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Charakteristika des politischen Systems | China | bpb.de

China Editorial Einleitung Geschichte, kulturelle Tradition, Ideologie Charakteristika des politischen Systems Außen- und Sicherheitspolitik Gesellschaft im Umbruch Situation von Medien und Internet Von der "Werkbank der Welt" zur Innovationswirtschaft China in der Weltwirtschaft Literaturhinweise Karten Impressum

Charakteristika des politischen Systems

Sebastian Heilmann Matthias Stepan Claudia Wessling Mareike Ohlberg

/ 24 Minuten zu lesen

Die Kommunistische Partei und ihre Funktionäre dominieren das politische Leben auf allen Ebenen des stark zentralistisch organisierten "Parteistaates". Politische Oppositionsbewegungen werden unterdrückt und ihre Vertreter strafrechtlich verfolgt. Derweil hat die Macht des Staatspräsidenten Xi Jinping, die mit einem gesteigerten Personenkult einhergeht, einen neuen Höhepunkt erreicht.

Der größte Saal in der Großen Halle des Volkes am Tiananmen-Platz in Peking fasst mehr als 10 000 Personen. Er ist Schauplatz der KPC-Parteitage und des Nationalen Volkskongresses, der jährlichen Parlamentssitzung. Beginn des 19. Parteitages am 18. Oktober 2017 (© Reuters / Thomas Peter)

Charakteristika des politischen Systems

Sebastian Heilmann

Der Aufstieg Chinas zu einer globalen Wirtschaftsmacht sorgt im Westen bis heute für Erstaunen und auch Beunruhigung. Wie konnte ein von einer Kommunistischen Partei regiertes, in weiten Teilen von bitterer Armut geprägtes Land sich binnen Jahrzehnten so weit modernisieren, dass es den marktwirtschaftlichen Demokratien des Westens ernsthaft Konkurrenz macht und im nächsten Jahrzehnt voraussichtlich die USA als wichtigste Ökonomie der Welt ablösen wird?

Welchen Anteil haben politisches System und Staatstätigkeit an der wirtschaftlichen Transformation Chinas? Und ist Chinas politisches System zur Anpassung an veränderte ökonomische, technologische, gesellschaftliche und internationale Bedingungen fähig?

Das politische System der Volksrepublik China (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 878 430)

Knapp 40 Jahre nach Beginn der Reform- und Öffnungspolitik lehnt die chinesische Regierung die "westliche Demokratie" als ein für China sowie andere Entwicklungs- und Schwellenländer untaugliches Ordnungsmodell ab. Aktuelle Erschütterungen demokratischen Regierens in den USA, Großbritannien und vielen Ländern der EU werden als Beleg dafür angeführt, dass traditionelle westliche Demokratien den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen seien und zunehmend an Akzeptanz selbst in westlichen Gesellschaften verlören. China müsse einen eigenständigen Weg der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung beschreiten. Nur die organisatorische Anleitung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPC) könne den Erfolg dieses Entwicklungsweges garantieren.

Mit dieser Begründung hält die KPC unverändert an ihrem Machtmonopol fest, lässt keine unabhängigen politischen Kontrollinstanzen oder politische Konkurrenz zu und unterdrückt organisierte oppositionelle Aktivitäten. Es handelt sich bei der VR China deshalb eindeutig um ein nicht liberales, autoritäres Regierungssystem. Unter Partei- und Staatschef Xi Jinping traten seit 2012 restriktive und repressive Herrschaftspraktiken deutlicher zu Tage als unter seinen Vorgängern.

Die Möglichkeiten des Internets und der Vormarsch sozialer Medien waren aus westlicher Sicht anfangs als Chance für Chinas Gesellschaft angesehen worden, Alternativen zum Informationsmonopol der chinesischen Führung zu erhalten. Mittlerweile zeigt sich: Die neuen Technologien nutzt die Kommunistische Partei planvoll als kontinuierlich weiterzuentwickelnde Steuerungs- und Überwachungsinstrumente. Die autoritären Kontrollstrukturen des Regierungssystems verschmelzen zunehmend mit der zentralisierten Verarbeitung extrem großer und heterogener Datenmengen (Big Data), die eine detaillierte Erfassung individueller Aktivitäten und Präferenzen in Gesellschaft und Märkten erlauben. In China bildet sich unter Anleitung der KPC ein IT-gestützter Autoritarismus heraus, der das Potenzial hat, zu einem Modell auch für andere autoritäre Staaten der Welt zu werden. Denn die in China entwickelten Kontrolltechnologien für den Cyberspace lassen sich auch in anderen politischen Kontexten effektiv einsetzen.

Die Verfassung eines Parteistaates

Die KPC durchdringt den Staat auf allen Ebenen: Als Staatspartei, die nicht in Konkurrenz zu anderen Parteien tritt und nicht von diesen abgelöst werden kann, stellt die KPC fast ausnahmslos das Personal für Führungspositionen in Regierungs- und Verwaltungsorganen. Darüber hinaus müssen die Regierungsorgane in ihren Entscheidungen Vorgaben von Parteigremien folgen, die staatlichen Stellen übergeordnet sind.

Der Staatsaufbau der Volksrepublik China folgt in Kernelementen immer noch dem Modell der ehemaligen Sowjetunion: Die politische Führungsrolle der Kommunistischen Partei, umfassende Durchgriffsbefugnisse der Zentralregierung gegenüber regionalen Führungen, die Gewaltenkonzentration – also die ausdrückliche Ablehnung einer politischen Machtbegrenzung durch Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative – und die Unterordnung individueller Rechte gegenüber kollektiven, durch die KPC definierten Interessen sind bis heute wesentliche Prinzipien der chinesischen Verfassungsordnung.

Bislang sind vier Verfassungen (1954, 1975, 1978, 1982) verabschiedet worden, in denen die wechselnden politischen Ziele der KPC zum Ausdruck kommen. Die derzeit gültige Verfassung von 1982 (in Einzelelementen mehrfach geändert, zuletzt 2018) spiegelt die Bemühungen um eine "sozialistische Modernisierung" des Wirtschaftssystems und um eine Stabilisierung der staatlichen Institutionen wider.

Im 2018 ergänzten Art. 1 der geltenden Verfassung heißt es: "Die VRC ist ein sozialistischer Staat unter der Demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht. [...] Die Führung durch die Kommunistische Partei Chinas ist das zentrale Merkmal des Sozialismus chinesischer Prägung. Die Sabotage des sozialistischen Systems ist jeder Organisation oder jedem Individuum verboten."

Das Gefüge der politischen Institutionen Chinas wurde durch keine der bisherigen Verfassungsänderungen angetastet. De facto steht die KPC über der Verfassung und über dem Volk: Die Partei, nicht das Volk, ist der Souverän im Staat. Die Staatsverfassung besitzt folglich nur ein begrenztes Gewicht für die Praxis der politischen Willensbildung, Konfliktbewältigung und Entscheidungsfindung. In erster Linie ist die Verfassung der VRC ein politisches Dokument. Es gibt keine gerichtlichen Instanzen wie etwa ein Verfassungsgericht, um die konstitutionell zugesicherten Rechte einzuklagen.

Das Machtmonopol der KPC

Die VR China ist ein Einparteisystem. Zwar gibt es acht sogenannte Demokratische Parteien, die als Organe der "Einheitsfront" der KPC untergeordnet sind. Es handelt sich jedoch nicht um Parteien, die im politischen Wettbewerb stehen, sondern um von der KPC kontrollierte Konsultativorgane, die lediglich beratende Funktion haben. Die Führungskader der KPC sitzen an allen wichtigen Schalthebeln der chinesischen Politik.

Nach Lenins Vorbild
Von Wladimir Ilijtsch Lenin (1870–1924), dem Begründer des kommunistischen Parteistaates im frühen Sowjetrussland, übernahmen die chinesischen Kommunisten die organisatorischen Prinzipien der Kaderpartei und der Führungsrolle der Partei in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Die wichtigsten Institutionen politischer Kontrolle, die im Kern auf Lenin zurückgehen und sich auch in der VR China finden, sind:

  • die zentralisierte Hierarchie von Parteiorganen mit strikten Unterordnungsverhältnissen in allen Bereichen von Politik, Verwaltung, Polizei, Justiz, Militär, Wirtschaft und Gesellschaft;

  • die von der KPC kontrollierte Rekrutierung und Beaufsichtigung von Führungskräften ("Kader"-System) nicht nur in staatlichen Organen, sondern auch in Wirtschaftsunternehmen und gesellschaftlichen Organisationen;

  • Kampagnen zur ideologischen Indoktrinierung und Bekämpfung politischer Abweichungen innerhalb der Partei sowie ein striktes Verbot der Bildung von innerparteilichen Gruppierungen;

  • Massenpropaganda (parteigelenkte, selektive Informationsvermittlung) gegenüber der Bevölkerung und Lenkung der öffentlichen Meinung mit Hilfe parteistaatlicher Medien.

