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Migrationshintergrund – wieso, woher, wohin? | Deutschland | bpb.de

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Migrationshintergrund – wieso, woher, wohin?

Anne-Kathrin Will

/ 11 Minuten zu lesen

2005 führte das Statistische Bundesamt den Migrationshintergrund ein. Die einen sagen, er mache Integrationsprozesse sichtbar. Die anderen meinen, er schließe Menschen aus. Ein Beitrag über eine umstrittene Kategorie.

Passanten beim Einkaufen auf der Königsallee in Düsseldorf. 52 Prozent der in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund sind Deutsche. (© picture-alliance/dpa, Martin Gerten)

Im Alltag wird häufig von Migrationshintergrund gesprochen, wenn "Ausländer*in" gemeint ist. Doch 52 Prozent der in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund sind Deutsche. Unter den Minderjährigen beträgt ihr Anteil sogar 70 Prozent. Diese Ergebnisse wurden mithilfe des Mikrozensus 2018 ermittelt. Der Interner Link: Mikrozensus ist eine amtliche Haushaltsbefragung, bei der jährlich rund 830.000 Personen zur Teilnahme verpflichtet sind.

Wann wurde die Kategorie Migrationshintergrund eingeführt?

Im Jahr 2005 wurden im Mikrozensus erstmalig mehrere Fragen zur Migration gestellt. Die Einführung dieser Fragen wurde mit dem Interesse an der Integration von Eingebürgerten und Kindern von Zugewanderten (sogenannte zweite Migranten- oder Zuwanderergeneration) begründet. Seitdem wird die Bevölkerung in Deutschland in vielen Statistiken nicht mehr nur nach ihrer Staatsangehörigkeit, sondern zusätzlich nach Migrationshintergrund unterschieden. Vorgestellt wurde der Migrationshintergrund im Juni 2006 auf einer Pressekonferenz des Statistischen Bundesamtes in Berlin. Der Begriff Migrationshintergrund wurde zwar auch schon früher verwendet. So taucht er im Zehnten Kinder- und Jugendbericht, in der deutschen Version der zweiten Untersuchung des "Programme for International Student Assessment (PISA)" und in der "Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS)" auf. Doch erst 2006 wurde der Migrationshintergrund amtlich.

Warum wurde die Kategorie Migrationshintergrund eingeführt?

Vor der Einführung des Migrationshintergrunds wurden in Bevölkerungsstatistiken nur nach deutschen und ausländischen Staatsangehörigen sowie Interner Link: Staatenlosen unterschieden. Die Migrationserfahrung vieler Menschen blieb so in der Statistik unsichtbar, denn viele Zugewanderte besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit entweder durch Abstammung oder Einbürgerung: Im Jahr 2000 lebten neben 2,9 Millionen eingebürgerten Personen auch 4,1 Millionen Interner Link: (Spät-)Aussiedler*innen mit deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland. Außerdem konnten Kinder von Ausländer*innen seit einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Interner Link: Ius soli-Prinzip erhalten. Durch diese drei Gruppen – Eingebürgerte, (Spät-)Aussiedler*innen und Ius soli-Kinder – verschob sich das Interesse von Staatsangehörigkeit zu Interner Link: Migration. Abhilfe sollte die Kategorie "Migrationshintergrund" schaffen. Sie wurde vermutlich vom englischen "ethnic background" abgeleitet. Da es im deutschen Kontext aber (vordergründig) nicht um Ethnien ging, sondern um Migration, wurde es ein "Migration-s-hintergrund".

Wie wird ein Migrationshintergrund definiert und wie wird er erhoben?

Einen Migrationshintergrund hat niemand, sondern er wird Menschen zugeschrieben. Dazu werden die Antworten auf bis zu 19 im Mikrozensus gestellte Fragen so kombiniert, dass am Ende ein Migrationshintergrund zugewiesen wird – oder nicht. Die Definition des Migrationshintergrundes, die sich seit Einführung dieser Kategorie leicht verändert hat, lautet:

"Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt."
Die wichtigsten Erhebungsmerkmale für die Zuschreibung eines Migrationshintergrundes sind der Geburtsort im In- oder Ausland und ob die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben wurde. Diese Informationen werden für die befragten Personen als auch ihre beiden Elternteile erhoben. Dadurch, dass die Fragen nach Staatsangehörigkeit und Geburtsland für drei Personen (Befragte*r, Mutter, Vater) unterschiedlich beantwortet werden (können), entstehen verschiedene Teilkategorien. Für den Migrationshintergrund im Mikrozensus wurde dies in einer Tabelle mit vier Quadranten (I., II., III., IV.) dargestellt. In ihnen sind zwölf Teilkategorien eingetragen, die sich – allerdings mit anderen Benennungen – in den Tabellen der jährlichen Ergebnisveröffentlichung finden. Die Abbildungen 1 und 2 aus dem "Anhang 1" der Originalausgabe der Ergebnispublikation geben einen Eindruck davon, wie komplex die Zuweisung eines Migrationshintergrundes in der statistischen Praxis ist.

