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Außen- und Sicherheitspolitik | China | bpb.de

China Editorial Einleitung Geschichte, kulturelle Tradition, Ideologie Charakteristika des politischen Systems Außen- und Sicherheitspolitik Gesellschaft im Umbruch Situation von Medien und Internet Von der "Werkbank der Welt" zur Innovationswirtschaft China in der Weltwirtschaft Literaturhinweise Karten Impressum

Außen- und Sicherheitspolitik

Dirk Schmidt

/ 13 Minuten zu lesen

Außenpolitisch beansprucht das "Reich der Mitte" eine weltpolitische Rolle, die es nach eigenem Selbstverständnis historisch verdient. Der Rückgriff auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung, der Ausbau militärischer Stärke und der Einsatz von Soft Power sind Bausteine einer Gesamtstrategie zur Durchsetzung seiner globalen Interessen.

An die glorreichen Zeiten des "Reichs der Mitte" möchte die chinesische Außenpolitik anknüpfen. Diese koreanische Karte aus dem 18. Jahrhundert zeigt die zeitgenössische Sicht Chinas als Mittelpunkt der Welt. (© picture-alliance, CPA Media)

Zeittafel zur Außenpolitik seit 1949


1950 Bündnisvertrag und enge Kooperation mit der Sowjetunion

1950–53 Koreakrieg; militärische Konfrontation mit den USA

1954, 1958 Erfolglose militärische Vorstöße gegen Taiwan

1964 Erster Atombombentest; die VR China wird Nuklearmacht

1971/72 Annäherung an die USA

1971 Aufnahme der VR China in die UNO als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrats

1972 Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland

1975 Aufnahme offizieller Beziehungen zur EG

seit 1979 Einleitung der Politik der außenwirtschaftlichen Öffnung

1979 Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den USA

1980 Mitgliedschaft in Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF)

1985 Abschluss eines Handelsabkommens mit der EG

1989 Internationale Sanktionen gegen China wegen gewaltsamer Unterdrückung der städtischen Protestbewegung

1991 China wird Mitglied der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC)

März 1996 Chinesische Militärmanöver und Raketentests in der Taiwan-Straße

Dezember 2001 Die VR China wird in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen

Mai 2003 Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO, 2001 gegründet) errichtet ständiges Sekretariat in Beijing

2003–2009 Führende Rolle der VR China bei den Sechs-Parteien-Gesprächen zur nuklearen Abrüstung Nordkoreas

Oktober 2003 Erste bemannte Raumfahrt-Mission Chinas

Seit November 2008 Einbeziehung der VR China in Gipfeltreffen der G 20

Seit 2009 Chinesische Beteiligung an internationaler Piraten-Bekämpfung im Golf von Aden

Februar und März 2011 China evakuiert 35.000 Staatsbürger aus dem Krisengebiet in Libyen

September 2013 Chinas Präsident verkündet in Kasachstan die "Seidenstraßeninitiative"

November 2014 Zentrale Arbeitskonferenz zur Außenpolitik legt außenpolitische Leitlinien fest

Juli 2016 Schiedsgerichtshof in Den Haag verwirft chinesische Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer

Grundlagen der Außenpolitik

Aus chinesischer Sicht werden die internationalen Beziehungen im Wesentlichen durch Machtpolitik und Konkurrenz zwischen Nationalstaaten bestimmt. Für die Ausgestaltung seines Verhältnisses zur Außenwelt propagiert China seit den 1950er-Jahren den Slogan der "Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz": gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität (1), wechselseitiger Verzicht auf Angriffe (2), wechselseitiger Verzicht auf Einmischung in innere Angelegenheiten (3), Gleichberechtigung und wechselseitiger Nutzen (4) und friedliche Koexistenz (5). Offizielle Dokumente der chinesischen Außenpolitik und Reden führender Politiker zeichnen ein überwiegend freundliches Bild der gegenwärtigen internationalen Beziehungen. Frieden, Entwicklung und wirtschaftliche Globalisierung seien positive "Trends der Zeit". Gefahren gingen dagegen aus von Entwicklungsunterschieden zwischen armen und reichen Ländern, regionalen Konflikten und unkonventionellen Bedrohungen wie Terrorismus, Cyberkriminalität und Klimawandel. Als eine unausgesprochene Grundannahme der chinesischen Außenpolitik gilt, dass das historische "Reich der Mitte" es verdiene, eine zentrale Position in der internationalen Ordnung einzunehmen. Im Einzelnen liegen der chinesischen Außenpolitik drei von der chinesischen Führung selbst so beschriebene "Kerninteressen" zugrunde:
1.die Stabilität des politischen Systems, also die Aufrechterhaltung der Führungsrolle der Kommunistischen Partei;
2.die Verteidigung nationaler Souveränität und Sicherheit sowie der territorialen Integrität und nationalen Einheit (also inklusive Taiwans, Tibets und Xinjiangs);
3.die Sicherung der Voraussetzungen für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinas, vor allem des Zugangs zu Rohstoffen.

Um dies zu gewährleisten, greift Peking auf verschiedene längerfristige Strategien und folgende diplomatische Taktiken zurück: Zunächst ist die Parteiführung bestrebt, den Aufstieg Chinas nicht als Bedrohung für andere wirken zu lassen und versichert, den bisherigen "friedlichen Entwicklungsweg" niemals verlassen zu wollen. Als Ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats mit Vetorecht verlangt China stets die Zuständigkeit der UNO, wenn es um globale Fragen geht, vor allem im Bereich der Menschenrechts- oder Sicherheitspolitik. Ausgehend vom eigenen, selbst so beschriebenen Status als "größtes Entwicklungsland der Welt" tritt die Volksrepublik seit Jahrzehnten als Fürsprecher der Entwicklungs- und Schwellenländer auf. Mithilfe einer umfangreichen Besuchs- und Gipfeldiplomatie baut die chinesische Führung seit den 1990er-Jahren zudem die Beziehungen zu Staaten in Afrika, Lateinamerika oder Zentralasien aus, die von westlichen Staaten entweder vernachlässigt oder wegen Menschenrechtsverletzungen gemieden wurden.

QuellentextBeteiligung an multilateralen Gruppierungen

[...] [G]ut ein Dutzend Staats- und Regierungschefs haben sich in der ostchinesischen Hafenstadt [Qingdao 2018] zeitgleich zum G-7-Gipfel eingefunden. Russlands Präsident Wladimir Putin ist gekommen [...], Indiens Präsident Narendra Modi, sein Rivale Mamnoon Hussain aus Pakistan, genauso wie der iranische Präsident Hassan Rohani, der seine erste Auslandsreise angetreten hat, seitdem die Vereinigten Staaten den Abrüstungsdeal gekündigt haben. Dazu fünf Staatsoberhäupter aus Zentralasien, der mongolische Präsident und Europas letzter Diktator: Alexander Lukaschenko aus Weißrussland. Zusammen sind sie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Die Gegenveranstaltung zu den G 7.

