Der Klimawandel ist die größte, langfristige Bedrohung für die Menschheit (WEF 2020). Die Geschwindigkeit der Erderwärmung und das Ausmaß der Folgen übertreffen dabei viele Prognosen. Die letzten fünf Jahre (2015-2019) waren die wärmsten der jemals gemessenen Jahre (WMO 2020). Neben den direkten Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit, Ökosysteme, Wasserversorgung und die Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen (z.B. Hitzeperioden, Dürren, Fluten, Stürme) beschäftigt sich die Wissenschaft zunehmend auch mit den indirekten Folgen, die der Klimawandel für unsere wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme hat.
So besteht ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel schon heute erhebliche, negative Auswirkungen auf die Sicherheit von Staaten, Gesellschaften und Menschen hat, die sich in einem schnellen Tempo weiter verstärken. Die entscheidende Erkenntnis dabei ist, dass die Zusammenhänge zwischen Konflikten und Klimawandel komplex sind und sich einfacher, monokausalerer Erklärungen entziehen. So ist der Begriff der Klimakriege irreführend. Denn er suggeriert, dass es Konflikte oder Kriege gibt, die alleine durch den Klimawandel bedingt sind. Dies ist nicht der Fall.
Der Klimawandel wirkt vielmehr als Risikomultiplikator. Wenn es in der laufenden Dekade – also bis 2030 – nicht gelingt, den bislang von Jahr zu Jahr weiter zunehmenden Kohlendioxid- und Methan-Ausstoß in die Atmosphäre drastisch zu verringern, werden sich die bereits bestehenden Fragilitäts- und Konfliktrisiken weiter verstärken. Dort, wo die Folgen des Klimawandels mit anderen globalen und lokalen Problemen zusammentreffen, wie Bevölkerungswachstum, ökonomische Schocks, Urbanisierung, Umweltdegradation und steigender Ungleichheit, kann der kombinierte Druck Gesellschaften und Staaten überfordern. Immer mehr Staaten und Gesellschaften werden nicht mehr in der Lage, diesem Druck standzuhalten. Perspektivlosigkeit, Instabilität, Proteste und Gewaltausbrüche bis hin zu Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen Spannungen sind die Folge. Diese verstärken wiederum Flüchtlings- und Migrationsbewegungen.
Durch den Klimawandel bedingte Fragilitätsrisiken und Konflikttreiber
Die wichtigsten, durch den Klimawandel bedingten Fragilitätsrisiken und Konflikttreiber lassen sich sieben Entwicklungstrends zuordnen. In Kombination mit anderen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Stressfaktoren untergraben sie die Existenzbedingungen von immer mehr Menschen:
1. Extreme Wetterereignisse und Katastrophen
Extreme Wetterereignisse, wie Stürme, Fluten und Dürren, nehmen tendenziell zu und verstärken sich. Ihre oft desaströsen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt erhöhen den Druck auf bereits schwache staatliche Institutionen, vermindern wirtschaftliches Wachstum, zerstören Infrastruktur und vertreiben Menschen.
Die Weltkarte zeigt für 1999 bis 2018, welche Länder in diesem Zeitraum besonders von extremen Wetterereignissen betroffen waren. Das Ranking wird von Puerto Rico, Myanmar, Haiti, den Philippines, Pakistan, Vietnam, Bangladesch und Thailand angeführt. Ob es dadurch verstärkt zu gewaltsamen Konflikten kommt, hängt primär von der Fähigkeit der betroffenen Regierungen ab, sich angemessen auf solche Katastrophen vorzubereiten und den Betroffenen Hilfe zu leisten.
Ein Beispiel für eine negative Dynamik ist der Bürgerkrieg in Syrien. Die ungewöhnliche Trockenheit der Jahre 2007 bis 2010 verstärkte die Landflucht vieler bäuerlicher Familien. Durch die Überbevölkerung und die Notlage der Neuankömmlinge in den Städten verstärkten sich die soziale und politische Unzufriedenheit, die 2011 infolge der Repression des Assad-Regimes in einen gewaltsamen Konflikt umschlug (Brottrager et al.: 2018).
2. Anstieg des Meeresspiegels und Küstenerosion
Mit dem Anstieg des Meeresspiegels und zunehmenden Überschwemmungen geht die Nutzbarkeit von Küstengebieten nach und nach verloren. Gleichzeitig nimmt die Gefahr durch Extremwetterereignisse, wie Sturmfluten und Zyklone, zu. Dies verstärkt viele der klimabedingte Fragilitätsrisiken. Ebenso können sich verändernde Küstenlinien und das Versinken ganzer Inseln Hoheitsgrenzen in Frage stellen und dadurch zu Spannungen und Konflikten beitragen. Ein bereits heute sichtbares Beispiel ist das kleine japanische Atoll Okinotorishima, das zu versinken droht. Damit stellt sich z.B. die Frage, inwieweit Japans hoheitlicher Anspruch auf die dortigen Fischbestände gegenüber China aufrechterhalten werden kann, das seit einiger Zeit einen aggressiven Kurs der wirtschaftlichen Nutzung und militärischen Präsenz im Chinesischen Meer verfolgt.
