Migration zwischen Normalität, ökonomischen Zwängen und tödlichen Gefahren
Senegales*innen sind seit Generationen mit zirkulären Migrationsbewegungen vertraut – besonders
O-Ton
"Zunächst erlebten wir eine ökonomische Krise, verschärft durch die Dürre im Jahr 1972. Dann übersahen wir die Gefahren der hiesigen Industrie, die die aktuellen sozialen Probleme geschaffen hat. Und die Senegales*innen begannen nach Europa zu reisen." (Migrationsaktivist aus Dakar)*
* Die Zitate im Beitrag stammen aus Interviews, die im Rahmen des Forschungsprojekts "ExiTT: Exit – Transit – Transformation" im Frühjahr 2019 mit migrationspolitischen Akteuren in Dakar geführt wurden.
Im Jahr 2018 lag die offizielle Arbeitslosenrate im Senegal unter den über 15-Jährigen bei 14,3 Prozent.
O-Ton
"Die aktuelle Situation der Migration im Senegal ist in vielerlei Hinsicht katastrophal: auf wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Ebene. Die jungen Menschen gehen heute im Verborgenen, denn es wird immer schwieriger für sie. Sie glauben, ohne Migration keinen Erfolg haben zu können. Doch weder der Staat noch die Gesellschaft bemühen sich, diese Migrationsbewegungen aufzuhalten. So wird die senegalesische Jugend der Wüste und dem Meer überlassen." (Vertreterin einer zivilgesellschaftlichen Organisation, Dakar)
Seit europäische Staaten in den 1970er Jahren ihre Visaregelungen verschärften und ihr Grenzregime sukzessive bis nach Westafrika ausbauten, müssen sich die meisten senegalesischen Migrant*innen irreguläre Wege nach Norden suchen.
Muster und Motive der Rückkehr in den Senegal
Vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt und Gefahren entlang der Migrationsrouten kehren immer mehr Migrant*innen auf dem Weg nach Europa bereits aus Libyen oder dem Niger zurück in den Senegal. Auch aus Marokko und aus Spanien treten Migrant*innen die Rückreise in den Senegal an. Langjährige Muster der Pendel- und Rückkehrmigration überschneiden sich dabei mit unter Zwang durchgesetzten Rückführungen, sodass sich insgesamt vier Typen von mehr oder weniger freiwilliger und selbstständiger Rückkehrmigration erkennen lassen:
Rückkehrer*innen aus der senegalesischen Diaspora:
Hierzu zählen Senegales*innen, die viele Jahre im afrikanischen, europäischen und nordamerikanischen Ausland gelebt haben und die selbstständig und oft nur kurzzeitig in den Senegal zurückkehren, um ihre Familie zu besuchen, sie finanziell zu unterstützen und/oder Geschäfte oder Investitionen zu tätigen. Ältere Migrant*innen bleiben dabei häufig endgültig im Herkunftsland. Im Senegal genießt diese Gruppe ein hohes Ansehen, da sie als Personen betrachtet werden, die im Ausland "erfolgreich waren“ und "es geschafft haben". Ihr Erfolg wird meist an sichtbaren materiellen Errungenschaften gemessen.
Abgeschobene Rückkehrer*innen:
Am anderen Ende der "Skala der Freiwilligkeit" befinden sich Migrant*innen, die aus nordafrikanischen oder europäischen Staaten sowie den USA in den Senegal
Interner Link: abgeschoben oder ausgewiesen worden sind . Da der Senegal in vielen Ländern als ein "Interner Link: sicheres Herkunftsland " gilt, wird Senegales*innen nur selten Asyl gewährt. In der Konsequenz sind viele senegalesische Migrant*innen in diesen Ländern ständigInterner Link: durch Abschiebung bedroht .Teilnehmer*innen an Programmen der "freiwilligen Rückkehr" aus Europa:
Neben Abschiebungen setzen europäische Staaten zunehmend auf die
Interner Link: sogenannte freiwillige Rückkehr . Deutschland unterstützt diese beispielsweise durch Rückkehrberatung, Reisekostenübernahme, Startgelder und Programme zur Förderung der Reintegration im Herkunftsland. Rückkehrende sollen so Möglichkeiten erhalten, eigene Projekte durchzuführen, um sich eine Existenz im Herkunftsland aufbauen und sichern zu können, wodurch sich – so die Annahme – ihre Akzeptanz in den Herkunftsgesellschaften erhöhe und eine Remigration unwahrscheinlich(er) werde.Umkehrer*innen entlang der Migrationsrouten in Afrika:
Die Anzahl von Migrant*innen steigt, die auf ihrem Weg Richtung Europa nicht mehr weiterkommen und/oder sich unter den physischen und psychischen Belastungen im Transit für die Rückkehr in den Senegal entscheiden. Dabei haben Menschen ohne gültige Papiere und ausreichende finanzielle Ressourcen Schwierigkeiten, eigenständig zurückzukehren. Ihnen bietet die
Interner Link: Internationale Organisation für Migration (IOM) in Libyen und im Niger Unterstützung bei der "freiwilligen Rückkehr und Reintegration" an.
