Auswanderung prägte die gesamte jüngere Geschichte Litauens. Gegenwärtig ist die Migrations- und Integrationspolitik selektiv und begünstigt vor allem die Rückkehr litauischer Staatsangehöriger sowie die Einwanderung hochqualifizierter Personen aus bestimmten Drittländern.
In seiner Geschichte hat Litauen verschiedene Phasen der Auswanderung und Einwanderung erlebt. Im Sommer 1940 wurde das Land infolge des Interner Link: Hitler-Stalin-Pakts von der Interner Link: Sowjetunion annektiert, nur um ein Jahr später von der deutschen Interner Link: Wehrmacht besetzt zu werden. Während der deutschen Besatzung wurden etwa 200.000 litauische Jüdinnen und Juden deportiert und getötet – fast die gesamte jüdische Bevölkerung des Landes. Gleichzeitig wurden Deutsche aufgefordert, sich in den besetzten Gebieten niederzulassen. Im Herbst 1944 wiederum nahm die Rote Armee Litauen ein. Hunderttausende flohen vor der sowjetischen Besatzung. In der Nachkriegszeit wurden Russinnen und Russen und andere Bevölkerungsgruppen aus Gebieten, die zur Sowjetunion gehörten, nach Litauen umgesiedelt, um die zuvor unabhängige Republik enger an Moskau zu binden. In den 1980er Jahren wurden die Forderungen nach Unabhängigkeit lauter. Als Litauen Interner Link: 1990 schließlich seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte, waren Interner Link: fast zehn Prozent seiner Bevölkerung Menschen, die außerhalb des Territoriums des nun unabhängigen Staates geboren worden waren.
Entwicklung der Migration in Litauen seit der Unabhängigkeit 1991
In den drei Jahrzehnten seit der formellen Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Jahr 1991 sind Menschen aus Litauen vor allem emigriert. Seit 1990 ist die Bevölkerung Litauens um 899.500 Personen (rund 24 Prozent) geschrumpft, insbesondere weil die Auswanderung die Einwanderung deutlich überstieg. Dieser Trend begann sich in den letzten Jahren zu ändern. Die Zahl der Auswandernden ging zurück, während die Einwanderung zunahm. Nach vorläufigen Daten der litauischen Statistikbehörde ist die Bevölkerung Litauens 2019 zum ersten Mal seit 28 Jahren wieder leicht gewachsen. Dies war vor allem auf den positiven Wanderungssaldo ausländischer Migrant/-innen zurückzuführen. Nach vorläufigen Daten der Statistikbehörde sind 2019 rund 29.000 Menschen aus Litauen ausgewandert – neun Prozent weniger als 2018.
Auswanderung als dominantes Migrationsmuster
Das erste Jahrzehnt nach der wiedererlangten Unabhängigkeit Litauens war durch umfangreiche Auswanderung gekennzeichnet. Gleich zu Beginn nahm die Auswanderung in die Länder der ehemaligen Sowjetunion deutlich zu und erreichte 1992 ihren höchsten Stand. Russ/-innen, Ukrainer/-innen, Belaruss/-innen und Bürger/-innen anderer Länder der ehemaligen Sowjetunion verließen Litauen und kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Nach 1992 begannen sich die Migrationsmuster und Migrationsrichtungen zu ändern: Seither migrieren doppelt so viele Menschen in westliche wie in östliche Länder. Im Zeitraum 1993-2003 waren unter den Auswandernden vor allem litauische Staatsangehörige vertreten, die sich im Ausland bessere wirtschaftliche Perspektiven erhofften.
Am 1. Mai 2004 wurde Litauen Mitglied der Europäischen Union (EU). Im Jahr 2007 trat das Land dem Interner Link: Schengen-Raum bei. Seitdem können die Bürgerinnen und Bürger Litauens (fast) überall in Europa frei reisen, arbeiten und sich niederlassen. Der EU-Integrationsprozess und die damit verbundene Integration Litauens in den europäischen Arbeitsmarkt ließen die Auswanderung litauischer Staatsangehöriger in andere EU-Mitgliedstaaten steigen. Vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise und ihrer negativen Auswirkungen auf Litauens Wirtschaft, erreichte die Abwanderung 2009/2010 ihren Höhepunkt. Die höchste Zahl an Abwandernden wurde im Jahr 2010 verzeichnet, als 79.315 litauische Staatsangehörige das Land verließen. In erster Linie lösten hohe Arbeitslosenquoten und wirtschaftliche Veränderungen diese Auswanderung aus. Ein weiterer Grund war die Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung im April 2009. In der Folge begannen Personen, die bereits im Ausland gelebt hatten, ihre Ausreise offiziell zu melden, um diese Gebühr zu vermeiden.
