Die ausdrückliche Verkündung von Menschenrechten stellt etwas verhältnismäßig Neues dar; im 18. Jahrhundert wurden sie im europäischen und nordamerikanischen Raum erstmals für eine breite Öffentlichkeit formuliert. Bereits lange zuvor gab es auch Ansätze in anderen Kulturkreisen. So finden sich im Denken des Buddhismus (6. Jh. v. Chr.) und bei dem indischen Gesetzesschreiber Manu (2./3. Jh. n. Chr.) Elemente, die menschenrechtliche Mindeststandards definieren. Auch die chinesischen Philosophen Konfuzius (551-479 v. Chr.) und Menzius (372-289 v. Chr.) hatten bereits hohe ethische Maßstäbe entwickelt. In ihrem positiven Menschenbild gingen sie allerdings davon aus, dass der Mensch allein durch moralische Selbstdisziplin und Pflichterfüllung das Gute erreichen könne. Die Formulierung von Schutz- und Teilhaberechten gegenüber dem Staat blieb dem Konfuzianismus dagegen fremd. Zwar gelten Menschenrechte nach der Lehre des Naturrechts als angeboren, als in der Würde des Menschen begründet, doch sind bis zum heutigen Tage Definition und Auslegung umstritten und nicht allgemein anerkannt. Menschenrechte können als etwas Gewachsenes, Angreifbares und Veränderliches verstanden werden. Dies rückt die historische Entwicklung des Menschenrechtsgedankens ins Interesse.
Menschenwürde in Antike und Mittelalter
Im 5. Jahrhundert v. Chr. entdeckte die griechische Philosophie den Menschen als autonomes Individuum im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft. (Dabei ist zu bedenken, dass unter "Menschen" damals nur "Männer" verstanden wurden.) Platon und Aristoteles beschrieben den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, das seine Erfüllung in der Teilhabe am Staat finde. Maßstab für jede politische Ordnung solle das natürliche Recht sein, das sich aus dem Wesen des Menschen ergebe. Im Einklang dazu stehe das positive, das heißt von Menschen geschaffene Recht. Freilich leitete man aus der Gleichsetzung von natürlichem und positivem Recht auch die Ungleichheit der Menschen ab und rechtfertigte die Institution der Sklaverei. Der römische Schriftsteller und Staatsmann Cicero erklärte die Sklaverei sogar für unabdingbar, da die Verrichtung bestimmter Arbeiten eines freien Bürgers unwürdig sei. Erst die Philosophie der Stoa stellte das Menschenbild, das sich an dem griechischen oder römischen Vollbürger orientierte, in Frage und lehrte die Freiheit und Gleichheit aller Menschen auf Grund ihrer Natur. In der Praxis ließen aber auch die Stoiker die Sklaverei unangetastet. Sie verspürten zwar eine Grundspannung zwischen dem Reich der Vernunft und der Realität, wollten diese jedoch nur durch persönliche Leidenschaftslosigkeit, nicht durch aktive Weltveränderung aufheben.
Das frühe Christentum konnte an den Gedanken der Stoa anknüpfen. Nach dem Alten Testament schuf Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde. Dieser göttliche Ursprung bedingt die prinzipielle Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Im Neuen Testament erfuhr die Würde des Menschen dadurch eine unschätzbare Steigerung, dass Gott seinen Sohn menschliche Gestalt annehmen und zur Erlösung der Menschheit den Kreuzestod erleiden ließ. Diesem Glauben liegt allerdings wie bei den Stoikern die Vorstellung von zwei Reichen zugrunde: dem des Guten und dem des Bösen. Durch den Sündenfall habe sich der Mensch von Gott entfernt; die irdischen Reiche entsprachen nicht dem Ideal des Gottesstaates. Deshalb können jene aus der Gotteskindschaft rührenden Menschenrechte ihre volle Wirksamkeit auch noch nicht im irdischen Leben des Menschen entfalten.
Als das Christentum in der ausgehenden Antike Staatsreligion wurde, übernahm es in Staat und Gesellschaft antike und germanische Vorstellungen. So beruhte das Lehnswesen auf der germanischen Auffassung von der doppelten Treuebindung. Der Herrscher konnte Rat und Hilfe seiner Vasallen beanspruchen, war aber seinerseits auch zu Schutz und Schirm verpflichtet. Dieses Prinzip galt auf allen Stufen der Lehnspyramide bis hinab zu den Unfreien und Leibeigenen. Wer in dieses Gesellschaftssystem eingebettet war, konnte im Normalfall auf die Unterstützung seines Herrn rechnen, wenn er unverschuldet in Not geraten war. Die rechtliche Verpflichtung und das christliche Gewissen des Herrn sicherten in der Regel auch dem Ärmsten unter den Hörigen Leben und eine minimale Existenzgrundlage. Während Fürsten und Adlige ihren Untertanen ein Mindestmaß an Menschenwürde zubilligten, zementierten sie auf der anderen Seite mit Hilfe der Kirche die Vorstellung von der Ungleichheit der Menschen im Diesseits.
