Als der Frachter "Ideal Progress" im November 1996 in den Hamburger Hafen einlief, wurde er bereits von einem Greenpeace-Schlauchboot erwartet. Das Schiff kam aus New Orleans und hatte 65.000 Tonnen frisch geerntete Sojabohnen an Bord. "Keine Gentech-Soja in unseren Lebensmitteln" projizierten die Aktivisten unübersehbar auf die Bordwand des Schiffes. In jenem Jahr waren in den USA erstmals gentechnisch veränderte Sojabohnen angebaut worden. Die Ladung des Frachters war bestimmt für die Hamburger Ölmühle, in der die Sojabohnen zu Futtermitteln, Öl und Lebensmittelzutaten weiterverarbeitet werden sollten.
Die Aktion im Hamburger Hafen markiert den Beginn eines tiefen und grundsätzlichen Konflikts zwischen den USA und Europa um die Grüne Gentechnik, der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung. Wenig später erklärten die ersten großen Lebensmittelunternehmen, künftig auf Sojarohstoffe zu verzichten oder sie aus solchen Ländern zu beziehen, die damals noch keine gentechnisch veränderten Sorten anbauten. Bis heute ist die Mehrheit der Verbraucher in Deutschland – und ähnlich in anderen EU-Ländern – gegenüber Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen skeptisch eingestellt.
Verschärfung der EU-Gesetzgebung
Mit den Schiffen, die gentechnisch veränderte Sojabohnen nach Europa brachten, erreichte auch die öffentliche Diskussion einen ersten Höhepunkt. Mehrfach wurde in den folgenden Jahren die europäische Gesetzgebung verschärft, mit der Zulassung und Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln EU-weit geregelt werden. Bis heute wird in der EU nur eine gentechnisch veränderte Pflanze – der Mais MON810 mit einer Resistenz gegen Fraßinsekten – auf vergleichsweise geringen Flächen angebaut. Lebensmittelhersteller bemühen sich, Rohstoffe aus gentechnisch veränderten Pflanzen zu vermeiden, damit sie ihre Produkte nicht kennzeichnen müssen.
Ganz anders die Entwicklung in den USA: Nach der ersten Aussaat 1996 haben sich gentechnisch veränderte Soja-, Mais- und Baumwollsorten inzwischen weitgehend durchgesetzt und den konventionellen Anbau auf einen Anteil von fünf bis 20 Prozent zurückgedrängt. 2008 wurden in den USA knapp 60 Millionen Hektar – fast das Doppelte der Gesamtfläche Deutschlands – mit gentechnisch veränderten Pflanzen bewirtschaftet.
Wirtschaftliche Gewinne in den USA
Obwohl das patentierte Saatgut teurer ist, bringt der Einsatz gentechnisch veränderter Sorten den amerikanischen Farmern spürbare ökonomische Vorteile. So ermöglichen herbizidresistente Sorten eine wirksame Unkrautbekämpfung, die weniger Zeit und Maschineneinsatz benötigt. Bei Mais und Baumwolle können die Landwirte ihre Kosten für die Schädlingsbekämpfung reduzieren, wenn sie Sorten mit einer gentechnisch übertragenen Resistenz gegen Fraßinsekten verwenden. Infolge eines aus einem natürlichen Bodenbakterium übertragenen Gens bilden diese Pflanzen einen Wirkstoff (Bt-Protein), der spezifisch bestimmte Schädlinge abtötet. Dadurch können die Landwirte vollständig oder zu einem Teil auf das Spritzen von Insektiziden verzichten. Vor allem bei starkem Schädlingsbefall sind die Ertragseinbußen durch Fraßschäden geringer als bei herkömmlichen Bekämpfungskonzepten.
Inzwischen hat auch der Anbau gentechnisch veränderter Zuckerrüben begonnen. Schon im zweiten Jahr beläuft sich ihr Anteil auf 50 Prozent der amerikanischen Rübenzuckerproduktion. Dagegen sind gentechnisch veränderte Tomaten und Kartoffeln nach einigen Jahren wieder vom Markt verschwunden, da sie weder für die Landwirte, noch für die Verarbeiter und Konsumenten Vorteile brachten.