Die Hauptzielländer haben sich im Laufe der Zeit verändert. Vor dem Beitritt Litauens zur EU waren Länder der ehemaligen Sowjetunion und solche mit einer bedeutenden litauischen Diaspora (Polen, Deutschland, USA) bevorzugte Ziele litauischer Migrantinnen und Migranten. Nach dem Beitritt verlagerten sich die Migrationsbewegungen aus Litauen in Richtung anderer EU-Mitgliedstaaten.
Die ersten EU-Staaten, die ihre Grenzen für litauische Staatsangehörige öffneten, waren das Vereinigte Königreich, Irland und Schweden. Zusammen mit Deutschland und Norwegen gehören die beiden erstgenannten Länder seit nunmehr über einem Jahrzehnt zu den beliebtesten Zielländern. 44 Prozent der im Ausland lebenden litauischen Staatsangehörigen hatten 2019 ihren Wohnsitz im Vereinigten Königreich, zwölf Prozent in Deutschland, zehn Prozent in Norwegen und acht Prozent in Irland.
Der Hauptgrund für die Auswanderung litauischer Staatsangehöriger ist die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation in Litauen und die Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Perspektiven im Ausland. Eine Studie, an der 1.500 im Ausland lebende Litauerinnen und Litauer teilnahmen, ergab, dass die Mehrheit von ihnen Litauen verlassen hatte, um im Ausland zu arbeiten (56 Prozent). Erwerbstätigkeit ist jedoch nicht der einzige Grund für die Auswanderung. Laut derselben Studie gaben 20,7 Prozent der Ausgewanderten an, dass sie zur Selbstverwirklichung ins Ausland gegangen sind, weitere 20,3 Prozent wanderten aus, weil sie mit der Staatsführung in Litauen unzufrieden waren, 25,9 Prozent der Befragten haben Litauen aus familiären Gründen verlassen.
Im Jahr 2019 waren rund 73 Prozent aller Auswandernden zwischen 15 und 44 Jahre alt. Es wird befürchtet, dass die Auswanderung junger Menschen im erwerbsfähigen Alter demografische Herausforderungen wie sinkende Geburtenraten und einen Mangel an (qualifizierten) Arbeitskräften verschärfen wird. Um die genannten Probleme anzugehen, hat die Regierung verschiedene Maßnahmen eingeleitet, die darauf abzielen, litauische Bürgerinnen und Bürger zur Rückkehr nach Litauen zu ermutigen und ihre (Re-)Integration zu erleichtern (z.B. Kurk Lietuvai / Gestalte Litauen ; Renkuosi Lietuvą / Ich wähle Litauen ). Am 20. September 2018 verabschiedete die Regierung die "Strategie für Demografie, Migration und Integration 2018-2030", womit erstmalig die demografischen Herausforderungen, Migrationsmanagement, Diasporapolitik und (Re-)Integration in einem einzigen Dokument zusammenfasst und damit als zusammenhängende Herausforderungen betrachtet wurden.
Einwanderung nach Litauen: Rückkehrende und zunehmende Arbeitsmigration
Am 1. Januar 2020 lebten 78.081 ausländische Staatsangehörige in Litauen, was 2,79 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Einwanderung nach Litauen hat seit dem EU-Beitritt des Landes zugenommen. So hat sich im Vergleich zu 2004 die absolute Zahl der in Litauen ansässigen Ausländerinnen und Ausländer mehr als verdoppelt, ihr Anteil an der Bevölkerung hat sich verdreifacht. Lediglich während der Rezession in den Jahren 2009 und 2010 sowie im Jahr 2015 gingen die Einwanderungszahlen zurück.
Statistiken zufolge waren von 2004 bis 2016 die meisten Einwandernden Litauerinnen und Litauer (etwa 80 Prozent), die aus dem Ausland zurückkehrten. Dieser Trend begann sich ab 2017 zu ändern. Die jüngsten vorläufigen Daten der Migrationsabteilung des litauischen Innenministeriums zeigen, dass Litauerinnen und Litauer im Jahr 2019 nur noch etwa die Hälfte (51 Prozent) der Einwandernden ausmachten . Im selben Jahr wanderten 19.700 Ausländerinnen und Ausländer nach Litauen ein – 7.300 (oder 1,6-mal) mehr als im Jahr 2018.