In den Genuss der persönlichen Freiheit und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit kam bis weit in die Neuzeit hinein nur eine kleine Anzahl von Männern. Dagegen bejahten einflussreiche Theologen wie Thomas von Aquin (etwa 1225-1274) unter dem Eindruck aristotelischer und stoischer Philosophie die religiöse Gewissensfreiheit für alle. Damals bestand jedoch die Freiheit, sich für Gott zu entscheiden, nur in dem von der Kirche gesetzten Rahmen. Die Grenzlinien waren meist scharf gezogen. Für Heiden und noch mehr für Abtrünnige galt der Satz: "Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil." Dies bezog sich keineswegs nur auf das Jenseits. Ketzer besaßen in der Welt des Mittelalters kein Recht auf Leben und Eigentum.
Geburt des modernen Staates
Gegen den Vorrang kirchlicher Glaubenssätze in allen Lebensbereichen rebellierte seit dem 15. Jahrhundert die geistige Bewegung des Humanismus. Sie erstrebte die Befreiung von Kunst und Wissenschaft aus den Fesseln der Kirche. Durch eine Renaissance, eine "Wiedergeburt" antiken Bildungsgutes, das man in freiem, auf Vernunft und Erfahrung gegründetem Denken fortentwickeln wollte, hoffte man, eine höhere Menschlichkeit zu erreichen. Dem Humanismus als Wegbereiter der Reformation gelang es, die Fundamente der alten Papstkirche zu erschüttern. Doch führte von ihm kein direkter Weg zur Befreiung des Individuums aus staatlich-religiöser Bevormundung. Dazu beschränkte sich die Bewegung auf einen zu kleinen Kreis von Gelehrten. Das neue weltliche Denken begünstigte vielmehr die Geburt des modernen Machtstaates.
Der Florentiner Niccolò Machiavelli (1469-1527) entwickelte zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Lehre von der "Staatsräson". Er entkleidete den Staat seiner metaphysischen Ausrichtung und sah in ihm lediglich die notwendige Institution, um den Menschen vor sich selbst zu schützen und eine tragbare Ordnung zu schaffen. Nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" sollte es dem Herrscher erlaubt sein, im Notfall an die Stelle von Recht und Moral Gewalt und List zu setzen. Sehr schnell betrachteten viele Monarchen und Politiker daraufhin bis zum heutigen Tage die Staatsräson als einen Freibrief, um tatsächliches oder vorgebliches Staatsinteresse jederzeit und unter allen Umständen nach innen und außen durchsetzen zu können.
Nur wenige Jahrzehnte später formulierte der französische Jurist Jean Bodin (1529-1596) die Idee der "Souveränität". Die anarchischen Zustände der Hugenottenkriege in Frankreich vor Augen, ging es ihm wie Machiavelli zum Schutz der Gesellschaft um einen möglichst wirkungsvollen Staat. In der Souveränität, die er dem Monarchen zuerkannte, erblickte Bodin eine oberste Gewalt über alle Untertanen, die nicht an andere Autoritäten gebunden war.
Die souveräne Gewalt war von allen Bindungen an Gesetze befreit (princeps legibus solutus), stand aber unter dem göttlichen bzw. natürlichen Recht und übernahm deshalb den Schutz elementarer menschlicher Ordnungen wie die der Familie und des Eigentums. Fortan wurde das Gewaltmonopol in den Händen des jeweiligen Souveräns ein Kriterium für die Modernität und Unabhängigkeit eines Staates. Zunächst aber bildeten Staatsräson und Souveränitätsgedanke das theoretische Fundament für den Absolutismus, der nach Verwaltung auch Heer und Religion, Wirtschaft und Rechtsprechung zu Staatsangelegenheiten erklärte.
Naturrecht und Aufklärung
Die Staatsräson zielte keineswegs auf die Herrschaft der Vernunft, sondern auf die Vorherrschaft des Staatsinteresses. Dessen jeweilige Definition stand im Belieben des Souveräns. Zwar blieb auch er an das göttliche Recht gebunden, da aber die Grenzen zwischen dem natürlichen und dem positiven Recht fließend waren und der Herrscher keine irdische Kontrolle über sich anerkannte, konnte die absolutistische Herrschaft leicht in Willkür ausarten. Dies stellte geradezu eine Herausforderung an die Staatsphilosophie der frühen Neuzeit dar, mit Hilfe des Naturrechts die Gewichte zugunsten des Individuums zu verschieben.