Gegründet wurde die Vereinigung 2001 in Shanghai, um Terrorismus, Extremismus und Separatismus in Zentralasien zu bekämpfen. "Die drei bösen Kräfte", nennt die Propaganda das in China. Besonders um die westchinesische Uiguren-Provinz Xinjiang geht es der Führung in Peking. Am Anfang waren es sechs Mitgliedstaaten, und gemeinsam hielten sie Militärmanöver ab. Spätestens seitdem Indien und Pakistan zu Vollmitgliedern der Organisation geworden sind, hat sich der Fokus jedoch geweitet. [...] Mit der Shanghai Organisation hat China eine Allianz geschaffen, bei deren Runden sich Staatschefs treffen, die fast die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren und bei denen Europa und die USA außen vor sind. Allein Indien und China sind für 50 Prozent des Weltwirtschaftswachstums verantwortlich.

Und die Shanghai-Gruppe ist beileibe nicht der einzige Versuch Pekings, eine Konkurrenz zu den etablierten internationalen Organisationen aufzubauen. In Europa hat man den Mechanismus "16 + 1" geschaffen. Elf osteuropäische EU-Mitglieder nehmen daran teil, genauso wie fünf Balkanstaaten. Das siebzehnte Mitglied ist China. Einmal im Jahr wird ein [...] Gipfel ausgerichtet, und Peking verspricht billige Kredite für Infrastrukturprojekte.

Ein weiteres von China vorangetriebenes Format ist der Austausch der Brics-Staaten [Brasilien, Russland, Indien und China]. [...] [I]n New York trafen sich [2006] [...] die Außenminister der vier Länder. 2009 tagte [...] die [...] Staatengemeinschaft zum ersten Mal offiziell in Jekaterinenburg. Seitdem kommen die Staats- und Regierungschefs jedes Jahr zusammen. Insgesamt sind es nun fünf Teilnehmer, 2010 trat, auf Initiative Chinas, Südafrika dem Klub bei. Geht es nach China, so soll das Bündnis erweitert werden. Thailand oder Mexiko, so heißen die Wunschpartner.

Den größten Einfluss hat China zweifelsohne aber bei der Shanghai Organisation. Offiziell gibt es ein Generalsekretariat in Peking. Aktuell ist der Mann an der Spitze ein Tadschike. Wirklich viel zu sagen hat er allerdings nicht. Die Agenda bestimmen im Wesentlichen China und mit Abstrichen Russland. Die Arbeitssprachen der Organisation sind Chinesisch und Russisch. [...]

Am [...] [10.06.2018] dann unterzeichn[et]en die acht Vollmitglieder mehrere Vereinbarungen. Sie wollen den Terrorismus noch stärker bekämpfen, kleine und mittlere Unternehmen fördern und künftig gemeinsam gegen Seuchen vorgehen. Herzstück aber ist die sogenannte Qingdao-Deklaration, in der sich alle Teilnehmer zu den angesprochenen Werten von Shanghai bekennen. Ursprünglich sollte auch die Seidenstraßeninitiative von Präsident Xi in das Dokument aufgenommen werden. [...] Doch [...] [i]n mehreren Ländern formiert sich Protest gegen die Initiative, nachdem Häfen und Flugplätze dem chinesischen Staat gehören. In der Deklaration fehlt der Verweis auf die Seidenstraße, Indiens Unterhändler haben sich dagegen gestemmt. Offenbar haben doch nicht alle Mitglieder dieselben Interessen.

Christoph Giesen, "Allianz der Mehrheit", in: Süddeutsche Zeitung vom 11. Juni 2018

Chinas Image in der Welt soll durch den bewussten Einsatz von Soft Power kultiviert werden. Dieser Begriff umschreibt die Fähigkeit einer Nation, den eigenen Leitvorstellungen und Interessen nicht nur durch militärische Macht oder materielle Anreize, sondern durch die ideelle Attraktivität des eigenen nationalen Gesellschafts- und Kultursystems Geltung zu verschaffen. Die USA mit ihren weltweit begehrten Marken und ihrer dominierenden Unterhaltungsindustrie gelten dafür als Paradebeispiel. Dem amerikanischen Lebensstil mit den darin zum Ausdruck kommenden Werten wie Freiheit oder individuelle Selbstverwirklichung setzt die Volksrepublik nun seit einigen Jahren bewusst eine eigene Soft Power-Strategie entgegen: So soll unter anderem über die Konfuzius-Institute in anderen Ländern – gestützt auf die Attraktivität der traditionellen chinesischen Kultur – für die Erfolge der chinesischen Modernisierung in den vergangenen Jahrzehnten geworben werden. Und ihre Führungsrolle in Regionalorganisationen wie der Shanghai Cooperation Organization nutzt die VRC auch, um ihre Grenzen gegen islamistischen Terrorismus zu sichern und ihren Rohstoffbedarf zu decken.

QuellentextEngagement in Afrika

[...] In kürzester Zeit ist China mit Abstand zum wichtigsten Handelspartner Afrikas geworden. Der Wert der gehandelten Güter belief sich 2015 auf 188 Milliarden US-Dollar, das ist mehr als das Dreifache des Handelsvolumens mit Indien, Afrikas zweitstärkstem Partner. Lange folgten die Beziehungen einem recht einfachen Skript: Die chinesische Regierung sucht Ressourcen und politische Partner, ihre Staatsbetriebe bauen dafür Straßen und Regierungsgebäude. Sie umarmt alle, auch die schlimmsten Autokraten, Transparenz und gute Regierungsführung sind dabei egal. Nicht wenige werfen China darum Neokolonialismus vor. [...]

Die großen Geschäfte in Afrika machen zwar immer noch der chinesische Staat und seine Betriebe. Daneben aber gibt es jetzt unzählige private Glücksritter. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt ihre Zahl bereits auf 10.000. Da gibt es solche, die Raubbau betreiben, illegal abholzen oder fischen. Aber auch solche, die ausbilden und Arbeitsplätze schaffen, neue Produkte anbieten und die Wirtschaft beleben. So sagten 1000 der befragten Unternehmer gegenüber McKinsey, dass 89 Prozent ihrer Angestellten Afrikaner seien. Das wären 300.000 neue Jobs. [...]

