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Meinung: Eine politische Lösung in Syrien ist in Sicht – aber keine Selbstverständlichkeit | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Meinung: Eine politische Lösung in Syrien ist in Sicht – aber keine Selbstverständlichkeit

Stephan Rosiny

/ 7 Minuten zu lesen

Dem Zerfall Syriens steht der Staatsbildungsprozess der Terrorgruppe IS gegenüber. Hätten Regime und Opposition und ihre externen Unterstützer nicht jahrelang auf einem Sieg beharrt, wäre vielleicht schon 2012 eine Verhandlungslösung möglich gewesen – und es hätte keinen "Islamischen Staat" und nicht über 200.000 Tote gegeben.

Stephan Rosiny (© Marein Kasiske)

Teasertext Die Bilanz der vergangenen fünf Jahre für Syrien ist verheerend: Das Land hat sich zum gewalttätigsten Aufstand im "Arabischen Frühling" entwickelt. Bis Ende 2015 kamen eine Viertel Million Menschen ums Leben und mehr als eine Million wurde verletzt. Weit mehr als 4 Millionen (bei einer Gesamtbevölkerung von gut 22 Millionen) Syrer sind allein in den Libanon, nach Jordanien und in die Türkei geflohen. Die Flüchtlinge stellen die Nachbarstaaten vor unlösbare wirtschaftliche, humanitäre und sicherheitspolitische Aufgaben. Immer mehr Syrer machen sich deshalb auf den Weg nach Europa. Doppelt so viele Menschen, nämlich 8 Millionen, befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht. Weite Teile Syriens sind zerstört. Zu den körperlichen Wunden und der physischen Zerstörung kommen die psychischen und sozialen Verletzungen, welche die kulturell reiche und vielfältige syrische Gesellschaft ins Mark getroffen haben.

Dem Zerfallsprozess des Zentralstaats im Krieg steht ein kurioser Staatsbildungsprozess der apokalyptischen Endzeitsekte "Islamischer Staat" (IS) gegenüber. Der Aufstieg dieser dschihadistischen Miliz, einer radikalisierten Abspaltung von al-Qaida, hat Syrien und den Irak zum Zentrum eines regionalen und globalen "heiligen Kriegs" gemacht. Nicht zuletzt die Terroranschlägen des IS in Paris am 13. November 2015 haben eine neue Dynamik in die verfahrene Situation gebracht: Aus Furcht vor einer weiteren Ausbreitung des IS fordern nunmehr entscheidende internationale Akteure eine politische Lösung des Syrienkonflikts. Sie sind mittlerweile zu Kompromissen bereit, etwa Iran als Verhandlungspartner zu akzeptieren und den Rücktritt Baschar al-Assads nicht mehr zur Vorbedingung zu erklären.

Die Dynamik des Syrienkonflikts

Breite Proteste, die im März 2011 im Rahmen des "Arabischen Frühlings" noch friedlich begannen und die das Regime vergeblich zu kriminalisieren und militärisch niederzuschlagen versuchte, haben das Land und die Bevölkerung tief gespalten. Ein bewaffneter Aufstand im Sommer 2011 ist zum Bürgerkrieg eskaliert, der in Teilen konfessionalistische Züge angenommen hat. Regionale und globale Akteure unterstützen entweder das Regime oder die rund 2.000 Milizen. Sie haben Syrien zum Schauplatz mehrerer Stellvertreterkriege gemacht. Iran, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar liefern sich auf syrischem Territorium einen Kampf um die regionale Vormacht, tragen den ideologischen Sunna-Schia-Gegensatz aus und rivalisieren um die Deutungshoheit im Lager des politischen sunnitischen Islam.

Dabei schrecken einige von ihnen nicht davor zurück, mit radikalen Dschihadisten zu kooperieren. Einige dieser Gruppierungen, wie die al-Qaida-Untergruppierung der Nusra-Front und der IS, haben sich in den letzten Jahren von ihren ideologischen Wegbereitern und Finanziers in den Golfstaaten emanzipiert und stellen mittlerweile eine Bedrohung für die konservativen Golfmonarchien dar: Ende Dezember 2015 rief der Führer und selbsternannte "Kalif" des "Islamischen Staates" Abu Bakr al-Baghdadi die saudische Bevölkerung dazu auf, ihre vom Islam abgefallenen Herrscher zu stürzen. Syrien stellt zugleich auch die Arena für einen neu entfachten globalen Stellvertreterkrieg dar. Russland ist der wichtigste externe Garant des Regimes, während westliche Staaten, allen voran die USA, Großbritannien und Frankreich, den Sturz von Baschar al-Assad unterstützen. Der zeitgleiche Ukraine-Konflikt hat den alten Gegensatz des Kalten Krieges wiederbelebt und eine politische Lösung für Syrien erschwert.

