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Hindernisse auf dem Weg zur Wahl | USA | bpb.de

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Hindernisse auf dem Weg zur Wahl

Philipp Adorf

/ 8 Minuten zu lesen

Wählen ist in den USA Ländersache – und in vielen Bundesstaaten alles andere als einfach. Was für die einen ein Grundrecht ist, ist für die anderen ein Privileg. Die Interpretation des Wahlrechts spaltet bis heute die politischen Lager.

Aktion zur Förderung von Early Voting in New York 2019: Im Angesicht der Corona-Pandemie wurde die Briefwahl für die US-Präsidentschaftswahl 2020 in mehr als 20 Staaten erleichtert. (© picture-alliance/AP, Seth Wenig)

Während die föderalen Wahlrechtsreformen der 1960er Jahren bewirken sollten, dass alle US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürger wählen können, hat sich in den letzten 15 Jahren das Blatt gewendet: Immer mehr Bundesstaaten haben zahlreiche Restriktionen umgesetzt. Öffentlich als Schritte zur Wahrung der Legitimität der Wahlen und Abwendung von Wahlbetrug dargestellt, verfolgen diese Einschränkungen jedoch oftmals das Ziel, spezifischen Teilen der Bevölkerung die Teilnahme an Wahlen zu erschweren.

Der Flickenteppich des US-amerikanischen Wahlrechts

Die Hürden auf dem Weg zur Wahl (Interner Link: Grafik als PDF zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Entsprechend Artikel 1, Abschnitt 4 der Verfassung dürfen die Einzelstaaten darüber bestimmen, wie sie Wahlen durchführen und wie sie den Kongress besetzen. Zwar kann die Bundeslegislative Vorgaben stellen, doch in der Realität verfügen die Einzelstaaten über ein großes Maß an Handlungsspielraum.

Ein zentrales Dokument der letzten Jahrzehnte zum Schutz des Wahlrechts von Minderheiten lässt sich im Voting Rights Act (VRA) von 1965 finden. Als einer der zentralen Pfeiler sollte sich folgende Vorgabe herausstellen: Spezifische Einzelstaaten und Landkreise, in denen Minderheiten die Teilnahme an Wahlen bis in die 1960er Jahre größtenteils verwehrt worden war, mussten sich nach 1965 für jede Änderung ihres Wahlrechts vom Justizministerium in Washington, D.C. die vorherige Zustimmung einholen (Preclearance). Ein Ende fand diese Vorgabe im Sommer 2013 aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (Supreme Court) im Fall Shelby County v. Holder: Der Vorsitzende argumentierte, die Methode zur Festlegung der "Preclearance"-Einzelstaaten basiere auf nunmehr überholten Daten bezüglich der Diskriminierung von Minderheiten. Als Beweis des diesbezüglichen Rückgangs wurde die enorm gestiegene Zahl registrierter schwarzer Wählerinnen und Wähler in den entsprechenden Regionen eingebracht; Teile des VRA, die einen föderalen Eingriff hinsichtlich lokaler Änderungen des Wahlrechts ermöglichten, wurden folglich als verfassungswidrig deklariert.

Ein Vergleich zwischen 2 Staaten (Interner Link: Grafik als PDF zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Kritische Stimmen wiesen darauf hin, dass hingegen der durch das Justizministerium gewährleistete Schutz heute insbesondere im US-amerikanischen Süden relevanter als in den Jahren des späten 20. Jahrhunderts ist. Bis Ende der 1990er Jahre regierten in den Südstaaten insbesondere auch dank der Unterstützung schwarzer Wählerinnen und Wähler auf der Landesebene die Demokraten. Der stete Aufstieg der Republikaner in der Region führte hingegen zur Jahrtausendwende zu einem dortigen Wechsel der Mehrheitsverhältnisse. Schwarze Wählerinnen und Wähler befanden sich fortan in einer für sie nachteiligen Situation, denn die Partei an den Hebeln der Macht besaß ein grundlegendes Interesse daran, die afro-amerikanische Teilnahme an Wahlen zu erschweren.

