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Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern | Sozialer Wandel in Deutschland | bpb.de

Sozialer Wandel in Deutschland Editorial Struktur und Entwicklung der Bevölkerung Materielle Lebensbedingungen Rolle der Eliten in der Gesellschaft Armut und Prekarität Migration und Integration Bildungsexpansion und Bildungschancen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern Facetten der modernen Sozialstruktur Literaturhinweise Impressum

Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern

Rainer Geißler

/ 19 Minuten zu lesen

Neben den schichtspezifischen Differenzierungen gehören die sozialen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu den wesentlichen Merkmalen moderner Gesellschaften. Während die Benachteiligung der Frauen im Bildungssystem inzwischen verschwunden ist, lebt sie in abgeschwächter Form in der Arbeitswelt, der Politik und insbesondere der Familie fort.

In der industriellen Gesellschaft hatte sich eine besondere Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung herausgebildet, und zwar in der Arbeitswelt, im öffentlichen Leben und in der Privatsphäre. Zwischen Frauen und Männern existierten typische Unterschiede in den sozialen Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Rollenanforderungen, die sich über geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse auch auf die Persönlichkeit, auf Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen niederschlugen. So geht die Sozialstrukturanalyse davon aus, dass soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern nicht von natürlichen, biologischen Unterschieden herrühren, sondern dass ihnen im Wesentlichen soziale Ursachen zugrunde liegen.

Wie in allen entwickelten Gesellschaften sind auch in Deutschland Differenzierungen dieser Art in den letzten Jahrzehnten abgeschwächt worden. Offenbar gehört die Tendenz zur Minderung der sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zu den allgemeinen "emanzipatorischen Trends" (Norbert Elias 1989) der modernen Gesellschaft. Mit der Verringerung der geschlechtstypischen Unterschiede erhöht sich zugleich die Sensibilität gegenüber den verbliebenen. Es breitet sich das Bewusstsein aus, dass viele der weiterhin bestehenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern sozial ungerecht sind; die soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männern wird zunehmend "entlegitimiert".

Bildung und Ausbildung

Anteil der Schulabgängerinnen mit unterschiedlichen Schulabschlüssen (© Datenquelle: Statistisches Bundesamt)

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten erwies sich der Bildungsbereich als derjenige gesellschaftliche Sektor, in dem sich geschlechtstypische Ungleichheiten am schnellsten und besten abbauen ließen. Mädchen erzielten schon immer die besseren Schulnoten und blieben seltener sitzen. Aber erst die Diskussion um die Ungleichheit der Bildungschancen in den 1960er-Jahren ermutigte sie dazu, die besseren Schulleistungen auch in angemessene Bildungsabschlüsse umzusetzen.

Anfang der 1980er-Jahre entsprach ihr Anteil an den Abiturienten ihrem Anteil an der Bevölkerung; in der DDR war dies bereits etwa zwei Jahrzehnte vorher der Fall gewesen. Inzwischen hat sich der früher erhebliche weibliche Bildungsrückstand im allgemeinbildenden Schulsystem im Zuge der Bildungsexpansion in einen leichten Bildungsvorsprung verwandelt. Unter den Schulabgängern ohne und mit Hauptschulabschluss stellten Mädchen 2012 nur Minderheiten von 40 bzw. 42 Prozent; dafür waren sie unter den Abiturienten mit 55 Prozent und beim Erwerb der Fachhochschulreife mit 52 Prozent überrepräsentiert.

Frauenanteil unter Studierenden an Universitäten (© Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, 7., grundlegend überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2014, S. 376)

Die Barrieren, auf die junge Frauen auf dem Weg in die Hochschulen stießen, waren höher und schwerer aus dem Weg zu räumen. Noch 1960 waren in beiden deutschen Gesellschaften fast drei Viertel der Studierenden Männer. Durch eine stärkere Reglementierung bei der Zulassung zum Studium, aber auch durch eine gezielt mütterfreundliche Gestaltung von Studienbedingungen (kostenlose Kinderbetreuung an den Hochschulen, besondere Unterkünfte, Kinderzuschläge bei Stipendien, Sonderregelungen beim Studienablauf) konnten in der DDR die Studienchancen der Frauen innerhalb eines Jahrzehnts denen der Männer angeglichen werden. In der Bundesrepublik vollzog sich die Entwicklung zögerlicher. Der Anteil der Frauen an den Universitäten stagnierte in den 1980er-Jahren bei etwa 40 Prozent, 1995 lag er bei 44 Prozent. Erst im vergangenen Jahrzehnt konnten die Frauen mit den Männern gleichziehen. 2012 lagen die Frauenanteile unter den Studierenden an Universitäten in Ost und West bei 50,5 bzw. 50,4 Prozent.

Seit einigen Jahren macht die Formel von den Jungen als den "neuen Bildungsverlierern" die Runde. Die Ursachen für die männlichen Bildungsdefizite sind bisher nur sehr unzureichend erforscht. Es wird darauf verwiesen, dass Jungen erheblich häufiger von Erziehungsproblemen und Verhaltensauffälligkeiten betroffen sind, zum Beispiel als Patienten in entsprechenden Therapiezentren oder als Betroffene des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADS) oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Umstritten ist, ob durch die starke Feminisierung der Erziehung in Kindertagesstätten und Grundschulen "weiblich geprägte Schulbiotope" entstanden sind, die den Bedürfnissen von Jungen nach männlichen Vorbildern, körperlicher Bewegung, Sach- und Technikorientierung, Konkurrenzverhalten und "Aufmüpfigkeit" nicht angemessen entsprechen. Allerdings sollte angemerkt werden, dass sich die Benachteiligung der "alten Bildungsverlierer" – der Kinder aus bildungsfernen Familien oder bestimmten Migrantengruppen – in ganz anderen Dimensionen bewegt. Im Vergleich zu deren dramatischen Bildungsdefiziten, die zudem noch in weitere soziale Benachteiligungen eingebettet sind, nehmen sich diejenigen der Jungen eher harmlos aus.
Die Geschlechterproportionen an den weiterführenden Bildungseinrichtungen beleuchten nur einen Aspekt der geschlechtstypischen Chancengleichheit. Zu Recht hebt die Frauenforschung hervor, dass traditionelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Entscheidung für bestimmte Schul- und Studienfächer und insbesondere auch bei der Berufsausbildung weiterhin fortbestehen. Frauen tendieren nach wie vor dazu, sich auf "frauentypische" Studiengänge wie Erziehungs-, Sozial-, Sprach- und Kulturwissenschaften zu konzentrieren. Ihr Anteil an den Studienanfängern der Ingenieurwissenschaften machte 2011 gerade einmal 20 Prozent (West) bzw. 19 Prozent (Ost) aus und in Mathematik/Naturwissenschaften lediglich 34 bzw. 35 Prozent.

