Einleitung
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bediente sich großer Worte. Als eine "einzigartige Möglichkeit, die Roma-Problematik höher auf der EU-Agenda anzusiedeln", bezeichnete er die Roma-Strategie der EU im Jahr 2012. Zur Auflösung der Fußnote[1] Die Einsicht kam reichlich spät, wenn man bedenkt, dass die Roma mit zehn bis zwölf Millionen Menschen Zur Auflösung der Fußnote[2] die größte Minderheit in Europa sind. Denn erst 2011 hatte die EU erstmals ein Roma-Aktionsprogramm verabschiedet. Zur Auflösung der Fußnote[3] Doch nach zwei Jahren fällt eine erste Zwischenbilanz gemischt aus: "Es ist ohne Zweifel ein positiver Schritt, dass die EU-Kommission die Lage von Roma in Europa endlich auf die Tagesordnung gesetzt hat. Unter der Präsidentschaft Ungarns wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, nationale Strategien oder Maßnahmenpakte zur gleichberechtigten Teilhabe von Roma in den jeweiligen Ländern zu entwickeln und umzusetzen", sagt Herbert Heuß vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, fügt aber auch ernüchternd hinzu: "Leider ist die Umsetzung nach unserer Einschätzung nach wie vor minimal." Zur Auflösung der Fußnote[4]
Wovon reden wir?
Als Roma wird eine Gruppe von Menschen bezeichnet, deren Sprache (beziehungsweise die ihrer Vorfahren) sich auf das indogermanische Romanes zurückverfolgen lässt. Die genaue Zahl lässt sich schwer beziffern. Die EU-Kommission geht von zehn bis zwölf Millionen Roma in Europa aus, davon leben sechs Millionen in den Mitgliedstaaten der EU. Zur Auflösung der Fußnote[5] Wenn im Folgenden der Begriff Roma benutzt wird, dann als neutrale Sammelbezeichnung – wie in den Dokumenten von EU und Europarat. Zur Auflösung der Fußnote[6]
Linguistische Forschungen zeigen, dass die Roma vor 600 Jahren aus dem indischen Subkontinent zugewandert sind. Die Gruppe ist dabei sehr heterogen. So betont Herbert Heuß, die Roma seien "auch innerhalb der verschiedenen Länder keine homogene Gruppe, sondern sie unterscheiden sich vielfältig nach Sprache und Tradition, ökonomischer Lage oder Religion. Roma sind entsprechend in (fast) allen Schichten der jeweiligen nationalen Bevölkerungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten vertreten, in denen sie oft seit Jahrhunderten ansässig sind". Zur Auflösung der Fußnote[7]
Eine Dachorganisation wie etwa das European Roma and Travellers Forum (ERTF) versteht sich als Vertretung der "Roma, Sinti, Kalé, Fahrenden und verwandter Gruppen". Zur Auflösung der Fußnote[8] Als Kalé – wörtlich Schwarze – gilt dabei eine Untergruppe der Roma in Spanien, Portugal und im Süden Frankreichs. Sinti bezeichnet die Roma in Deutschland und Italien, in Frankreich auch Manouche, in den Niederlanden auch Manoesje genannt. Die Religionszugehörigkeit kann dabei – je nach der Mehrgesellschaft, in der die Roma leben – differieren. Überwiegend sind die Roma katholisch. In Bulgarien, dem früheren Herrschaftsgebiet der Osmanen, pflegen die Roma einen muslimischen Glauben. Da sie auch Türkisch sprechen, werden sie von der Mehrheitsgesellschaft auch irrtümlich als Türken bezeichnet beziehungsweise wegen des gespannten Verhältnisses der Mehrheitsgesellschaft zur türkischen Minderheit auch deshalb diskriminiert. In Rumänien sind zum Teil auch sehr stark die freikirchlichen Adventisten ("Pfingstgemeinde") unter den Roma vertreten. Allein diese Differenzierung zeigt, dass es e i n e Roma-Strategie nicht geben kann.
