profitieren, etwa wenn sie sich durch die konkrete Ausgestaltung des Anspruchs auf Elternzeit von tradierten Geschlechterrollenstereotypen lösen können und ihnen die Teilhabe an der Betreuung ihrer Kinder erleichtert wird.
Elterngeld und Elternzeit. (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 141 214)
Elterngeld und Elternzeit. (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 141 214)
Schwangerschaftsabbruch und Humangenetik
Die Kampagne "Ich habe abgetrieben" in der Zeitschrift "Stern" im Jahr 1971 war ein zentrales Moment der zweiten deutschen Frauenbewegung. Bis 1974 war der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich unter Strafe gestellt. Die 1974 erfolgte Liberalisierung im Sinne einer Fristenregelung wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt: Das Gericht verlangte im Interesse des Schutzes des ungeborenen Lebens, dass ein Schwangerschaftsabbruch bestraft werden muss. Diese Entscheidung wurde von vielen Frauen als frauenfeindlich erlebt. Ein Schwangerschaftsabbruch war danach nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, sogenannter Indikationen, möglich.
Da in der DDR seit 1972 die Fristenlösung gültiges Recht gewesen war und sich mit der Wiedervereinigung 1990 eine Harmonisierung der Rechtsprechung in diesem Punkt anbot, führte dies 1993 zu einem erneuten Versuch, Abtreibung zu liberalisieren, der wiederum vor dem Bundesverfassungsgericht landete. Diesmal tat sich das Gericht schwerer. Verbal verurteilte es den Schwangerschaftsabbruch in deutlichen Worten und verlangte, dass diese Missbilligung auch in der Rechtsordnung ausgedrückt werde. Es kritisierte daher viele Details der Regelung, nahm aber ihre Grundkonzeption, die sogenannte Beratungslösung, (missbilligend) in Kauf. Diese ist noch heute geltendes Recht. Frauen können damit immer noch nicht vollkommen selbstbestimmt über den Abbruch einer Schwangerschaft bestimmen: Schwangerschaftsabbrüche sind strafrechtlich verboten (ebenso wie öffentliche Informationen darüber durch Ärztinnen bzw. Ärzte). Frauen, die sich nach erfolgter Beratung und innerhalb von 12 Wochen nach Empfängnis dennoch für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, bleiben jedoch ebenso straflos wie Ärztinnen und Ärzte, die unter diesen Bedingungen eine Abtreibung durchführen.
Während sich die Frauenbewegung in der Forderung nach Liberalisierung der Abtreibung einig ist, sind die neuen Entwicklungen der humangenetischen Forschung umstritten. Dies betrifft insbesondere Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik (PID), die zur Entscheidung dient, ob ein durch In-Vitro-Fertilisation gezeugter Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt wird (siehe auch Abschnitt Der widersprüchliche Fortschritt neuer Reproduktionstechnologien im Kapitel Geschlechterverhältnisse im 21. Jahrhundert). Einige Feministinnen sehen darin die Erweiterung weiblicher Entscheidungsspielräume, andere stehen diesen neuen Entwicklungen wegen des gesellschaftlichen Normierungsdrucks und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken für Frauen sehr skeptisch gegenüber.
Sexuelle Gewalt
Ein weiteres zentrales frauenpolitisches Thema im Recht war seit jeher der Schutz vor sexueller Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen und der Umgang mit ihr. Hier führte feministische Rechtskritik zu einem Paradigmenwechsel. Statt sich primär mit dem Täter zu beschäftigen, sollte die Opferperspektive in den Mittelpunkt gerückt werden.
Ein Ziel war lange, Vergewaltigung auch in der Ehe als Vergewaltigung strafrechtlich ahnden zu können; 1997 wurde es erreicht. Inzwischen hat das Engagement von Frauengruppen und ihr Einsatz in entsprechenden Projekten es ermöglicht, das Vorgehen gegen häusliche Gewalt zu verbessern. Insbesondere sind Frauen durch das Gewaltschutzgesetz von 2001 mittlerweile nicht mehr allein auf strafrechtliche Sanktionen verwiesen, sondern können auch erreichen, dass nicht sie, sondern der Täter die gemeinsame Wohnung verlassen muss.