Abbildung 1: Kategorisierung der Bevölkerung nach Geburtsland und Staatsangehörigkeit im Mikrozensus

Geboren im Ausland [Personen mit eigener Migrationserfahrung]Geboren im Inland [Personen ohne eigene Migrationserfahrung]
Staatsangehörigkeit nicht-deutsch
I. Zugewanderte Ausländer
a) Ausländer der 1. Generation
II. Nicht zugewanderte Ausländer
a) Ausländer 2. Generation (Eltern gehören zu I.)
b) Ausländer 3. Generation (Eltern gehören zu II.)
Staatsangehörigkeit deutsch
III. Zugewanderte Deutsche
a) Spätaussiedler, Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit mit deutscher Staatsangehörigkeit ohne Einbürgerung
b) Zugewanderte Eingebürgerte einschl. eingebürgerter Spätaussiedler
c) während eines Auslandsaufenthalts geborene Kinder von Deutschen ohne Migrationshintergrund
IV. Nicht zugewanderte Deutsche
a) Deutsche ohne Migrationshintergrund
b) Nicht zugewanderte Eingebürgerte
c) Kinder von Spätaussiedlern, Flüchtlingen und Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit mit deutscher Staatsangehörigkeit ohne Einbürgerung
d) Kinder von Eingebürgerten
e) Ius soli-Kinder von Ausländern
f) Personen mit einseitigem Migrationshintergrund

Quelle: Statistisches Bundesamt (2009 [2007]): Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Wiesbaden, S. 328 (Abbildung für Übersichtlichkeit leicht adaptiert). [12]

Abbildung 2: Teilkategorien, die in den Tabellen der jährlichen Ergebnispublikation des Mikrozensus genutzt werden. Quelle: Statistisches Bundesamt (2009 [2007]): Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Wiesbaden, S. 330. Link siehe Fußnote 12.

Welche Probleme sind mit dem Migrationshintergrund verbunden?

Nationale Territorien ändern ihre Form und ihren Namen. Die völkerrechtlich anerkannten Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 sind andere als die Grenzen nach dem Interner Link: Zweiten Weltkrieg und wieder andere als die nach dem Beitritt der DDR zum Bundesgebiet 1990. Diese Grenzverschiebungen stellen für die Zuweisung eines Migrationshintergrundes eine Herausforderung dar, denn er soll keine Interner Link: Binnenwanderung erfassen. So wurden insbesondere die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen Interner Link: aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aus der Kategorie der Menschen mit Migrationshintergrund ausgeschlossen.

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass es sich beim Migrationshintergrund des Statistischen Bundesamtes um eine ethnische Kategorie handelt. Unter Ethnizität verstehe ich – mit Bezug auf sozialwissenschaftliche Forschungen zu Ethnizität – Grenzziehungs- und Aushandlungsprozesse, die Zugehörigkeiten durch Kategorisierungen anhand herkunftsbezogener oder religiöser Merkmale entstehen lassen. Im Unterschied zu positivistischen Auffassungen, die davon ausgehen, dass ethnische Zugehörigkeiten real existierende Eigenschaften sind, richtet die hier vertretene konstruktivistische Perspektive ihren Blick darauf, wie Ethnizität hervorgebracht, verändert oder gänzlich neu festgeschrieben wird. Dies geschieht im Wechselspiel von Selbst- und Fremdzuschreibungen, also Fragen danach, wie sich Menschen selbst bezeichnen und kategorisieren und wie sie von anderen bezeichnet und kategorisiert werden.

Bei Menschen, die als "mit Migrationshintergrund" kategorisiert werden, handelt es sich um Personen nicht-deutscher Herkunft; sie haben keine Vorfahren, die bereits mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Deutsche, die vor 1950 zugewandert sind, und ihre Nachkommen werden in der Statistik nicht als Personen mit Migrationshintergrund erfasst. Ebenso wird auch im Ausland geborenen Kindern von zwei deutschen Elternteilen ohne Migrationshintergrund kein Migrationshintergrund zugewiesen, obwohl sie eigene Migrationserfahrung besitzen. Kurz: Menschen, die seit Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Abstammung von Deutschen ohne Migrationshintergrund besitzen, haben trotz Migration keinen Migrationshintergrund.