Einwanderung von Nicht-EU-Bürgern/-innen 2005 – 2018
Die Mehrheit der Ausländerinnen und Ausländer, die nach Litauen einwandern, kommen aus Staaten, die nicht zur EU gehören (Drittstaatsangehörige). Die meisten von ihnen stammen aus Belarus, der Russischen Föderation und der Ukraine. Im Jahr 2019 machten Bürgerinnen und Bürger der genannten Länder fast die Hälfte (45 Prozent) aller ausländischen Staatsangehörigen aus, die in jenem Jahr nach Litauen einwanderten. Die Mehrheit der Einwandernden sind alleinstehende männliche Migranten zwischen 20 und 39 Jahren.
In den letzten fünf Jahren war Erwerbstätigkeit der Hauptgrund für die Erteilung oder Verlängerung befristeter Aufenthaltsgenehmigungen (68 Prozent im Jahr 2018). Zwischen 2005 und 2015 dominierte die Familienzusammenführung als Migrationsgrund (mit Ausnahme der Jahre 2008 und 2014). Im Jahr 2018 wurde die Einreise von Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Mangelberufen erleichtert. Daraufhin stieg der Anteil der aus Beschäftigungsgründen ausgestellten befristeten Aufenthaltsgenehmigungen.
Asyl spielt in Litauen eine untergeordnete Rolle. Mit Ausnahme von Interner Link: 2015 wurden in Litauen im Zeitraum 2004 bis 2018 jährlich zwischen 400 und 650 Asylanträge gestellt. Insgesamt wurde im genannten Zeitraum 747 Asylsuchenden der Flüchtlingsstatus und 2.779 Geflüchteten subsidiärer Schutz gewährt. In den letzten Jahren waren die meisten Asylsuchenden Staatsangehörige Tadschikistans (2018), Syriens (2016 und 2017) und der Ukraine (2015).
Im Jahr 2015 trat Litauen dem Interner Link: Umsiedlungsprogramm der Europäischen Kommission (Emergency Relocation Scheme) bei, um Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufzunehmen – zwei EU-Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen, die mit der massiven Ankunft von Asylsuchenden konfrontiert waren. Im Zeitraum 2016 bis 2019 wurden 493 Personen nach Litauen umgesiedelt. Die Mehrheit von ihnen (82 Prozent) waren syrische Staatsangehörige.
Seit 2015 gab es mehrere relevante rechtliche Entwicklungen hinsichtlich der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Zunächst verabschiedete die Regierung 2016 und 2017 zwei Resolutionen, die sich direkt auf die Erleichterung der Integration von Personen mit internationalem Schutzstatus beziehen. Darüber hinaus zielt der verabschiedete "Aktionsplan 2018-2020 zur Integration von Ausländerinnen und Ausländern in die Gesellschaft" (siehe unten) sowohl auf die Situation von Migrantinnen und Migranten als auch auf Personen mit internationalem Schutzstatus.
Migrations- und Integrationspolitik
Die Migrationspolitik verfolgt in erster Linie das Ziel, die Zahl der Litauerinnen und Litauer, die das Land verlassen, zu verringern, die Rückkehr litauischer Ausgewanderter zu fördern und die Beziehungen zur litauischen Interner Link: Diaspora aufrecht zu erhalten.
Das "Gesetz über den rechtlichen Status von Ausländer/-innen" ist das wichtigste Rechtsdokument im Hinblick auf die Migration ausländischer Staatsangehöriger nach Litauen. Es legt die Verfahren für die Ein- und Ausreise, die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen und die Gewährung von Asyl fest und behandelt auch Fragen der Integration und Einbürgerung.
