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Sierra Leone | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Sierra Leone

Juliane Westphal

/ 7 Minuten zu lesen

Die Friedenskonsolidierung in Sierra Leone gilt seit dem Ende des Bürgerkriegs im Januar 2002 als ein gutes Beispiel für den international begleiteten Wiederaufbau staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen. Viele Ursachen des Konflikts sind aber noch immer nicht überwunden.

Januar 2020: Archivarin Binta Mansaray vor Boxen mit Zeugenaussagen von Tätern und Opfern für die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Sierra Leone, hier beim Besuch der Countess of Wessex. (© picture-alliance, empics)

Der Weg zum Frieden

Der Krieg in Sierra Leone (1991–2002) war einer der gewalttätigsten postkolonialen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent. Zehn Jahre lang kämpften die Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) mit ihren Verbündeten gegen regierungstreue Milizen und zeitweise auch gegen die Armee.

Die RUF hatte anfänglich gute Gründe, gegen die Regierung vorzugehen. Sierra Leone war von Korruption durchsetzt und wirtschaftlich von internationalen Unternehmen dominiert, die sich im Zusammenspiel mit der Regierung an den heimischen Rohstoffen bereicherten. Der Bevölkerung fehlte es dagegen am Nötigsten, u.a. am Geld für die Schulgebühren und die Gesundheitsversorgung. Eine Hauptursache des Krieges waren die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Schwierigkeiten junger Männer in den ländlichen Gebieten, Farmland zu bekommen. Die Landverteilung wird bis heute von oft autoritär regierenden traditionellen Führern (Chiefs) kontrolliert. Hinzu kam der schwierige Zugang zu Bildung und der beschränkte gesellschaftliche Einfluss von jungen Leuten allgemein.

Im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen hat sich die RUF immer mehr von ihren ursprünglichen Zielen abgewendet. Die Sicherung und Ausbeutung des von ihr kontrollierten Ostens des Landes rückten in den Vordergrund. Mit Unterstützung der Regierung des benachbarten Liberia finanzierte sie sich hauptsächlich über den illegalen Handel mit Rohdiamanten. Als die RUF Mitte der 1990er Jahre in die politische und militärische Defensive geriet, agierte sie zunehmend brutaler. Weltweit bekannt wurde die Praxis, Zivilisten Arme und Hände abzuhacken. Ursprünglich sollten die Menschen auf diese Weise davon abgeschreckt werden, an den für Februar 1996 anberaumten Wahlen teilzunehmen und für Tejan Kabbah, den Kandidaten der Sierra Leone People’s Party (SLPP), zu stimmen. Kabbah wurde trotz der brutalen Einschüchterung gewählt. Ein Jahr später musste er jedoch wegen eines Militärputsches fliehen.

In dieser Phase des Konfliktes hatten sich das reguläre Militär und die RUF in dem Bestreben zusammengetan, ihre Macht über das Land zu erhalten. In der Folge wurden tausende Zivilisten verstümmelt und getötet. Auf der anderen Seite kämpfte die Civil Defence Force (CDF) – Bürgermilizen, die sich landesweit organisierten, um die Regierung von Kabbah ins Amt zurückzubringen. Unterstützung erhielten sie von Truppen der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas (ECOWAS). Die Milizen gingen mit vergleichbarer Härte und Brutalität wie die RUF vor und machten sich ebenfalls massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig. Kabbah und seine Regierung konnten nach neun Monaten in die Hauptstadt Freetown zurückkehren. Als Reaktion auf ihre Entmachtung besetzten Einheiten der RUF und ehemalige Militärs am 6. Januar 1999 mehrere Stadtteile und lieferten sich heftige Gefechte mit der westafrikanischen Friedenstruppe. Diese Kämpfe forderten rd. 5.000 Todesopfer.

Der Krieg hat fast nur Verlierer hinterlassen – 90% der Kriegsopfer waren Zivilisten, viele der Kindersoldaten haben nicht freiwillig gekämpft, ungezählte Mädchen und Frauen wurden Opfer sexualisierter Gewalt, 60% der Bevölkerung flüchten innerhalb des Landes oder in die Nachbarstaaten. Die wirtschaftliche und staatliche Infrastruktur wurde weitgehend zerstört, es gab nur noch eine unzureichende Strom- und Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäuser konnten bestenfalls eine Notversorgung sicherstellen.

Im Juli 1999 unterzeichneten die Rebellen und die Regierung in Lomé (Togo) ein Friedensabkommen. Die Gewalt ging dennoch weiter, auch die UN-Friedensmission (UNAMSIL) konnte sie zunächst nicht eindämmen. Im Jahr 2000 wurde die UNAMSIL-Truppe mit 17.500 Soldaten zu der zu diesem Zeitpunkt größten UN-Mission aufgestockt. Das offizielle Ende des Bürgerkrieges wurde am 18. Januar 2002 verkündet.