2017 zählte die KPC 89,5 Millionen Mitglieder. Rund sechs Prozent der Bevölkerung gehören ihr an. Theoretisch steht die Mitgliedschaft jedem Bürger bzw. jeder Bürgerin offen, in der Praxis müssen diejenigen, die sich bewerben, ein mehrstufiges Beitrittsverfahren durchlaufen, das in den Artikeln 1 bis 8 des Parteistatuts geregelt ist. Erforderlich sind zwei Empfehlungen von Parteimitgliedern sowie eine gründliche politische Überprüfung. Zudem müssen die Kandidierenden eine einjährige Probezeit durchlaufen. Erst danach wird über eine dauerhafte Aufnahme in die Partei entschieden.

Eine Parteimitgliedschaft bietet vielfältige Vorteile, wie zum Beispiel einen erleichterten Zugang zum öffentlichen Dienst, Bevorzugung bei Beförderungen oder ein einflussreiches Beziehungsnetz. Von 1992 bis 2012 wurden jährlich zwischen ein und zwei Millionen neue Mitglieder in die Partei aufgenommen. Ab 2013 drosselte die Parteiführung jedoch den Zustrom, um Qualifikationen und politische Loyalität der Neuzugänge konsequenter kontrollieren zu können. Die Parteimitgliedschaft wird zunehmend elitärer: 2015 besaßen rund 44 Prozent der Mitglieder einen Hochschulabschluss, der Anteil der traditionellen Kernklientel – Arbeiter und Bauern – sank dagegen auf 38 Prozent. Dies zeigt, dass sich die gesellschaftlichen Veränderungen inzwischen auch in der KPC-Mitgliedschaft widerspiegeln. Die neue städtische Mittelschicht Chinas ist Hauptprofiteurin der Wirtschaftsreformen und zur wichtigsten sozialen Basis für die Herrschaft der KPC geworden. Der Frauenanteil liegt mit 25 Prozent im Jahr 2015 zwar über dem der Vorjahre, ist allerdings immer noch deutlich niedriger als der Frauenanteil an der Gesamtbevölkerung.

Zentrale (nationale) Parteiorgane
Die alle fünf Jahre stattfindenden nationalen Parteitage sind politische Großereignisse: Auf ihnen wird über Anpassungen in politisch-ideologischen Grundsatzfragen, über Neuorientierungen in der nationalen Entwicklungsstrategie sowie über die Zusammensetzung zentraler Führungsorgane entschieden. Zuletzt traten im Herbst 2017 ca. 2300 Delegierte zum 19. Parteitag zusammen. Höhepunkt der Parteitage ist stets die Wahl des neuen Zentralkomitees. Dieses wählt einen Tag nach dem Ende des Parteitages die oberste Führungsriege, das Politbüro, und betraut sie mit der Umsetzung der Ziele.

Parteitage sind streng choreografierte Großveranstaltungen, auf denen es gilt, die Parteimitglieder auf ein politisches Leitprogramm einzuschwören. Gleichzeitig dienen sie als Bühne, um der chinesischen Bevölkerung Stärke und Einigkeit der KPC zu demonstrieren. Monatelange Sondierungen, Konsultationen und interne Diskussionen gehen der kurzen Sitzungszeit voraus. Bis zum Abschluss des Parteitags werden geplante programmatische oder personelle Änderungen sorgsam unter Verschluss gehalten. Erst danach wird in der Regel das politische Programm für die nächsten fünf Jahre in den parteistaatlichen Medien veröffentlicht.

Das aus einem Parteitag hervorgegangene Zentralkomitee der KPC (ZK)mit 204 Vollmitgliedern und 172 nicht stimmberechtigten ZK-Kandidaten (Stand: 2017) tritt gewöhnlich nur ein bis zwei Mal im Jahr zu Plenartagungen zusammen und bildet das zentrale Vertretungs- und Beschlussorgan der Spitzenfunktionäre aus Partei, Zentralstaat, Provinzen und Armee. In ihm sind verschiedene Interessengruppen aus der Staatsbürokratie ebenso repräsentiert wie Vertretungen aus den Provinzen und der Armee.

Der Fächer der Macht: Das Politbüro versammelt die Führungsspitzen von Partei, Staat und Armee (© MERICS)

Das höchste Entscheidungs- und Führungsorgan der KPC ist das Politbüro des ZK. Es hatte 2017 25 Mitglieder. Aus diesem geht wiederum der Ständige Ausschuss mit sieben Mitgliedern hervor. Dieser Ständige Ausschuss des Politbüros ist der Führungskern der KPC und setzt sich aus den wichtigsten aktiven Parteiführern zusammen. An der Spitze des Ständigen Ausschusses steht der KPC-Generalsekretär, der zugleich das Amt des Staatspräsidenten und des Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission (ZMK) ausübt.

Das ZK-Sekretariat bereitet Sitzungen und Entscheidungen des Politbüros vor und beaufsichtigt die Durchführung der Parteibeschlüsse. Im ZK-Sekretariat sind Schlüsselressorts der Parteizentrale vertreten, um die politische Abstimmung zwischen wichtigen Arbeitsbereichen zu sichern. Nach dem Amtsantritt von Xi Jinping erfuhr das ZK-Sekretariat eine personelle Aufwertung. Durch gezielte Personalüberlappungen soll eine engere Verzahnung zwischen Partei- und Regierungszentrale gesichert werden.

Die Mitglieder der Zentralen Disziplinarkommission werden ebenfalls durch den Parteitag gewählt. Dieser Kommission kommt eine besondere Rolle innerhalb der Parteizentrale zu, denn sie ist zuständig für die Beaufsichtigung von Führungskadern in Partei- und Regierungsstellen. Die Kommission tritt als außer-justizielles Organ immer wieder in spektakulären Korruptionsfällen in Erscheinung und leitet häufig auch bei Vorkommnissen auf lokaler Ebene die Untersuchungen, indem sie hochrangige Ermittlergruppen entsendet.

Die KPC ist auf allen Verwaltungsebenen durch Parteiorganisationen vertreten. Sie verfügt über landesweit ca. 4,4 Millionen Basisorganisationen. Die Möglichkeiten zur Mitwirkung an politischen Entscheidungen sind jedoch für die große Mehrheit der KPC-Mitglieder sehr begrenzt. Die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung im engeren Sinne erfolgt ausschließlich in den Leitungsgremien und in vielschichtigen Beziehungsgeflechten von Partei und Staatsverwaltung. Landesweit bilden rund 650.000 "Führungskader" die Machtelite des bevölkerungsreichsten Landes der Welt.

Informelle Verfahren der Machtausübung
Informelle Verfahren der Machtausübung gehören in China zur Regierungspraxis. Wichtige Grundsatzentscheidungen wurden häufig nicht in den von Verfassung und Parteistatut vorgesehenen Gremien getroffen. Vielmehr wurde die formale Machtfülle, die mit Leitungspositionen in Partei und Staatsorganen einhergeht, wiederholt durch verdeckte Einflusshierarchien und Entscheidungsverfahren unterlaufen. Das dramatischste Beispiel dafür waren die Entscheidungen, die 1989 zur militärischen Niederschlagung der Protestbewegung führten: Nicht das Votum der amtierenden Parteiführung gab den Ausschlag für den Militäreinsatz, sondern dasjenige einer Reihe von Revolutionsveteranen, die keinem offiziellen Entscheidungsgremium der KPC oder Regierung mehr angehörten.

Das Beispiel von 1989 zeigt, welchen Unwägbarkeiten die Mechanismen der politischen Konfliktbewältigung in China unterliegen können. Deshalb ist denkbar, dass innerparteiliche Auseinandersetzungen etwa um die Nachfolge an der Parteispitze auch künftig umfassende Ordnungskrisen nach sich ziehen.

Informelle Verfahren der Interessenverfolgung und Machtausübung bieten den beteiligten Akteuren jedoch auch eine Flexibilität, die aufgrund starrer staatlicher Institutionen sonst nicht gegeben wäre. Informelle Tauschnetzwerke, die sich zwischen Parteifunktionären und Wirtschaftsakteuren herausgebildet haben, lassen sich einerseits als Korruption, andererseits als Vorbedingung für Wirtschaftsreformen in einem ansonsten äußerst rigiden System deuten.

Die Bildung innerparteilicher Gruppierungen ist in der KPC grundsätzlich verboten. Das offizielle Kadersystem fördert jedoch die Herausbildung von sogenannten Patronage-Netzwerken: Wer in der Politik Karriere machen will, braucht die Unterstützung von hochrangigen Mentoren, die Karrierewege ebnen und als Gegenleistung strikte Loyalität erwarten können.

Besonderen Zugang zum politischen System haben die Kinder und Verwandten von ehemaligen oder amtierenden Partei- und Armee-Spitzenkadern, die sogenannten Prinzen. Sie sind aufgrund ihres besonderen Familienhintergrundes von frühester Kindheit an mit den Beziehungsnetzen und Spielregeln der Macht- und Personalpolitik innerhalb der KPC vertraut. Seit den 1990er-Jahren gelangten viele "Prinzen" in politische und wirtschaftliche Führungspositionen und auf den Parteitagen seit 2007 wurde stets eine große Zahl von "Prinzen" in Führungsgremien der KPC gewählt. Ein prominentes Beispiel ist Xi Jinping.