Im Jahr 2007 wurde die "Strategie zur Regelung der Wirtschaftsmigration" verabschiedet, um die Folgen demografischer und wirtschaftlicher Herausforderungen abzuschwächen, die sich aus der hohen Auswanderung aus Litauen ergaben. Sie zielte darauf ab, die Auswanderung zu verringern und die Einwanderung zu fördern, um bis 2012 einen ausgeglichenen Wanderungssaldo zu erreichen. Die Migrations- und Integrationspolitik erfuhr jedoch erst 2014 eine Verstetigung und mehr Verbindlichkeit, als die "Litauischen Richtlinien zur Migrationspolitik" in Kraft traten und das Ministerium für soziale Sicherheit und Arbeit beauftragt wurde, eine Politik zur Integration von ausländischen Staatsangehörigen zu entwerfen. Sie wurde von einem "Aktionsplan 2015-2017 zur Umsetzung der Ausländerintegrationspolitik" begleitet. Der anschließende "Aktionsplan 2018-2020 zur Integration von Ausländer/-innen in die Gesellschaft" zielt darauf ab, die Durchführung von Integrationsmaßnahmen für in Litauen lebende ausländische Staatsangehörige weiter zu verbessern und ihre erfolgreiche Integration in die Gesellschaft sicherzustellen. Er umfasst Maßnahmen zur Förderung der interinstitutionellen Zusammenarbeit und zur Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, zum Bildungssystem sowie zu Sozial- und Gesundheitsdiensten. Er fördert auch das Miteinander von Ausländerinnen und Ausländern und lokalen Gemeinschaften in dem Bemühen, Diskriminierung abzubauen. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Integration von Migrantinnen und Migranten sowie der Aufbau eines Interner Link: Monitoring-Systems, das Prozesse der Integration und der Umsetzung migrationspolitischer Maßnahmen überprüft.
Trotz relevanter Entwicklungen im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik im letzten Jahrzehnt gibt es mit Blick auf die Umsetzung einer umfassenden Migrationspolitik, die die langfristige Integration ausländischer Staatsangehöriger einschließt, noch viel zu tun. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass Litauens Migrations- und Integrationspolitik nach wie vor sehr selektiv ist, da sie weiterhin die Rückkehrmigration litauischer Bürgerinnen und Bürger und die Zuwanderung bestimmter Gruppen (insbesondere hoch qualifizierter Fachkräfte und ihrer Familienangehörigen) aus bestimmten Drittländern (insbesondere aus entwickelten Ländern wie Australien, Japan, Neuseeland, USA, Kanada und Südkorea) begünstigt. Ab 2021 werden Quoten für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Nicht-EU-Ländern eingeführt, um die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern zu regulieren, die zu Beschäftigungszwecken nach Litauen kommen.
Anstelle von Schlussfolgerungen
Im Zuge des weltweiten Kampfes gegen das Interner Link: SARS-CoV-2-Virus sind grenzüberschreitende Migrationsbewegungen nach und innerhalb Europas zurückgegangen, weil viele Staaten zur Eindämmung der Pandemie ihre Grenzen geschlossen haben. Es ist schwer abzusehen, wie sich diese Situation auf die zukünftige Migration aus und nach Litauen auswirken wird. Migrationsexpertinnen und -experten gehen davon aus, dass sich die in den letzten Jahren wachsende Einwanderung nach Litauen für eine Weile abschwächen wird. Unterdessen könnte der wirtschaftliche Abschwung infolge des Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie im Frühjahr 2020 dazu führen, dass mehr Menschen das Land verlassen. Statistiken der litauischen Arbeitsämter zufolge ist die Arbeitslosigkeit im April 2020 im Vergleich zum Vormonat um mehr als 21 Prozent gestiegen. In Litauen lebende Drittstaatsangehörige arbeiten meist in Sektoren, die stark vom Lockdown und seinen Auswirkungen betroffen sind – etwa im Dienstleistungssektor (z.B. Restaurants, Friseurläden, Verkehrswesen). Es gibt noch keine offiziellen Statistiken darüber, wie viele ausländische Staatsangehörige das Land bereits verlassen haben. Viele Unternehmen betonen jedoch die anhaltende Nachfrage nach billigen ausländischen Arbeitskräften (z. B. aus Belarus und der Ukraine) in Segmenten des Arbeitsmarktes, in denen Litauerinnen und Litauer nicht arbeiten wollen.
Dr. Giedrė Blažytė ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Ethnic Studies am Lithuanian Social Research Centre und bei der Nichtregierungsorganisation Diversity Development Group. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören zeitgenössische Migrationsprozesse, Familienmigration und Einstellungen der Öffentlichkeit gegenüber Migrant/-innen und Personen, die internationalen Schutz genießen.
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