Die Kritikerinnen und Kritiker des Supreme Court-Urteils sollten Recht behalten. Innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Bekanntgabe wurden in fünf der neun Staaten, die vormals die Einwilligung des Bundesjustizministeriums einholen mussten, restriktivere Vorgaben hinsichtlich ihres Wahlrechts umgesetzt. In den Folgejahren wurden in den nunmehr von der föderalen Aufsicht befreiten Einzelstaaten ebenso prozentual mehr Wählerinnen und Wähler aus den Landeswahlregistern gestrichen als im Rest des Landes.

Umsetzung von Restriktionen in den letzten beiden Jahrzehnten

Die wochenlange Unsicherheit über den Wahlausgang nach der Präsidentschaftswahl 2000 zeigte die Notwendigkeit grundlegender Neuregelungen des Wahlprozesses auf. 2002 verabschiedete der Kongress den Help America Vote Act (HAVA), dessen Autorinnen und Autoren vom Vorsatz geleitet waren, die Teilnahme an Wahlen zu erleichtern und gleichzeitig Wahlbetrug zu erschweren. Dank HAVA können Einzelstaaten bis heute Bundesmittel bei der Modernisierung ihrer elektoralen Infrastruktur erhalten. Gleichzeitig schrieb der Akt parallel die Erstellung von Wahlregistern auf Landesebene vor. Ebenso verfügt HAVA, dass Erstwählerinnen und Erstwähler, die sich über den Postweg für die Teilnahme an Wahlen registriert haben, im Wahllokal bei ihrem ersten Urnengang einen Ausweis vorzeigen müssen. Verschiedene Einzelstaaten haben seitdem eine restriktive Handhabung der Ausweisung am Wahltag umgesetzt. 2005 führten Indiana und Georgia als erste Einzelstaaten eine "strikte" Pflicht zur Vorlage eines Lichtbildausweises ein – ohne diesen sollte die Teilnahme an Wahlen verwehrt bleiben. Mitte 2020 ließen sich insgesamt sechs Einzelstaaten vorfinden, in denen solch eine Vorgabe existiert. Die Mehrheit der Bundesstaaten schreibt zwar eine Ausweisung vor, jedoch können potenzielle Wählerinnen und Wähler beispielsweise durch eine eidesstattliche Erklärung zur Bestätigung ihrer Identität die Vorlage eines Lichtbildausweises oder Dokuments umgehen.


Ein anderer Weg, Personen von der Wahlurne fernzuhalten, ist die Entfernung des Namens aus dem Wahlregister. Diese werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen "bereinigt" und somit aktualisiert. Manche Bundestaaten betreiben diese Löschung potenzieller Karteileichen jedoch besonders aggressiv. So beispielsweise der klassische Swing State Ohio. Nehmen dortige Wählerinnen und Wähler an zwei aufeinanderfolgenden Wahlen innerhalb von zwei Jahren nicht teil, erhalten sie einen Brief mit der Aufforderung, die aktuelle Adresse zu bestätigen. Bleibt eine Antwort aus und nimmt die betroffene Person weiterhin an Wahlen für die darauffolgenden vier Jahre nicht teil, erlischt der Eintrag im Wahlregister. Überproportional betroffen sind dementsprechend Gruppen, deren Wahlbeteiligung traditionell geringer ist: Ethnische Minderheiten oder auch Personen aus prekären sozialen Verhältnissen.

Die Interpretation des Wahlrechts als Grundrecht oder andererseits Privileg, für dessen Ausübung gewisse Hürden in Kauf genommen werden sollten, spaltet die US-amerikanische Politik auf der Basis der parteipolitischen Zugehörigkeit. So wurden beispielsweise zwischen 2005 und 2015 alle Gesetze zur Einführung einer strikten Vorlage des Lichtbildausweises in Einzelstaaten mit Republikanischen Mehrheiten umgesetzt. Allgemein sehen die beiden großen politischen Lager die Ausübung des Wahlrechts aus grundsätzlich unterschiedlichen Perspektiven: Während sich Demokratische Wählerinnen und Wähler mehrheitlich für eine Erleichterung der Teilnahme an Wahlen aussprechen, befürworten Anhängerinnen und Anhänger der Republikaner eine deutlich restriktivere Handhabung. Fast 80 Prozent aller Demokraten unterstützen beispielsweise ein System der automatischen Registrierung zu Wahlen, entsprechend dessen Interaktionen mit bestimmten staatlichen Behörden automatisch zur Hinzufügung des Namens in das Landeswählerregister führen.