Inzwischen gleicht das Land einem Flickenteppich aus Einflusszonen säkularer, kurdisch-nationalistischer, sunnitisch-islamistischer und dschihadistischer Milizen. Die verschiedenen Fronten und Gruppen begegnen sich teils mit extremem Hass und radikalen Feindbildern, die umgekehrt bei ihren Gegnern existenzielle Ängste schüren. Die polarisierten Feindbilder und die finanzielle, militärische und politische Unterstützung des Regimes und verschiedener Oppositionsgruppen durch regionale Mächte haben die Gewaltdynamik der ersten Kriegsjahre bestimmt. Beide Seiten – das syrische Regime und die Opposition – glaubten, den Krieg militärisch gewinnen zu können. Doch immer wenn eine Seite Fortschritte erzielte, rüstete die Gegenseite auf, sodass Regime und Opposition militärisch zu schwach waren, den Krieg zu gewinnen, aber zu stark, um ihn zu verlieren.

In diesem Machtvakuum breiteten sich seit Ende 2011 salafistische Dschihadisten aus, für die Groß-Syrien (Bilad asch-Scham), das neben Syrien auch die heutigen Staaten Libanon, Israel/Palästina und Jordanien umfasst, heilsgeschichtliche Relevanz besitzt. Hier liegen Jerusalem als drittheiligste Stadt des Islam und viele frühislamische Markzeichen. Das Entscheidende für sie ist jedoch, dass nach islamischen Quellen auf heutigem syrischem Territorium die apokalyptische Endzeitschlacht zwischen Gläubigen und Ungläubigen ausgetragen werden soll, weshalb es zum Magneten für mehrere zehntausend ausländische Glaubenskämpfer geworden ist.

Keine Gruppe vertritt diese apokalyptische Vision so radikal wie der "Islamische Staat" (IS), eine aus dem irakischen al-Qaida-Zweig hervorgegangene Gruppierung. Ende 2013 stieß der IS vom Irak kommend nach Syrien vor, eroberte bis Ende 2015 rund ein Drittel des syrischen Territoriums und errichtete ein Terrorregime. Mit extremer Brutalität kämpft der IS in Syrien und im Irak um den Erhalt seiner Macht und die Expansion des besetzten Territoriums. Er betreibt die gewaltsame Durchsetzung seines extrem rigiden Islamverständnisses und die Ausrottung anderer Kulturen und Religionen. Von syrischem und irakischem Territorium aus ruft der IS darüber hinaus zum weltweiten Dschihad gegen die "Ungläubigen" auf.

Herausforderungen für eine Lösung

Die Chancen für eine politische Lösung auf internationaler Ebene haben sich in den letzten Monaten deutlich verbessert. Die große Zahl aus dem Nahen Osten nach Europa fliehender Menschen hat den lange verdrängten Konflikt wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt und die Forderung nach einer Behebung der Fluchtursachen verstärkt. Die Terroranschläge des IS in Paris vom 13. November 2015 waren ein Weckruf für die politischen Eliten im Westen. Auch die regionalen Mächte zeigen mittlerweile Verhandlungsbereitschaft, weil sie erkennen, dass keiner von ihnen den Syrienkrieg militärisch für sich entscheiden kann – besonders seit Russland im September 2015 massiv auf Seiten des Regimes einzugreifen begann. Zudem wird der IS, wie eine Reihe schwerer Terroranschläge in Ägypten, Kuwait, Jemen, Saudi-Arabien, Tunesien, der Türkei und im Libanon zeigt, immer mehr zu einer regionalen Bedrohung. Seine effektive Bekämpfung wird nur gelingen, wenn der Staatszerfall in Syrien, Libyen, Jemen, Afghanistan und im Irak gestoppt und rückgängig gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist eine politische Lösung für Syrien und die gesamte Region, die die endgültige Desintegration der genannten Länder zu "failed states" verhindert.