3. Bedrohte Lebensgrundlagen
Der Klimawandel bedroht in vielen Regionen die Weideflächen und den Zugang zu Wasser für die Bewässerung der Felder sowie Jobs in klimasensiblen Wirtschaftsbereichen. Der Mangel an Alternativen und die Perspektivlosigkeit, vor allem bei jungen und männlichen Bevölkerungsgruppen, kann den Unmut über die eigene Lage und bestehende Ungleichheiten verstärken. In politisch bereits angespannten Situationen kann dies dazu führen, dass insbesondere junge Männer anfälliger für die Rekrutierung durch Rebellengruppen und gewalttätige Extremisten werden oder sich stärker an kriminellen Aktivitäten beteiligen, z.B. Wilderei, Piraterie oder Drogenproduktion und -handel. So halten afghanische Bauern trotz Verbots am Anbau von Schlafmohn fest. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist der Anbau alternativer Kulturen deutlich riskanter und weniger einträglich. Um sich auf längere Dürrephasen einzustellen, wird zunehmend Schlafmohn angebaut, der mit wenig Wasser auskommt und für die Produktion von Rohopium und Heroin geeignet ist.
4. Lokale Ressourcenkonflikt
In vielen Regionen der Welt schränkt der Klimawandel in zunehmendem Maße die Verfügbarkeit lebenswichtiger natürlicher Interner Link: Ressourcen, wie Land und Wasser, ein. Gleichzeitig wächst der Bedarf infolge des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums. Die durch zunehmende Verknappung und steigende Nachfrage ausgelöste Konkurrenz kann zu Instabilität und gewalttätigen Konflikten führen. Das Risiko ist dort besonders hoch, wo effektive Mechanismen zur Konfliktlösung fehlen. Dies ist in vielen Ländern der Sahelzone der Fall. Dort nehmen u.a. Konflikte zwischen nomadischen Pastoralisten, die vor allem von der Viehhaltung leben, und sesshaften Bauern signifikant zu. Ein Beispiel ist der Konflikt im sudanesischen Interner Link: Darfur, der als Auseinandersetzung zwischen politisch und wirtschaftlich marginalisierten Gruppen und der Zentralregierung in Khartum begann und zunehmend durch Ressourcenkonflikte um den Zugang zu Land und Wasser überlagert wurde.
5. Grenzüberschreitende Wasserkonflikte
Viele der wichtigsten grenzüberschreitenden Flussgebiete befinden sich in Regionen, die unter Fragilität, Konflikten und zwischenstaatlichen Spannungen leiden, darunter Nil, Indus, Ganges, Euphrat und Tigris, Amu-Darja, Syr-Darja und Mekong. Dort wird – bedingt durch Klimawandel, Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum – die Konkurrenz um grenzüberschreitende Wasserressourcen dramatisch zunehmen. Die existierenden internationalen Institutionen und Managementmechanismen sind auf solche Veränderungen nicht vorbereitet. Viele Experten befürchten deshalb, dass sie den zunehmenden Druck nicht friedlich regeln können. Besonders gefährlich wird es, wenn Staaten einseitig entscheiden, den Wasserfluss zu verändern, z.B. durch den Interner Link: Bau großer Dämme, wie dies gerade in Interner Link: Äthiopien mit dem Grand Renaissance Dam (GERD) geschieht.
6. Schwankende Lebensmittelpreise
Der Klimawandel wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Ernten und die Lebensmittelproduktion in vielen Regionen der Welt vermindern. In Kombination mit anderen Entwicklungen, wie dem steigenden Bevölkerungswachstum, wird die Nahrungsunsicherheit zunehmen, und die Preise werden verstärkten Schwankungen unterworfen sein. Die globalen Nahrungsmittelkrisen 2007/2008 und 2010/2011 führten zu Protesten und Unruhen in vielen Länder. Alleine im Jahr 2008 zählten Forscher 60 Unruhen in 20 Ländern, die durch Lebensmittelpreisschwankungen ausgelöst wurden (Lagi et. al. 2011). Besonders betroffen waren Länder, die durch große Armut, schwache Institutionen und geringe Subventionen für Lebensmittel und Energie gekennzeichnet waren und deren Regierungen von Teilen der Bevölkerung nicht als legitim angesehenen wurden.
Ein Beispiel waren die politische Krise und Proteste in Ägypten zur Zeit des arabischen Frühlings 2011. Die ägyptische Regierung war damals nicht mehr in der Lage, Lebensmittel im erforderlichen Maße zu subventionieren. In der bereits angespannten Situation wirkte der Anstieg der Lebensmittelpreise als Katalysator für die Proteste.
7. Nicht-intendierte Auswirkungen von Klimapolitiken
Klimapolitiken umfassen zum einen Maßnahmen zur Verminderung klimaschädlicher Emissionen, wie Kohlendioxid und Methan. Zum anderen gehören auch jene Maßnahmen dazu, die zur Anpassung an den Klimawandel, der nicht mehr zu verhindern ist, durchgeführt werden. Dabei können negative Auswirkungen entstehen, die nicht beabsichtigt sind bzw. nicht vorhergesehen wurden. Meist sind sie die Folge unzureichender Planung oder mangelhafter Implementierung.