In der Berufsausbildung stößt die Gleichstellung der Mädchen und Frauen auf größere Probleme als im Schul- und Hochschulbereich. Frauen sind in der Berufsausbildung an Vollzeitschulen zum Beispiel für Erzieherinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen oder Physiotherapeutinnen stark überrepräsentiert. Obwohl diese Ausbildungen vergleichsweise lange dauern und teuer sind (keine durchgängige Ausbildungsvergütung, zum Teil hohe Schulgelder), lässt sie sich nicht in entsprechende Gehälter auf dem Arbeitsmarkt umsetzen. Ein Jahr nach Ausbildungsabschluss verdienen Frauen durchschnittlich 14 Prozent weniger als Männer. Nachteilig wirkt sich weiterhin aus, dass sich junge Frauen in wenigen Ausbildungsberufen zusammendrängen. 2011 waren in Deutschland 52 Prozent der weiblichen Auszubildenden auf die zehn häufigsten Berufe konzentriert, von den männlichen Auszubildenden waren es lediglich 36 Prozent. Frauen sind – wie schon vor 25 Jahren – hauptsächlich in Dienstleistungsberufen mit Tätigkeitsprofilen wie Pflegen, Helfen, Verkaufen, Assistieren, Betreuen zu finden und nur selten in der Produktion oder in technischen Berufen. Eine interessante Abweichung von dieser Struktur gibt es beim Kochen. Der Beruf des Kochs steht mit 32.300 Auszubildenden bei den Männern auf Rang 10. Unter den Frauen rangiert Köchin lediglich auf Platz 18, nur 6900 wollen diese "Hausfrauenpflicht" zu ihrem Beruf machen. Eventuell lassen sich die Frauen auch von den niedrigen Einkommen abschrecken, denn den Vollzeit arbeitenden Köchinnen werden nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes nur 2027 Euro pro Monat bezahlt, während Köche mit 3351 Euro das 1,7-Fache verdienen.

Arbeitswelt


"Erfolgreich in der Schule – diskriminiert im Beruf" – dieser plakative Titel eines Aufsatzes von Hannelore Faulstich-Wieland und anderen aus dem Jahr 1984 weist mit Nachdruck darauf hin, dass sich bessere Bildungschancen der Frauen nicht angemessen in bessere Berufschancen umsetzen lassen. Auch heute noch sind die Männerprivilegien in der Arbeitswelt erheblich widerstandsfähiger als im Bildungssystem.
Frauen sind in den vergangenen Jahrzehnten in allen entwickelten Gesellschaften immer stärker in den Arbeitsmarkt vorgedrungen. Die Erwerbstätigkeit gehört inzwischen zum Lebensentwurf der modernen Frau. In den alten Bundesländern stieg die Erwerbsquote der Frauen im Alter von 15 bis 65 Jahren von 46 Prozent im Jahr 1970 auf 71 Prozent im Jahr 2012 an. In Ostdeutschland, wo die Berufstätigkeit aller Frauen zu DDR-Zeiten eine Selbstverständlichkeit (und Pflicht) war, liegt sie mit 76 Prozent weiterhin etwas höher. Trotz der Arbeitsmarktkrise hat sie den Stand von 1991 (77 Prozent) fast gehalten.

Der Anstieg der Erwerbsquote ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass verheiratete Frauen und Mütter immer häufiger einer bezahlten Arbeit nachgehen bzw. nach der Familienphase (Kinderbetreuung) wieder in den Beruf zurückkehren. Mütter mit Kindern von über zwölf Jahren arbeiten heute genauso häufig wie kinderlose Frauen. Deutliche Unterschiede zwischen Ost und West bestehen in der Zahl der absolvierten Wochenstunden. Von den westdeutschen Müttern arbeitete 2010 jeweils ein knappes Viertel Vollzeit bzw. weniger als 15 Stunden pro Woche. Bei den ostdeutschen Müttern dagegen haben mehr als die Hälfte eine Vollzeitstelle, und nur 6 Prozent sind geringfügig beschäftigt. Und auch Teilzeitarbeit verrichten in den neuen Bundesländern viele lediglich der Not gehorchend, weil Vollzeitstellen nicht zur Verfügung stehen.

Obwohl Frauen zunehmend in die bezahlten Arbeitsprozesse einbezogen werden, haben sich in der Arbeitswelt markante Ungleichheiten zu ihrem Nachteil erhalten. Zum einen existieren geschlechtsspezifisch geteilte Arbeitsmärkte, die für Frauen tendenziell schlechtere Arbeitsbedingungen, niedrigere Einkommen, ein niedrigeres Sozialprestige sowie höhere Armuts- und zum Teil auch Arbeitsplatzrisiken mit sich bringen. Zum anderen stoßen Frauen auf erhebliche Hindernisse beim Aufstieg in die höheren Etagen der Berufshierarchien. Diese Benachteiligung der Frauen in der Arbeitswelt soll im Folgenden durch einige ausgewählte Daten dokumentiert werden.

Verdienste von Männern und Frauen (© Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, 7., grundlegend überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2014, S. 384 (Datenquelle: Statistisches Bundesamt))

Der Einkommensabstand (bei Vollerwerbstätigkeit) zu den Männern hat sich zwar im letzten halben Jahrhundert langsam und kontinuierlich verringert, aber auch heute verdienen Männer noch erheblich mehr Geld. Westdeutsche Frauen erzielten 1990 als vollbeschäftigte Angestellte nur 65 Prozent und als Arbeiterinnen 73 Prozent der Bruttoverdienste ihrer männlichen Kollegen. In der DDR sah es für Frauen etwas besser aus; vollbeschäftigte Frauen kamen 1989 auf 76 Prozent der Männerverdienste. Der "Gender Pay Gap", wie die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern heute häufig genannt wird, hat sich in den zwei vergangenen Jahrzehnten in beiden Teilen Deutschlands weiter geschlossen. In Westdeutschland lag er 2011 bei 19 bzw. 20 Prozent, in den neuen Bundesländern ist er im produzierenden Gewerbe mit 16 Prozent etwas kleiner, und im Dienstleistungsbereich verdienen vollzeitbeschäftigte ostdeutsche Frauen hier inzwischen fast dasselbe wie Männer.