Das Minderheitenrecht und der Geist der Umsetzung
Erste Berichte über die Roma in Europa stammen aus der Zeit um 1400. So berichtet der Lübecker Chronist Hermann Cornerus über eine "vorher nicht gesehene umherschweifende Menge von Menschen". Zur Auflösung der Fußnote[9] Sie erhielten zunächst kaiserliche oder päpstliche Schutzbriefe. Zur Auflösung der Fußnote[10] Schon Ende des 15. Jahrhunderts setzten aber, etwa mit dem Freiburger Reichsabschied (1498), Ausgrenzung und Verfolgung ein. Zur Auflösung der Fußnote[11] Den traurigen Tiefpunkt bildete die NS-Herrschaft, der bis zu 500.000 Sinti und Roma zum Opfer fielen. Zur Auflösung der Fußnote[12]
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zunächst nur zögerliche Versuche, die Minderheitenrechte und damit auch die Rechte der Roma zu stärken, etwa im Zuge des Pakts über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen (1966). Das änderte sich verstärkt nach 1989, als sich sowohl die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als auch der Europarat und die Europäische Union mit der Thematik befassten. Problematisch ist dabei mitunter die Beschreibung der Roma als europäische Minderheit. Denn sie verkennt, dass die Roma seit Jahrhunderten in den Nationalstaaten leben und die Nationalstaaten auch eine Pflicht haben, die entsprechenden Rechte der Minderheiten zu gewährleisten. „Die Roma werden noch immer als Bedrohung der ethnischen Homogenität der Nationalstaaten gesehen“, klagt etwa Rudko Kawczynski vom European Roma and Travellers Forum (ERTF).
Die Roma sind aber gerade keine europäische Minderheit – wie es oft wohlmeinend gesagt wird –, sondern sie sind zuallererst nationale Minderheiten in ihren Heimatländern.
Quelle: Heuß, 2011, S. 23
Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Im allgemeinen Bemühen um Minderheitenrechte Zur Auflösung der Fußnote[13] nahm sich nach 1990 im neu konstituierenden Osten Europas auch die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) der Rechte der Roma an. Die Nachfolgeorganisation - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) - verabschiedete 2003 einen Sinti-und-Roma-Aktionsplan, um zu gewährleisten, dass Sinti und Roma "fähig sind, eine gleichberechtigte Rolle in unseren Gesellschaften zu spielen und ihre Diskriminierung abzuschaffen". Zur Auflösung der Fußnote[14]
Derzeit prüft die Organisation, ob einseitige Reisebeschränkungen für Roma, wie sie Serbien und Mazedonien erlassen haben, um eine Migration der Roma in EU-Staaten zu verhindern, gegen das in der Helsinki-Akte verankerte Grundrecht der Reisefreiheit verstoßen. So merkt die frühere Generalsekretärin von Amnesty International (AI) und heutige Europaabgeordnete Barbara Lochbihler kritisch an: "Die Haltung der EU ist insofern etwas scheinheilig, als sie in ihrem Inneren auf die Rechte der Roma pocht. Gleichzeitig auf Staaten wie Serbien und Mazedonien aber massiv Druck ausübt, um die Ausreise von Roma zu begrenzen. Ich nenne das eine Beschränkung der Reisefreiheit." Zur Auflösung der Fußnote[15]
Der Europarat
Dem Europarat gehören 47 Mitgliedstaaten an, das bietet die Möglichkeit, die Rechte der Roma in einem größeren Rahmen außerhalb der EU-Staaten – etwa auf dem Balkan – zu verankern. Zur Auflösung der Fußnote[16] So verabschiedete der Europarat 1992 eine "Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprache". Wegweisend war 1995 die Verabschiedung des "Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten" Zur Auflösung der Fußnote[17], das den Sinti und Roma – unter anderem in Deutschland – den Status einer nationalen Minderheit garantiert.