Wenn nötig, dann passen sich die Unternehmer ein in die nationalen Strategien des Staates, in dem sie operieren. Zum Beispiel in Äthiopien.
Addis Abeba. [...] Die Trambahn ist ein Prestigeprojekt, gebaut von den Chinesen. Die einzige auf dem ganzen Kontinent außerhalb Südafrikas. Addis ist als Sitz der Afrikanischen Union (AU) ein Schaufenster, so etwas wie die heimliche Hauptstadt Afrikas. Alle afrikanischen Staaten haben hier ihre Vertretung. Man kann hier zeigen, was geht – mit und durch China. In der Nähe des neuen AU-Hauptquartiers, von China gebaut, haben sich die Büros der staatseigenen chinesischen Betriebe angesiedelt. Chinesische Baufirmen sind in der ganzen Stadt zu finden. China ist nicht nur der größte Infrastrukturfinanzier auf dem Kontinent, 50 Prozent der dort international ausgeschriebenen Projekte werden auch von chinesischen Firmen gebaut.

Diplomaten im Umfeld der AU erzählen, dass nur zwei Staaten nie Termine machen müssten, sondern überall vorgelassen werden. Das seien die Äthiopier, die Hausherren. Und die Chinesen.
[...] "Afrika ist der letzte Kontinent, den es zu entwickeln gibt. The last frontier of development", sagt Alexander Demissie, ein Äthiopier, der in Deutschland aufwuchs und die Beratungsfirma The China Africa Advisory mit aufgebaut hat.

[...] Die Telekommunikationsgiganten Huawei und ZTE haben einen Großteil der digitalen Netze in Afrika errichtet. China baut in der ganzen Welt im Rahmen seiner "Neuen Seidenstraße" Häfen, Pipelines, Eisenbahnnetze. Auch in Ostafrika: "Wenn man die chinesischen Infrastrukturprojekte betrachtet", sagt Demissie, "sieht man, was sie vorhaben: Einfluss auf die ganze Region zu nehmen."

Dschibuti, Äthiopiens kleiner Nachbar am Horn von Afrika, ist durch die erste chinesische Militärbasis schon zum strategischen Zentrum geworden. Nun soll es auch zum Finanz- und Logistikzentrum Ostafrikas werden – "eine Art Singapur, große chinesische Banken haben dort bereits ihre Claims abgesteckt", so Demissie. [...] Komplementiert wird die Infrastruktur durch verschiedene Eisenbahnlinien. Die Strecke Mombasa – Nairobi wurde gerade fertiggestellt, die zwischen Dschibuti und Addis soll in Kürze eröffnet werden. Beide Strecken sollen eines Tages verbunden und erweitert werden, nach Uganda, Burundi, Ruanda, Kongo, Sudan.

Das große Fernziel: eines Tages Ost- und Westafrika zu verbinden. Habe China mit all diesen Großaufträgen erst mal seine Standards gesetzt, erklärt Demissie, würden zahlreiche weitere Aufträge folgen: Dienstleistungen, Ersatzteile. [...] Dazu gehört auch, dass chinesische Unternehmen südafrikanische Medienhäuser, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, aufkaufen, um Öffentlichkeit im Sinne der Partei zu schaffen. Demissie weiß das und sieht das chinesische Engagement trotzdem sehr positiv. Die Infrastruktur werde dringend benötigt – und kein anderes Land hätte geleistet, was China derzeit schafft. [...]

Alemayehu Geda, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Addis Abeba, ist skeptischer. [...] Man müsse, sagt er, nicht auf die Direktinvestitionen, sondern auf die Kredite achten. "Die chinesischen Direktinvestitionen nach Äthiopien machten in den vergangenen zehn Jahren gerade mal 600 Millionen US-Dollar aus, die Kredite aber 70 Milliarden." [...]

Tatsächlich brauche sein Land all die Infrastruktur, sagt Geda. Was aber, wenn die Abhängigkeit eines Tages übergroß werden sollte, wenn die Äthiopier ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können? "Dann könnte die chinesische Regierung zum Beispiel darauf bestehen, dass Ethiopian Airlines statt Boeing oder Airbus chinesische Maschinen kauft." Geda nennt das "strategische Verletzlichkeit", und es gibt für ihn nur einen Weg, ihr zu entkommen. [...] "Wir brauchen", sagt Geda, "Expertise. In jeder Hinsicht. Aber vor allem am Verhandlungstisch."

Angela Köckritz, "Fingerspitzengefühl in Afrika", in: DIE ZEIT Nr. 2 vom 4. Januar 2018

Kontinuität und Wandel

Änderungen der ideologischen Prioritäten sowie globale Machtverschiebungen haben immer wieder zu Neuausrichtungen der chinesischen Außenpolitik geführt. So stand die Volksrepublik von 1949 bis zu Beginn der 1960er-Jahre im Bündnis mit den sozialistischen Staaten. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion geriet China während der Kulturrevolution in eine Phase außenpolitischer Isolation. Mit der Reform- und Öffnungspolitik 1978 begann dann die nach offiziellen chinesischen Angaben bis heute andauernde "unabhängige Außenpolitik des Friedens". Kontinuitäten zeigen sich vor allem in der fortschreitenden Integration Chinas in transnationale Handels- und Kapitalströme und in einer extremen Empfindlichkeit, sobald die eigenen Kerninteressen bedroht erscheinen.

Unter Xi Jinping weist die Außenpolitik Chinas seit 2013 markante Neuerungen auf: So hat Peking im Jahr 2017 mehrfach die Bereitschaft erklärt, einen aktiven Beitrag zur Gestaltung der internationalen Ordnung – etwa in den Bereichen Klimaschutz oder Cybersicherheit – zu leisten. Die Führung preist nun auch selbstbewusst den eigenen Modernisierungsweg als Vorbild für andere Länder, ja sogar als bewusste Alternative zum Westen an. Chinas Außenpolitik ist ferner darauf ausgerichtet, durch neue Finanzierungsinstrumente und großangelegte Infrastrukturprojekte chinazentrierte Strukturen zu verwirklichen.

Ein Beispiel dafür ist die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). Die multilaterale Entwicklungsbank wurde am 16. Januar 2016 gegründet und hat ihren Sitz in Peking. Sie umfasste bei ihrer Gründung 57 Mitglieder, mit Stand März 2018 gehörten ihr 84 zugelassene Mitglieder, darunter 16 EU-Mitgliedstaaten, an. Die AIIB soll (insbesondere grenzüberschreitende) Infrastrukturinvestitionen in den Bereichen ländliche Entwicklung, Energieerzeugung, Umweltschutz, Transport und Telekommunikation, Wasserversorgung, städtische Entwicklung und Logistik in Asien finanzieren. Dazu ist sie mit einem Kapitalstock von 100 Milliarden US-Dollar ausgestattet. Die größten Anteilseigener sind China (32 %), Indien (9 %), Russland (7 %) und Deutschland (5 %).