Ein Beispiel für solche nicht-intendierten negativen Auswirkungen ist der Landverbrauch durch die Herstellung von Biokraftstoff. Die globale Produktion von Biokraftstoff stieg alleine 2018 um 7% auf 154 Milliarden Liter und bis 2024 ist mit einem weiteren Wachstum von 25% zu rechnen. Um diese enormen Mengen von Biokraftstoff zu produzieren, werden große Gebiete von Regenwald, Savannen und Grasland in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt. Dies führt wiederum zu klimaschädlichen Emissionen, erhöhtem Wasserverbrauch, Entwaldung und dem Verlust wertvoller Ökosysteme. Auch Landkonflikte sind die Folge, z.B. in Brasilien, Indonesien und Kolumbien.
Klimawandel bekämpfen und Resilienz stärken
Entscheidend ist deshalb, bei der Konzipierung von Klimaschutzmaßnahmen potenzielle negative Auswirkungen von Anfang an mitzudenken und zu versuchen, diese zu vermeiden oder doch zumindest zu minimieren. Dies gilt im Übrigen für jede Art menschlichen Handelns – ob nun in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und im privaten Bereich. Idealerweise sollten alle Entscheidungen und Maßnahmen daraufhin abgeklopft werden, ob und inwieweit sie klimaverträglich sind.
Es ist höchste Zeit, entschieden auf die Reduktion klimaschädlicher Emissionen hinzuarbeiten. Mit dem Klimaabkommen von Paris (2015) ist dafür ein ambitionierter Rahmen geschaffen worden (BMU 2020). Die Umsetzung der festgeschriebenen Emissionsminderungen und die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels setzt weitreichende Veränderungen unserer bestehenden Wirtschafts-, Energie- und Verkehrssysteme voraus.
Allerdings wird selbst mit sehr ambitionierten Emissionsreduktionen der Klimawandel auf absehbare Zeit weiter voranschreiten. Deshalb sind ebenso entschlossene Maßnahmen für die Anpassung an den Klimawandel erforderlich. Dabei müssen integrierte, sektorübergreifende Antworten gefunden werden. Mit Blick auf friedensbildende Maßnahmen in Konfliktländern müssen z.B. die langfristigen Folgen des Klimawandels noch stärker berücksichtigt und Klimaanpassungsmaßnahmen konfliktsensibel umgesetzt werden, damit sie die bestehenden Konflikte nicht zusätzlich verschärfen.
Als gemeinsame Agenda für die Integration verschiedener Politikbereiche bietet sich die Stärkung der Resilienzfähigkeit von Staaten und Gesellschaften an. Das Konzept ist bereits in relevanten Politikbereichen etabliert, v.a. der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe, Friedensbildung und der Anpassung an den Klimawandel. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze ist mit Resilienz im Kern die Fähigkeit eines Staates und einer Gesellschaft gemeint, wirksam und konstruktiv mit klima-induzierten Schocks und Veränderungen umzugehen. Scheitert die Stärkung von Resilienz, besteht die Gefahr, dass durch den Klimawandel weitere Staaten in einen Teufelskreis aus Fragilität, Konflikt und Bürgerkrieg geraten.
Die dramatischen Konsequenzen zeigen sich z.B. in der Tschadsee-Region. Der dortige Konflikt zwischen tschadischen Regierungstruppen und bewaffneten Gruppen untergräbt die Resilienz der lokalen Bevölkerung gegenüber dem Klimawandel. Der Klimawandel verschärft gleichzeitig lokale Ressourcenkonflikte und macht die Bevölkerung anfälliger für die Rekrutierung durch Aufständische, Dschihadisten oder kriminelle Banden. Dies heizt wiederum den Konflikt weiter an. Nur ganzheitliche Ansätze, die Klima- und Konfliktrisiken gemeinsam adressieren, können diesen Teufelskreis durchbrechen. Dafür braucht es Programme, die das gemeinsame Management von natürlichen Ressourcen, wie Land und Wasser, dafür nutzen, die Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und der Regierung zu verbessern. Dazu gehören z.B. Jobprogramme für besonders gefährdete und vulnerable Bevölkerungsgruppen.
Ein konkretes Beispiel für einen solches Vorhaben ist das Climate and Security Projekt des UNO-Umweltprogramms. Dieses Vorhaben verbindet Klimawandelanpassungs- und friedensbildende Maßnahmen im Sudan und Nepal. In der sudanesischen Darfur-Region unterstützt es lokale Gemeinden dabei, knapper werdende Land- und Wasserressourcen besser zu managen und Konflikte zwischen Pastoralisten und Bauern zu verhindern. In Nepal arbeitet es mit ausgegrenzten Minderheitsgruppen im von Fluten bedrohten Delta des Karnali-Flusses im Westen des Landes. Das Ziel ist es, durch gemeinsame Katastrophenschutzmaßnahmen, wie z.B. das Bauen von Deichen, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu stärken (UNEP 2019).