Die mächtigsten Männer seit Gründung der Volksrepublik: Mao Zedong, Deng Xiaoping, Jiang Zemin, Hu Jintao und Xi Jinping (© MERCKS)

Entscheidungsabläufe im engsten Führungszirkel
Wie hat sich der Führungsstil in der Parteiführung seit Mao verändert? Der charismatische Revolutionsführer Mao Zedong konnte als unangefochtener dominanter Politiker von der Staatsgründung 1949 bis zu seinem Tod 1976 umfassende Politikwechsel von einem Tag auf den anderen anordnen, ohne die Zustimmung anderer einholen zu müssen. In der Ära Deng Xiaoping (1978–1997) griff hingegen ein kleiner Kreis von pensionierten Parteiveteranen immer wieder maßgeblich in die Regierungsgeschäfte ein.
Unter dem von 1989 bis 2002 amtierenden KPC-Generalsekretär Jiang Zemin wandelte sich das Entscheidungssystem weg von der Autorität eines einzelnen Parteiführers hin zu einem System der kollegialen Führung mit stärker formalisierten Verfahrensregeln. Umfassende Beratungen wurden zu einem prägenden Merkmal der Entscheidungsvorbereitung. Sie wurden notwendig, weil weder Jiang noch sein Nachfolger Hu Jintao (2002–2012) über die charismatische Autorität Mao Zedongs und Deng Xiaopings verfügten. Außerdem wurden die politischen Regelungsprobleme im Zuge der raschen wirtschaftlichen Modernisierung und weltwirtschaftlichen Integration immer komplexer. Nicht visionäre Entwürfe bestimmten Jiangs und Hus Amtsführung, sondern vielmehr die Optimierung administrativer und wirtschaftspolitischer Regelungsmechanismen.

Xi Jinping (seit 2012) bekennt sich im Unterschied zu seinen Vorgängern wieder stärker zu ideologie- und machtorientierten anstelle vornehmlich technokratischer Problemlösungen. Er propagiert eine "Wiederbelebung" und "Erneuerung" der chinesischen Nation und Kultur. Durch die Umorganisation von zentralen Führungsorganen und durch einen präsidialen, führungsstarken und öffentlichkeitswirksamen Politikstil konzentriert der derzeitige Staats- und Parteichef mehr Macht in den eigenen Händen als seine Vorgänger.

Die Machtballung in der Parteizentrale soll für eine effektive Durchsetzung nationaler politischer Handlungsprogramme sorgen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der vehementen Anti-Korruptions- und Disziplinierungskampagne, mit der die zuvor unaufhaltsam scheinende Erosion der Parteiorganisation entschlossen bekämpft werden soll. Mit diesen Maßnahmen und allen bisherigen Verlautbarungen stellte Xi Jinping klar, dass nur die KPC das Land durch das 21. Jahrhundert führen kann und alle Ansätze zur Unterminierung der Parteiherrschaft oder zu westlich-demokratischer Evolution entschlossen bekämpft werden.

QuellentextDer "chinesische Traum"

Der "chinesische-Traum" (Zhong guo mèng) ist eine politische Parole und offizielle Vision für das Land, die seit 2013 intensiv von der KPC und dem derzeitigen Partei- und Staatschef Xi Jinping beworben und in Xis Rede auf dem 19. Parteitag 2017 bekräftigt wurde. Er steht als Oberbegriff für die kollektiven Ziele, die China unter der Führung der Partei erreichen möchte.

Xi Jinping erwähnte den "chinesischen Traum" erstmals bei einem Besuch im Chinesischen Nationalmuseum im November 2012. Dort definierte er ihn als "das große Wiederaufblühen der chinesischen Nation". Damit knüpfte er an frühere Motive der Geschichtsschreibung der KPC an, laut derer China im 19. und in Teilen des 20. Jahrhunderts vom Westen gedemütigt wurde. Mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg kann das Land nun unter der Führung der Partei "wiederaufblühen" und seinen "rechtmäßigen Platz" in der Welt einnehmen.

Obwohl die konkreten Inhalte des "chinesischen Traums" relativ vage gehalten sind, ist der Term eng mit den zwei "Hundertjahreszielen" des Landes verknüpft: Bis 2021, dem hundertjährigen Geburtstag der KPC, will China den Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand vollendet haben. Bis 2049, wenn wiederum die Volksrepublik ihren hundertsten Geburtstag feiert, soll China ein "wohlhabender und starker, kulturell hochentwickelter, harmonischer, sozialistischer, modernisierter Staat" sein. Im Gegensatz zum amerikanischen Traum geht es beim "chinesischen-Traum" also nicht um die individuelle Verwirklichung, sondern vorrangig um nationale und kollektive Ziele.

Mareike Ohlberg

QuellentextKorruptionsbekämpfung im TV

[...] Vor acht Wochen [März 2017] hatte in China eine Fernsehserie Premiere. "Im Namen des Volkes" [...] ist eine Sensation. Die Serie wurde finanziert von der Obersten Staatsanwaltschaft und ist Chinas Version der amerikanischen Serie "House of Cards". Es geht um korrupte Kader in einer fiktiven Provinz, die so skrupellos sind, dass sie ihre Gegner von Scharfschützen ins Gewehrvisier nehmen lassen. So plakativ hat die Kommunistische Partei die Korruption in ihren eigenen Reihen nie zuvor thematisiert. Über zwanzig Milliarden Mal wurden die Folgen in Chinas Internet bisher angeschaut. [...]

In der ersten Folge von "Im Namen des Volkes", die dreihundertfünfzig Millionen Chinesen eingeschaltet haben, bringen furchtlose Staatsanwälte einen Abteilungsleiter zur Strecke, der in seiner Behörde für die Genehmigung von Kohleminen zuständig war und mehr als zweihundert Millionen Yuan als Bestechungsgeld in einer Villa versteckt hat. Die Ermittler finden Geldbündel hinter einer falschen Wand und Bündel unter dem Bett. Selbst der Kühlschrank ist mit Yuan-Noten vollgestopft, auf ihnen das Konterfei Mao Tse-tungs. Der Fall ist real. Tatsächlich hatte ein Abteilungsleiter einer Pekinger Wirtschaftsbehörde 212 Millionen Yuan in einer Wohnung versteckt, 28 Millionen Euro. Vier Geldzählmaschinen brannten durch beim Versuch, die Gier zu beziffern. [...]

Der Erfolg der Korruptionsserie rührt daher, dass jeder Chinese einen vergleichbaren Fall kennt. Wenn früher die Parteifunktionäre aus allen Teilen des Landes zum Volkskongress nach Peking reisten, ging den Gucci-Boutiquen schon vor dem ersten Sitzungstag die Ware aus. Viele Kader seien so korrupt, dass der Partei der Untergang drohe, hat ihr Vorsitzender Xi gewarnt. [...]

In den meisten Fällen dreht sich in China die Korruption um den Verkauf der Nutzungsrechte staatlichen Bodens. Fälle [...] gibt es zuhauf. Seit ein paar Jahren hat der Unmut im Land darüber ein Ausmaß erreicht, das Sorgen vor einer Staatskrise geweckt hat. Der Vorsitzende Xi Jinping sagte dann, er wolle die Macht seiner Partei "in einen Käfig sperren". Es ist nicht klar, was Xi damit meinte. Es ist aber klar, was er nicht damit meint: dass in China Gewaltenteilung herrschen soll, in der die Kader kontrolliert werden von einer unabhängigen Justiz. Als Ventil soll dem Volk stattdessen das "Petitionssystem" dienen.

[...] Chinas Gesetz sagt, dass jeder Bürger das Recht hat, sich über Beamte zu beschweren. In der Hauptstadt hat dafür jede Provinz Beamte abgestellt. Dort betreiben sie "schwarze Gefängnisse": billige Hotels, in denen Söldner die Petitionäre vom Petitionsbüro fernhalten. Das Petitionssystem ist ein Mechanismus, der seine eigene Aufhebung gleich mit enthält, schreibt Mark Siemons, ein langjähriger China-Korrespondent [...].

Schon im Jahr 2004 hat die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften den Erfolg der Petitionen untersucht und kam auf eine Quote von 0,2 Prozent. In einer späteren Befragung gaben zwei Drittel der Petitionäre an, in einem "schwarzen Gefängnis" gelandet zu sein. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua bezifferte deren Anzahl in Peking vor sieben Jahren auf dreiundsiebzig. [...]

Auch Chinas Richter werden von der Kommunistischen Partei bestellt. Vor ein paar Wochen hat ihnen der Oberste Volksgerichtshof gedroht, Urteile gegen die Partei zu sprechen. Fälle, in denen Kader illegal Land verkaufen, gibt es Hunderttausende, doch mittellose Chinesen [...] können dagegen nicht viel machen. Knapp zweihundertfünfzig Bürgerrechtsanwälte und Aktivisten wurden laut Amnesty International in den vergangenen zwei Jahren festgenommen. Wen sie aus den eigenen Reihen in den Käfig steckt, entscheidet niemand anderes als die Partei.