Die Konsequenzen der Einschränkungen des Wahlrechts

Ein genauer Blick legt offen, dass die Vorgabe der "strikten" Ausweispflicht gerade ethnische Minderheiten vor eine weitere Hürde bei der Nutzung des Wahlrechts stellt. Während acht Prozent aller weißen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner nicht über einen von einer staatlichen Behörde ausgestellten Lichtbildausweis verfügen, liegt dieser Anteil unter Afro-Amerikanerinnen und Afro-Amerikanern bei 25 Prozent. Insgesamt gaben in einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2018 sowohl schwarze US-Amerikanerinnen und -Amerikaner als auch Hispano-Amerikanerinnen und -Amerikaner häufiger als ihre weißen Pendants an, dass ihnen die Wahl aus verschiedenen Gründen erschwert wird.

Von der Möglichkeit, Tage oder Wochen vor der Wahl bereits die Stimme abzugeben (dem sogenannten Early Voting), machen ebenso eher Minderheiten Gebrauch: In Ohio war 2012 der Anteil der vorzeitigen Wählerinnen und Wählern unter der schwarzen doppelt so hoch wie innerhalb der weißen Wählerschaft. Early Voting ist gerade dadurch relevant, dass die Wahlen werktags stattfinden und somit die Werktätigkeit mit der Stimmabgabe kollidieren kann.

Auch hier haben in den letzten Jahren Republikanische Landeskammern oftmals eine Reduzierung umgesetzt. In Florida wurde 2011 das Zeitfenster der frühen Stimmabgabe von 14 auf 8 Tage reduziert, eine Maßnahme die insbesondere unter Minderheiten die Wahlbeteiligung reduzierte. In North Carolina entschied 2018 die dortige Republikanischen Mehrheit die Zahl der Wahllokale für die vorzeitige Wahlteilnahme um 20 Prozent zu reduzieren.

InfoDer Ausbau der Briefwahl inmitten der Corona-Pandemie

Vor dem Ausbruch des COVID-19-Virus konnten in 34 Einzelstaaten sowie Washington, D.C. Briefwahlunterlagen ohne die Angabe von Gründen angefordert werden. Mitte August 2020 ließen sich andererseits weiterhin sieben Einzelstaaten vorfinden, in denen Briefwahlunterlagen nur mit einem validen Grund (beispielsweise ein Aufenthalt außerhalb des Wohnortes am Wahltag) angefordert werden konnten und in denen gesundheitliche Bedenken hinsichtlich der Pandemie als nicht ausreichender Anlass gesehen wurden. Zu diesem Zeitpunkt betraf dies ungefähr 52 Millionen Wählerinnen und Wähler, die im Falle einer Wahlteilnahme potenziell keine andere Option besitzen, als persönlich in einem Wahllokal zu erscheinen.

Insgesamt hatten bis Mitte August bereits 20 Einzelstaaten und Washington, D.C. als Reaktion auf die Pandemie die Teilnahme an Wahlen auf dem Postweg erleichtert. So entschied sich beispielsweise mit Kalifornien der bevölkerungsreichste Staat der USA, die anstehenden Wahlen (fast) vollständig über die Briefwahl zu organisieren. Eine der grundlegenden Herausforderungen dieser Reformen hinsichtlich der Wahrung der demokratischen Legitimität stellt der vergleichsweise hohe Anteil an abgelehnten Briefwahlstimmen dar (beispielsweise aufgrund des Fehlens der Unterschrift oder eines Poststempels, der den rechtzeitigen Versand bestätigt).

Im Falle eines knappen Wahlausganges könnten mehrere Wochen verstreichen, bis Klarheit hinsichtlich des Siegers der Präsidentschaftswahl herrscht. Im Bundesstaat New York dauerte es in den dortigen Vorwahlen im Sommer beispielsweise sechs Wochen, bevor amtliche Endergebnisse vorlagen. Zudem werden aller Voraussicht nach erheblich mehr Demokratische als Republikanische Wählerinnen und Wähler per Brief abstimmen. Dies könnte potenziell Wochen nach dem Wahltag zu Verschiebungen der Mehrheitsverhältnisse führen.