Grundsätzlich sollen alle Projekte zusammen mit anderen multilateralen Gebern wie der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank oder der Europäischen Investitionsbank gemeinsam finanziert und durchgeführt werden.

Bis zum Frühjahr 2018 wurden 25 Entwicklungsprojekte im Umfang von insgesamt mehr als vier Milliarden US-Dollar unter anderem in Pakistan, Indien, Bangladesch und Indonesien genehmigt.

Die neue Seidenstraße (© Mercator Institute for China Studies (MERICS) / F.A.Z.-Bearbeitung Walter)

In diesem Kontext steht auch die sogenannte Seidenstraßeninitiative, die Vision eines transkontinentalen Wirtschaftsraums Eurasien: Ethnischem Separatismus und religiösem Fundamentalismus soll durch ökonomische Entwicklung, etwa durch den Bau von Eisenbahntrassen oder Kraftwerken, der Boden entzogen werden. Mit einer ideologischen Verhärtung in den vergangenen Jahren hat sich China aber zunehmend von seiner Politik der Öffnung zum Westen abgewendet. Unverkennbar wächst bei der chinesischen Führung das Misstrauen gegenüber internationaler zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit.

QuellentextDie "Neue Seidenstraße"

Die "Neue Seidenstraße" [oder "One belt, one road", OBOR] ist ein chinesisches Projekt aus dem Jahr 2013. Ziel ist es, wie einst mit der historischen Seidenstraße den eurasischen Handel anzukurbeln – allerdings unter chinesischer Kontrolle und Dominanz. Geplant oder im Bau sind mehrere Handelsrouten: Im Süden führen sie über den Indischen Ozean und den Suezkanal zu europäischen Häfen wie Piräus, Venedig und Marseille, auf dem Landweg via Pakistan, Iran und Türkei bis in Städte wie Duisburg oder Berlin. Peking hat bereits 40 Milliarden Dollar in das Mammutvorhaben [...] gesteckt. [...] Mit chinesisch dirigierten Krediten und Ausschreibungsverfahren entstehen derzeit Autobahnen, Eisenbahnlinien, Viadukte, Lager, Rastplätze, Containerterminals, Flughäfen und sogar Kraftwerke und Raffinerien. [...]

Die neue Seidenstraße ist das große Prestigeprojekt von Präsident Xi Jinping. Inzwischen sind 65 Länder dabei – von Südasien über Afrika bis nach Europa und Amerika. Auch die Arktis und Südamerika sollen dazugehören. Mit dem jahrtausendealten Handelsweg hat das nichts mehr zu tun: Es ist eher eine Metapher für ein von China dominiertes Handelssystem. Der Kitt, der es zusammenhält, sind chinesische Investitionen in Milliardenhöhe. [...]

Das Gebilde aus Diplomatie und Investitionen entwickelt sich jedoch nicht ganz so glatt wie erhofft. Die [...] Kritik betrifft etwa die Intransparenz, mit der Peking seine Kredite vergibt. Ein Rückschlag lässt sich in Malaysia beobachten. Dort waren im Mai [2018] Wahlen – und der 92-jährige China-Kritiker Mahathir Mohamad hat gewonnen. Das chinesische Geld hätte die Schulden des Landes in die Höhe getrieben, ohne angemessene Vorteile für die Bürger zu bringen. Beim Kassensturz für ein Pipeline-Projekt kam zutage, dass erst 13 Prozent der Arbeit erledigt, aber schon 90 Prozent des Geldes ausgegeben ist. Es ist vor allem die Führungsklasse, die von den Überweisungen aus Peking profitiert. Das Geld fließt als zinsgünstiges Darlehen, das an bestimmte Bauvorhaben gebunden ist. Doch wo gebaut wird, fließt auch Schmiergeld.

[...] China bestraft Korruption im Ausland nicht. Also profitieren oft die Politiker, Beamte und Staatsfirmen – also genau die Leute, die darüber entscheiden, ob ihr Land die Chinesen hineinlassen soll oder nicht.

US-amerikanische und europäische Firmen können oft nicht mitbieten: Wegen der Antikorruptionsgesetze in ihren Heimatländern würden sie sich hochgradig angreifbar machen. Am Ende müssen die Steuerzahler die Rechnung begleichen – auch günstige Kredite sind einmal zurückzuzahlen. Das kleine Land Laos beispielsweise hat seine Schulden durch ein sechs Milliarden Euro teures Eisenbahnprojekt mit den Chinesen verdoppelt. China hat den Laoten nun angeboten, einen Teil der Schulden durch die Übertragung von Ackerland zu begleichen.

So macht China die Partnerländer abhängig, um nebenbei noch andere Ziele zu erreichen, etwa die eigene Lebensmittelversorgung oder die Besetzung von geostrategischen Schlüsselstandorten. Als Sri Lanka einen Kredit nicht zurückzahlen konnte, hat China die Kontrolle über den Hafen Hambantota im Süden der Insel übernommen. Beobachter fürchten nun, dort könne zudem eine Marinebasis entstehen.

Das alles heißt jedoch nicht, dass die Seidenstraßeninitiative kein Erfolg ist. China bewegt hier eine erstaunliche Menge an Geld und Material – und verschiebt dabei die politischen Verhältnisse. Es stößt dabei in Räume vor, die sich bisher vernachlässigt sehen – etwa die Weiten Zentralasiens, für die sich weder die EU noch die USA interessiert haben. Auch die Entwicklung Afrikas ist mit zunehmendem Interesse Chinas zumindest wieder Gegenstand internationaler Konkurrenz. [...] Chinas unkomplizierte Investitionen in Osteuropa können da etwas bewegen, wo die EU etwas schwerfällig agiert.

Finn Mayer-Kuckuk, "Erkauftes Wohlwollen", in: Frankfurter Rundschau vom 9. Juli 2018
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Ausgewählte bilaterale Beziehungen

Verhältnis zu den USA
Im Zentrum der chinesischen Außenpolitik stehen die bilateralen Beziehungen zu Groß- und Regionalmächten. Der Hauptbezugspunkt sind dabei die USA. Beide Länder sind wirtschaftlich durch Handels-, Investitions- und Währungsströme miteinander verschränkt. Der Zugang zu Rohstoffen und Energieträgern, die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus oder der Piraterie – all dies ist ohne effektive Abstimmung der beiden Großmächte nicht erfolgreich zu leisten. Zwar stimmen ihre allgemeinen Zielsetzungen bei diesen Themen durchaus überein, doch bei der Frage, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden sollen, gehen die Positionen der beiden Regierungen zum Teil weit auseinander. Auch politisch-normative Gegensätze, vor allem das Thema Menschenrechte, trugen bislang zu einer Vielzahl von Konflikten bei: So forderte Washington in der Vergangenheit wiederholt die chinesische Regierung auf, die politische Situation von Dissidenten, religiösen Gruppen oder ethnischen Minderheiten zu verbessern.