Die Serie "Im Namen des Volkes", die von Chinas besten Theaterschauspielern dargeboten wird, soll beweisen, dass die Macht sich selbst kontrollieren kann. Doch gleich die erste Folge zeigt, warum das nicht funktioniert. Weil die Staatsanwälte von einem hohen Parteikader gestoppt werden, der ebenfalls korrupt ist, kann sich der korrupte Bürgermeister der Verhaftung entziehen. [...]

Hendrik Ankenbrand, "Der Gerechte" in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Mai 2017

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Exkurs: Xi Jinping, der Mann an der Spitze von Partei und Staat

Matthias Stepan

Xi Jinping ist derzeit der mächtigste Mann Chinas. Seit seinem Amtsantritt – 2012 als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, 2013 als Staatspräsident – hat er es geschafft, die Entscheidungsprozesse im Land stärker auf seine Person zu konzentrieren als alle seine Vorgänger an der Parteispitze seit Maos Tod.

Kind der Partei
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 als Sohn zweier Parteimitglieder in Peking geboren. Bereits seine früheste Kindheit und Jugend waren geprägt von der Partei. Als Sohn von Xi Zhongxun, eines wichtigen Parteifunktionärs, genoss er die Privilegien eines "Partei-Prinzen". Im Gegenzug bekamen er und seine Familie radikale politische Wenden am eigenen Leib zu spüren.

Sein Vater hatte sich seit den 1930er-Jahren einen Namen innerhalb der Partei gemacht und stieg schnell auf, bis er 1959 die Position des Vize-Premierministers und den vorläufigen Höhepunkt seiner politischen Karriere erreichte. Die Parteilinken führten jedoch 1962 seinen Fall herbei. Noch vor Beginn der Kulturrevolution verlor Xis Vater all seine Führungsämter, in der Folgezeit wurde er von den Roten Garden verfolgt und inhaftiert. Seine vollständige Rehabilitierung erfolgte erst 1978.

Für den Teenager Xi waren dies harte Lehrjahre. Ohne den Schutz seines Vaters wurde er 1968 als 15-jähriger aufs Land verschickt, um dort als einfacher Landarbeiter fernab seiner Eltern zu leben. Trotz der Anfeindungen gegen seine Familie bemühte sich Xi Jinping um die Aufnahme in die Partei. Sie wurde ihm erst 1974, nach mehreren Anläufen, gestattet. Kurz darauf erhielt er auch die Genehmigung der Partei, ein Chemiestudium an der Eliteuniversität Tsinghua in Peking aufzunehmen, das er 1979 erfolgreich abschloss. An der gleichen Universität belegte er von 1998 bis 2002 berufsbegleitend Kurse zu Marxismus und ideologischer Bildung und promovierte 2002 in Jura.

Aufstieg in Zeiten des chinesischen Wirtschaftswunders
Mit der Rehabilitierung seines Vaters eröffneten sich auch für Xi neue Entwicklungsmöglichkeiten. Beweisen musste er sich allerdings selbst. Während der Vater als Parteisekretär marktwirtschaftliche Reformen in der Provinz Guangdong voranbrachte, sammelte Xi Jinping von 1979 bis 1982 erste Erfahrungen im politischen Apparat von Peking. Unter Anleitung eines Vertrauten seines Vaters arbeitete er im Büro des Staatsrates sowie in der Zentralen Militärkommission. In diese Zeit fällt auch seine erste Ehe mit der Tochter des einstigen chinesischen Botschafters in London, Ke Lingling, die jedoch nicht lange hielt. 1982 war insofern ein einschneidendes Jahr in Xis privater und beruflicher Entwicklung. Er verließ die Hauptstadt, um ganz unten im chinesischen Verwaltungsapparat – auf Kreisebene – Parteifunktionen zu übernehmen. Es wurde leise um den "Prinzen", der nur langsam in der Hierarchie aufstieg. Nach drei Jahren in der Provinz Hebei arbeitete er sich 17 Jahre lang in der Küstenprovinz Fujian von der Stufe des stellvertretenden Parteisekretärs einer Industriestadt bis zum Amt des Provinzgouverneurs hoch. Dennoch blieb er weiterhin in der Bekanntheit weit hinter seiner zweiten Frau zurück. Seit 1987 ist er mit Peng Liyuan verheiratet, einer landesweit beliebten Sopranistin, die dem Gesangsensemble der chinesischen Volksbefreiungsarmee angehört.

2002 gelang ihm der politische Durchbruch, der ihm den Weg an die Spitze der Macht ebnen sollte. Er wurde als Vollmitglied in das Zentralkomitee der KPC gewählt und etablierte sich als Parteisekretär in der wirtschaftlich äußerst wichtigen und erfolgreichen Küstenprovinz Zhejiang. Nach einem politischen Skandal in Shanghai übernahm er 2007 kurzfristig die Parteiführung in der Vorzeigestadt für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg und Reformeifer. Noch im selben Jahr gelang ihm der Einzug in den Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem zu jenem Zeitpunkt die neun einflussreichsten Parteigrößen angehörten. Spätestens 2008 wurde mit seiner Ernennung zum Vizepräsidenten klar, dass er die besten Karten für die Nachfolge Hu Jintaos als Generalsekretär der KPC und Staatspräsidenten in den Händen hielt. Bereits Ende 2007 war er zum Präsidenten der Zentralen Parteihochschule berufen worden. Spitzenkader der Partei durchlaufen diese Einrichtung, die Studiengänge sowie verpflichtende Fortbildungen anbietet.

An der Spitze angekommen
Bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit als Generalsekretär machte Xi deutlich, worum es ihm in erster Linie geht: um die Disziplinierung der Partei im Inneren und um die Stärkung des Führungsanspruchs der Partei nach außen. Sein Narrativ ist der "chinesische Traum", die Wiedergeburt und der Aufstieg Chinas (siehe auch S. 22). Im Herbst 2013 stellte er erstmals sein außenpolitisches Prestigeprojekt vor: die "neue Seidenstraßeninitiative". Seine Anti-Korruptionskampagne mit bis dato für China unbekannter Reichweite sowie Xis Position, dass lediglich eine starke und geeinte Partei das Land nach vorne bringen kann, genießen augenscheinlich breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Er versteht es, volksnah aufzutreten, und verkörpert bei seinen Auftritten im In- und Ausland das Bild eines starken und charismatischen Staatsmannes. Dieses Image wird von der Propagandaabteilung der Partei sorgfältig in Szene gesetzt.

Eine rasante Machtkonsolidierung, der Ausbau des Überwachungsapparates sowie sein entschiedenes Auftreten sind zu den Markenzeichen seiner ersten Amtszeit geworden. Im Rahmen einer Verfassungsänderung fanden im März 2018 sowohl die Führungsrolle der Partei als auch "Xi Jinpings Gedankengut" Eingang in die Staatsverfassung. International erwartete Reformen in Richtung verstärkter politischer Teilhabe, Gewaltenteilung sowie einer konsequenten Marktöffnung erteilte Xi dagegen eine klare Absage.

Chinas Staatsorgane

Sebastian Heilmann

"Oberstes Organ der Staatsmacht" und Gesetzgebungsorgan ist laut Verfassung der Nationale Volkskongress (NVK). Er ist unter anderem zuständig für Verfassungsänderungen (mit Zwei-Drittel-Mehrheit), für die Ausarbeitung und Änderung grundlegender Gesetze, für die Wahl bzw. Abberufung der wichtigsten Mitglieder der Staatsorgane sowie für die Prüfung und Bestätigung des Staatshaushaltes. Die rund 3000 Abgeordneten des NVK werden alle fünf Jahre von den Volkskongressen auf Provinzebene bestimmt. Es findet also keine Volkswahl zum NVK statt. Mehr als zwei Drittel der NVK-Abgeordneten gehören der KPC an. Der NVK tritt nur einmal im Jahr zu einer rund zehntägigen Plenartagung zusammen. Da eine so riesige und kurzlebige Versammlung lediglich in der Lage ist, bereits zuvor gefällte Entscheidungen zu ratifizieren, nicht aber die Gesetzgebung zu initiieren oder zu beaufsichtigen, wird der Großteil der Gesetzgebungstätigkeit in den Ständigen Ausschuss verlagert.

Der Ständige Ausschuss des NVK mit seinen rund 170 Mitgliedern besitzt den Charakter eines "Ersatzparlamentes". Alle zwei Monate kommt er zu mehrtägigen Sitzungen zusammen, um die Mehrzahl der Gesetze zu verabschieden und internationale Abkommen zu ratifizieren. Der Ständige Ausschuss des NVK spielt eine immer aktivere Rolle und hat seit 2015 zahlreiche eigene Gesetzesinitiativen eingebracht. Darüber hinaus wies er gelegentlich auch Gesetzentwürfe der Regierung zurück, die dann geändert werden müssen. Dennoch dürfen der Nationale Volkskongress und sein Ständiger Ausschuss nicht als unabhängige Gesetzgebungsorgane verstanden werden. Ihre vorrangige Aufgabe ist es, im Auftrag der obersten Parteiführung deren Prioritäten umzusetzen.