Die Lohnungleichheit hat sehr vielfältige Ursachen. Am stärksten schlägt die "indirekte Benachteiligung" durch die Struktur der geschlechtstypischen Aufteilung des Arbeitsmarktes zu Buche. Teile der Differenz sind zurückzuführen auf weniger Überstunden, kürzere Wochenarbeitszeiten, längere Familienpausen, weniger übertarifliche Zulagen (z. B. für Schichtarbeit oder andere Arbeitserschwernisse), Beschäftigung in kleineren Betrieben mit weniger Aufstiegsmöglichkeiten, seltenere Forderungen der Frauen nach mehr Gehalt und stärkere Zurückhaltung beim Auftreten in Gehaltsverhandlungen; in Westdeutschland auch auf weniger Berufsjahre und kürzere Betriebszugehörigkeiten. Wichtig ist auch ein anderer Ursachenkomplex: Frauen sind häufiger in schlechter bezahlten Berufspositionen, Lohngruppen und Branchen tätig. Ab und zu offenbart der Gender Pay Gap skurrile Verwerfungen: So wird die Pflege von Tieren als "Männerberuf" besser bezahlt als die Pflege von Menschen – ein typischer "Frauenberuf".

Auch unter den Selbstständigen ist der Frauenanteil in den drei vergangenen Jahrzehnten gestiegen – zwischen 1991 und 2011 in Westdeutschland von 25 auf 31 Prozent und in Ostdeutschland von 28 auf 33 Prozent. Zugenommen haben insbesondere die Kleinstbetriebe: 2008 arbeiteten zwei Drittel der Frauen ohne Mitarbeiterinnen, waren also Solo-Selbstständige. Die Situation der weiblichen Selbstständigen ist häufiger unsicher, instabil und von kurzer Dauer, unter den "Ich-AGs" sind Frauen überproportional vertreten. Der "Gender Income Gap" ist bei den Selbstständigen mit 35 Prozent deutlich größer als bei den Arbeitnehmerinnen.

Frauen haben es erheblich schwerer als Männer, beruflich Karriere zu machen. Zwar rücken sie inzwischen zunehmend in die höheren Ebenen der Berufswelt vor, dennoch vollzieht sich beim Aufstieg in die leitenden Positionen eine deutliche Auslese nach Geschlecht. Es gilt weiterhin die Regel von der nach oben hin zunehmenden Männerdominanz: je höher die Ebene der beruflichen Hierarchie, umso kleiner der Anteil der Frauen und umso ausgeprägter die Dominanz der Männer. Die Chefetagen der Berufswelt sind inzwischen keine "frauenfreien Zonen" mehr; immer häufiger gelingt Frauen der Aufstieg bis in die Spitzenpositionen. Aber auch heute bilden sie dort nur kleine Minderheiten, wie die folgenden Beispiele aus verschiedenen Bereichen zeigen.

Hochschulen

Frauenanteile in der Hochschulhierarchie (© Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, 7., grundlegend überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2014, S. 388)

Das Schaubild zum Frauenanteil an den Hochschulen zeigt wichtige Veränderungen zugunsten der Frauen in den beiden letzten Jahrzehnten, macht aber zugleich auch das "Frauensterben" auf dem Weg nach oben drastisch sichtbar. Die deutsche Professorenschaft ist eine männerdominierte Gesellschaft geblieben. Von den Professuren war 2011 nur jede fünfte durch eine Frau besetzt, von denjenigen mit der besten Besoldung und Ausstattung, den C4-Professuren, ist es lediglich gut jede zehnte.

Gesundheitswesen

Auch in den Führungspositionen des "weiblichen Berufsfeldes" Gesundheitswesen dominieren die Männer. 2010 waren mehr als drei Viertel der Studienanfänger für den Arztberuf weiblich, aber die Führungspositionen des Gesundheitssektors – die Lehrstühle und Chefarztsessel – waren 2012 weiterhin zu über 90 Prozent von Männern besetzt.

Medien

In den einflussreichen Massenmedien wiederholt sich dieses Muster. In den Redaktionen des ZDF waren 1999 bereits 42 Prozent Frauen tätig. Die Spitzen der zwölf öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die zusammen die ARD bilden, waren allerdings bis 2002 "frauenfreie Zonen", alle Intendanten waren Männer. 2003 eroberte mit Dagmar Reim erstmals eine Frau eine Intendantenposition beim neu geschaffenen Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Von 2007 bis 2013 wurde auch der große Westdeutsche Rundfunk und seit 2011 der Mitteldeutsche Rundfunk von einer Frau geleitet – der WDR von Monika Piel, der MDR von Karola Wille.

Wirtschaft

Auch in den Chefetagen der größten Wirtschaftsunternehmen sind Frauen weiterhin Ausnahmeerscheinungen geblieben. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) waren Anfang 2010 von den Vorständen der größten 200 Unternehmen (ohne Finanzsektor) nur 2,5 Prozent weiblichen Geschlechts, lediglich ein Unternehmen wurde von einer Chefin geführt. In den Aufsichtsräten lag der Frauenanteil bei knapp 10 Prozent. Der Sprung in den Vorsitz eines Aufsichtsrates gelang lediglich zwei Frauen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch in der CDU die umstrittene Frauenquote kein Tabuthema mehr ist: Die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schlug 2011 eine verbindliche Quote von 30 Prozent für Vorstände und Aufsichtsräte vor. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wurde 2013 vereinbart, dass Aufsichtsräte in voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab 2016 neu besetzt werden, eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent aufweisen müssen.

Die Ursachen für die Schwierigkeiten der Frauen beim beruflichen Aufstieg sind vielschichtig. Das wichtigste Hindernis ist die traditionelle geschlechtstypische Rollenaufteilung in der Familie, die den Frauen die Hauptlast bei der Kindererziehung und privaten Haushaltsführung aufbürdet. Aber auch geschlechtstypische Sozialisationsprozesse sowie Vorurteile gegenüber Frauen in der Arbeitswelt spielen eine Rolle. So beklagten 74 Prozent der westdeutschen und 75 Prozent der ostdeutschen Frauen im Jahr 2010, dass sie mehr leisten müssten als Männer, um akzeptiert zu werden.