Zur Erklärung des Spannungsverhältnisses von Staat, Gesellschaft und Individuum entwickelten Naturrechtslehrer zwei grundlegende Vertragstheorien: den Herrschafts- und den Gesellschaftsvertrag. Beide Theorien gehen von der Annahme aus, dass die Menschen im Urzustand gleichermaßen frei waren, dann aber bei der Gründung eines Gemeinwesens ihre Rechte ganz oder teilweise einem Herrscher oder der Gesellschaft übertrugen. Dabei lieferte freilich das pessimistische Menschenbild des Engländers Thomas Hobbes in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine klassische Rechtfertigung des Absolutismus. Hobbes verglich den Menschen in seinem Naturzustand mit einem Wolf; die Anwendung seiner Freiheiten müsse zwangsläufig zu einem "Krieg aller gegen alle" führen. Daher sei die Übertragung aller Rechte an einen Herrscher zum Schutz des Menschen lebensnotwendig, ihre Rückgabe ausgeschlossen.
Den entscheidenden Schritt von der Naturrechts- zur Menschenrechtslehre vollzog erst die Philosophie der Aufklärung, die den Menschen aus "selbstverschuldeter Unmündigkeit" (Immanuel Kant) befreien wollte. Im festen Vertrauen auf die Kraft der menschlichen Vernunft wollte die Aufklärung die Menschheit aus den Ketten religiöser und staatlicher Bevormundung lösen. Deshalb setzten John Locke (Two Treatises of Government, 1690: Zwei Abhandlungen über die Regierung) und Jean-Jacques Rousseau (Du contrat social ou principes du droit politique, 1762: Der gesellschaftliche Vertrag oder die Grundregeln des allgemeinen Staatsrechts) - um nur zwei maßgebliche Philosophen zu nennen - vor den Herrschaftsvertrag die freie Vereinbarung der Menschen zu einer Gemeinschaft: den Gesellschaftsvertrag. Er sollte die fundamentalen Rechte der Menschheit auch dann bewahren, wenn diese sich einer Herrschaft unterwarf. Mit ihren Gedanken verfochten Locke und Rousseau die Lehre von der "Volkssouveränität". Wenn die Staatsmacht versuchen sollte, gewaltsam über Leben, Freiheit und Vermögen des Volkes zu verfügen, besitze demnach das Volk das Recht, den Herrschaftsvertrag aufzukündigen.
Da von dieser Möglichkeit angesichts der historischen Realitäten nur im äußersten Notfall Gebrauch gemacht werden konnte, kreisten die Gedanken von Charles de Montesquieu hauptsächlich um die Frage, wie die Freiheit am besten zu sichern sei. Die Antwort, niedergelegt in seinem Hauptwerk De l'esprit des lois (Vom Geist der Gesetze, 1748) fand er im Prinzip der Gewaltenteilung. Exekutive, Legislative und Judikative sollten voneinander unabhängigen Staatsorganen übertragen werden, die gegenseitig ein Gleichgewicht behaupten müssten. Daraus entwickelte sich später das wichtigste Instrument zur Sicherung bürgerlicher Grundfreiheiten.
Die historische Leistung der Aufklärung bei der Entwicklung der Menschenrechtsidee lässt sich in fünf Punkte fassen:
Die Aufklärung legte wesentliche Merkmale für eine Definition von Menschenrechten fest: Sie sind unveräußerlich, nicht an bestimmte Räume und Zeiten gebunden und damit auch älter als alle Staaten. Menschenrechte dürfen nicht wie das positive Recht von einem Gesetzgeber abhängig und in ihrem Geltungsbereich eingeschränkt sein. Die mit seinem Wesen untrennbar verbundenen Rechte können dem Menschen gar nicht abgesprochen werden, selbst wenn der Einzelne freiwillig darauf verzichten würde.
Erstmals in der Geistesgeschichte entschied sich die Aufklärung für die Vernunft als ausschließliches Kriterium zur Bestimmung des Naturrechts. Sie wandte sich damit gegen die Fremdbestimmung des Menschen durch religiöse und politische Lehrsätze. Nicht der Wille des Einzelnen oder die "Vernunft" einer kleinen Elite sollten gelten, sondern der Wille der Allgemeinheit (gebildeter bzw. bildungswilliger Bürger). Daher ermunterten Aufklärer immer wieder die Menschheit, "sich ihres Verstandes zu bedienen".
Erstmals in der Geschichte des Abendlandes bejahte die Aufklärung nicht nur Freiheit und Gleichheit aller Menschen als etwas Ursprüngliches, sondern forderte Glück und Wohlfahrt als Lebensziel des Menschen auf Erden. Vertröstungen auf ein besseres Leben nach dem Tode stellten die Aufklärer nicht mehr zufrieden.
Mit der Dreiheit von Leben, Freiheit und Eigentum bestimmte die Aufklärung einen Grundstock von fundamentalen Rechten, auf dem die Formulierung und Differenzierung von Menschenrechten erfolgen konnte.
Da der Gebrauch von Vernunft persönliche Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit erfordert, weckte die Aufklärung das Misstrauen gegen jede übermächtige Staatsgewalt. Mit den Lehren von der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung schuf die Aufklärung die tragenden Säulen zum Schutz bürgerlicher Grundfreiheiten.
So hatte die Philosophie der Aufklärung den Boden für die ersten Menschenrechtserklärungen vorbereitet.