Der Staatspräsident ist das Staatsoberhaupt der Volksrepublik China. Durch eine Verfassungsänderung im März 2018 wurde die zuvor geltende Beschränkung auf zwei Amtsperioden von je fünf Jahren aufgehoben. Deshalb kann der Staatspräsident, der seit 1993 stets zugleich Generalsekretär ("Nr. 1") der Kommunistischen Partei war, nun ohne Beschränkung seiner Amtszeit wiedergewählt werden. Ihm kommen laut Verfassung vor allem formal-repräsentative Funktionen zu. So setzt er mit seiner Unterschrift Gesetze in Kraft, ernennt und entlässt führende Mitglieder von Staatsorganen nach Entscheidung des NVK und empfängt auswärtige Staatsgäste. De facto dient das Amt aber seit den 1990er-Jahren der diplomatischen Aktivität und außenpolitischen Profilierung des KP-Generalsekretärs, der somit auf internationalem Parkett nicht in seiner Parteifunktion, sondern als Chinas Staatsoberhaupt auftritt.

Der Staatsrat, so die Bezeichnung für die chinesische Zentralregierung, wird in der Verfassung als "Exekutivorgan" des NVK und als "oberstes Organ der Staatsverwaltung" definiert. Dem Staatsrat gehören der Ministerpräsident, dessen Stellvertreter sowie die Staatsratskommissare und Minister an. Dem Ministerpräsidenten kommen als Leiter des Staatsrates weitreichende Entscheidungsbefugnisse zu. Seine Amtszeit ist auf zwei Fünfjahresperioden beschränkt. Als "Kabinett" im engeren Sinne dient die Ständige Konferenz des Staatsrates, der die zehn höchstrangigen Regierungsmitglieder angehören. Die Kandidaten für alle Führungspositionen in der Regierung werden von Gremien der KPC ausgewählt und benannt.

Die Zentrale Militärkommission (ZMK) wird in der Verfassung nur ganz knapp behandelt. Sie leitet die "Streitkräfte des Landes". In ihr sind Partei- und Militärführung gleichermaßen vertreten und sie besitzt eine stark herausgehobene Stellung im politischen Machtgefüge. Denn Vorsitzender ist stets der "Erste Mann" der KPC: anfangs Mao Zedong, später Deng Xiaoping, dann Jiang Zemin, Hu Jintao und seit 2012 Xi Jinping.

Lokale Volkskongresse und Volksregierungen aller Ebenen sind die örtlichen Organe der Staatsmacht. Sie haben auf der jeweiligen Verwaltungsebene Kompetenzen, die im Wesentlichen mit denen des NVK auf nationaler Ebene korrespondieren. Nur die Delegierten der Volkskongresse auf Kreis- und Gemeindeebene werden direkt gewählt. Die lokalen Volksregierungen "sind den Organen der Staatsverwaltung der nächsthöheren Ebenen verantwortlich und rechenschaftspflichtig". Gemäß der Verfassung kann die Zentralregierung die Annullierung "unangemessener Entscheidungen" lokaler Organe der Staatsverwaltung anordnen.

Nach der Gründung der VRC wurden staatliche Organe lediglich als Vollzugsinstrumente der KPC begriffen. Zunehmend aber gewannen sie ein eigenes politisches Gewicht in Verwaltung und Umsetzung der Politik. Die politische Kontrolle von Staatsverwaltung und Staatsunternehmen bleibt dadurch gewahrt, dass die Personen, die staatliche Behörden und Betriebe leiten, zugleich den Parteikomitees innerhalb dieser Organisationen angehören und im Rahmen des Kadersystems der Partei ernannt und abberufen werden können. Parteikomitees und die ihnen vorstehenden Parteisekretäre genießen in allen grundsätzlichen oder strittigen Fragen Weisungsbefugnis gegenüber staatlichen Stellen.

Die vier Hauptstufen des Regierungs- und Verwaltungssystems
(unterhalb der Zentralregierung, Stand: 2015)

Provinzebene: 33 Verwaltungseinheiten

  • vier "Regierungsunmittelbare Städte": Peking, Shanghai, Tianjin und Chongqing

  • 22 Provinzen (offiziell wird Taiwan als 23. Provinz der VRC geführt)

  • fünf "Autonome Gebiete": Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Guangxi und Ningxia

  • zwei "Sonderverwaltungsregionen": Hongkong und Macau, ehemalige Kronkolonien, die 1997 vom Vereinigten Königreich bzw. 1999 von Portugal in die Souveränität der VRC überführt wurden und einen weitreichenden administrativen Autonomiestatus genießen. Offiziell aber werden sie als Verwaltungseinheiten auf Provinzebene geführt.

Bezirksebene: 333 Bezirke sowie Städte und Stadtteile auf Bezirksebene
Kreisebene: 2854 Kreise und kreisgleiche Verwaltungseinheiten
Gemeindeebene: 40.381 Gemeinden, Kleinstädte und Stadtteile auf Gemeindeebene

Politische Opposition und Protestbewegungen

Seit den 1950er-Jahren wurden in der Volksrepublik China alle Formen organisierter politischer Opposition unterdrückt. 1957 hatten Intellektuelle und Parteikritiker während einer kurzen Phase der Liberalisierung (Hundert-BlumenBewegung) die Gelegenheit genutzt, grundsätzliche Kritik an der Herrschaftspraxis der KPC zu äußern. Dies wiederholte sich 1976 in einer Trauer- und Protestbewegung (Bewegung vom 5. April). Wenige Jahre später formulierte die "Demokratiemauer"-Bewegung (1978/1979) Forderungen nach Gewährung umfassender Menschen- und Bürgerrechte. In der städtischen Protestbewegung von 1989 wurden die Begriffe "Demokratie und Menschenrechte" zu politischen Losungen, mit denen erst die Studierenden, später bis zu zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger ihre Ablehnung von politischer Willkür und zugleich ihre Sehnsucht nach größeren Freiheitsräumen zum Ausdruck brachten. Das chinesische Militär schlug unter Einsatz von Schusswaffen und Panzern in der Nacht zum 4. Juni 1989 die Protestbewegung nieder. Landesweit wurden Zehntausende, die an der Kundgebung teilgenommen hatten, verhaftet, Tausende zu Haftstrafen und Dutzende zum Tode verurteilt.

Die Unterdrückung der Protestbewegung von 1989 kennzeichnet einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung Chinas. Nach dem Schock über die gewaltsame Niederschlagung verbreitete sich in der Gesellschaft politische Apathie. Die Regierung wiederum förderte ganz gezielt die Entpolitisierung: Alle gesellschaftlichen Energien sollten fortan in die wirtschaftliche Entwicklung fließen. Politischer Idealismus wich einer von der KPC energisch unterstützten Wachstums- und Konsumorientierung. Politische Aktivitäten "von unten" fanden nur noch wenig Resonanz. Zwar entstanden in einigen Großstädten in den 1990er-Jahren oppositionelle Untergrundorganisationen. Diese hatten aber in der Regel nicht mehr als ein paar Dutzend Mitglieder. 1998 schlossen sich mehrere hundert Dissidenten überregional zusammen, um eine "Demokratische Partei Chinas" zu gründen. Dieser Versuch, eine größere politische Organisation zu bilden, wurde jedoch von den Sicherheitsbehörden unterbunden.

Gleichzeitig häuften sich lokal begrenzte gesellschaftliche Proteste, bei denen Betroffene gegen die Verletzung konkreter Interessen vorgingen. Sie verlangten die Behebung örtlicher Missstände – wie z. B. die Zahlung ausstehender Löhne, Entschädigungen für Umsiedlungen oder die Eindämmung von Umweltzerstörung. Die Protestierenden forderten die Herrschaft der KPC also nicht direkt heraus, setzten aber die Regierung dennoch unter Druck. Denn die Herrschaftslegitimation der KPC ist an das Versprechen gekoppelt, gesellschaftlichen Wohlstand und soziale Stabilität zu gewährleisten.

Die Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien und sozialer Medien ermöglichte es für einige Jahre auch in China, dass zuvor isoliert agierende Aktivisten oder Kritiker von gesellschaftlichen Missständen Verbindungen zu einer größeren Öffentlichkeit herstellen konnten. Anwälte unterstützten die Anliegen von Bauern oder Arbeitern; Journalisten machten per Internet die Kontrollfunktion der Medien gegenüber Korruption und Machtmissbrauch lokaler Kader geltend. Seit 2008 reagierten die Partei- und Sicherheitsbehörden auf die neuartigen gesellschaftlichen Vernetzungen jedoch mit verschärften und technisch immer ausgefeilteren Kontroll- und Repressionsmaßnahmen, die nicht nur traditionelle Protestaktionen, sondern auch die Kommunikation im Cyberspace gezielt erfassten.