Im Zuge der intensivierten Austauschbeziehungen hat ferner das außenwirtschaftliche Spannungspotenzial stark zugenommen: So machen die USA unter Donald Trump Peking wesentlich für das US-Handelsbilanzdefizit und den Verlust an Industriearbeitsplätzen verantwortlich und kritisieren immer wieder chinesische Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie.

Des Weiteren belasten militärisch-strategische Interessenkonflikte in der asiatisch-pazifischen Region das bilaterale Verhältnis. China lehnt die dominierende sicherheitspolitische Rolle der USA, vor allem deren Allianzen mit Japan und Südkorea, strikt ab. Letztlich aber steht bei den meisten Kontroversen ein weitaus größeres Thema im Hintergrund: China ist nicht bereit, dauerhaft der Rolle eines Juniorpartners zu entsprechen, der auf US-amerikanische Führungsansprüche Rücksicht nimmt.

Beziehungen zu Japan
Chinas Beziehungen zu Japan werden in besonderer Weise durch die gemeinsame Geschichte belastet. Die Kommunistische Partei Chinas feiert den "Sieg im antijapanischen Widerstandskrieg" (1937–45) bis heute als ein Fundament ihrer Herrschaftsberechtigung. Nach chinesischer Auffassung hat kein anderes Land China größeres Leid zugefügt als der pazifische Nachbarstaat, der sich bis zum heutigen Tag nicht angemessen für seine Kriegsverbrechen entschuldigt habe.
Im Kern wird das bilaterale Verhältnis aber geprägt durch eine offene machtpolitische Rivalität zwischen Japan und China um die Führungsrolle in Asien. Durch die jüngsten Verschiebungen von ökonomischen und militärischen Kräfteverhältnissen zu Chinas Gunsten ist diese Rivalität in eine neue Phase eingetreten. Verschärfend kommt seit 2010 noch der Konflikt um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer hinzu. Zum einen geht es in diesem symbolisch aufgeladenen Streit mittels historisch-völkerrechtlicher Kontroversen um Ansprüche auf die Ausbeutung umfangreicher Ressourcen. Zum anderen hat das Seegebiet eine wichtige strategische Bedeutung für Handels- oder Kriegsschiffe auf dem Weg in den Pazifik. Aufgrund dessen ist die Inselgruppe immer wieder zum Schauplatz des direkten Aufeinandertreffens von Schiffen oder Flugzeugen beider Seiten geworden.

China und Korea
Chinas Verwicklung in die Geschehnisse auf der koreanischen Halbinsel reicht zurück bis in den Koreakrieg (1950–53). Nordkorea ist das einzige Land, mit dem Peking formell in einem Bündnisverhältnis steht. Für das international isolierte Regime in Pjöngjang ist China der wichtigste Handelspartner und die Hauptquelle für Nahrungsmittel- und Energielieferungen. Angesichts der Spannungen, die nordkoreanische Nuklear- und Raketentests in den vergangenen Jahren auslösten, ist Peking jedoch schrittweise von seinem Partner abgerückt. Selbst UN-Sanktionen gegen Nordkorea hat die chinesische Regierung zuletzt mitgetragen und nicht durch ihr Veto verhindert.
Wie viel Einfluss China auf Nordkorea hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die wechselseitigen Kontakte verlaufen in erster Linie über die beiden kommunistischen Parteien und das Militär. Chinas Hauptinteresse besteht in der Aufrechterhaltung des Status quo auf der koreanischen Halbinsel, denn Nordkorea dient als Pufferzone zwischen China und Südkorea, das rund 30.000 US-amerikanische Truppen beherbergt. Für den Fall eines Regimekollapses in Nordkorea könnten sich große Flüchtlingsströme in die angrenzenden chinesischen Gebiete ergießen. Daher entzieht sich Peking bislang allen Aufforderungen der USA, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben. Ein aufsehenerregendes Treffen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un mit US-Präsident Donald Trump im Frühjahr 2018 war begleitet von chinesisch-nordkoreanischen Konsultationen, die das beiderseitige Interesse unterstrichen, China bei dieser Annäherung ehemaliger Kontrahenten nicht außen vor zu lassen.

Verhältnis zur EU und zu Deutschland

Im Unterschied zu den Beziehungen Chinas mit den USA oder Japan spielen sicherheitspolitische Konflikte für die Beziehungen zwischen China und der EU bislang kaum eine Rolle. Beide Seiten verbindet – in bewusster Abgrenzung zu den USA unter Präsident Trump – das Interesse, die globalen Regelwerke in der Handels- und Klimapolitik weiterzuentwickeln.

Die VRC und die EU sind durch Handel und Investitionen eng verflochten, das Spannungspotenzial in diesen Politikfeldern hat jedoch zuletzt deutlich zugenommen. So beklagen die Europäische Kommission oder einzelne EU-Mitgliedstaaten immer wieder Hürden beim Marktzugang in China, einen unzureichenden Schutz geistigen Eigentums oder unfaire Handelspraktiken wie etwa das Preisdumping bei chinesischem Stahl.

Dem Verhältnis zu Deutschland kommt für China dabei besondere Bedeutung zu. Dies liegt zum einen am wirtschaftlichen Status der Bundesrepublik als größter Volkswirtschaft in der EU und zum anderen an der Tatsache, dass Berlin innerhalb der EU Chinas wichtigster Handelspartner ist. Besonders nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gewann der wirtschaftliche Austausch an neuer Dynamik: Deutsche mittelständische Unternehmen, aber auch die großen Konzerne in den Sektoren Automobil-/Fahrzeugbau, Maschinenbau oder Spezialchemie lieferten genau den Mix an Produkten, die von der chinesischen Wirtschaft besonders dringend gebraucht wurden.