Männer beobachten die aufstiegsmotivierte Frau offenbar häufig mit einem besonders kritischen Blick und zweifeln an ihrer Kompetenz, Belastbarkeit und Führungstätigkeit. Dazu kommen unter Umständen noch geschlechtstypische Vorbehalte nach dem Muster "Wenn der Chef mit der Faust auf den Tisch haut, ist er dynamisch; wenn die Chefin mit der Faust auf den Tisch haut, ist sie hysterisch." Da die wichtigen formellen und informellen Netzwerke in den höheren Bereichen der Berufswelt von Männern beherrscht werden und in der Regel Männer über den beruflichen Aufstieg von Frauen entscheiden, können die geschilderten Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Frauen reale Wirkung entfalten.

Mehrere neue Studien belegen, dass die Vorbehalte gegenüber Frauen in Führungspositionen einer empirischen Untersuchung nicht standhalten. Dorothea Assig und Andrea Beck brachten diese Ergebnisse schon 1998 auf die Formel: "Sie bewältigt insgesamt die modernen Management-Anforderungen besser als er." Managerinnen sind demnach nicht nur kommunikativer und integrativer, teambewusster, ehrlicher und offener, sondern auch entscheidungsfreudiger, innovativer, die besseren Planer und wirtschaftlich erfolgreicher. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1996 über 22.000 französische Unternehmen hat gezeigt, dass von Frauen geleitete Betriebe doppelt so schnell wuchsen und doppelt so rentabel waren wie Unternehmen, die von Männern geführt wurden.

In der neueren Forschung sind die skizzierten Thesen allerdings nicht unumstritten. Bei einer Befragung von Führungskräften der deutschen Wirtschaft im Jahr 2010 stimmte jedoch eine klare Mehrheit der Männer (West 75 Prozent, Ost 74 Prozent) und insbesondere der Frauen (West 86 Prozent, Ost 83 Prozent) der Einschätzung zu, dass die Beteiligung von Frauen im gehobenen Management den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens erhöht.

Politik

Frauenanteile an Parteimitgliedern (© Datenquelle: Oskar Niedermayer, Parteimitglieder in Deutschland. Version 2013, Berlin 2013, S. 16)

Nach und nach fassen die Frauen auch im politischen Bereich Fuß. Dennoch sind die Folgen der jahrhundertelangen Ausgrenzung der Frauen von der Politik auch heute noch deutlich spürbar. So bekundeten 47 Prozent der westdeutschen Männer im Jahr 2010 sehr starkes oder starkes Interesse für Politik, aber nur 19 Prozent der Frauen (Hanf u. a. 2011). Entsprechend schlechter ist dann auch der politische Informationsstand der Frauen.
In den Parteien sind die Frauen bis heute mehr oder weniger starke Minderheiten geblieben, ihr parteipolitisches Engagement haben sie seit 1997 kaum gesteigert. Ende 2012 stellten sie bei der CSU nur 19,5 Prozent der Mitglieder, bei der FDP 23 Prozent, bei der CDU 25,6 Prozent und bei der SPD 31,5 Prozent. Die höchsten Frauenanteile finden sich bei den Grünen (37,8 Prozent) und den Linken (37,7 Prozent). 2010 waren nur 2 Prozent (West) bzw. 1 Prozent (Ost) der Frauen Mitglieder einer politischen Partei im Vergleich zu 5 Prozent (West) bzw. 3 Prozent (Ost) der Männer.

Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Parlamentarierinnen in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen hat. Ihr Anteil an den Bundestagsabgeordneten stieg von knapp 9 Prozent im Jahr 1980 über 21 Prozent im Jahr 1990 auf 36 Prozent im 2013 gewählten 18. Deutschen Bundestag. Die Werbung der Parteien um die Gunst der Wählerinnen, aber auch die Quotendiskussion dürften diese Entwicklung begünstigt haben.

Auch in politischen Spitzenämtern tauchen Frauen inzwischen häufiger auf. Seit Konrad Adenauer 1961 mit Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) die erste Frau in sein Kabinett holte, regierten bis 1987 auf Bundesebene stets ein bis zwei Frauen mit; sie waren allerdings stets für "frauentypische" Bereiche wie Gesundheit, Familie, Jugend oder später auch Bildung zuständig – bis auf Marie Schlei, von 1976 bis 1978 Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 1988 berief Helmut Kohl erstmals eine dritte Frau vorübergehend in seine Regierungsmannschaft, und 1992 eroberte mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erstmals eine Politikerin ein sogenanntes klassisches Ressort, das Justizministerium. In der Regierungszeit von Gerhard Schröder (1998-2005) wurden zunächst ein Drittel, später dann sechs von dreizehn Ministerien von Frauen geleitet, und auch von den 26 parlamentarischen Staatssekretären waren 2005 elf weiblichen Geschlechts. Im November 2005 gelang es schließlich Angela Merkel als erster Frau, ins Zentrum des Herrschaftssystems einzurücken und Bundeskanzlerin zu werden. Ihr Kabinett startete mit zehn Männern und fünf Frauen in die Amtszeit – ein Proporz, mit dem die Kanzlerin auch in ihrer zweiten Amtsperiode im Jahr 2013 regierte und seitdem in der Großen Koalition weiterhin regiert – unter anderem mit Ursula von der Leyen als erster deutscher Verteidigungsministerin.

Auf Landesebene gelang es den Frauen leichter, in die bisherige Männerdomäne der Kabinette einzudringen. 1996 hatten sie immerhin 46 von 172 Regierungsämtern (27 Prozent) inne. Allerdings dauerte es bis 1993, ehe mit Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein die erste Frau zur Ministerpräsidentin (bis 2005) gewählt wurde. Und es gingen wieder über eineinhalb Jahrzehnte ins Land, ehe ihr in Thüringen Christine Lieberknecht (CDU; 2009-2014), In Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft (SPD; ab 2010), im Saarland Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU; ab 2011) sowie in Rheinland-Pfalz Marie Luise Dreyer (SPD; ab 2013) folgten. Die Frauenanteile in den Landesregierungen waren zudem nach 1996 leicht rückläufig: 2005 war nur noch ein Fünftel der Regierungsämter von Frauen besetzt.