Auf der anderen Seite führt eine ausländische Staatsangehörigkeit in jedem Fall dazu, als Person mit Migrationshintergrund betrachtet zu werden. Dies gilt auch dann, wenn die Person in Deutschland geboren wurde und somit gar nicht selbst zugewandert ist, sondern ihre ausländischen Eltern- oder Großelternteile. Diese selektive Sichtbarmachung ignoriert Migrationserfahrungen von Personen mit deutscher Abstammung, die nicht als (Spät-)Aussiedler*innen zugewandert sind, und betont nicht-deutsche Herkünfte.

Der Migrationshintergrund markiert also erst eine Differenz zwischen Externer Link: Deutschen ohne Migrationshintergrund und Deutschen mit Migrationshintergrund. Viele als deutsche Staatsangehörige in Deutschland geborene und aufgewachsene Personen werden durch den Migrationshintergrund zu "Fremden" gemacht. Laut Mikrozensus 2018 sind dies 5,2 Millionen Menschen. Die Mehrzahl von ihnen hat nur ein eingebürgertes, als (Spät-)Aussiedler*in zugewandertes oder ausländisches Elternteil. Dennoch gelten sie in der Statistik nicht als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Stattdessen fallen sie in dieselbe Kategorie wie selbst zugewanderte Ausländer*innen, obwohl sich die Lebenserfahrungen stark voneinander unterscheiden. Das zeigt allein ein Blick auf die Statistik. So sind Deutsche mit Migrationshintergrund den Deutschen ohne Migrationshintergrund in Bezug auf Einkommen, Bildung, Gesundheit, Wohnverhältnisse, Beteiligung am Arbeitsmarkt und weitere Indikatoren ähnlicher als Ausländer*innen.

Die Zuschreibung eines Migrationshintergrunds allein aufgrund der Geburtsstaatsangehörigkeit der Befragten oder eines Elternteils, bildet die gesellschaftliche Realität unzureichend ab. Das ist ein Problem, weil die Daten des Mikrozensus umfangreich genutzt werden, um politische Entscheidungen vorzubereiten, etwa wenn es um Mittel zur Integrationsförderung geht. Problematisch ist die Zuweisung eines Migrationshintergrunds aufgrund der Informationen über die Eltern auch, weil rund 20 Prozent der Kinder in Deutschland in Patchwork-Familien oder bei alleinerziehenden Elternteilen aufwachsen. Auf welche Elternteile sollen sich die Angaben zur Zuwanderung oder Staatsangehörigkeit beziehen?

"Migrationshintergrund" in der Definition des Statistischen Bundesamtes:

Aus Sicht des Statistischen Bundesamtes ist der in der Fachserie 1 Reihe 2.2. (siehe oben Abbildung 2) ausgewiesene "Migrationshintergrund" keine ethnisch basierte Kategorie und bildet weder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, noch die Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit einer Person ab. Die Bundesregierung lehnt die Erhebung bevölkerungsstatistischer und sozioökonomischer Daten auf ethnischer Basis ab.

Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn entweder sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Maßgeblich ist somit der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit – hierbei handelt es sich um eine rein rechtlich definierte Kategorie.

Durch die Möglichkeit der Einbürgerung sowie des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft durch Geburt im Rahmen des Optionsmodells ist die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft nicht ausschließlich abhängig von Abstammung. Zudem "vererben" Personen, die mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurden, ihren eventuellen Migrationshintergrund nicht weiter.

Ist die Zuschreibung eines Migrationshintergrunds noch zeitgemäß?

Ja und nein. Zeitgemäß ist die Zuschreibung eines Migrationshintergrunds, wenn die Kategorie Migrationshintergrund der deutschen Migrationsgeschichte besser Rechnung trägt und sie sichtbar macht. Der ironische Aufruf "Migrationshintergrund für alle" (vgl. Posterkampagne von DeutschPlus e.V.) versucht dazu beizutragen, Migration als historischen und aktuellen Normalfall zu betrachten und damit zu entproblematisieren. Dies ist innerhalb der Europäischen Union, die Personenfreizügigkeit garantiert und damit einen Mobilitäts- bzw. Migrationsraum schafft, nur zeitgemäß. Ein nicht-ethnisches Verständnis von Deutschsein bildet diese gesellschaftliche Realität besser ab. Dies ist auch symbolpolitisch von Bedeutung, wenn Studien wie die des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung zeigen, dass in vielen Köpfen (immer noch) die Vorstellung dominiert, Deutscher könne man nur durch deutsche Abstammung sein, aber nicht durch Geburt und Aufwachsen in Deutschland.