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte im Dezember 2008 veröffentlichten rund 300 Intellektuelle im Internet ein Bürgerrechtsmanifest unter dem Titel "Charta 08" und forderten zur Unterzeichnung durch weitere Unterstützer auf. Die "Charta 08" war ein Angebot und Versuch, das politische System der Volksrepublik gemeinsam mit aufgeschlossenen Kräften innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas schrittweise zu demokratisieren.

Bevor die betreffende Webseite durch die Regierung geschlossen wurde, traten mehr als 8000 Personen aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen dem Aufruf bei. Einer der Initiatoren der Charta – der Schriftsteller und Bürgerrechtler Liu Xiaobo – wurde daraufhin in China zu elf Jahren Haft verurteilt. Als ihm 2010 das Nobel-Komitee in Oslo den Friedensnobelpreis verlieh, blieb während der Zeremonie demonstrativ ein Stuhl frei, weil weder Liu Xiaobo noch seine Ehefrau oder ein anderer Bevollmächtigter den Preis persönlich annehmen durften. Liu starb im Juli 2017, nachdem er erst im Endstadium seiner Krebserkrankung in ein Krankenhaus überwiesen und ihm die Ausreise ins Ausland verwehrt worden waren.

Als 2011 – in Anlehnung an die vorangegangenen Systemumstürze in Nordafrika – vage Anspielungen auf eine chinesische "Jasmin-Revolution" im Internet kursierten, nahmen Chinas Sicherheitsorgane in mehreren Städten politische Aktivisten fest oder stellten sie unter Hausarrest, obwohl hinter den chinesischen "Jasmin"-Aktivitäten weder eine Organisation noch eine feste Agenda erkennbar waren. So spiegeln die harschen Reaktionen der Behörden und die hohen Sicherheitsvorkehrungen im Umfeld politischer Großereignisse die Verunsicherung auf Seiten der chinesischen Führung wider. Die staatlichen Ausgaben für die innere Sicherheit sind seit 2008 rapide angestiegen. Die 2012 eingesetzte Parteiführung erhöhte den Druck auf Bürgerrechtler weiter. Im Juli 2015 begann eine Razzia, in deren Verlauf laut Amnesty International 250 Rechtsanwälte und Bürgerrechtler verhört, verhaftet oder angeklagt wurden. Einige von ihnen wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Parteiführung lässt keinen Zweifel daran, dass sie alle Formen organisierter, überregionaler politischer Aktivität in einem möglichst frühen Stadium zu unterdrücken gedenkt.

Das harte Durchgreifen der chinesischen Staatsmacht gegenüber der Bevölkerung zeigt sich nicht zuletzt auch in der regen Anwendung der Todesstrafe. Laut Schätzungen von Amnesty International wurden in China 2017 die weltweit meisten Todesurteile vollstreckt; sie können dort für nicht weniger als 46 Vergehen verhängt werden. Dennoch gelingt es der Staatsführung mit Erfolg, genaue Informationen hierzu unter Verschluss zu halten, was wiederum eine kritische Analyse unmöglich macht.

QuellentextHartes Vorgehen bei Regimekritik

Rechtsanwalt Yu Wensheng brachte gerade seinen zwölfjährigen Sohn zur Schule, als die Polizisten ihn ansprachen. Vor den Augen des Kindes führten sie Yu ab – und sperrten ihn an einem unbekannten Ort in Peking weg. Ende April folgte eine formale Anklage: Das Amt für Öffentliche Sicherheit der Stadt Xuzhou beschuldigte ihn der "Zersetzung der Staatsgewalt" und "Behinderung der Amtsausübung von Polizeibeamten".

Da hatte seine Familie schon seit Wochen keinen Kontakt mehr zu Yu. Seine Frau engagierte für ihn einen Anwalt, einen mutigen Kollegen Yus. Doch dieser durfte den Häftling nicht besuchen. Keiner weiß, wie es ihm geht. Ebenso ist unbekannt, wann die Gerichte über seinen Fall entscheiden werden. Vielleicht in einigen Monaten, vielleicht erst in vielen Jahren. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Sein Verbrechen: Seine Praxis in Peking hatte auch Menschenrechtsfälle übernommen.

Das Klima in China wird rauer. So wie Yu Wensheng leiden Anwälte und Regimekritiker zunehmend unter Unterdrückung. [...] Die Partei sichert sich mit Gewalt ein Monopol auf die Wahrheit. Wer widerspricht, verschwindet. "Die harte Wahrheit lautet: China bewegt sich in der Wahrung grundlegender Rechte in erschreckender Weise rückwärts", sagt Sophie Richardson von der Organisation Human Rights Watch. [...]

Anwalt Yu war bereits zweimal im Gefängnis. Während einer Phase der Freiheit hat er der FR geschildert, wie er das Etikett eines Staatsfeindes erhalten hat. Der heute 50-Jährige hatte 2014 einen jungen Sympathisanten der Hongkonger Demokratiebewegung vertreten wollen. "Die Betroffenen hatten damals fast keine Chance, einen Anwalt zu finden, deshalb bin ich in die Bresche gesprungen." Die Entscheidung markiert den Beginn eines Leidensweges, der bis heute anhält.

[...] Die Staatspropaganda behandelt die "Einführung des Rechtsstaats" als abgeschlossenes Faktum; eine Moderatorin des Senders CCTV erging sich kürzlich darüber, wie harmonisch die Gesellschaft jetzt durch die Wahrung der Rechte werde. Tatsächlich ist die Justiz für die Mehrzahl der Bürger und die Mehrzahl der Fälle professioneller und effektiver geworden. Die Ausbildung der Richter ist besser, und in den meisten Zivil- und Straffällen spielt Ideologie keine Rolle mehr. [...]

Doch da, wo eigentlich der Kern des Rechtsstaats sein sollte, klafft ein dunkles Loch: Ein Vorgehen gegen Staat, Partei und Behörden ist unmöglich. Diese sichern sich den Apparat als Instrument zum Machterhalt. Sie zeigen keinerlei Neigung, die Gerichtsbarkeit freizugeben. Es sind also die Fälle, in denen es um Meinungsäußerungen, um Kritik an der Partei und um die Anwälte selbst geht, in denen das System sein wahres Gesicht zeigt. Die Anklage lautet hier grundsätzlich: "Gefährdung der nationalen Sicherheit". In solchen Fällen können die Behörden den Verdächtigen für sechs Monate völlig legal den Zugang zu einem Anwalt verweigern.

Der andere Vorwurf [...] ist die "Aufstachelung zum Separatismus", auch formuliert als "Gefährdung der Einheit der Nation". Unter diesem Vorwand hat ein Richter bereits den renommierten Wirtschaftswissenschaftler Ilham Tohti verurteilt, der sich für eine gleichberechtigte Behandlung des Volks der Uiguren einsetzte.

Doch selbst die hartgesottenen Menschenrechtsbeobachter waren [...] erstaunt, als sie das Strafmaß für den tibetischen Kleinunternehmer Tashi Wangchuk hörten. Der heute 32-Jährige betrieb einen Online-Shop mit regionalen Waren. Im Jahr 2015 verklagte er die örtlichen Behörden: Ihm war aufgefallen, dass seine Nichten in der Schule nur Chinesisch lernten und kein Tibetisch sprechen durften. Das verstieß seiner Ansicht nach gegen den Verfassungsgrundsatz, die verschiedenen Kulturen in China zu schützen.

Ein Jahr später verhafteten ihn die Behörden. Jetzt [2017] hat ihn ein Gericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Das wichtigste Beweisstück war ein Video von einem Medieninterview, in dem Tashi Wangchuk eine bessere Sprachausbildung in Tibetisch forderte. Ein "wahnwitzig unverhältnismäßiges Strafmaß", findet Amnesty International. Es sei absurd, das friedliche Eintreten des Tibeters für Sprachförderung mit "Aufstachelung zum Separatismus" gleichzusetzen.

Doch es geht nicht um Gerechtigkeit und Angemessenheit, sondern um Abschreckung. Jeder im Land soll wissen: Öffentliche Zweifel am Regime führen in Leid und Unglück. Wer dagegen auf Parteilinie bleibt, macht sich den Erfolg leicht. Der Lerneffekt von Zuckerbrot und Peitsche bleibt über die Jahrzehnte nicht aus. Nur eine kleine Minderheit interessiert sich überhaupt noch für Politik.

Finn Mayer-Kuckuk, "Wer widerspricht, verschwindet", in: Frankfurter Rundschau vom 24. Mai 2018 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt

Chinas politisches System – ein zukunftsfähiges Modell?