Nach internationalen Verhandlungen in Wien am 30.10. und 14.11.2015 unter Beteiligung des Iran verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 18.12.2015 einstimmig die Resolution 2254, die erstmals seit 2011 eine politische Lösung für Syrien vorsieht. Sie erteilt der Syrienkontaktgruppe das Mandat, einen Waffenstillstand und eine politische Transition auf Grundlage der Wiener Verhandlungen zu erörtern. Innerhalb von sechs Monaten soll eine Übergangsregierung gebildet werden, innerhalb von 18 Monaten sollen freie Wahlen stattfinden und eine neue Verfassung verabschiedet werden.

Bis zuletzt umstritten war, wer an den Verhandlungen in Genf teilnehmen soll, d.h. wo die Grenze zwischen legitimer Opposition und "terroristischen" dschihadistischen Gruppierungen verläuft. Das in London ansässige Centre on Religion & Geopolitics warnt, dass neben den ca. 30.000 Kämpfern des IS derzeit weitere 65.000 Dschihadisten in Syrien nur darauf warten, das Territorium zu übernehmen. Zu ihnen gehört die Nusra-Front, die viele gemäßigte Oppositionelle, wie etwa die Syrische Nationale Koalition (SNC), noch im Sommer 2015 als legitimen Bestandteil des Widerstands gegen al-Assad ansahen. Aber auch die Miliz "Ahrar asch-Scham", die Teil der von Saudi-Arabien, der Türkei und Katar aufgebauten "Armee der (islamischen) Eroberung" (Dschaisch al-Fath) ist, wartet nur auf die Entmachtung des IS, um ihren eigenen "islamischen Staat" zu errichten. Westliche Staaten – und damit auch die Bundesregierung – müssen mehr Druck auf ihre Handels- und Bündnispartner Saudi-Arabien, Katar und die Türkei ausüben, damit sie dem radikalen Salafismus und Dschihadismus in Syrien und in der Region jegliche Unterstützung entziehen.

Dass Baschar al-Assad mittelfristig seine Herrschaft aufgeben muss, ist unstrittig. Westliche Staaten rücken inzwischen von ihrer Forderung ab, dies müsse noch vor der Aufnahme von Verhandlungen geschehen. Die Zerschlagung des IS ist ihnen wichtiger als Assads Sturz. Die Forderung der syrischen Opposition nach Assads Entmachtung als Vorbedingung für Verhandlungen geht hingegen am Kern des Problems vorbei. Denn der Austausch der Führungsperson verändert nicht den Charakter des syrischen Staats, der auf die Person und die Familie des Präsidenten zugeschnitten ist. Seine sofortige Entmachtung könnte deshalb zum weiteren Zerfall des Staates führen. Problematisch ist auch, dass sich die Opposition zu lange auf diese einzige gemeinsame Forderung fokussiert hat, aber in Fragen einer künftigen Staatsordnung völlig zerstritten ist.

Die Herausforderung wird darin bestehen, das Amt des Präsidenten stark zu beschneiden und ihm andere Machtzentren als "checks and balances" beiseite bzw. gegenüber zu stellen. Hierzu ist der Aufbau von Institutionen notwendig, die rechtsstaatlichen Kriterien genügen und unabhängig von den Amtsträgern funktionieren. Politik in Syrien muss inklusiver werden und die Bevölkerung in ihrer ganzen Breite und Vielfalt vertreten. Die Menschen sehen sich momentan eher in ihren sub-nationalen Gemeinschaften aufgehoben, seien es konfessionelle Religionsgemeinschaften oder ethno-nationale Gruppen.

Bis ein funktional diversifizierter und institutionalisierter Rechtsstaat aufgebaut werden kann, der seinen Bürgern gleiche Rechte garantiert, für wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Ausgleich sorgt, werden die Minderheiten und politischen Gruppen Garantien verlangen, die sie vor einer Majorisierung schützen. Denn der arabisch-sunnitische Chauvinismus, der sich vor allem im Fundamentalismus des IS und anderer Gruppierungen austobt, hat bei den syrischen ethnischen und religiösen Minderheiten (darunter auch bei vielen politisch engagierten sunnitischen Syrern!) eine tiefe Angst erzeugt. Bislang konnte sich Baschar al-Assad bei "seinem" Teil der Bevölkerung als Garant und Schutzmacht präsentieren. Verhandlungen werden idealerweise eine Lösung hervorbringen, in der sich keiner der lokalen, regionalen und globalen Akteure im syrischen Machtkampf als Sieger oder Verlierer sieht.

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(Dr.) ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist "Gewalt und Sicherheit".