Unterschiedliche Handhabung der Grünen Gentechnik
Nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile für die Landwirte, auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben die rasche Ausdehnung der Grünen Gentechnik in den Vereinigten Staaten gefördert. Zwar müssen gentechnisch veränderte Pflanzen auch in den USA ein Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie angebaut und ihre Ernteprodukte als Lebensmittel auf den Markt gebracht werden dürfen. Doch anders als die EU wählten die USA dabei einen eher pragmatischen Weg. Der Kern: Ist nach dem derzeitigen Stand des Wissens ein gentechnisch verändertes Produkt als genau so sicher einzuschätzen wie ein vergleichbares herkömmliches Produkt, dann sind beide rechtlich gleichgestellt. Besondere Vorschriften, die sich aus der Anwendung der Gentechnik ableiten, gibt es nicht. Alle Ernteprodukte – ganz gleich, ob sie von gentechnisch veränderten Pflanzen stammen oder nicht – durchlaufen die gleichen Transport- und Verarbeitungsketten.
In den USA erzeugte Agrarrohstoffe aus Mais, Soja oder Baumwolle bestehen daher seit 1996 aus einem zufälligen Anteil gentechnisch veränderter Pflanzen. Auch eine allgemeine gentechnik-spezifische Kennzeichnung von Lebensmittel ist nicht vorgeschrieben, sofern sich mit gentechnisch veränderten Pflanzen erzeugte Produkte "nicht wesentlich" von herkömmlichen unterscheiden. In den USA setzt eine Deklarationspflicht erst dann ein, wenn mit gentechnischen Verfahren etwa die Nährwertzusammensetzung eines Produkts geändert wird.
Kaum Diskussionen in den USA
Ein Maiskolben ist ein Maiskolben: Was in den Vereinigten Staaten zählt, sind Sicherheit und Produkteigenschaften, nicht aber die Technologie, die bei der Entwicklung der Sorte eingesetzt wurde. Da sich mit der Einführung der Grünen Gentechnik weder an den Eigenschaften, noch an der Kennzeichnung der Lebensmittel etwas änderte, blieb sie der großen Mehrheit der Konsumenten verborgen. Mögliche Risiken oder soziökonomische Auswirkungen wurden nur vereinzelt ein Thema der öffentlichen Diskussion.
In Europa war das anders. Mit dem Eintreffen der ersten Sojafrachter 1996, noch verstärkt durch die große BSE-Krise, wuchs in der Öffentlichkeit die Besorgnis, mit der Grünen Gentechnik würden den Konsumenten gegen ihren Willen neue Risiken und Ungewissheiten aufgebürdet. Diese Verunsicherung und die diffusen Zweifel an der Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel spiegeln sich auch in der europäischen Gesetzgebung zur Grünen Gentechnik wider. Neben der Sicherheit wurde die "Wahlfreiheit" ein gesetzlich verbrieftes Ziel: Die Konsumenten, aber auch Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft sollen das Recht haben, zwischen Produkten mit und ohne Gentechnik wählen zu können. Die Folge davon war, dass auch zugelassene und von den zuständigen Expertengremien als sicher eingestufte Gentechnik-Produkte besonderen Regeln unterworfen werden. So müssen etwa Anbau und Verarbeitung gentechnisch veränderter Pflanzen unter besonderen Bedingungen stattfinden, die eine unerwünschte Vermischung mit der herkömmlichen Erzeugung ausschließen. Und anders als in den USA wurde eine Kennzeichnung gesetzlich vorgeschrieben, die den Konsumenten nicht auf besondere Produkteigenschaften hinweist, sondern allein auf die Anwendung der Gentechnologie.
Lang anhaltender Handelskonflikt
Dieser unterschiedliche Umgang mit der Grünen Gentechnik auf beiden Seiten des Atlantiks führte zu einem lang anhaltenden Handelskonflikt. Für die USA als größten Agrarexporteur der Welt sind gentechnisch veränderte Pflanzen eine innovative Anbautechnologie, die keinen Einfluss auf die Beschaffenheit und die Sicherheit der damit erzeugten Produkte hat. Aus den Rechtsvorschriften, die sich einige der Abnehmerländer – allen voran die EU – gegeben haben, leiten sich dagegen neue, spezifische Anforderungen ab, die tief in die Agrarproduktion der Erzeugerländer eingreifen. So müssen dort etwa getrennte Verarbeitungsketten und Rückverfolgbarkeitssysteme etabliert werden, um in den Abnehmerländern Wahlfreiheit und eine technologiebezogene Kennzeichnung zu ermöglichen.