Arbeitsleben
Impulse für eine Gleichstellung im Arbeitsrecht kamen wesentlich aus dem Europarecht. Neben den "Dauerbrennern" des gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit und des Arbeitsschutzes wurde vor allem der Umgang mit schwangeren Arbeitnehmerinnen und Teilzeitarbeitenden verbessert. Hier war die Rechtsfigur der mittelbaren Benachteiligung besonders erfolgreich (siehe weiter oben). Hingegen sind die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen weiterhin vorrangig durch das Bild des (männlichen) Normalarbeitnehmers geprägt, was zu erheblichen Nachteilen für Frauen bei der Rente führt.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Nach langen, kontrovers geführten Diskussionen – Befürchtungen wegen Einschränkungen insbesondere der marktwirtschaftlichen Privatautonomie standen Forderungen nach Schutz und Gleichbehandlung für alle gegenüber – trat im August 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Mit ihm wurden – verspätet – vier Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union umgesetzt, die seit dem Jahr 2000 erlassen worden waren.
Das AGG regelt zwei zentrale Bereiche: Zum einen schützt es vor Benachteiligung im Arbeitsleben, zum anderen verbietet es Benachteiligung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr. Der Schutz des AGG reicht indes weit über die Kategorie Geschlecht hinaus. Es will überdies "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, […] der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" verhindern oder beseitigen.
Damit hat die Bekämpfung der Geschlechterdiskriminierung ihre besondere Rolle verloren, die sie über lange Jahre in der Bundesrepublik gespielt hat. Dies zeigt sich schon an der Bezeichnung der Frauenbeauftragten, die mittlerweile Gleichstellungsbeauftragte heißen. Mit dieser Ausweitung des Diskriminierungsschutzes sehen einige die Gefahr verbunden, dass den Anliegen von Frauen nicht mehr hinreichend Rechnung getragen wird. Dennoch ist die Ausweitung zu begrüßen. Wird undifferenziert von "den Frauen" gesprochen, kann übersehen werden, dass in Wirklichkeit nur bestimmte Gruppen von Frauen gemeint sind. Dies ist insbesondere in der Debatte um Intersektionalität deutlich geworden.
Intersektionalität bedeutet, dass es keinen "Hauptunterschied", sondern verschiedene "Achsen der Differenz" gibt: Verschiedene Gruppen von Frauen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen. Um es an Beispielen zu verdeutlichen: Schwarze Frauen in den USA machten darauf aufmerksam, dass sich die Form ihrer Diskriminierung von der Weißer Frauen grundlegend unterscheidet: Ihnen wurde nie zugeschrieben, dass sie schwach und schutzbedürftig sind. Auch ist offensichtlich, dass Frauen mit Behinderung ganz besonderen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind. Ebenso unterscheidet sich die Lebenssituation lesbischer Frauen stark von der heterosexueller Frauen. In vielen Bereichen betreffen bestimmte Diskriminierungen Frauen je nach ihrer sozialen Lage unterschiedlich. Genauere und differenziertere Analysen sind erforderlich.
Fazit: Die Frauenbewegung und das Recht
Ob und inwieweit Recht genutzt werden kann, um emanzipative Politik zu betreiben, ist nicht eindeutig zu beurteilen. Die zweite Frauenbewegung der 1970er-Jahre stand dem Recht vielfach fern: "Verräterisch und unsicher und fremd und langsam ist das Recht. Es ist für Frauen nicht das Instrument der Wahl", so die US-amerikanische feministische Juristin und Aktivistin Catharine A. MacKinnon. Prägnant fasst die italienische Intellektuelle und Schriftstellerin Rossana Rossanda die Gründe dafür zusammen: "Das am stärksten und vollständigsten vom Mann markierte Gebiet ist das Recht als System der zu Gesetzen gewordenen interpersonellen und sozialen Verhältnisse."