Sierra Leone. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Reintegration von Kämpfern und Wiederaufbau

Die UN führte von 2001 bis 2004 ein umfassendes Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm (DDR) durch. Rund 70.000 Kämpfer gaben ihre Waffen ab und registrierten sich für Ausbildungs- und Reintegrationsprogramme.

Das Mandat von UNAMSIL endete am 31. Dezember 2005. An ihre Stelle trat das Integrierte Büro der Vereinten Nationen in Sierra Leone (UNIOSIL), das die Regierung beim Wiederaufbau und der Durchführung demokratischer Wahlen im Jahr 2007 unterstützte, gefolgt vom Büro für die Friedenskonsolidierung (UNIPSIL, 2008-14).

Die dringlichsten Aufgaben im Rahmen des Wiederaufbaus waren die Wiederherstellung der Verkehrsinfrastruktur, die Reintegration von Flüchtlingen und ehemaligen Kämpfern sowie die Schaffung funktionierender sozialer und politischer Institutionen (z.B. Justizreform, strukturelle Unterstützung von Frauen, Dezentralisierungsprogramm).

Umgang mit Kriegsverbrechen

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) sollte durch ihre Arbeit den Opfern Stimme und Gesicht geben, die Hintergründe der Verbrechen aufklären und die Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern unterstützen. Zwischen 2002 und 2003 hat sie Anhörungen durchgeführt, ihr Bericht wurde 2004 der Regierung übergeben. Er enthält weitreichende, für die Regierung bindende Reformvorschläge zur Überwindung der strukturellen Konfliktursachen, die bis heute nur teilweise umgesetzt wurden.

Für die strafrechtliche Verfolgung der Haupttäter schufen die UNO und die Regierung einen Strafgerichtshof in Freetown. Nur das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten von Liberia, Charles Taylor, fand aus Sicherheitsgründen in Den Haag statt, wo er für seine Unterstützung der Verbrechen der RUF zu 50 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Verfahren sind inzwischen abgeschlossen, es gab 9 Verurteilungen mit Haftstrafen zwischen 15 und 52 Jahren. Erstmals in der Geschichte der internationalen Strafjustiz wurden auch Verantwortliche für die Rekrutierung von Kindersoldaten verurteilt. Neu war auch, dass Vergewaltigungen als Kriegshandlung verhandelt wurden, nicht wie in früheren Gerichten als "Kollateralschäden".

Mit dem Aufbau einer Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) und eines Strafgerichtshofs, beide mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, betrat Sierra Leone bei der juristischen Aufarbeitung eines Bürgerkriegs Neuland. Das gleichzeitige Wirken dieser unterschiedlichen Institutionen führte allerdings zu Schwierigkeiten. Viele Menschen verwechselten sie und gingen irrtümlich davon aus, dass die Berichte, die von der TRC gesammelt wurden, Zeugenaussagen für das Gericht darstellten. Deshalb verweigerten viele Opfer die Zusammenarbeit mit der Kommission, sie befürchteten Repressalien von Seiten ehemaliger Kämpfer.

Politische Stabilität und Stärkung von Frauenrechten

Der Wechsel im Präsidentenamt nach den Wahlen vom September 2007 von Ahmad Tejan Kabbah von der Sierra Leone People’s Party (SLPP) zu Ernest Bai Koroma, dem Kandidaten des All People’s Congress (APC), war ein Zeichen von Stabilität und demokratischer Reife. Auch die Wiederwahl Koromas Ende 2012 und die friedlich verlaufenden Kommunalwahlen, die seit 2004 alle vier Jahre stattfinden, wurden als Erfolg gewertet. Eine weitere Herausforderung für die Stabilität und Reife der demokratischen Institutionen waren die Wahlen im März 2018, die von hohen Spannungen begleitet wurden, aber letztendlich doch relativ friedlich verliefen. Präsident Koroma durfte sich nach zwei Amtszeiten nicht wieder zur Wahl stellen. Im zweiten Wahlgang wurde der bisherige Oppositionsführer Julius Maada Bio (SLPP) zum Präsidenten gewählt.

Es wurden eine Reihe von Reformen und Gesetzen beschlossen, um die Ursachen und Konsequenzen des Krieges zu überwinden. Die "Gender Acts" (2007) legen Strafen für sexualisierte Gewalt auch innerhalb der Ehe fest und regeln u.a. das Erbrecht für Frauen neu.

2011 ist eine nationale Jugendkommission eingerichtet worden, 2013 folgte ein Ministerium für Jugendangelegenheiten. Seit 2008 kann die im Jahr 2000 gegründete Antikorruptionsbehörde unabhängig von Regierung und Justiz Anklage erheben; sie ist aber nach wie vor nicht vollkommen unabhängig von der jeweiligen Regierung. Die von der derzeitigen Regierung berufene Kommission ist sehr aktiv in der Aufklärung der Korruptionsfälle der letzten Regierung, es wird sich noch zeigen, ob sie ähnlich effektiv mit den Fällen der aktuellen Regierung umgehen wird.