Fußnoten

  1. National Conference of State Legislatures (2020): States with No-Excuse Absentee Voting. Externer Link: https://www.ncsl.org/research/elections-and-campaigns/vopp-table-1-states-with-no-excuse-absentee-voting.aspx.

  2. Stand: 15. August 2020. RABINOWITZ, Kate / MAYES, Brittany Renee (2020): At least 77% of American voters can cast ballots by mail in the fall. In: Washington Post, 27. Juli. Externer Link: https://www.washingtonpost.com/graphics/2020/politics/vote-by-mail-states/.

  3. WHITE, Jeremy B. (2020): California becomes first state to switch November election to all-mail balloting. In: Politico, 8. Mai. Externer Link: https://www.politico.com/states/california/story/2020/05/08/california-becomes-first-state-to-make-november-an-all-mail-ballot-election-1283238.

  4. SHINO, Enrijeta u. a. (2020): Here’s the problem with mail-in ballots: They might not be counted. In: Washington Post, 21. Mai. Externer Link: https://www.washingtonpost.com/politics/2020/05/21/heres-problem-with-mail-in-ballots-they-might-not-be-counted/.

  5. SIEGEL, Benjamin (2020): Why President Trump keeps talking about a New York Democratic primary. In: ABC News, 11. August, Externer Link: https://abcnews.go.com/Politics/president-trump-talking-york-democratic-primary/story?id=72172120.

  6. HASEN, Rick (2020): In Pennsylvania’s Recent Primary, More Democrats Voted by Mail and More Republicans in Person: Big National Implications for November. Election Law Blog, 18. Juni. Externer Link: https://electionlawblog.org/?p=112359.

Eine weitere fundamentale Einschränkung lässt sich bei dem Entzug des Wahlrechts für Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher ("Felons") finden. Einzig Maine und Vermont erlauben inhaftieren Felons weiterhin von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Nur 16 Einzelstaaten geben ihnen nach dem Ende der Haft unverzüglich ihr Wahlrecht wieder zurück, während zwölf Einzelstaaten auf der Basis der Schwere des Verbrechens manchen ehemaligen Inhaftierten dauerhaft das Wahlrecht entziehen. Im Jahr 2016 wurde somit über sechs Millionen US-Amerikanerinnen und -Amerikanern aufgrund krimineller Handlungen die Nutzung des Wahlrechts verwehrt. Auch hier sind schwarze Bürgerinnen und Bürger besonders betroffen: Entsprechend Daten aus dem Jahr 2016 hatten über sieben Prozent der potenziell wahlberechtigen Afro-Amerikanerinnen und Afro-Amerikaner auf diesem Weg ihr Wahlrecht verloren. Unter allen anderen US-Bürgerinnen und -Bürgern lag dieser Wert hingegen bei 1,8 Prozent.

Wahlbetrug – ein größtenteils irrelevantes Problem

In einem Land ohne Meldepflicht besteht das Potenzial der mehrfachen Teilnahme an Wahlen, sollten Bürgerinnen und Bürger beispielsweise in verschiedenen Einzelstaaten auf den jeweiligen Wahlregistern stehen. "Strikte" Ausweisvorschriften zur Unterbindung der Wahlteilnahme mit einer falschen Identität adressieren jedoch ein nicht-existentes Problem: Bei einer Milliarde abgegebenen Stimmen in allen US-amerikanischen Wahlen zwischen den Jahren 2000 und 2014, ließen sich nur 31 solcher Fälle vorfinden. Trotz dieser Beweislage wird das Thema der Nutzung des Wahlrechts einer der großen Streitpunkte zwischen Demokraten und Republikanern bleiben – mit den damit verbundenen grundlegenden Konsequenzen für den Zustand der US-amerikanischen Demokratie.

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Philipp Adorf ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Seine Forschung beschäftigt sich mit der Republikanischen Partei, dem Thema der amerikanischen Race Relations sowie rechtspopulistischer Erfolge innerhalb der Arbeiterklasse.