Trotz des weitreichenden Grenzregimes in
Staatliche Rückkehrpolitiken im Senegal
Die senegalesische Regierung begann Anfang der 1990er Jahre damit, Politiken und Institutionen zu entwickeln, die die Beziehungen zu den im Ausland lebenden Senegales*innen pflegen und deren (finanziellen)
Programme zur Unterstützung der Rückkehr und Reintegration durch die IOM
Die praktische Umsetzung von aus Europa finanzierten Projekten im Bereich Rückkehr und Reintegration übernimmt im Senegal bislang überwiegend die IOM. Die weltweit tätige UN-Migrationsorganisation unterstützt Migrant*innen im Rahmen ihrer transnationalen Programme seit Jahren bei der "freiwilligen Rückkehr" aus Europa und neuerdings auch entlang der
Zivilgesellschaftliche Rückkehrpraktiken
Neben der staatlichen und internationalen Rückkehrpolitik "von oben", gibt es auch zivilgesellschaftliche Versuche, die senegalesische Migrationspolitik "von unten" mitzugestalten. Denn selbstorganisierte Vereine und lokale Netzwerke im Senegal kritisieren, dass die neuen, staatlichen und internationalen Programme zur Unterstützung der Rückkehrer*innen die entsprechenden Personen nicht erreichen würden und nur wenige Migrant*innen tatsächlich eine Förderung für ihre Reintegrationsprojekte erhielten. Dies führe zu Enttäuschung und Frustration unter den Zurückgekehrten und erhöhe schließlich ihre Bereitschaft, erneut zu migrieren. In Dakar haben sich enttäuschte Rückkehrer*innen, die die versprochenen Integrationshilfen nicht erhalten haben, bereits zusammengeschlossen und Proteste gegen die senegalische Regierung und ihren intransparenten Umgang mit den europäischen Geldern organisiert.
O-Ton
"Bislang sehe ich keinen Rückkehrer, der durch diese Programme finanziert wurde. Der Staat gibt lediglich an, dass mehr als 2.000 Zurückgekehrte unterstützt werden, berichtet jedoch von keinen exemplarischen Erfolgsgeschichten. Somit sind sie [die Programme] ineffizient. So wird die Jugendarbeitslosigkeit nicht verringert." (Vertreterin einer zivilgesellschaftlichen Organisation, Dakar)
Mit vergleichsweise geringer finanzieller Ausstattung leisten zivilgesellschaftliche Organisationen vor allem Sensibilisierungsarbeit und direkte psychosoziale Unterstützung für Rückkehrer*innen und deren Familien. Ein wichtiger Akteur ist dabei der Verein Association Migration & Développement (MigDév). Er befindet sich in einem Stadtteil in Dakar, aus dem seit Beginn der 2000er Jahre viele junge Menschen abgewandert sind. MigDév animiert zurückgekehrte Migrant*innen, andere Senegales*innen über die Gefahren der irregulären Migration aufzuklären, indem sie über ihre eigenen Erfahrungen berichten. Dabei versteht der Verein den gesellschaftlichen und familiären Umgang mit Migration und Rückkehr als einen langen Prozess, der ökonomische, soziale und psychosoziale Aspekte umfasst. Insbesondere die psychologische Hilfe, so die Kritik von MigDév, käme bei den staatlichen und internationalen Programmen zu kurz, sodass traumatisierte Migrant*innen und trauernde Familienmitglieder alleine gelassen würden. Auch das studentische Netzwerk REMI sucht den direkten Kontakt zu Rückkehrer*innen, um diese in Gesprächskreise oder virtuelle Netzwerke einzubinden und dort über psychisch belastende oder traumatisierende Erfahrungen zu sprechen. Dabei mangelt es ihrer Ansicht nach jedoch an einer dauerhaften Struktur, um die Betroffenen zu unterstützen, sich mit ihnen zu organisieren und gemeinsam Forderungen z.B. gegenüber internationalen Akteuren und der senegalesischen Regierung zu entwickeln. Aufgrund der geringen eigenen finanziellen Mittel motivieren die zivilgesellschaftlichen Organisationen Rückkehrer*innen gleichzeitig, sich für die von der EU geförderten Programme beispielsweise der IOM zu bewerben und so Gelder für eigene Projekte zu akquirieren.
Fazit
Senegalesische Migrant*innen, die sich erfolgreich im Ausland etabliert haben und die eigenständig sowie freiwillig (und oft nur vorübergehend) in den Senegal zurückkehren, werden von ihren Familien mit Stolz und Freude empfangen. Das Gegenteil ist der Fall, wenn eine Rückkehr unter Zwang erfolgt ist und die für das Migrationsprojekt mühsam zusammengetragenen finanziellen Ressourcen von Freund*innen und Familienmitgliedern dafür aufgebraucht wurden. Von diesen Rückkehrer*innen gibt es immer mehr, da