Auch zwei weitere der vier höchsten Staatsämter wurden bereits von Frauen erobert – das Bundestagspräsidium schon relativ früh von Annemarie Renger (SPD; 1972-1976) und später nochmals von Rita Süssmuth (CDU; 1988-1998) sowie das Präsidium des Bundesverfassungsgerichts von Jutta Limbach (SPD; 1994-2002). Lediglich das höchste Staatsamt wartet noch auf die Besetzung durch eine Bundespräsidentin.

Im europäischen Vergleich sind die Chancen der deutschen Frauen, in einflussreiche politische Ämter aufzusteigen, gut. Im Jahr 2003 lag Deutschland beim Frauenanteil in den nationalen Regierungen und Parlamenten der 15 EU-Länder auf den Rängen 3 bzw. 6.

Die Ursachen für die Probleme der Frauen, sich angemessen und erfolgreich in die Politik einzubringen, werden von Beate Hoecker (APuZ 24-25 / 2008) treffend skizziert: Die politischen Institutionen, informellen Strukturen und Karrieremuster sind männlich geprägt. Ihre Regeln entsprechen der typischen Lebenswirklichkeit der Männer und kollidieren mit derjenigen der Frauen. Aus ihren beruflichen Erfahrungen und Karrieren bringen Männer das Fachwissen und das Wissen über die Bedeutung sozialer Netzwerke ein. Für die "Ochsentour" zum Aufbau einer Hausmacht stehen ihnen – im Gegensatz zu vielen Frauen – die erforderliche Zeitsouveränität und Abkömmlichkeit zur Verfügung.

Familie


Die Schwierigkeiten bei der Gleichstellung der Frauen in Beruf und Politik hängen insbesondere mit ihrer Rolle in der Familie zusammen. In der bürgerlichen Gesellschaft waren dem Mann die bezahlte Erwerbsarbeit außer Haus sowie die öffentlichen Aktivitäten zugewiesen, der Frau oblagen die unbezahlten privaten Verpflichtungen bei der Haushaltsführung und der Kindererziehung. Übernimmt die Frau zusätzliche Verpflichtungen in Beruf oder Politik, muss man sie in der Familie entlasten, um sie nicht zu überlasten. Die eingefahrene traditionelle Rollentrennung zwischen Männern und Frauen in den Familien erweist sich jedoch als sehr zählebig. "An der traditionellen Zuweisung der Frauen zur Hausarbeit und Kindererziehung hat sich nur wenig geändert" (Huinink u. a. 2004).

Obwohl Frauen immer häufiger einem Beruf nachgehen, nehmen ihnen die Männer nur zögerlich Teile der häuslichen Aufgaben ab. Am ehesten lassen sie sich noch dazu erwärmen, die Vaterrolle zu spielen und sich an der Betreuung der Kinder zu beteiligen. Der harte Kern der traditionellen Hausarbeiten – Waschen, Putzen und Kochen – wird jedoch weiterhin in den meisten Familien von den Frauen erledigt.

Die Starrheit der herkömmlichen Arbeitsteilung in der Familie war und ist das Haupthindernis für die Gleichstellung der Frauen in Arbeitswelt und Politik. Dies lässt sich unter anderem an den folgenden Punkten konkretisieren:

  • Viele Mütter mildern die Kollision von Familien- und Berufspflichten durch den vorübergehenden Ausstieg aus dem Beruf oder durch Teilzeitarbeit. Die Entscheidung für eine dieser Varianten ist gleichbedeutend mit mindestens vorübergehendem Verzicht auf beruflichen Aufstieg, in vielen Fällen bedeutet sie auch beruflichen Abstieg.

  • Spitzenberufe sind meist "Anderthalb-Personen-Berufe". Sie sind auf einen helfenden Partner zugeschnitten, der dem Berufstätigen den Rücken freihält, damit dieser Zeit und Energien möglichst vollständig dem Beruf widmen kann. Die Rolle der Helfenden fällt nach dem traditionellen Rollenverständnis der Frau zu und bedeutet für sie Abstriche an ihren eigenen beruflichen Ambitionen.

  • Weitere wichtige Voraussetzungen für Spitzenkarrieren sind der Einstieg im richtigen Alter und das ständige "Am-Ball-Bleiben". Frauen können diese Bedingung häufig nicht erfüllen, weil wichtige Fundamente für den beruflichen Aufstieg in einer Lebensphase gelegt werden, in der sie durch Kinder besonders stark in Anspruch genommen sind.

  • Frauen sind eher bereit, Konflikte zwischen Beruf und Familie zugunsten der Kinder und des Partners zu lösen und Abstriche an ihren Karrierewünschen vorzunehmen. Auch junge und gut gebildete Paare, in deren Köpfen sich ein gleichberechtigtes, "egalitäres" Rollenverständnis entwickelt hat, geraten als Eltern in eine "Zeit- und Verfügbarkeitszwickmühle" und lösen das Dilemma meist unter Rückgriff auf das herkömmliche Rollenverhalten. So hat auch das 2007 eingeführte Elterngeld mit dem "Lockmittel" der Partnermonate die väterliche Zurückhaltung nur geringfügig aufgelockert. Es wird nicht nur 12, sondern 14 Monate lang bezahlt, wenn sich die Partner die Elternzeit teilen und eine/r von ihnen mindestens zwei Monate übernimmt. Bei den 2010 geborenen Kindern beteiligten sich 25 Prozent der Väter an der Elternzeit, aber drei Viertel davon nur während der beiden Partnermonate, lediglich 6 Prozent verzichteten ein ganzes Jahr lang auf einen Teil ihrer Berufstätigkeit.

Welchen Verzicht im familiären Bereich Frauen leisten müssen, die auf beruflichen Aufstieg setzen, wird aus einer Studie deutlich, die das Sinus-Institut im Auftrag des Familienministeriums durchgeführt hat: Frauen in den Führungspositionen der westdeutschen Privatwirtschaft leben fast doppelt so häufig allein wie Männer (31 Prozent der Frauen, 16 Prozent der Männer), und 60 Prozent von ihnen sind kinderlos geblieben (Männer 25 Prozent).

Ostdeutsche Frauen – Verliererinnen der Einheit?