Wie an einigen Beispielen in diesem Beitrag gezeigt wurde, ist diese "Fremdheit" für die 1970er-Jahre gut nachvollziehbar. Das Recht war zu dieser Zeit noch sehr stark patriarchal geprägt. Dies ist nicht überraschend. Denn in der Demokratie entsprechen Gesetze – jedenfalls idealtypisch und in der Praxis meist – den Vorstellungen der Mehrheit der Gesellschaft. Damit ist Recht immer wieder als Unterdrückungsinstrument gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten bzw. strukturell benachteiligten Gruppen instrumentalisierbar.
Die Rechtsordnung ist eine Zwangsordnung: Menschen werden durch das Recht kategorisiert, ihnen werden Gebote sowie Verbote auferlegt und diese werden mit Sanktionen durchgesetzt. Doch Recht erschöpft sich nicht in seinem Zwangs- und Normierungscharakter. Ohne Beschränkungen durch Recht kann sich der Stärkere einfach durchsetzen. Das Recht eröffnet daher auch Chancen, die gerade aus der Perspektive von marginalisierten Gruppen genutzt werden können. Denn das Recht kann den gesellschaftlich Privilegierten Grenzen setzen und damit den Marginalisierten "Rechte" verleihen.
So gab es immer wieder "große" Entscheidungen von Gerichten, die Emanzipationsbestrebungen in hohem Maße vorangebracht haben. Zu erinnern ist etwa an die Entscheidung im Fall Brown v. Board of Education des U.S. Supreme Court aus dem Jahr 1954, mit der die Rassentrennung in den US-amerikanischen Schulen aufgehoben wurde, oder die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit welcher der sogenannte väterliche Stichentscheid (bei Streitigkeiten über die Ausübung der elterlichen Gewalt entschied der Vater) für gleichberechtigungswidrig erklärt wurde.
Als besonders fruchtbar für Diskriminierungsbekämpfung erweisen sich Gleichheitsrechte, wie sie inzwischen in Verfassungen ihren festen Platz haben. Ursprünglich meinte zwar die Formel "all men are created equal" nur Weiße Männer, jedoch haben universell formulierte Normen nicht unwesentlich zu Emanzipationsbewegungen beigetragen. Es entspricht der Logik allgemein formulierter Gleichheitssätze, dass sich marginalisierte Gruppen auf diese Normen beziehen und berufen können, um ein größeres Maß an Gleichheit zu erreichen. In diesem Sinne ist der Gehalt von Gleichheitssätzen dynamisch. Das Recht ist also ambivalent. Es ist beides zugleich: Herrschafts- und Emanzipationsinstrument.
Quellentext Etappen auf dem Weg zur gesetzlichen Gleichstellung von Mann und Frau
Hundert Jahre Frauenwahlrecht. Mehr als 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ihre Stimme ab. Von 300 Kandidatinnen zogen 37 in die Nationalversammlung ein. Im Artikel 109 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 hieß es: "Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten."
Als am 30. November 1948 im Parlamentarischen Rat über die ins zu schaffende Grundgesetz zu schreibenden Grundrechte debattiert wurde, legte die Sozialdemokratin Friederike Nadig den von ihrer Kollegin Elisabeth Selbert formulierten Antrag vor, den Katalog der Grundrechte um einen Satz zu ergänzen: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Die Weimarer Einschränkung "staatsbürgerlich" war verschwunden. Elisabeth Selbert hatte die Weimarer Erfahrungen beherzigt. "Staatsbürgerlich" war nicht genug. Gleichberechtigung musste in allen Lebensbereichen gelten. Der liberale Abgeordnete Dehler erkannte sofort die Konsequenzen: "Dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig."
Dennoch heißt es im Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Man vergleiche diesen Text mit dem Artikel 7 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949: "Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben." Die DDR-Verfassung sieht die Sache wie Thomas Dehler, zieht daraus allerdings den einzig sinnvollen Schluss. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland dagegen gibt Willenserklärungen ab, vertröstet auf die Zukunft.