Es gibt verschiedene Herausforderungen, welche die Herrschaft der KPC gefährden könnten: ein anhaltender wirtschaftlicher Abschwung, eine Schulden- und Finanzkrise, wachsende soziale Ungleichheit und der demografische Wandel durch die Überalterung der Bevölkerung. Ausschlaggebend für die mittelfristige Entwicklung des politischen Systems wird es sein, inwieweit es der Parteiführung um Xi Jinping gelingt, die viel beklagten internen Verfallserscheinungen der KPC, insbesondere Korruption und mangelnde Disziplin in der Umsetzung von Vorgaben der Partei- und Regierungszentrale, rückgängig zu machen. Auch darf die sich in China besonders rasch vollziehende digitale Transformation und industrielle Automatisierung nicht zu einer abrupten Wachstumsverlangsamung oder massenhaften Beschäftigungsverlusten führen, die das politische System destabilisieren könnten. Hierfür benötigt die Parteiführung nicht nur die eigene Handlungsfähigkeit, sondern auch ein günstiges internationales wirtschaftliches und politisches Umfeld, damit Schocks von außen das im Umbau befindliche China nicht mit voller Wucht treffen.

Was aber geschieht, wenn es der chinesischen Parteiführung gelingt, die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und technologische Innovationskraft Chinas wie geplant bis 2025, 2035 und 2049 in mehreren Stufen beständig zu steigern und zugleich die innenpolitische Stabilität zu sichern und die weltweite Präsenz Chinas weiter auszubauen? Dann werden sich die bislang wirtschaftlich und technologisch dominierenden marktwirtschaftlichen Demokratien voraussichtlich einem Systemwettbewerb stellen müssen: Das von wirtschaftlicher Globalisierung und digitaler Transformation angetriebene, staatlich gelenkte, autoritäre Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell Chinas könnte dann weltweit demokratische Ordnungsprinzipien in Zweifel ziehen und als Alternativmodell für das Regieren im 21. Jahrhundert womöglich wachsende Zustimmung finden.

QuellentextErgebnisse des 19. Parteitags 2017 und des Nationalen Volkskongresses 2018

Der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, der im Oktober 2017 in Peking stattfand, stellte die Weichen für Chinas Zukunft neu. Vor 2300 Delegierten rief Staats- und Parteichef Xi Jinping den Beginn einer "neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung" aus. Vier Jahre vor dem 100. Geburtstag der KPC ist nach dem Willen der Parteiführung eine Stärkung zentralisierter politischer Kontrolle das Gebot der Stunde. Chinas Staatspartei will ihre Führungsrolle in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter ausbauen. Die Entscheidungen des auf den Parteitag folgenden Nationalen Volkskongresses im März 2018 untermauerten dieses Ziel. Verfassungsänderungen und strukturelle Umbauten von Ministerien und Behörden stärken vor allem die Kontrollmöglichkeiten der Partei und ihres Generalsekretärs.

Xi formulierte in seiner Parteitagsrede ehrgeizige Vorhaben. Dabei orientierte er sich an den Geschichtsvorstellungen der marxistischen Theorie, im Unterschied zu seinen Vorgängern, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vornehmlich auf eine rasche wirtschaftliche Entwicklung konzentriert hatten. Bis 2050 soll das chinesische Volk in einem sozial und ökologisch ausbalancierten Staat "allgemeinen Wohlstand" genießen.

Den "Arbeitsschwerpunkt" der KPC definierte der Parteitag erstmals seit 1979 neu: Galt bislang die rasche wirtschaftliche und technologische Entwicklung als zentrale Aufgabe, soll künftig das Bemühen um sozialen Ausgleich, nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität für die Bevölkerung im Vordergrund stehen. Für Chinas Wirtschaft bedeutet das mittelfristig eine Abkehr vom Hochwachstum, das bislang in Branchen wie Immobilien und Finanzen eher unkontrolliert verlief und künftig durch die chinesische Führung besser gesteuert werden soll.

Für Chinas Gesellschaft bedeutet die zugleich betriebene Wiederbelebung marxistisch-leninistischer Werte voraussichtlich gravierende Veränderungen: Die KPC will weite Bereiche des Privatlebens der Menschen durchdringen, ihre Konsumgewohnheiten und ihr Verhalten sollen der Parteilinie entsprechen. Dabei bedient sich die Partei zunehmend moderner Informationstechnologien, die einen digitalen Überwachungsstaat ermöglichen können.

Außenpolitisch positionierte sich die KPC auf dem 19. Parteitag selbstbewusst: Xi kündigte einen politischen und wirtschaftlichen Systemwettbewerb an, den viele nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für überwunden hielten. China will zu einer global aktiven sozialistischen Großmacht werden, die Entwicklungs- und Schwellenländern ein Alternativmodell zu den marktwirtschaftlichen Demokratien US-amerikanischer oder europäischer Ausprägung bieten soll. Diesen Kurs bekräftigte Xi auch in seiner Rede vor den 3000 Delegierten des Nationalen Volkskongresses, Chinas nicht frei gewähltem Parlament: Er wolle die "große Wiedergeburt der chinesischen Nation" vollenden.

Vom Parteitag wurde Xi als Generalsekretär, also erster Mann der Partei, zunächst bis zum Jahre 2022 bestätigt. Sein "Gedankengut" wurde als maßgeblicher Beitrag zur offiziellen Ideologie in die Parteiverfassung aufgenommen. Xi wurde dadurch in einen politischen Status befördert, wie er zuvor nur dem Revolutionsführer und Staatsgründer Mao Zedong sowie dem Architekten der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaoping zuteil geworden war.

In das Politbüro, den engsten Führungszirkel mit 25 Mitgliedern, stiegen Führungspersonen auf, die Xi eng verbunden sind. Einen enormen Machtzugewinn für ihn bedeutete die Entscheidung des Nationalen Volkskongresses, die bisherige Begrenzung der Amtsdauer des Präsidenten auf zwei Mal fünf Jahre aufzuheben. Er kann nun theoretisch lebenslang im Amt bleiben – auch wenn er öffentlich bekundet hat, dass er dies nicht anstrebt.

In die zweite Reihe der Führungsriege, also in Partei- und Regierungsämter der Provinzen, beförderten Parteitag und Nationaler Volkskongress auch eine wachsende Zahl neuer Technokraten – Parteifunktionäre mit technisch-wissenschaftlichen Qualifikationen und Erfahrungen. Dies ist Ausdruck der überragenden Bedeutung, welche die KP-Spitze dem technologischen Fortschritt für Chinas Position in der globalen Wirtschaft und Politik der Zukunft zumisst.

Sebastian Heilmann und Claudia Wessling

Sonderfall Hongkong

Mareike Ohlberg

Hongkong genießt als Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China politisch, wirtschaftlich und rechtlich bis 2047 einen Sonderstatus. Dies sehen die völker- und staatsrechtlichen Regelungen – die "Gemeinsame Erklärung" und das "Grundgesetz" (Basic Law) – für die ehemalige britische Kronkolonie vor. Vor allem seit 2014 verhärten sich jedoch zunehmend die Fronten im Streit um Hongkongs Zukunft. Auf der einen Seite stehen die pro-demokratischen Kräfte sowie eine aufkeimende Unabhängigkeitsbewegung, auf der anderen Seite das ProPeking-Lager und die chinesische Regierung.

1842 wurde die damals nur spärlich besiedelte Insel Hongkong als Ergebnis des ersten Opiumkriegs von China an Großbritannien abgetreten. 1860 und 1898 kamen weitere Gebiete hinzu, die teilweise jedoch nur für einen Zeitraum von 99 Jahren von Großbritannien gepachtet wurden. 1984 unterschrieben China und Großbritannien die "Gemeinsame Erklärung". Mit diesem völkerrechtlichen Vertrag vereinbarten sie die Bedingungen für die Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik.

Unter der Formel "Ein Land, zwei Systeme" wurde Hongkong zugesichert, 50 Jahre lang, von 1997 bis 2047, sein eigenes politisches, wirtschaftliches und rechtliches System beibehalten zu dürfen. Diese Rechte sind außerdem im "Grundgesetz" für Hongkong festgeschrieben, das 1990 vom Nationalen Volkskongress (NVK) Chinas verabschiedet wurde. Neben Hongkong gibt es noch die zweite Sonderverwaltungsregion Macau, die 1999 aus portugiesischer Hand an China zurückging und für die eine ähnliche Abmachung gilt. Im Vergleich zu Hongkong bewertet Peking Macau jedoch als politisch stabil und verlässlich.

Hongkong fungiert als wichtiges Bindeglied zwischen dem chinesischen Markt und dem Weltmarkt. In Hongkong ansässige Unternehmen genießen durch das 2003 verabschiedete Closer Economic Partnership Arrangement einen vereinfachten Zugang zum chinesischen Markt. Auch wenn die zentrale wirtschaftliche Rolle der SVR seit dem Aufstieg der neuen Wirtschaftszentren Shanghai und Shenzhen geschwächt wurde, hat Hongkong nach wie vor eine wirtschaftliche Brückenfunktion.
Hongkongs Parlament, der Legislativrat, wird alle vier Jahre gewählt. Etwa die Hälfte der Sitze wird durch repräsentative Wahlen in den Hongkonger Distrikten vergeben. Die andere Hälfte wählt ein kleinerer Kreis von Interessengruppen, die größtenteils zum Pro-Peking Lager gehören. Der Hongkonger Regierungschef, der sogenannte Chief Executive, wird alle fünf Jahre von einem 1200-köpfigen Gremium ernannt, in dem Peking-freundliche Kräfte dominieren.