Darüber hinaus gibt es im Rahmen der offiziell so bezeichneten "Umfassenden strategischen Partnerschaft" beider Seiten vielfältige Kontakte auf allen Ebenen wie etwa die seit 2011 regelmäßig stattfindenden Regierungskonsultationen. Das Auswärtige Amt in Berlin zählt insgesamt mehr als 80 Dialogmechanismen in den Bereichen Wirtschaft/Finanzen, Rechtsstaatsfragen, Umwelt/Klima/Energie, Entwicklungszusammenarbeit, Wissenschaft/Technologie bis hin zu Kultur und Bildung. Dieses breite Fundament an institutionalisierten Kontakten und auch die persönlich guten Beziehungen zwischen der chinesischen und der deutschen Regierungsspitze stützen das beiderseitige Verhältnis. Andererseits haben seit etwa dem Jahr 2016 die Konflikte zugenommen, China wird in Politik, Wirtschaft und Verwaltung heute nicht mehr nur als Partner Deutschlands betrachtet sondern zunehmend auch als Wettbewerber und Gegner. Gründe und Anlässe dafür bieten unter anderem

  • die deutliche Zunahme chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland, die die Sorge vor einem Abfluss deutschen Know-hows nach China befeuert;

  • die chinesische staatlich gelenkte Industriepolitik, die gerade in die bisher von Deutschen dominierten Hightechsektoren eindringen will;

  • Chinas Weigerung, sich im Falle des Südchinesischen Meeres internationalem Recht zu unterwerfen (siehe auch unten S. 40 f.);

  • zunehmende Beschränkungen für die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in China, die auch deutsche Stiftungen treffen sowie

  • die wachsende offene Kritik der Volksrepublik am westlichen liberalen Politik- bzw. Gesellschaftsmodell.

Militär- und Sicherheitspolitik

Die Volksbefreiungsarmee (VBA) ist keine politisch neutrale Armee im Sinne demokratischer Verfassungsstaaten. Sie wurde vielmehr 1927 als bewaffneter Arm der KPC gegründet. Ihre Loyalität gilt bis heute ausschließlich der Partei, deren "absoluter Führung" sie untersteht. Demgemäß ist die Aufrechterhaltung des Herrschaftsmonopols der KPC ihre Hauptaufgabe. Unter dem Eindruck neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen haben die Streitkräfte ein umfassendes Modernisierungsprogramm begonnen.

Reorganisation der Volksbefreiungsarmee (VBA) seit 2016 (© bpb)

Die bisher vorwiegend zur Landesverteidigung bestimmte Armee soll nun neue Einsatzfelder abdecken können: die Kriegführung im Welt- und Cyberraum, die Sicherung chinesischer Handelswege zur See, den Schutz chinesischer Firmen und Staatsbürger im Ausland in Krisenfällen. Zu diesem Zweck sind der Aufbau der VBA, ihre Ausrüstung und Militärdoktrin den neuen Erfordernissen angepasst worden.

Die Volksbefreiungsarmee soll nicht nur neueste Waffensysteme besitzen, sondern auch moderne Kriegsführung beherrschen. Die Teilstreitkräfte müssen künftig gemeinsam operieren (© MERICS)

Die wachsende Beteiligung an internationalen Friedensmissionen, der Aufbau eines ersten Übersee-Versorgungsstützpunkts in Dschibuti oder Evakuierungsmissionen chinesischer Staatsbürger, wie 2011 aus Libyen, dokumentieren die größere globale Präsenz der VBA. Zwar hat diese in ihren Modernisierungsbemühungen, insbesondere in Nischenbereichen wie der Cyber-Kriegführung, erhebliche Fortschritte gemacht, insgesamt bleiben die militärischen Fähigkeiten Chinas im Vergleich zu denen der USA jedoch vorerst weiterhin begrenzt.

Die Taiwan-Frage

Brisanz erfährt die Modernisierung des chinesischen Militärs vor dem Hintergrund mehrerer Konflikte Chinas mit seinen Nachbarstaaten. Die gilt zunächst für die Taiwan-Frage, die womöglich sogar eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen China und den USA auslösen könnte und ein aus dem chinesischen Bürgerkrieg (1927 bis 1949) entstandenes zentrales Symbol des chinesischen Nationalismus ist. Die Rückgewinnung und Reintegration der Insel in das "Mutterland" sieht die Volksrepublik als Voraussetzung dafür, das "Jahrhundert der Erniedrigungen" von 1842–1949 als historische Episode zu beenden und den Wiederaufstieg Chinas in den Rang einer Weltmacht zum krönenden Abschluss zu bringen.

Der Kern der Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten besteht dabei im gegenwärtigen politischen bzw. völkerrechtlichen Status Taiwans und der zukünftigen Lösung des Konflikts. Für Peking ist Taiwan ein Bestandteil der Volksrepublik, während Taiwan unter dem Namen "Republik China" unverändert an seinem Status als alternative Staatsordnung festhält. Mit der Formel "Ein Land, zwei Systeme" gibt Peking weiterhin die seiner Meinung nach einzig mögliche Lösung der Taiwan-Frage vor und stellt Taiwan im Falle eines Anschlusses noch weitergehende Autonomierechte als Hongkong in Aussicht.

Die taiwanische Bevölkerung sieht dieses Angebot, Taiwan den Status einer Sonderverwaltungszone unter kommunistischer Herrschaft zuzugestehen, aber als eine Unterwerfungsstrategie an und lehnt sie kategorisch ab. Um die Wiedervereinigung zu erreichen und Unabhängigkeitsbestrebungen auf Taiwan einzudämmen, verstärkt Peking die ökonomische Abhängigkeit der Insel vom Festland, grenzt Taiwan diplomatisch ein und schafft eine militärische Drohkulisse. Da beide Seiten in den Kernfragen der nationalen Einheit weiterhin unüberbrückbare Differenzen aufweisen, kann der Taiwankonflikt trotz einer gewissen Entspannung in den vergangenen Jahren jederzeit aufs Neue eskalieren.

Quellentext"Ein Land, zwei Systeme?"

[...] Seit dem Sieg 1949 über die Nationalchinesen Chiang Kai-sheks, die sich nach Taiwan zurückziehen mussten, bezeichnet die Volksrepublik die Insel als eine "abtrünnige Provinz" und rechtmäßigen Teil ihres Territoriums, obwohl sie hier nie auch nur einen Tag lang regierte.
An die Taiwaner gerichtet sagte [Ministerpräsident] Li Keqiang [auf dem Nationalen Volkskongress in Peking im März 2018]: "Wenn wir uns nicht gegen den Strom der Geschichte stellen, können wir gemeinsam eine wunderschöne Zukunft der nationalen Wiedererstarkung erschaffen." Zugleich drohte er, China werde niemals "Separatismus" dulden.

Das alles sind in Taiwan längst bekannte Töne, die sich vor allem an Chinas Öffentlichkeit richten und mit der Stimmung auf der demokratisch regierten Insel wenig zu tun haben. Mehr als die Hälfte der 23 Millionen Taiwaner definiert sich nach einer jüngsten Umfrage selbst nicht einmal mehr ansatzweise als "chinesisch". Und weniger als 15 Prozent wünschen sich jetzt oder irgendwann eine "Wiedervereinigung" mit dem Festland, die angesichts der ungleichen Machtverhältnisse eher ein Anschluss wäre. Seit Jahren liefert Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong mit den schrittweisen Einschränkungen ihrer ursprünglich zugesicherten Autonomie ein abschreckendes Anschauungsbeispiel. [...]