Probleme und Herausforderungen

Internationale Investitionen beschränken sich zum größten Teil auf den Bergbau (Eisenerz, Diamanten, Bauxit, Rutile und Gold) und die großflächige Landwirtschaft zur Gewinnung von Agrosprit und Palmöl. Mehr als 80% der Bevölkerung betreiben Subsistenzlandwirtschaft bzw. sind im informellen Sektor beschäftigt. Es gibt so gut wie keine produzierende Industrie. Auch 15 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs ist der Staatshaushalt auf internationale Hilfe angewiesen. Der Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen führte das Land 2018 auf Platz 181 von 189 Ländern.

Trotz der Fortschritte bei der staatlichen Kontrolle des Diamantensektors wird immer noch ein erheblicher Teil der Diamanten, geschätzt etwa 50%, illegal ausgeführt. Der Steuersatz für die meisten legal exportierten Diamanten beläuft sich auf gerade einmal 3%. Auch von der Ausfuhr anderer Rohstoffe, z.B. Eisenerz und Rutile, profitieren die Staatskasse und die Bevölkerung relativ wenig. Die wird oft damit begründet, dass so das Interesse von Investoren geweckt werden soll. Damit gehen dem Staat wichtige Einnahmen verloren, die dringend für den Ausbau und die Entwicklung des Bildungs- und Gesundheitswesens benötigt werden. Das gilt auch für die Aktivitäten internationaler Agrarkonzerne, die sich oft mithilfe von Bestechungsgeldern und falschen Versprechungen die Kontrolle über riesige Landflächen verschaffen, die sie zu Palmöl- und Zuckerrohrplantagen umwandeln, um u.a. Biokraftstoff zu produzieren.

Die Folge ist, dass die Probleme der jungen Leute (v.a. mangelnde Bildungs- und Partizipationschancen, Arbeitslosigkeit, beschränkter Zugang zu Farmland) heute kaum geringer sind als vor dem Bürgerkrieg. Die soziale Sprengkraft, die potenziell von einer extrem jungen Bevölkerung ohne soziale Aufstiegschancen ausgeht (ca. 44% der Einwohner von Sierra Leone sind jünger als 15 Jahre), ist nicht zu unterschätzen.

Die Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 hat die soziale Situation zusätzlich verschärft. Der Tourismussektor, der gerade zuvor gewachsen war, ist eingebrochen. In vielen Gegenden blieb aufgrund der Quarantänemaßnahmen die Ernte auf den Feldern und die Flächen konnten nicht neu bestellt werden, weil es an Wanderarbeitern fehlte. Im gleichen Zeitraum sank der Weltmarktpreis für Eisenerz auf die Hälfte. Von diesem wirtschaftlichen Einbruch hat sich das Land kaum erholt.

Sexualisierte Gewalt ist ein großes Problem für Frauen und Mädchen in den meisten Nachkriegsgesellschaften. Das Ausmaß an sexueller Gewalt gegen Mädchen hat sich während der Ebola-Epidemie noch einmal gesteigert, da die Mädchen viel zu Hause und stärker in ökonomischen Abhängigkeiten verhaftet waren. Die Zahl der Teenage-Schwangerschaften ist seither ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Die jetzige Regierung hatte 2019 dazu den nationalen Notstand erklärt.

Das Schlammlawinen-Unglück am Rande von Freetown im August 2017, bei dem mehr als tausend Menschen umgekommen sind, hat die öffentliche Diskussion über ökologische Risiken und Gefahren verstärkt. Sie entstehen – abgesehen vom globalen Klimawandel und dem Anstieg des Meeresspiegels – u.a. infolge der Zersiedelung der Berge um Freetown, der Abholzung von Wäldern für große Flächen mit Monokulturen (z.B. Palmöl und Zuckerrohr) sowie des extensiven Bergbaus. Eine Reihe von Mitarbeiter/-innen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und des Interner Link: Zivilen Friedensdienstes arbeiten in diesen Bereichen. Die GIZ wird allerdings aufgrund des neuen Reform-Konzepts "BMZ 2030" ihre Arbeit in Sierra Leone einstellen. Die Begründung dafür lautet, dass "wir bislang nur in geringem Umfang im Vergleich zu anderen Gebern" in Sierra Leone "tätig waren" (BMZ 2020: 6).

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Juliane Westphal ist Mediatorin M.A., Beraterin für Medienprojekte und Trainerin. Ihre Schwerpunkte liegen in der gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Vergangenheitsaufarbeitung, interkultureller Kompetenz und Gesprächsführung. Von 2005 bis 2007 war sie zuständig für die öffentliche Aufklärung der Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in Sierra Leone und Liberia.