In der DDR gehörte die Gleichstellung der Frau von Beginn an zu den offiziellen Zielen der sozialistischen Gesellschaftspolitik. Diese "Emanzipation von oben" vollzog sich paternalistisch-autoritär: Sie wurde von Männern gesteuert und war dem öffentlichen Diskurs entzogen. Motiviert war sie ideologisch, politisch und ökonomisch: Ideologisch war die Gleichheit von Männern und Frauen ein Element der egalitären Utopie von der kommunistischen Gesellschaft. Politisch sollten die Frauen durch den Abbau von Nachteilen für das neue sozialistische System gewonnen werden. Und ökonomisch stellten sie ein dringend benötigtes Arbeitskräftepotenzial für die Wirtschaft dar. Empirische Daten belegen, dass diese Politik den Frauen in der DDR einen strukturellen Gleichstellungsvorsprung im Vergleich zu den westdeutschen Frauen einbrachte – im Bildungssystem, in der Arbeitswelt, in einigen politischen Sektoren und auch in der Familie, hier allerdings sehr abgeschwächt.

Durch die Wiedervereinigung ist das modernere "realsozialistische" Arrangement der Geschlechter in gewisse Schwierigkeiten geraten. Teile des Gleichstellungsvorsprungs sind mit dem Verschwinden der Lenkungsmechanismen, dem Abbau frauenpolitischer Unterstützungsmaßnahmen und unter dem Einfluss der Arbeitsmarktkrise beim Umbau der Wirtschaftsordnung weggeschmolzen. Sind die ostdeutschen Frauen also die Verliererinnen der Einheit? Diese mitunter auftauchende plakative These wird den differenzierten Entwicklungen im Verhältnis der Geschlechter nicht gerecht und bedarf einiger Relativierungen. Die höhere und längere Arbeitslosigkeit der Frauen in den ersten Jahren der Vereinigung gehört seit einem Jahrzehnt der Vergangenheit an. Geblieben ist der Zwang zur meist ungewollten Teilzeitarbeit mit Folgen für das Privatleben: Bei einem Teil der Paare und in Familien wird das gewünschte "Doppelverdiener-Modell" zu einem "Eineinhalbverdiener-Modell" herabgestuft.
Auf dem Negativkonto der Vereinigung lassen sich drei weitere Folgen verbuchen:

  • Die Arbeitsmarktkrise und der Abbau der außerhäuslichen Kinderbetreuung haben zu einer gewissen "Retraditionalisierung" der häuslichen Arbeitsteilung geführt. So hat sich zum Beispiel der Zeitaufwand für Hausarbeiten zuungunsten der Frauen verschoben, egal ob diese ganztags, in Teilzeit oder gar nicht erwerbstätig sind.

  • Der Abbau der außerhäuslichen Kinderbetreuung, insbesondere der Kinderkrippen, erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

  • In Bedrängnis geraten sind die vielen alleinerziehenden Mütter. Sie gehören zu den "neuen" Problemgruppen in der Armutszone.

Trotz aller Probleme hat der "doppelte weibliche Lebensentwurf" – die hohe Erwerbsorientierung, das Streben nach beruflichem Erfolg und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – nicht nur weiterhin Bestand, er hat sich eher noch verstärkt. Bei den Frauen und auch bei den Männern ist er fest verwurzelt. Im Osten ist die weibliche Erwerbsquote weiterhin höher als im Westen, und das "Doppelverdiener-Modell" wird erheblich häufiger gelebt. Gut qualifizierte Frauen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und öffentliche Verwaltung können sich nach der Vereinigung im Arbeitsmarkt behaupten.

In den wirtschaftlichen Führungspositionen haben sie ihre Anteile im letzten Jahrzehnt gesteigert und den deutlichen Vorsprung gegenüber ihren westdeutschen Kolleginnen nicht eingebüßt. So waren im Jahr 2012 nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zu den Unternehmen mit mindestens fünf Beschäftigten in Ostdeutschland 32 Prozent der Führungspositionen in Frauenhand – im Vergleich zu 22 Prozent in Westdeutschland –, und 16 Prozent der ostdeutschen Unternehmen werden von einer Frau geleitet – von den westdeutschen sind es nur 10 Prozent. Und im großen Dienstleistungssektor ist die Einkommenslücke zu den Männern, anders als in Westdeutschland, fast geschlossen worden.

Es gibt also unter den ostdeutschen Frauen nicht nur Verliererinnen, sondern auch Gewinnerinnen. Dies wird auch in den Antworten zur sogenannten Gewinn-Verlust-Bewertung deutlich: 2010 sahen 38 Prozent der ostdeutschen Frauen "fast zwanzig Jahre deutsche Einheit" eher als Gewinn und 26 Prozent eher als Verlust an. Bei den Männern waren diese Proportionen allerdings mit 47 Prozent Gewinnern versus 23 Prozent Verlierern günstiger.

Auch im politischen Bereich haben die ostdeutschen Frauen ihren Modernisierungsvorsprung gehalten: Sie sind politisch stärker interessiert und in wichtigen Institutionen besser vertreten. 2012 waren von den ostdeutschen Abgeordneten des Deutschen Bundestags 39 Prozent Frauen, von den westdeutschen waren es nur 31 Prozent. Es kommt offensichtlich nicht von ungefähr, dass die erste deutsche Bundeskanzlerin in der DDR aufgewachsen ist und die Ostdeutschen im dritten Kabinett Merkel mit zwei Frauen vertreten sind – Johanna Wanka (CDU) als Ministerin für Bildung und Forschung und Manuela Schwesig (SPD) als Familienministerin.

In der Regel unterliegt die ostdeutsche Sozialstruktur einem massiven Anpassungsdruck an westdeutsche Verhältnisse. Bei der geschlechtstypischen Ungleichheit lassen sich jedoch umgekehrte Einflüsse von Ost nach West ausmachen: Rückständige Westverhältnisse passen sich moderneren Ostverhältnissen an. Hinter den öffentlichen Diskussionen um den Ausbau der Kinderbetreuungsstätten und Ganztagsschulen, um Pflegeurlaub, Elterngeld, Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit mit Beschäftigungsgarantie, um die besondere Unterstützung studierender Mütter, die berufliche Frauenförderung oder die bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und häuslichen Pflichten stehen – meist unausgesprochen – auch Regelungen, Einstellungen und Selbstverständlichkeiten, die in der DDR bereits einmal in einem anderem politischen Kontext Realität waren.