Der Frauenanteil in der Weimarer Nationalversammlung lag mit 9,6 Prozent damals höher als in jedem anderen Land; erst 1987 übertraf der Frauenanteil im Bundestag (17,8 Prozent) den in der Weimarer Nationalversammlung deutlich. Den höchsten Frauenanteil hatte der letzte Bundestag (2013–2017) mit 37,3 Prozent. Im aktuellen Bundestag sind es nur noch 31 Prozent.
Dehlers Erinnerung an das Bürgerliche Gesetzbuch war völlig richtig. Da gab es etwa den 1900 eingeführten Gehorsamsparagraphen: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Missbrauch seines Rechts darstellt." Dieser Paragraph wurde erst 1957 ersatzlos gestrichen. Nach langen Kämpfen, in denen auch die christlichen Kirchen sich vehement für die Beibehaltung des Paragraphen eingesetzt hatten, der in ihren Augen "natürlichen Eheordnung".
1958 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Frauen durften jetzt zum Beispiel ohne Genehmigung des Mannes den Führerschein machen; Männer durften nicht mehr über das von den Frauen in die Ehe mitgebrachte Vermögen verfügen. Erst 1962 durften sie ein eigenes Konto ohne Genehmigung des Ehegatten eröffnen. […]
Der 1958 neu formulierte Paragraph 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches schrieb die alte, dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes widersprechende Rollenverteilung noch einmal ausdrücklich fest: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist."
1977 wurde der Paragraph noch einmal umformuliert. Nun hieß er: "Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. Die Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen."
Erst im Mai 1997 wurde eine völlig absurde Gesetzeslage geändert. 1973 hatten im Zuge einer Strafrechtsreform "Vergewaltigung" und "sexuelle Nötigung" Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch gefunden. Dabei war wie seit 1872 immer noch ausdrücklich von "außerehelichem Beischlaf" die Rede. Vergewaltigung in der Ehe wurde erst im Mai 1997 nach erbitterten Auseinandersetzungen ein Straftatbestand. Von 643 abgegebenen Stimmen sprachen sich 138 Abgeordnete des deutschen Bundestages dagegen aus. […]
Erst seit dem November 2016 gilt "Nein heißt Nein". Nun liegt der Tatbestand der sexuellen Nötigung auch vor, ohne dass Gewalt angewandt oder auch nur mit ihr gedroht wurde. Wenn eine Frau Nein sagt, heißt es nein. Ein Mann ein Wort, hieß es früher. Jetzt gilt das auch für die Frau. Übrigens stimmten 2016 alle Bundestagsabgeordneten für dieses Gesetz. Es stellt einen entscheidenden Schritt dar zu einer wirklichen Gleichberechtigung der Geschlechter. Dass der Bundestag ihn ging, hatte freilich nichts mit dem jahrelangen Kampf vieler Frauen für eine derartige Neureglung zu tun. Er war vielmehr eine Reaktion auf die sexuellen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016. Erst die Vorstellung, sich mit diesem Gesetz gegen "die Fremden" wehren zu können, machte das eigentlich Selbstverständliche möglich.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt bis heute nicht. Obwohl es nicht an Gesetzen fehlt, die genau das regeln sollten. 1980 etwa wurde die BRD-Gesetzgebung an die der Europäischen Gemeinschaft angepasst. So kam der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Leistung" ins BGB. Ebenso auffällig aber wie die unterschiedliche Bezahlung – Frauen erhalten etwa 20 Prozent weniger – gleicher Arbeit ist, dass es keine gleiche Arbeit gibt.
[…] Es gibt eine deutliche Korrelation zwischen der Beteiligung von Frauen in den politischen Institutionen und der sozialen Verfasstheit einer Gesellschaft. Das liegt sicher auch am sozialen Engagement der Frauen, aber es hat ebenso damit zu tun, dass, wo für eine gerechtere Welt gekämpft wird, es auch um Frauenrechte geht.
Arno Widmann, "Call me Sabine", in: Frankfurter Rundschau vom 22. Januar 2019
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