Kampagne "Migrationshintergrund für alle!" der Organisation DeutschPlus e.V.
Design: Vanbo Le-Mentzel. All rights reserved ® (© Berlin, Mai 2012 für DeutschPlus e.V. )

Nicht mehr zeitgemäß ist die Zuschreibung eines Migrationshintergrunds, wenn er sich weiterhin auf Abstammung und vermeintliche "Integrationsbedarfe" bezieht. So eignet sich der Migrationshintergrund auch nicht für Förder- oder Gleichbehandlungsmaßnahmen, weil er sehr heterogene Bevölkerungsteile zusammenfasst. Ein Beispiel: Sowohl internationale Schulen als auch Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten haben einen hohen Anteil an Schüler*innen mit Migrationshintergrund. Doch die Schülerschaften unterscheiden sich deutlich in Bezug auf das verfügbare Einkommen, den Bildungsgrad und das soziale Prestige ihrer Eltern. Integrationsbedarfe lassen sich weniger über Migration als vielmehr über Soziallagen erklären. Dies ist ein konstanter Befund der PISA-Studien, der 2019 erneut bestätigt wurde. Das bedeutet einerseits, dass nicht alle Schüler*innen mit Migrationshintergrund aufgrund der Tatsache des Migrationshintergrundes pauschal einen Förderbedarf haben, und andererseits auch Schüler*innen ohne Migrationshintergrund Förderung benötigen.

Die Rede über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund verdeckt außerdem Benachteiligungen aufgrund der "ethnischen Herkunft". Der Migrationshintergrund ist bislang das einzige Konzept, das in Deutschland genutzt wird, um Diskriminierungen aufgrund "ethnischer Herkunft" und "Rasse" sichtbar zu machen. Laut Parallelbericht zivilgesellschaftlicher Akteure an den von den Vereinten Nationen eingesetzten Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (Committee on the Elemination of Racial Discrimination, CERD) sind besonders vier Personengruppen von Rassismus betroffen: Sinti*zza und Rrom*nja, jüdische, muslimische und Schwarze Menschen bzw. Menschen, die als solche wahrgenommen werden. Nicht alle von ihnen erhalten einen Migrationshintergrund zugewiesen. Doch wie groß die Schnittmengen zwischen "mit Migrationshintergrund" und "mit Rassismuserfahrung" ist, bleibt unklar, weil Daten zu Menschen mit Rassismuserfahrung fehlen.

Migrationshintergrund eignet sich nicht zur Erfassung ethnischer Diskriminierung

Die statistische Erfassung des Migrationshintergrunds eignet sich nicht, im Alltag erlebte Ausschlüsse oder Diskriminierungen sichtbar zu machen, die auf einer vermuteten Andersartigkeit aufgrund des Aussehens, des Namens oder eines Akzents beruhen. Ein Migrationshintergrund ist oftmals unsichtbar wie z.B. bei der Nobelpreisträgerin Herta Müller, der Sängerin Helene Fischer, dem ehemaligen Mitglied der Herren-Fußballnationalmannschaft Miroslav Klose oder dem Fernsehmoderator Markus Lanz und damit nicht diskriminierungsrelevant. Die Zuschreibung eines Migrationshintergrundes kann aber als ausgrenzend empfunden werden.

Um auf Zuschreibungen basierende rassistische, antiziganistische, antisemitische und antimuslimische Diskriminierungen statistisch abzubilden, sind andere Kategorien als der Migrationshintergrund nötig. Eine Erhebung ethnischer Daten (wie sie beispielsweise in Großbritannien erfolgt) wird von der Bundesregierung derzeit mit dem Hinweis auf den Missbrauch statistischer Daten während des Nationalsozialismus und das Recht der persönlichen Entscheidung, sich zu einer Minderheit zu bekennen, abgelehnt. Interessenvertretungen rassifizierter Gruppen dagegen fordern die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten. Hier sind noch viele Diskussionen zu führen, um mithilfe von adäquaten Daten Benachteiligungen bekämpfen zu können. Die Kategorie Migrationshintergrund wie sie aktuell gebraucht wird, hilft dabei jedoch nicht. Sie könnte aber – allerdings in veränderter Form – hilfreich sein, deutsche Migrationsrealitäten und globale Verflechtungen anzuerkennen.

Weitere Inhalte

Dr. Anne-Kathrin Will setzt sich mit der Kategorie des "Migrationshintergrunds" auseinander und hat dazu zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Seit März 2019 forscht sie im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt "Der Migrationshintergrund: Herstellung und gesellschaftliche Realität einer wissenschaftlichen Kategorie" am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.