QuellentextVereinbarkeit von Karriere und Familie …

… eine Illusion …

Seit fünf Jahren treffen sich die Ärztin, die Unternehmensberaterin und die beiden Anwältinnen jeden Donnerstagnachmittag. Am Anfang waren sie zu viert, zusammen im Geburtsvorbereitungskurs, später zu acht, und mittlerweile sind sie elf und sprengen jedes Wohnzimmer. Zu den vier Kindergartenkindern haben sich drei kleine Geschwister gesellt, und vielleicht kommen noch mehr hinzu. Fragt man die Freundinnen nach den vergangenen fünf Jahren, sagen sie, dass es eine unglaubliche Zeit gewesen sei, intensiv, anstrengend, aber auch voller Glücksgefühle, die sie vorher nicht erahnt hätten.
Nach ihren Jobs gefragt, werden die Freundinnen einsilbiger. Denn in dem Maße, wie ihre Familien wuchsen, sind ihre Karriereaussichten geschrumpft. Hätte man sie vor fünf Jahren gefragt, ob die Kinder etwas daran ändern würden, hätten die Freundinnen den Kopf geschüttelt. Sie hätten von Vorgesetzten erzählt, die sie dabei unterstützen wollen, trotz der Kinder aufzusteigen. Sie hätten ihre Ehemänner gelobt, die auch Elternzeit nehmen wollen. Zwei Freundinnen wollten ohnehin nach sechs Monaten wieder an den Schreibtisch zurückkehren – natürlich in Vollzeit.
Es ist anders gekommen. Weil der Chef auf einmal nicht mehr so verständnisvoll war, als die Tochter den dritten Infekt in zwei Monaten hatte. Weil der Vater zwar sechs Monate Elternzeit genommen, aber noch nie eine Dienstreise wegen Scharlach abgesagt hat. Vor allem aber, weil auch die Freundinnen, die fest vorhatten, schnell wieder durchzustarten, sich nach der Geburt einfach nicht mehr vorstellen konnten, zehn Stunden am Tag von ihren Kindern getrennt zu sein.
Jeden Tag erleben sie eine Binsenweisheit, die so banal ist, dass sie sich im Nachhinein wundern, warum sie es nicht haben kommen sehen: Wer Karriere machen will, muss viel arbeiten. Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder. […]
Wie es ist, Kinder aufzuziehen, weiß erst, wer welche hat. Bei den meisten Frauen verschieben sich die Prioritäten. […]
Die Freundinnen haben ihren Kindern bewusst den Vorzug gegeben. Aber sie würden sich wünschen, dass ihre Vorgesetzten den gleichen Blick auf das (Arbeits-)Leben haben wie die Eltern eines Kleinkindes: als eine Abfolge verschiedener Phasen, die nicht linear verlaufen müssen. Im Moment mögen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Aber das kann morgen anders sein. Und dann möchten die Freundinnen noch eine Chance.

Judith Lembke, "Vereinbarkeit ist eine Lüge", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. März 2014 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

… oder eine (hart erkämpfte) Möglichkeit?