Im Gegensatz zum Festland hat Hongkong eine unabhängige Justiz, die zu Kolonialzeiten eingerichtet wurde und an das britische System angelehnt ist. Auch in Bezug auf Pressefreiheit und öffentliche Meinungsäußerung genießen Hongkonger mehr Rechte als Festlandchinesen. In Hongkong finden beispielsweise zum Jahrestag der Übergabe an die Volksrepublik am 1. Juli 1997 sowie zum Jahrestag der Niederschlagung der TiananmenBewegung am 4. Juni 1989 regelmäßig Protestmärsche statt.

Viele Bewohnerinnen und Bewohner Hongkongs sehen sich als Verlierer der Wiedervereinigung. Verärgerung herrscht vor allem über Touristen aus dem Festland und steigende Immobilienpreise, aber auch über eine fehlende Demokratisierung des politischen Systems und Eingriffe des Festlandes in das politische und rechtliche System Hongkongs. Allerdings gibt es innerhalb der Hongkonger Gesellschaft auch einflussreiche Gruppen, die von guten Beziehungen zu Peking profitieren und Interesse an einer weiteren Integration Hongkongs haben. Die öffentliche Meinung ist somit gespalten. Gerade die jüngere Generation, die zuvor häufig als apolitisch wahrgenommen wurde, ist durch die jüngsten Konflikte politisiert worden und äußerte in der "Regenschirmrevolte" von 2014 ihren Unmut.

Zeittafel: Hongkong seit der Übergabe an China 1997

1. Juli 1997 Übergabe Hongkongs als Sonderverwaltungsregion an die Volksrepublik China

2000 Die Volksrepublik gründet ein Verbindungsbüro in Hongkong. Obwohl das Büro keine offizielle Regierungsgewalt hat, gilt es bei einem Großteil der Einwohnerschaft Hongkongs als "zweite Regierung".

29. Juni 2003 Die chinesische Zentralregierung und die Hongkonger Regierung unterschreiben das Closer Economic Partnership Agreement für engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Hongkong und dem Festland.

1. Juli 2003 Am Jahrestag der Rückgabe Hongkongs finden weitreichende Proteste gegen ein von Peking vorgeschlagenes Anti-Subversionsgesetz statt, an denen sich ca. 500.000 Menschen beteiligen.

2007 Der Ständige Ausschuss des NVK legt fest, dass eine Direktwahl des Chief Executive durch Hongkonger Bürgerschaft frühestens 2017 stattfinden kann.

31. August 2014 Der ständige Ausschuss des NVK entscheidet, nur von der Zentralregierung abgesegnete Kandidaten zur Wahl zum Chief Executive zuzulassen.

September – Dezember 2014 "Regenschirmrevolte"

18. Juni 2015 Eine vorgeschlagene begrenzte Wahlreform scheitert überraschend im Legislativrat.

Oktober – Dezember 2015 Mehrere Hongkonger Buchhändler verschwinden unter mysteriösen Umständen und tauchen inhaftiert auf dem Festland wieder auf. Die Hongkonger Bevölkerung reagiert mit Angst und Verunsicherung.

September – Oktober 2016 Vertreter mehrerer neuer lokaler Parteien werden in den Legislativrat gewählt. Einige werden jedoch wenig später disqualifiziert.

7. November 2016 Der NVK interpretiert Hongkongs Grundgesetz und entscheidet, dass Abgeordnete des Legislativrats dem Festland gegenüber Treue schwören müssen. In Hongkong wird dies von vielen als Einmischung in die Autonomie der SVR gewertet.

1. Juli 2017 Anlässlich des 25-jährigen Jahrestages der Übergabe Hongkongs an China besucht Partei- und Staatschef Xi Jinping erstmals Hongkong und schwört die neue Chief Executive Carrie Lam ein.

Quellentext"Regenschirmrevolte“

2014 erlebte Hongkong die größten Proteste in seiner Geschichte als Sonderverwaltungsregion. Besetzungen und Demonstrationen legten von Ende September bis Mitte Dezember 2014 Teile der Finanz- und Regierungsbezirke Hongkongs lahm. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Entscheidung der chinesischen Regierung, nur von Peking abgesegnete Kandidaten für die Wahl zum Hongkonger Chief Executive zuzulassen.

2007 hatte die chinesische Regierung noch indirekt ein universelles Wahlrecht für das Jahr 2017 in Aussicht gestellt. Doch am 31. August 2014 entschied der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses Chinas, dass der Chief Executive Hongkongs 2017 zwar in allgemeinen Wahlen gewählt würde, zuvor jedoch eine Vorauswahl von zwei bis drei Kandidaten durch ein Nominierungskomitee stattfinden müsse. Außerdem hätte die chinesische Zentralregierung die Möglichkeit, die gewählte Person abzulehnen. Viele Menschen in Hongkong waren mit dieser Entscheidung unzufrieden, da sie sich für das Jahr 2017 freie Wahlen erhofft hatten.

Ende September begannen die ersten Proteste und Besetzungen im Regierungsviertel und weiteten sich in den darauffolgenden Tagen auf den Finanzdistrikt und weitere Bezirke aus. Drei Hauptgruppen spielten bei der Organisation eine führende Rolle: der Hongkonger Studentenverband, die Schüler- und Studentengruppe "Scholarism" und die von Professoren und Intellektuellen angeführte Bürgerrechtsbewegung "Occupy Central with Love and Peace". Die Demonstrierenden forderten vor allem Direktwahlen des Chief Executive sowie weitere Wahlreformen.

Im Verlauf der Aktionen kam es wiederholt zu Räumungen und Wiederbesetzungen öffentlicher Räume. Als die Hongkonger Polizei Gewalt anwendete und Tränengas gegen die Protestierenden einsetzte, befeuerte dies die Demonstrationen weiter. Um sich gegen Pfeffersprayeinsätze zu schützen, nutzten die Demonstranten unter anderem Regenschirme. Der gelbe Regenschirm wurde daraufhin zum Symbol der Proteste, die zweieinhalb Monate andauerten. Am 15. Dezember 2014 wurden die letzten besetzten öffentlichen Plätze geräumt, womit die Protestbewegung ihr offizielles Ende fand.

Die Nachwehen der Proteste sind auch Jahre später noch zu spüren. Aus der Bewegung gingen neue politische Parteien hervor, die sich für eine stärkere Autonomie Hongkongs einsetzen. Mehrere Vertreter neuer Parteien wurden bei den Legislativratswahlen 2016 ins Hongkonger Parlament gewählt, einige wurden jedoch aufgrund ungültiger Eidschwüre wieder ausgeschlossen. Einige Anführer der Bewegung, unter anderem der Student Joshua Wong, wurden für ihre Rolle bei den Protesten verurteilt. Insgesamt haben sich die Fronten zwischen Pro-Peking-Kräften und denjenigen, die mehr Autonomie für Hongkong verlangen, seit 2014 offensichtlich verhärtet. In den Festlandmedien wurden die Ereignisse unter anderem als ein vom Westen angestifteter Versuch, die Kommunistische Partei Chinas zu schwächen oder gar zu stürzen, dargestellt.

Mareike Ohlberg

Karikatur aus der New York Times (© Chapatte / The New York Times)

Karikatur zum China und Hongkong (© Chapatte in Le Temps, Switzerland)

Prof. Dr. Sebastian Heilmann hat den Lehrstuhl für Regierungslehre: Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier inne. Von September 2013 bis August 2018 fungierte Heilmann als Gründungsdirektor des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Politisches System und Wirtschaftsreformen in der VR China, insbes. Industrie- und Technologiepolitik Chinas; staatliche Entwicklungsplanung im internationalen Vergleich und in historischer Perspektive; Policy experimentation (Politikinnovation durch Experimental- und Pilotprogramme) im internationalen Vergleich sowie Wirtschaftspolitik/-regulierung.

Matthias Stepan leitet am MERICS das Programm Chinas Innenpolitik. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind das Regieren in Mehrebenensystemen, die Rollenverteilung von Staat, Partei und Gesellschaft bei der Politikgestaltung in China sowie der Wandel von Systemen der sozialen Sicherheit.

Claudia Wessling leitet den Bereich Publikationen am MERICS. Die Sinologin und Wissenschaftsjournalistin beschäftigt sich neben Themen um China und Asien vor allem mit den Bereichen Digitalisierung, Computertechnik und Mathematik.

Dr. Mareike Ohlberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am MERICS. Ihre Forschungsschwerpunkte sind chinesische Ideologie- und Medienpolitik, Chinas digitale Transformation sowie Entwicklungen in Hongkong und Taiwan