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Afghanische Migration nach Deutschland: Geschichte und aktuelle Debatten
Carolin Fischer
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Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan sind in den letzten Jahren mehr afghanische Staatsangehörige nach Deutschland migriert. Dies hat Debatten und kontroverse Forderungen nach Rückkehr ausgelöst.
Die afghanische Migration nach Deutschland reicht bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Die Ankunft afghanischer Staatsangehöriger fand weitgehend in Wellen statt, die zwischen 1978 und 2001 mit Interner Link: bestimmten politischen Regimen und Konfliktphasen in Afghanistan zusammenfielen. Vor 1979 lebten in Deutschland weniger als 2.000 Afghaninnen und Afghanen. Die meisten von ihnen waren entweder Geschäftsleute oder Studierende. Die Handelsstadt Hamburg und ihre Lagerhauskomplexe zogen zahlreiche afghanische Teppichhändler an, die sich später mit ihren Familien in der Stadt niederließen. Einige der Händlerfamilien, die in der frühen Phase afghanischer Migration nach Deutschland kamen, unterhalten noch immer Geschäfte in der Hamburger Speicherstadt.
Nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 stieg die Zahl der Afghaninnen und Afghanen, die in Deutschland Zuflucht und Asyl suchten, stark an. Zwischen 1980 und 1982 wuchs die im Land lebende afghanische Bevölkerung jährlich um rund 3.000 Personen. Es folgte eine kurze Periode rückläufiger Zahlen, bevor ab 1985 eine weitere Einwanderungsphase einsetzte. Mit dieser kamen insbesondere Anhängerinnen und Anhänger kommunistischer Fraktionen, die in Afghanistan zunehmend verfolgt wurden. Nach einigen Jahren mit niedrigeren Einwanderungsraten stieg die Zahl afghanischer Migrantinnen und Migranten ab Interner Link: 1989 infolge des Bürgerkriegs in Afghanistan und aufgrund zunehmender Beschränkungen für die in Iran und Pakistan lebende afghanische Bevölkerung wieder stark an. Zunehmende Interner Link: Schwierigkeiten in und Vertreibungen aus diesen beiden Ländern zwangen viele Afghaninnen und Afghanen dazu, nach neuen Migrationszielen zu suchen, darunter auch Deutschland. In den 1990er Jahren setzte sich die Zuwanderung mit dem Aufstieg der Interner Link: Taliban und der Errichtung eines fundamentalistischen Regimes fort. Nachdem sie 1995 ihren Höhepunkt erreicht hatte, ging die Zahl der Migrantinnen und Migranten aus Afghanistan über mehrere Jahre zurück. Sie begann jedoch ab etwa 2010 wieder zu steigen, zum einen aufgrund Interner Link: anhaltender Konflikte und Unsicherheit in Afghanistan und zum anderen wegen anhaltend problematischer Lebensbedingungen für Afghaninnen und Afghanen in Iran und Pakistan.
Ein besonders starker Anstieg wurde im Zusammenhang mit dem "langen Sommer der Migration"Interner Link: im Jahr 2015 verzeichnet. Er setzte sich Interner Link: 2016 fort, als in Deutschland eine Rekordzahl von 253.485 afghanischen Staatsangehörigen registriert wurde. Diese Zahl umfasst sowohl langjährige Einwohnerinnen und Einwohner afghanischer Herkunft als auch Personen, die erst in den letzten Jahren in die Bundesrepublik eingereist sind. Das starke Wachstum der in Deutschland lebenden afghanischen Bevölkerung spiegelt sich auch in der Anzahl der Asylanträge von afghanischen Staatsbürgern wider, die im Jahr 2016 einen historischen Höchststand von 127.012 erreichte. Seitdem ist die afghanische Migrationsbevölkerung wieder leicht geschrumpft. Gründe für den Rückgang sind erzwungene und Interner Link: freiwillige Rückkehr nach Afghanistan, Weiterwanderung in andere Länder und Interner Link: Überstellungen gemäß der sogenannten Dublin-Verordnung. Auch Einbürgerungen führten dazu, dass die Zahl in Deutschland lebender afghanischer Staatsangehöriger zurückging, wenn auch in geringerem Maße (siehe Abbildungen 1 und 2).
Die afghanische Migrationsbevölkerung in Deutschland
Im Laufe der Zeit haben sich die sozioökonomischen und Bildungshintergründe afghanischer Migrantinnen und Migranten erheblich verändert. Viele der Angehörigen früherer Kohorten von Zuwanderinnen und Zuwanderern sind hochgebildet und hatten in Afghanistan oft hochrangige Positionen inne. Eine beträchtliche Anzahl arbeitete für die Regierung, während andere Männer und Frauen als Wissenschaftler, Ärzte oder Lehrer tätig waren. Obwohl gut ausgebildet und berufserfahren, konnten viele Afghaninnen und Afghanen, die im Rahmen der frühen Zuwanderung nach Deutschland kamen, keine Arbeit finden, die ihren beruflichen Qualifikationen entsprach. Im Laufe der Jahre sind der Bildungsstand und der berufliche Hintergrund der in Deutschland ankommenden Afghaninnen und Afghanen vielfältiger geworden. Die Bildungs- und Berufsqualifikationen derjenigen, die erst in den letzten Jahren zuwanderten, sind im Durchschnitt viel niedriger als die von afghanischen Migrantinnen und Migranten, die schon länger hier leben.