DIE ZEIT: […] Wie viel Zeit haben Sie in dieser Woche mit Ihren Kindern verbracht?
B.H.: Viel weniger als mit Arbeit. Ich bringe meine Tochter morgens um acht Uhr in den Kindergarten, und abends sehe ich sie selten vor sieben, halb acht.
N.V.: […] [Z]u Hause war ich diese Woche gar nicht. […] Das ist aber die Ausnahme. Normalerweise bin ich nur an drei Tagen in der Woche nicht zu Hause.
J.F.: Ich arbeite 80 Prozent und versuche, die Kinder so gegen 16 Uhr aus der Kita und dem Hort abzuholen. Zweimal in der Woche arbeite ich länger, da unterstützen uns die Großeltern.
P.K.: Ich arbeite Vollzeit, genau wie mein Mann. Wir sehen zu, dass einer von uns um 19 Uhr zu Hause ist. […]
ZEIT: Dieses Lebensmodell, nicht nur Kinder haben zu wollen, sondern die Karriere in vollem Umfang noch dazu – wie akribisch haben Sie das geplant?
N.V.: Ich glaube nicht, dass man das planen kann. Mir war immer klar, dass ich beides will, das schon. […] Aber solche Vorstellungen umzusetzen, das hat ja mit viel mehr Faktoren zu tun. Ganz entscheidend: Finde ich einen Mann, der meine Lebensplanung teilt? […]
B.H.: Ich hatte lange Zeit keinen Mann, mit dem ich ein Kind hätte bekommen können. Ich […] habe einfach mit Vollgas Karriere gemacht. Dann traf ich meinen Mann. Wir haben erst mal die Zweisamkeit genossen, und dann kam das Kind.
J.F.: […] Man geht in die Schule, macht ein Studium, erlernt einen Beruf, ist eine eigenständige Person. Und dann kriegt man ein Kind und soll plötzlich nichts anderes mehr machen, als sich darum zu kümmern? Das war für mich nie im Entferntesten eine Option! Dann habe ich in einer Kanzlei gearbeitet und war in meinem Büro irgendwann die einzige angestellte Anwältin mit Kindern.
ZEIT: Wo waren die anderen?
J.F.: Nicht mehr da. […] In einem solchen Umfeld haben Sie als junge Mutter keinen Ansprechpartner. […] Sie stehen überwiegend Männern gegenüber, die sich in Ihre Lage nicht hineinversetzen können […], weil bei ihnen im Hintergrund die Frau alles abdeckt, die Kinder, den Haushalt. Und dann denken diese Chefs, das Problem sei nur die Vereinbarkeit, und bieten Teilzeit an.
ZEIT: Das ist es aber nicht?
J.F.: Es geht doch auch um Inhalte! Wenn die Frauen nach dem Wiedereinstieg das Gefühl haben, man setzt sie einfach irgendwohin, obwohl sie schon einiges an Berufserfahrung haben, dann fühlen sie sich entwertet. Aber wenn sie merken, der Chef hat sich was überlegt, bietet ihnen trotz reduzierter Arbeitszeit Aufstiegschancen an, dann sind sie motiviert. […]
P.K.: […] Extrem wichtig ist es, von Anfang an den Partner einzubeziehen. Denn in der Tat ist das, was wir hier machen, ohne Partner oder Netz und doppelten Boden kaum zu schaffen.
ZEIT: Ihre Männer packen also mit an?
B.H.: Mein Mann ist in der Regel unter der Woche unterwegs. Natürlich übernimmt er Aufgaben, wenn er da ist, aber das ist nicht planbar. Aber es geht auch so. […]
N.V.: Bei uns ist mein Mann derjenige, der die Familienfäden zusammenhält. Er arbeitet genauso viel wie ich, ist aber etwas flexibler. Die Terminabsprache ist ein wichtiger Bestandteil unseres Sonntagabendgesprächs. Wer ist wann wo?
P.K.: […] Mein Mann macht alles, was mit Küche, Einkaufen und Fußballverein zu tun hat. Ich koordiniere die Kinderbetreuung und die Schulsachen. Konflikte gibt es bei Themen, die außerhalb der Alltagsroutine liegen […].
[…] DIE ZEIT: (W)ie gehen Sie mit der Frage um: Ist das überhaupt gut für mein Kind?
B.H: […] Ich weiß, dass meine Tochter sich wünscht, dass ich manchmal mehr Zeit für sie hätte. Also versuche ich das zu kompensieren. Wenn wir zusammen sind, bin ich vielleicht intensiver Mutter als viele andere, die sehr viel mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen. […]
P.K.: […] Wenn ein Vater die Entscheidung trifft, Vollzeit zu arbeiten, würde ihm niemand Egoismus unterstellen. Jeder würde sagen: "Der sorgt für die Familie." Ich wehre mich dagegen, dass das Arbeiten von Müttern allein der Selbstverwirklichung dient. Es trägt genauso zum Familieneinkommen bei, und ich kenne nicht wenige Fälle, in denen die Frauen die Hauptverdiener in der Familie sind. […]
ZEIT: […] Was passiert, wenn in diesem komplizierten Gefüge, das Sie sich geschaffen haben, einer nicht mehr funktioniert - das Kind, die Kita, das Au-pair oder Sie selbst? […].
P.K.: Wir standen […] schon mal plötzlich ohne Kinderfrau da. Von einem Tag auf den anderen musste ich vier Wochen lang Homeoffice machen. Aber da zeigt sich die Flexibilität auf beiden Seiten: In meinem Job muss ich gelegentlich auch mal ein Wochenende durcharbeiten oder eine echte Abend- oder sogar Nachtschicht einlegen. Da biete ich Flexibilität. Aber ich fordere sie auch ein. Ein guter Arbeitgeber beharrt nicht auf starren Anwesenheiten.
ZEIT: Beschweren sich die Kinder denn nie, dass Sie so wenig zu Hause sind?
P.K.: Wir haben eine Vereinbarung, dass ich nicht mehr als zwei Abendtermine pro Woche habe. Wenn es mehr sind, beschweren sie sich. Dann gleiche ich das in der nächsten Woche wieder aus.
N.V.: […] Ich darf nicht sagen: "Ich bin zum Abendessen da", und dann nicht kommen. […] Aber wenn ich sage: "Ich bin jetzt drei Tage nicht da, aber am Donnerstag komme ich zurück", dann können sie damit gut umgehen. […]
B.H.: Ich versuche, zu den wichtigsten Veranstaltungen da zu sein. Zu Aufführungen im Kindergarten oder beim Vorspielen. Selbst wenn es um zwei Uhr nachmittags ist. Dann lasse ich alles stehen und liegen.
ZEIT: Und das ist mit Ihrem Job vereinbar?
B.H.: Das ist ja das Gute daran, wenn man Karriere macht: Die Freiheiten nehmen zu! Viele denken, wir rennen immer nur mit dem Köfferchen unterm Arm hierhin und dorthin und sind nur im Stress. Dabei wird es einfacher. Man muss sich nicht rechtfertigen, warum man mal kurz weg muss. […]
ZEIT: Wären Ihre Jobs […] weg gewesen, wenn Sie eine […] lange Auszeit genommen hätten?
P.K.: Ich wurde eingestellt, da war ich mit meinem ersten Kind schwanger. Ich habe meinem Chef damals versichert, dass ich vier Monate nach der Geburt wieder einsteigen würde. Das hat er mir geglaubt, und ich habe es auch gemacht.
N.V.: Mir ist aber auch aufgefallen: Es gibt da durchaus einen Ost-West-Unterschied. Von all den Freundinnen, die mit mir in Leipzig studiert haben, blieb fast keine ein ganzes Jahr zu Hause.
ZEIT: In den Diskussionen um den Spagat zwischen Beruf und Familie mehren sich die Stimmen, die von einer "Vereinbarkeitslüge" sprechen. Es jedem recht zu machen funktioniere einfach nicht. Einer leidet, zerbricht, geht unter. Warum haben Sie selbst so gar keine Zweifel an Ihrem Modell?
N.V.: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre einfach. Es ist nicht einfach. Aber ich habe diese Wahl bewusst getroffen und bin damit zufrieden. Wenn ich nicht mehr zufrieden bin, muss ich etwas ändern.
P.K.: Ich denke auch, dass es möglich ist. […] Der Partner sollte wissen: Ich erwarte, dass wir uns die Verantwortung für die Kinder teilen. Den Kindern sollte klar sein: Mama und Papa arbeiten, das bedeutet, dass ihr Verantwortung übernehmt, eure Schulsachen selber packt. Und natürlich Klarheit gegenüber dem Chef: Da muss man als Frau auch mal den Blinker setzen und die Lichthupe verwenden, damit überhaupt einer merkt, dass sie weiter vorankommen will.
[…]

"Zu Hause war ich diese Woche gar nicht", Interview mit vier vollzeitberufstätigen Müttern, in: Die ZEIT Nr. 43 vom 16. Oktober 2014. Das Gespräch führten Margarete Moulin und Jeanette Otto

Prof. em. Dr. Rainer Geißler ist Soziologe an der Fakultät I – Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Siegen. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit; Bildungssoziologie und Sozialisationsforschung; Migration und Integration; die Gesellschaft Kanadas; Soziologie der Massenkommunikation sowie Soziologie des abweichenden Verhaltens.
Seine Anschrift lautet: Universität Siegen / Fakultät I / Adolf-Reichwein-Straße 2 / 57068 Siegen / E-Mail: E-Mail Link: geissler@soziologie.uni-siegen.de