Gemeinsam mit der EU startete der Europarat 2011 das Programm RoMed: Es bildet Roma oder ihnen Nahestehende zu Mediatoren im Umgang mit den Behörden aus. Zur Auflösung der Fußnote[18] In Slowenien etwa versuchen die Mediatoren, Kinder bereits im Vorschulalter an Bildungseinrichtungen wie Kitas heranzuführen. Ebenfalls gemeinsam mit der EU fördert der Europarat die European Alliance of Cities and Regions for Roma-Inclusions, ein Programm, das Roma-Projekte in Großstädten unterstützt. Zur Auflösung der Fußnote[19] Nach der Ausweisung von Roma aus Frankreich unter Präsident Nicolas Sarkozy im Sommer 2010 setzte der Europarat mit dem niederländischen Völkerrechtler Jeroen Schokkenbroek einen Sonderbeauftragten für die Rechte der Roma ein.
Eine nicht zu unterschätzende Wirkung hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Zwar kann der Europarat die Urteile des Gerichts nicht durchsetzen, weil ihm dazu die exekutive Gewalt fehlt. Doch entfalten sie eine erhebliche öffentliche Wirkung. So rügte der Gerichtshof zum Beispiel 2007 das Land Tschechien wegen der Unterbringung von Roma-Kindern in Sonderschulen. Zur Auflösung der Fußnote[20]
Die Europäische Union
Die Europäische Union (EU) nahm sich im Zuge der Osterweiterung auch verstärkt des Schutzes der Sinti und Roma an. Zur Auflösung der Fußnote[21] Mehrere Mitgliedstaaten der EU (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Slowakei, Spanien) unterstützten ab 2005 die "Dekade zur Integration der Roma". Im Jahr 2010 setzte die EU eine Taskforce zur Inklusion der Roma ein. Im April 2011 verpflichtete die EU unter der Ratspräsidentschaft Ungarns die Mitgliedstaaten, nationale Roma-Strategien zu erlassen. Zur Auflösung der Fußnote[22] Die Ziele in den vier Bereichen Bildung, Gesundheit, Arbeitsmarkt und Wohnungsbau werden jährlich von der EU-Kommission überprüft und kommentiert. Zur Auflösung der Fußnote[23] So sollen die EU-Mitgliedstaaten etwa "dafür sorgen, dass die Roma in gleichem Maße und unter den gleichen Bedingungen wie die restliche Bevölkerung Zugang zu Gesundheitsprävention und sozialen Dienstleistungen haben". Zur Auflösung der Fußnote[24] Oder in der Bildungspolitik "sicherstellen, dass alle Roma-Kinder – egal ob sesshaft oder nicht – Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung haben, nicht diskriminiert oder ausgegrenzt werden und zumindest die Grundschule abschließen". Zur Auflösung der Fußnote[25]
Rund 26,5 Milliarden Euro hat die EU zwischen 2006 und 2013 nach eigenen Angaben für Roma-Programme ausgegeben, vor allem aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) mit 16,8 Milliarden Euro und des Europäischen Sozialfonds (ESF) mit 9,6 Milliarden Euro. Zur Auflösung der Fußnote[26] Am bekanntesten ist wohl der Roma Education Fund (REF), der Roma-Kindern den Zugang zu (Hochschul-)Bildung erleichtern soll; er geht auf Vorarbeiten der Soros-Stiftung zurück und wird auch vom Europarat unterstützt.
Spanien zum Beispiel hat sich im Zuge seiner Roma-Strategie im Jahr 2012 verpflichtet, die Zahl der Schulabbrecher unter Roma-Kindern durch geeignete Bildungsprogramme von derzeit 22,5 Prozent auf 10 Prozent im Jahr 2020 zu senken. Zur Auflösung der Fußnote[27] Bulgarien sagte 2012 Bildungsmaßnahmen für 28.000 Roma zu. Zur Auflösung der Fußnote[28]
Hehre Ziele. Aber trotz großer Anstrengungen bleiben angesichts solcher planwirtschaftlicher Elemente große Bedenken am Vorgehen der EU. So moniert Barbara Lochbihler: "Die Staaten geben zwar ihre Ziele an, aber die EU-Kommission hat keinerlei rechtliche Grundlage, die Umsetzung dieser Ziele auch verbindlich anzumahnen." Zur Auflösung der Fußnote[29] Und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, hält fest: "Wenn die europäischen Strategien Erfolg haben sollen, dann müssen sie auch auf diesen in Teilen der Mehrheitsbevölkerung verankerten Rassismus zielen." Zur Auflösung der Fußnote[30]