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Menschenrechte in der Volksrepublik China

Kristin Shi-Kupfer Kristin Kupfer

/ 7 Minuten zu lesen

Menschenrechte haben in der Volksrepublik China nach wie vor einen schlechten Stand. Zwar ist der Schutz der Menschenrechte in der Verfassung verankert, allerdings nur nach Lesart der chinesischen Parteiführung: Peking will eine "zivilisierte, keine zivile Gesellschaft". In den vergangenen Jahren wurden zwar Verbesserungen erzielt, insbesondere in der Armutsbekämpfung. Der Aufbau eines Rechtsstaates kommt jedoch kaum voran.

Ein Anhänger der regierungskritischen Zeitung Southern Weekly hält ein Banner mit der Aufschrift "Unterstützt Southern Weekly, boykottiert die Nachrichtenzensur und gebt mir meine Redefreiheit zurück" bei einem Protest im Januar 2013 vor der Redaktion in der Guangdong Provinz in China. (© picture-alliance/AP)

Menschenrechte – ein Instrument der Mächtigen

Voller Widersprüche scheint die Lage der Menschenrechte in China. Beispiel Umwelt: Unterdrückte Proteste gegen Bodenverschmutzung durch Aluminiumhütten, gleichzeitig parteistaatliche TV-Enthüllungsberichte über Pestizidbelastung von Ackerland. Erfolgreiche Klagen von chinesischen NGOs gegen Umweltsünder, zeitgleich der mysteriöse Tod einer Umweltaktivistin in Polizeigewahrsam.

Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, lässt sich leicht auflösen: Für die kommunistische Partei Chinas (KPC) sind Menschenrechte kein unumstößliches Prinzip, sondern ein Instrument zum Machterhalt. Geschützt wird, was nützt. Seit 2004 ist der Schutz der Menschenrechte in der chinesischen Verfassung verankert. Diese unterliegt allerdings der Autorität der KPC.

Um die zunehmend heterogenen und teilweise gegensätzlichen sozio-ökonomischen Interessen der Bevölkerung zu kanalisieren, exzessiven Missbrauch durch den Sicherheitsapparat zu verhindern und die soziale Stabilität zu wahren, hat Peking in den vergangenen zehn Jahren eine Reihe von Gesetzesänderungen vorgenommen – die allerdings nicht gegen staatliche Interessen angewendet werden. Dennoch haben Sie in der Realität eine gewisse Verbesserung des Menschenrechtsschutzes mit sich gebracht. Dazu zählen u.a. das Arbeitsvertragsrecht (2008), die Abschaffung des "Umerziehung durch Arbeit"-Strafsystems (2013) und die Einführung einer Klagemöglichkeit im Namen des öffentlichen Interesses gegen Firmen, die die Umwelt verschmutzen (2015).

Die Rahmenbedingungen für diesen funktionalen Gebrauch der Menschenrechte haben sich unter Staatspräsident Xi Jinping allerdings stark verändert: Xi, der seit 2013 das Amt innehat, unterdrückt und überwacht alle gesellschaftlichen Kräfte, die sich für freie Meinungsäußerung und autonome Interessensvertretung (u.a Rechtsanwälte, Richter und Arbeiteraktivisten) einsetzen. Das im Juli 2015 verabschiedete Gesetz zur Nationalen Sicherheit verstärkt die Möglichkeit, unbequeme Kritiker und Aktivisten abzustrafen. Dies droht auch Ausländern – konkret durch das am 1. Januar 2017 in Kraft getretene Gesetz zum Management der Aktivitäten ausländischer NGOs in China. Laut dieses Gesetzes sind ausländische NGOs nun Gegenstand der nationalen Sicherheit. Peking will damit den Einfluss von als "schädlich" empfundenen "westlichen" Werten und politischen Ordnungsvorstellungen, wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, eindämmen. Xi Jinping will eine "zivilisierte und keine zivile Gesellschaft". Menschenrechte – insbesondere zivile und bürgerliche – haben dabei einen immer schwereren Stand.

Offizielle Position und Instrumente der Menschenrechtspolitik

Die Position der amtierenden chinesischen Führung ist durch folgende zentrale Charakteristika gekennzeichnet:

  1. Menschenrechte sind vom Staat verliehen und geschützt.

  2. Individuelle Rechte dürfen weder die Rechte anderer Bürger noch die Interessen der Gesellschaft und des Staates verletzen.

  3. Rechte sind mit Pflichten gegenüber der Gesellschaft und dem Staat verbunden (Artikel 50ff. der chinesischen Verfassung).