Die USA sind Taiwans inoffizielle Schutzmacht. Der US-Senat verabschiedete [...] [am 28. Februar 2018] einstimmig den "Taiwan Travel Act". Dieses Gesetz [...] soll zu mehr direkten Treffen zwischen hochrangigen amerikanischen und taiwanischen Regierungsmitgliedern führen. Bislang scheute Washington davor meist zurück. Pekings Behörde für Taiwan-Angelegenheiten reagierte wie zu erwarten harsch: "Wir warnen Taiwan, sich nicht auf die Unterstützung durch Ausländer zu verlassen. Es wird nur Feuer auf sich ziehen."

Chinas kaum noch verhohlenes Vormachtstreben führt auch bei anderen Ländern der Region dazu, sich unterhalb der Regierungsebene Taiwan anzunähern. Abgeordnete aus Japan, Südkorea und den Philippinen trafen sich [am 3./4. März 2018] mit Kollegen in Taipeh. Auf der Tagesordnung standen bessere Zusammenarbeit und mehr Informationsaustausch, um Chinas wachsenden Einfluss zu kontern. [...]

Dass Xi Jinping sich vom Nationalen Volkskongress per Verfassungsänderung die Präsidentschaft auf Lebenszeit ermöglichen lässt, sieht Taiwan mit Sorgen. Zwar hat Xi bislang keinen klaren Zeitrahmen genannt. Seine Worte und Taten lassen aber erkennen, dass es zu seinem Versprechen vom "Chinesischen Traum" gehört, Taiwan unter Kontrolle zu bringen.

Vergangene Woche verkündete Peking "31 Anreize" für taiwanische Kulturschaffende und Geschäftsleute. Sie sollen in vielen Bereichen in den Genuss der gleichen Vorteile kommen wie chinesische Bürger. Dazu gehören Steuererleichterungen, Joint Ventures mit staatseigenen Betrieben, Bürgschaften durch Regierung und Fördermaßnahmen.

Indem China all dies einseitig verkündet, umgeht es ein seit Jahren auf Eis liegendes Freihandelsabkommen mit Taiwan. Das Ziel ist offenbar, Geld und Talente aus Taiwan abzuwerben. [...] Taiwans Regierung warnt ihre Landsleute davor, allzu optimistisch auf solche Angebote einzugehen, und wittert das Motto "Teile und herrsche". Taiwans Premierminister William Lai mahnte im Parlament: "Egal, welche Taiwanpolitik Peking betreibt, das Ziel bleibt immer, Taiwan zu annektieren."

Klaus Bardenhagen, "China umgarnt und bedroht Taiwan", in: Deutsche Welle vom 7. März 2018
Externer Link: www.dw.com/de/china-umgarnt-und-bedroht-taiwan/a-42868494, zuletzt abgerufen: 18.7.2018

Territorialkonflikte mit den Nachbarstaaten

Territoriale Konflikte Chinas mit seinen Nachbarn, vor allem mit Russland und Indien, um Landesgrenzen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich entspannt. Zwar sind die sich gegenseitig ausschließenden Besitzansprüche keineswegs ausgeräumt. Die umstrittenen Gebiete wurden aber wenigstens mittels Demarkationslinien klar identifiziert und vertrauensbildende Maßnahmen, zum Beispiel in Gestalt beiderseitiger Truppenreduzierungen in Grenznähe, wurden umgesetzt. Vorfälle wie zwischen China und Indien auf dem Doklam-Plateau im Himalaya 2017 bleiben daher die Ausnahme. Ein chinesisches Straßenbauprojekt auf dem Plateau, das von China beansprucht wird, aber zum Königreich Bhutan gehört, hatte Indien zur Verteidigung der Interessen Bhutans auf den Plan gerufen. Nach wechselseitigen Machtdemonstrationen einigten sich die Parteien auf die Rückkehr zum Status quo.

Ganz anders stellt sich Chinas Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer dar. Dieser besteht in einer Kontroverse zwischen den Anrainerstaaten um die Verfügungsrechte über Ressourcen und in der strategischen Bedeutung freier Schifffahrtswege in der Region. Vor allem aber sind Souveränität und Hoheitsrechte über die Inseln zu einer symbolischen Frage der nationalen Ehre auf allen Seiten geworden.

Ein Hauptproblem bei der Bearbeitung des Konflikts liegt in dessen schwieriger Verrechtlichung: So herrscht bereits Verwirrung über Zahl und Bezeichnungen der Archipele, die teilweise bei Flut unter Wasser liegen. Die UNO-Seerechtskonvention von 1982 bestimmt zwar den rechtlichen Status der Landerhebungen im Meer, die sich daraus ergebenden Details, wie beispielsweise Rechte in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, bleiben aber strittig. Ein Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag im Juli 2016 verwarf Chinas Ansprüche auf fast das gesamte Südchinesische Meer, die Peking mit Verweis auf seine Geschichte stellt, als unvereinbar mit dem Völkerrecht. Der rechtlich bindende Beschluss ist aber nicht durchsetzbar, da Peking das Urteil nicht akzeptiert und auf seinen Positionen beharrt.

Die Maßnahmen Chinas zur Durchsetzung seiner Ansprüche lassen sich als "kontrollierte Aggression" charakterisieren: Die Volksrepublik zielt darauf ab, schrittweise den Status quo zu ihren Gunsten zu verändern, das heißt, vollendete Tatsachen zu schaffen. So lässt sie seit Ende 2013 vor allem künstliche Inseln aufschütten, um darauf Landebahnen, Hafen- und Radaranlagen zu errichten. Zwar haben auch andere Staaten ähnliche Schritte unternommen. Intensität, Ausmaß und Geschwindigkeit der Militarisierung durch China sind aber einzigartig.

QuellentextHistorisch belastete Nachbarschaften

[...] Wer [...] die Ursprünge von Chinas gegenwärtiger Platzsuche in der Weltgemeinschaft verstehen will, tut gut daran, sich der geografischen Peripherie des Landes beziehungsweise seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu widmen. Oft vergessen geht nämlich, dass Chinas Grenzräume ursprünglich in ihrer Mehrzahl nicht von Han-Chinesen, sondern von Minderheitenvölkern besiedelt waren, eine denkbare Erleichterung einerseits, eine zusätzliche Belastung andererseits. Überdies grenzt China an vierzehn souveräne Staaten – mehr als jedes andere Land, abgesehen von Russland. Chinas rund 22.000 Kilometer lange Landgrenze ist die längste der Welt, dazu kommen noch einmal 15.000 Kilometer Küstenlinie und weitere zu Pekings Ansprüchen nicht immer Ja und Amen sagende Anrainerstaaten.