Gemeinsam mit Argentinien und Kanada legten die USA 2003 bei der Welthandelsorganisation WTO Klage gegen die EU ein. Sie richtete sich vor allem gegen das in der EU von 1998 bis 2004 bestehende Zulassungsmoratorium sowie gegen nationale Verbote bestimmter gentechnisch veränderter Pflanzen, die einzelne EU-Mitgliedstaaten erlassen hatten, aber auch gegen die technologiebezogene Kennzeichnung. Solche Maßnahmen seien unzulässige Handelshemmnisse, so die klagenden Länder, da Einfuhrverbote aufgrund von Sicherheitsbedenken nach den WTO-Verträgen nur zulässig seien, wenn sie wissenschaftlich begründet seien und keinen Handelspartner diskriminierten.
Streit unter den EU-Mitgliedsstaaten
Das Urteil des WTO-Schiedsgerichts gab den klagenden Ländern nur zum Teil Recht. Zwar wertete es das Zulassungsmoratorium als WTO-Verstoß, nicht jedoch die europäischen Kennzeichnungsbestimmungen. Trotz der Entscheidung dauert der atlantische Grundkonflikt um die Grüne Gentechnik an, zu unterschiedlich sind die rechtlichen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen. Seit 1998 wurde in der EU keine gentechnisch veränderte Pflanze zum Anbau zugelassen. Zulassungsverfahren für Lebensmittel- und Futtermittel aus importierten gentechnisch veränderten Pflanzen ziehen sich über Jahre hin und die EU-Mitgliedstaaten sind untereinander politisch zerstritten.
In den USA werden neue gentechnisch veränderte Pflanzen dagegen zügig und ohne politische Diskussion von der zuständigen Fachbehörde zugelassen. Während sich dort die Sicherheitsbewertung für neue gentechnisch veränderte Pflanzen auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über mögliche Risiken stützt, gilt in Europa das politisch verankerte Vorsorgeprinzip, nach dem auch plausible, wissenschaftlich jedoch nicht bewiesene Risikoszenarien bei Zulassungsentscheidungen zu berücksichtigen sind. Diese kulturellen Unterschiede prägen nicht nur die gegenseitigen Wahrnehmungen; sie führen auch zu Verwerfungen im atlantischen Handel. So sind die Ausfuhren von Mais- und Sojarohstoffen in die EU deutlich zurückgegangen.
Druck der weltweiten Nachfrage
Immer weniger sind die Amerikaner bereit, auf die restriktiven europäischen Vorgaben einzugehen und etwa nur solche gentechnisch veränderten Sorten anzubauen, deren Ernteprodukte in der EU als Lebens- und Futtermittel zugelassen sind. In den vergangenen Jahren haben die europäischen Märkte für die amerikanische Landwirtschaft dadurch an Bedeutung verloren. Viel wichtiger als die anspruchsvollen, gentechnik-kritischen Kunden in Europa sind die sprunghaft gewachsene Nachfrage nach Agrarrohstoffen in China und anderen asiatischen Länden, aber auch ihre zunehmende Verwertungsmöglichkeit als Biokraftstoff.
Wenn heute die Grüne Gentechnik in den USA zumindest in den landwirtschaftlichen Regionen etwas Selbstverständliches ist, zeigt sich darin auch ein optimistischer Umgang mit Risiken und Innovationen, der den Europäern fremd ist. Doch je stärker die weltweite Nachfrage nach Agrarrohstoffen zunimmt, umso mehr können die großen Erzeugerländer durchsetzen, unter welchen Bedingungen sie produzieren. Weltweit nutzen inzwischen 23 Länder gentechnisch veränderte Pflanzen, die 2007 eine Gesamtfläche von mehr als 110 Millionen Hektar bedecken – Tendenz weiter steigend. Nur wenige große Unternehmen, allen voran der amerikanische Konzern Monsanto, beherrschen den Markt. Sie verfügen über die notwendigen finanziellen und wissenschaftlichen Ressourcen, um Gene für interessante Eigenschaften zu finden, sie in Pflanzen einzuführen und so neue Sorten zu entwickeln.
Auch wenn es für viele Europäer befremdlich klingt, die Grüne Gentechnik, die sich in den USA innerhalb weniger Jahre von einer interessanten wissenschaftlichen Methode zu einem profitablen Wirtschaftszweig verwandelte, ist in vielen Ländern der Welt angekommen. Sie ist eine ökonomische Realität. Und solange sich gentechnisch veränderte Pflanzen wirtschaftlich rechnen, ihre neuen Eigenschaften wirksam sind und keine gesundheitlichen und ökologischen Schäden auftreten, wird sich daran auch wenig ändern.