Zwei Merkmale haben unter der Administration von Xi Jinping eine andere Nuance bekommen: Die Universalität der Menschenrechte hat Peking bis dato "respektiert", wenn auch in Abhängigkeit von "nationalen Besonderheiten" – zum Beispiel wird aufgrund des selbst empfundenen Status eines Entwicklungslandes das Streikrecht eingeschränkt. Mit dem sogenannten Parteidokument Nr. 9 stellt China diese Universalität nun jedoch grundsätzlich infrage: Konzepte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte seien Teile eines westlichen Wertesystems. Mit diesem wollten ausländische Regierungen die Herrschaft der KPC untergraben, so das Dokument.

Das Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder in Bezug auf die Menschenrechtslage hält China nicht mehr stringent ein. Bereits seit 2001 publiziert die chinesische Regierung regelmäßig Weißbücher über die Lage der Menschenrechte in den USA. Diese sind eine Reaktion auf die jährlichen Dokumentationen über Menschenrechtsverletzungen in China durch das US-Außenministerium (State Department). Diese Strategie zielt auf die eigene Bevölkerung: Westliche Länder, jüngst im Zug der Flüchtlingskrise auch Europa, werden einer Doppelmoral bezichtigt. Damit soll vor allem an den nationalen Stolz der chinesischen Bevölkerung appelliert werden.

Diese Positionierung macht die chinesische Regierung u.a. mit folgenden Instrumenten und (Kommunikations-)Strategien deutlich:

  1. Zitierung von internationalen Abkommen. China hat insgesamt 20 UNO-Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Darunter sind auch der UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1997 unterzeichnet, 2001 ratifiziert) und der Pakt über zivile und politische Rechte (1998 unterzeichnet, bis dato nicht ratifiziert). Ähnlich wie in anderen Staaten ist der Geltungsbereich einiger Abkommen unter Verweis auf die nationale Gesetzgebung jedoch eingeschränkt.

  2. Rechtfertigung von Repressionen durch Bezug auf internationale Diskurse und Praktiken. Peking sieht sich durch die aktuelle Welle eines (wieder)erstarkenden Autoritarismus gestärkt. Russland und in gewisser Weise auch Indien sieht die chinesische Regierung dabei als potenzielle Verbündete.

  3. Aktive Kommunikation eines "sozialistischen Wertesystems mit chinesischen Charakteristika" als Alternative zum "westlichen Wertesystem". Diese "sozialistischen" Werte umfassen laut offizieller Definition "Wohlstand, Demokratie, Zivilisiertheit, Harmonie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Hingabe, Integrität und Freundschaft". Während Konzepte wie Harmonie und Freundschaft an traditionelle bzw. traditionell-autoritäre Vorstellungen anknüpfen, sollen Begriffe wie "Demokratie" und "Freiheit" im chinesischen Kontext neu gedeutet werden. Peking kommuniziert aber bisher nur, dass sie anders sein sollten als im westlichen Verständnis. Eine eigene inhaltliche Definition fehlt noch.

Der Kampf um die Menschenrechte – Aktivisten und Aktionen

Die Niederschlagung der Mauer-der-Demokratie-Bewegung (1970er Jahre, u.a. initiiert von dem ehemaligen Rotgardisten Wei Jingsheng) und der Interner Link: Tiananmen-Protestbewegung (1989 in Peking um den Platz des Himmlischen Friedens, aber auch in weiten Teilen des Landes) hat viele Chinesen tief traumatisiert: Politisches Engagement für Freiheit und Menschenrechte hat in einem autoritären Land wie der Volksrepublik einen hohen Preis.

In den 1990er Jahren versuchten Bürgerrechtler Parteien und verschiedene Menschenrechtsorganisationen offiziell anzumelden und damit zu legalisieren. Der Frühling 1998 war – ähnlich wie 1989 – gekennzeichnet von öffentlichen Debatten über politische und rechtliche Reformen. Im Zuge eines Besuchs des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton waren viele internationale Medien vor Ort und berichteten über die Debatten. Kaum war Clinton abgereist und die Medienaufmerksamkeit abgeflaut, begannen die chinesischen Behörden die Anführer der Bürgerrechtsbewegung zu verhaften und verurteilten diese zu langen Gefängnisstrafen.

