Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Kraft trat und die Bundesrepublik Deutschland als neuer Staat entstand, gab es bereits deutsche Länder. In allen vier Besatzungszonen hatten die alliierten Siegermächte nach 1945 dezentrale Verwaltungseinheiten geschaffen. Sie knüpften damit an eine lange deutsche Tradition an, die bis zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zurückreicht. Doch besonders wichtig war ihnen ein anderer Aspekt: Die neue Ordnung sollte angesichts des unheilvollen nationalsozialistischen Einheitsstaates durch ihre föderalen Strukturen jede einseitige Machtkonzentration verhindern helfen. In der DDR, die unter Einfluss der Sowjetunion die Leitlinien des "demokratischen Zentralismus" verfolgte, wurden die Länder 1952 aufgelöst. In den Westzonen dagegen erhielten die Väter und Mütter des Grundgesetzes seitens der drei westlichen Besatzungsmächte den Auftrag, eine demokratische Verfassung zu schaffen, die eine föderalistische Regierungsform für die beteiligten Länder vorsah. Artikel 20 GG bestimmt: "Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat".
Im Gegensatz zu anderen föderalen Staaten wie beispielsweise den USA, wo es eine klare Aufgabentrennung zwischen Washington und den Bundesstaaten gibt, ist der deutsche Föderalismus durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gekennzeichnet. So beteiligen sich die Länder über den Bundesrat an der Gesetzgebung, wirken bei Angelegenheiten mit, welche die Europäische Union betreffen, und setzen Bundesgesetze und -vorgaben über ihre Verwaltungen um. Im Grundgesetz ist die Verteilung der Kompetenzen festgelegt. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurde die Zuordnung der staatlichen Aufgabenerfüllung zwischen Bund und Ländern immer wieder durch Reformen neu verteilt.
Wichtige Prinzipien des deutschen Föderalismus sind Subsidiarität und Solidarität. Subsidiarität bedeutet, dass der Bund nur solche Aufgaben übernehmen soll, die auf Länderebene nicht erfüllt werden können bzw. das gesamte Bundesgebiet betreffen. Die Aufgabenverteilung ist von unten her gedacht: Bürgernahe Politik hat den Vorrang vor bürgerfernen Entscheidungen. Das Solidaritätsprinzip bedeutet, dass die Länder und der Bund füreinander einstehen und einander Hilfe zur Selbsthilfe gewähren. Sichtbarstes Zeichen für dieses Prinzip ist der – allerdings immer wieder heftig umstrittene – Länderfinanzausgleich.
Mehrheitlich befürworten die Bürgerinnen und Bürger weiterhin die Gliederung des Bundes in Länder. Sie wünschen sich aber gleichzeitig häufig selbst in Politikfeldern, die ureigenes Recht der Länder – etwa die Bildungspolitik – sind, bundeseinheitliche Lösungen. Auch wenn es um einheitliche Steuersätze oder bundesweit vergleichbare Lebensbedingungen geht, spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung dafür aus. "Deutschland, so der Eindruck, ist zwar ein Land mit tief verwurzeltem Regionalstolz und einer ausgeprägt föderalen Verfassung – aber ohne echte Föderalisten" schreibt der ZEIT-Journalist Matthias Krupa. Gerade Standards in der Bildungspolitik, wie beispielsweise ein bundesweites Zentralabitur, werden immer wieder diskutiert. Und zuletzt ließ die Pannenserie bei der Aufklärung der durch Rechtsextremisten begangenen Morde in der Öffentlichkeit Fragen nach der Notwendigkeit der Landesverfassungsschutzämter laut werden.
Zu den "demokratischen Potenzialen des Föderalismus" gehört es, dass auf Länderebene neue Formen der Partizipation "erprobt" werden können, die zum Vorbild für andere Länder oder für den Bund werden können. So gibt es in allen Ländern Formen der direkten Demokratie wie Volksbegehren und Volksentscheide, die auf Bundesebene bisher nur in zwei Fällen vorgesehen sind (Länderneugliederung Artikel 29 GG, Entscheidung über die Bundesverfassung Artikel 146 GG).
"Vielfalt und Einheit – das Spannungsverhältnis zwischen diesen Prinzipien beherrscht das Bemühen um die Ausgestaltung des deutschen Föderalismus. Das richtige Gleichgewicht zu finden", so der Autor Roland Sturm, "ist eine sich immer wieder aufs Neue stellende politische und gesellschaftliche Aufgabe".
Editorial
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