Seit einigen Jahren ist es bekanntlich der Rest der Welt, der Pekings Aufstieg mit Argusaugen beobachtet, allen voran Chinas Nachbarländer. Während große Teile der Bevölkerung in Russlands fernem Osten immer einmal wieder Ängste vor territorialen Aspirationen des südlichen Nachbarn heraufbeschwören, ist die Stimmung in der Mongolei nicht viel anders: Auch viele Mongolen sind aus historischen Gründen nicht gut auf China zu sprechen. Zwar anerkannte Peking 1949 die mongolische Unabhängigkeit. Doch es ist nicht vergessen, dass die Kommunistische Partei Chinas bis zum Beginn der achtziger Jahre versuchte, Ulaanbaatar dem Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion zu entziehen. [...]

Zwar beteuern die meisten Staatschefs von Chinas Nachbarländern in offiziellen Worten ihr freundschaftliches Verhältnis zu Peking. Doch braucht es wenig, um zu registrieren, dass die Beziehungen Chinas zu Vietnam oder Burma, um zwei andere Staaten zu nennen, nicht so sind wie beispielsweise diejenigen zwischen Deutschland und Frankreich. Während man in Europa versucht, Hypotheken der Geschichte mittels Vergangenheitsaufarbeitung wenigstens in Raten abzuzahlen, schlummern in Asien die Geister der Vergangenheit weiter vor sich hin. Mal mehr, mal weniger friedlich. Zwischen China und Indien gibt es alle paar Jahre Grenzkonflikte, und die Lage im Südchinesischen Meer dürfte sich in den kommenden Jahren eher verschärfen als entspannen.

[...] Heute proklamiert China eine Politik der Zusammenarbeit mit seinen Nachbarstaaten und anderen Ländern, die die Basis für gegenseitiges Vertrauen, gemeinsamen Nutzen und weltweiten Frieden bilden soll. [...] Der "chinesische Traum" kommt nach dem Wunsch der Führung in Peking nicht nur der eigenen Bevölkerung zugute, sondern soll die ganze Welt mit den daraus entstehenden Früchten von Harmonie, Wohlstand und ewigem Frieden beglücken. [...]

Steigende Handelsströme, schnellere Verbindungswege oder kontinuierliches Wachstum hin oder her: Zahlen sind das eine, Befindlichkeiten das andere. Bei Reisen in Chinas Grenzregionen wird einem bewusst, dass das Konzept der "Euregio" beispielsweise oder generell offene Grenzen, wie wir es hier im Westen kennen, in jenen Gegenden noch für Jahrzehnte lang ein Traum bleiben werden. Trotz Chinas enormen Investitionen in die Zukunft der Weltpolitik werden historische Ereignisse als Echo widerhallen und diese asiatische Region weiter wie einen langen Schatten verfolgen. Ob man es nun will oder nicht: Das Unbehagen vor einer unbestimmten Zukunft keimt auf dem Boden einer Vergangenheit, die sich tatsächlich ereignet hat.

Matthias Messmer ist Publizist mit Spezialgebiet Asien, insbesondere China. Im Frühjahr 2019 erscheint sein Buch (zusammen mit Hsin-Mei Chuang) "China an seinen Grenzen. Erkundungen am Rand eines Weltreichs". Es ist die deutsche Übersetzung des Text-Bild-Bandes "China at its Limits. An Empire’s Rise Beyond its Borders".

Matthias Messmer, "Schlaflos die Welt, wenn China träumt", in: Neue Zürcher Zeitung vom 16. Juni 2018

QuellentextInselstreitigkeiten im Südchinesischen Meer

Das Südchinesische Meer und seine Bedeutung: Das Südchinesische Meer umfasst eine Meeresoberfläche von mehr als 3,5 Millionen Quadratkilometern. Zu ihm gehören vier Inselgruppen, die Paracel-, Pratas- und Spratly-Inseln sowie das Scarborough-Riff. Es ist eine der wichtigsten globalen Schifffahrtsstraßen, durch die etwa ein Drittel der weltweit gehandelten Güter transportiert wird und über die die ostasiatischen Staaten China, Japan und Korea mit Energie und Rohstoffen versorgt werden. Das Seegebiet verfügt außerdem über wichtige Fischbestände und gilt als reich an Öl- und Gasvorkommen. Die Kontrolle darüber hat also eine enorme strategische und ökonomische Bedeutung.

Die Konfliktparteien: Die Ansprüche Chinas und Taiwans gehen zurück bis in die 1940er-Jahre. Sie sind identisch und beziehen sich auf alle Teile des Südchinesischen Meeres. China kontrolliert zurzeit die Paracel-Inseln, die auch von Vietnam beansprucht werden, sowie das Scarborough-Riff, das die Philippinen für sich reklamieren. Taiwan besitzt die Pratas-Inseln und die größte natürliche Insel der Spratlys, Itu Aba. Die zu der Spratly-Inselgruppe gehörenden Riffe, Felsen und Atolle werden ansonsten von Vietnam, den Philippinen und Malaysia besetzt, Brunei stellt zwar Gebietsansprüche, ist aber physisch nicht vor Ort präsent. Zwar verwarf der Schiedsgerichtshof in Den Haag im Juli 2016 chinesische Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, doch China akzeptiert weder die Zuständigkeit des Gerichtshofes noch diesen Schiedsspruch.

Die Positionen des Westens: Die USA und Europa mahnen alle Seiten zu friedlicher Konfliktlösung, zu Dialog und Zusammenarbeit und befürworten eine maritime Ordnung auf Grundlage des Seevölkerrechts.

Dirk Schmidt

Fazit: Außenpolitische Rolle mit zweierlei Gesicht

Die chinesische Außenpolitik hat in den vergangenen Jahren entgegengesetzte Signale ausgesendet. Einerseits tritt die VRC als Partnerin in der Weiterentwicklung multilateraler Vertragswerke in den Bereichen Handel oder Umweltschutz auf. Auch leistet sie gemeinsame Beiträge zur Bekämpfung nicht traditioneller Sicherheitsbedrohungen und in UNO-Friedensmissionen. Andererseits nehmen die Konflikte der VRC mit dem Westen und einigen Nachbarstaaten aber zu. China vertritt seine Interessen in den Territorialkonflikten immer unnachgiebiger und wendet sich mit seiner ideologischen Rückbesinnung offensiv gegen westliche Werte.

Apl. Professor Dr. Dirk Schmidt hat eine Professur für Regierungslehre: Politik und Wirtschaft Chinas im Fachbereich III Politikwissenschaft der Universität Trier inne. Seine Arbeitsschwerpunkte sind chinesische Außenpolitik und Außenwirtschaft sowie China-Taiwan-Beziehungen.