2002 entstand die sogenannte Rechtsschutzbewegung als Wiege für eine bis heute andauernde Interner Link: Bürgerrechtsbewegung. Sie wird angetrieben durch zunehmend heterogene Interessen in der Gesellschaft und ein daraus entstandenes wachsendes Rechtsbewusstsein. Dieses Bewusstsein hat Peking durch den Aufbau einer "Herrschaft mit Recht" mitgeprägt. Diese war und ist notwendig, um Chinas wachsender Integration in die internationale Gemeinschaft gerecht zu werden: Ausländische Firmen – wie auch zunehmend chinesische Privatunternehmen – haben beispielsweise die rechtliche Absicherung von Investitionen oder den Schutz von geistigem Eigentum eingefordert. Darüber hinaus wollte Peking auch einen legalen Kanal für Interessenskonflikte innerhalb Chinas schaffen: Konfliktparteien sollten ihre Probleme durch Vergleiche oder Gerichtsprozesse lösen können und nicht durch Selbstjustiz. Der Bevölkerung sollte auch die Hoffnung vermittelt werden, dass sie erfahrene Ungerechtigkeiten nicht auf das politische System an sich, sondern auf Verfehlungen lokaler Kader projiziert. Deshalb haben sie bis heute die Möglichkeit, bei Beschwerdestellen auf der nächsthöheren Ebene vorzusprechen. Soziale Unruhen sollen so möglichst vermieden werden.

Die chinesische Regierung hat deshalb bisher vor allem in die Ausbildung von Rechtsanwälten und Richtern investiert. Auch durch diese öffentliche Unterstützung hat sich unter ihnen ein starkes Berufsethos entwickelt. Trotz wiederkehrender Verhaftungen setzen sich immer wieder Anwälte –nicht selten zusätzlich durch einen christlichen Glauben gestärkt – für die Rechte anderer ein. Neben Rechtsanwälten sind Journalisten, Blogger und auch Wissenschaftler zentrale Akteure im Kampf um Menschenrechte in der Volksrepublik. Aktivisten im Bereich der Frauen- und LGBT-Rechte zogen durch bunte Straßenaktionen ebenfalls viel mediale Aufmerksamkeit auf sich.

Ausblick

Bilanziert man die aktuelle Lage der Menschenrechte in China mit einem historischen Maßstab, so kann man der kommunistischen Führung in einzelnen Bereichen ein positives Zeugnis ausstellen. Insbesondere die Armutsbekämpfung ist hier hervorzuheben. China hat von 1981 bis 2010 680 Millionen Menschen aus der Armut geholt. Die absolute Armutsrate ist auf unter 10 Prozent gesunken. Legt man die geschaffenen Gesetze, deren Umsetzungen und Auswirkung als Maßstab an, so bleibt das Bild aber sehr ambivalent.

  • Recht auf Existenz und Entwicklung. Bis 2020 soll die absolute Armut in China abgeschafft sein, verkündete die Partei Anfang 2016. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) bescheinigt der Volksrepublik auch bei anderen Millenniumszielen (u.a. garantierte Schulbildung und Reduzierung der Kindersterblichkeit) große Erfolge. Große Probleme bestehen weiterhin im Bereich der Lebensmittelsicherheit und der Umwelt sowie sozialer Ungleichheit – nach der China Family Panel Studies 2016 der renommierten Peking-Universität besitzen ein Prozent der Bevölkerung ein Drittel des nationalen Vermögens, während die ärmsten 25 Prozent nur rund ein Prozent auf sich vereinen.

  • Aufbau eines Rechtsstaats. Die Absicherung von Arbeiterrechten, vereinfachte Möglichkeiten gegen lokale Behörden und Unternehmen zu klagen sowie Rechtsanwälte zu konsultieren, sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einem besseren Menschenrechtsschutz. Beispiele von Willkür des Polizei- und Sicherheitsapparats, die immer wieder die Öffentlichkeit erschüttern, sowie die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz zeigen, dass Recht in China jedoch ein Machtinstrument bleiben.

Um den Schutz der Menschenrechte grundlegend zu verbessern, müsste sich die KPC der Verfassung unterwerfen, eine unabhängige Justiz sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit zulassen. Dies ist unter der gegenwärtigen Führung ausgeschlossen.

Durch verschiedene Dialogformate sind westliche Regierungen mit China im Gespräch über Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte. Ein verantwortlicher Umgang mit der Volksrepublik – auch mit Blick auf die 1948 unterschriebene Universalität der Menschenrechte –schließt Elemente der Ermutigung und der Ermahnung ein: Bemühungen Pekings um mehr Transparenz und Offenheit sind zu begrüßen. Repressionen, einschließlich durch Verletzungen der eigenen Rechtsgrundlage, sollten westliche Regierungen klar als "rote Linie" im Umgang mit Menschen benennen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Kristin Shi-Kupfer, Jahrgang 1974, leitet am Mercator Institut for China Studies (MERICS) den Forschungsbereich Politik, Gesellschaft und Medien. Die Politikwissenschaftlerin und Sinologin hat von 2007-2011 als Journalistin in China gelebt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Zivilgesellschaft, Ideologie und Medien in der Volksrepublik.