Ende 2017 registrierte das Statistische Bundesamt 251.640 afghanische Staatsangehörige in Deutschland. Diese Migrationsbevölkerung ist hinsichtlich des Aufenthaltsstatus der einzelnen Personen sehr heterogen. Tabelle 1 zeigt eine Momentaufnahme der unterschiedlichen rechtlichen Status, die afghanische Staatsangehörige in Deutschland im Jahr 2017 innehatten.
Tabelle 1: Rechtliche Status afghanischer Staatsangehöriger 2017 (bpb)
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern beobachtet, sind im letzten Jahrzehnt zunehmend unbegleitete afghanische Minderjährige nach Deutschland gekommen. Im Dezember 2017 registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 10.453 Personen afghanischer Herkunft unter 18 Jahren, darunter Asylsuchende, Inhaberinnen und Inhaber einer befristeten Aufenthaltserlaubnis sowie Personen mit Flüchtlingsstatus. Die Situation von Interner Link: unbegleiteten Minderjährigen ist insofern spezifisch, als sie in der Obhut der Kinder- und Jugendhilfe stehen. Dies bedeutet, dass unbegleitete afghanische Minderjährige Anspruch auf eine bestimmte Unterbringung und die Unterstützung eines vorübergehenden Vormunds haben. Bildung und berufliche Integration sind laut BAMF bei der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen vorrangig. Die Situation dieser jungen Migrantinnen und Migranten ändert sich jedoch, sobald sie 18 Jahre alt werden und damit rechtlich abgeschoben werden können. Aus diesem Grund ist ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland von kontinuierlicher Unsicherheit geprägt.
Die Zahl der Einbürgerungen von Zugewanderten aus Afghanistan war zunächst recht bescheiden. Ab den späten achtziger Jahren nahm sie dann deutlich zu, was wahrscheinlich mit der anhaltenden Verschlechterung der Lage in Afghanistan zusammenhängt.
Abbildung 2: Zahl der von afghanischen Staatsangehörigen gestellten Erstanträge auf Asyl (bpb)
Mit einem Durchschnittsalter von 23,7 Jahren ist die afghanische Bevölkerung in Deutschland relativ jung. Unter den afghanischen Einwohnerinnen und Einwohnern, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, besteht ein Geschlechterungleichgewicht: der männliche Bevölkerungsteil übersteigt den weiblichen um rund 80.390 Personen. Bis vor wenigen Jahren kamen die meisten afghanischen Staatsangehörigen mit ihrer Familie nach Deutschland. Die Ankunft alleinreisender afghanischer Männer war jedoch in den letzten Jahren ein vorherrschender Trend, der sich vor allem ab 2012 mit der steigenden Anzahl afghanischer Asylsuchender ausprägte (siehe Abbildung 2).
Die Politisierung afghanischer Migration
Vor 2015 erfuhr die Interner Link: afghanische Migrationsbevölkerung kaum große öffentliche Aufmerksamkeit. Mit dem starken Anstieg der Zahl in Deutschland ankommender Afghaninnen und Afghanen ab 2015 wurde diese Zuwanderung zu einem zunehmend debattierten und politisierten Thema. Der Interner Link: Militäreinsatz in Afghanistan sowie das deutsche Engagement für den Wiederaufbau des Landes sind ein Grund für die Debatten um die Präsenz afghanischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Bei letzteren handelt es sich mehrheitlich um Asylsuchende. Entsprechend drehten sich aufkommende Debatten weitgehend um die Legitimität afghanischer Asylanträge. Asylgesuche von Personen, die beispielsweise deutsche Truppen als Dolmetscher unterstützt hatten, wurden selten infrage gestellt. Im Gegensatz dazu wurde die Mehrheit der neu ankommenden Afghaninnen und Afghanen als Wirtschaftsmigranten betrachtet und nicht als Personen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen. Äußerungen der Bundesregierung forcierten solche verallgemeinernden Wahrnehmungen zusätzlich. So warnte beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel afghanische Staatsangehörige 2015 davor, aus wirtschaftlichen Gründen und einfach auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland zu kommen. Sie unterstrich die Unterscheidung zwischen "Wirtschaftsmigranten" und Personen, die aufgrund ihrer früheren Zusammenarbeit mit deutschen Truppen in Afghanistan konkreten Bedrohungen ausgesetzt sind. Das wachsende öffentliche Bewusstsein für die Ankunft afghanischer Asylantragstellender und die zunehmende Skepsis hinsichtlich der Legitimität ihrer Anwesenheit führte zu Debatten über Interner Link: Abschiebungen von afghanischen Staatsangehörigen.
Abschiebungen afghanischer Staatsangehöriger: Kontroverse Debatten und Durchführung
Ende 2015 diskutierte die Bundesregierung erstmals Interner Link: Abschiebungen nach Afghanistan. Ähnliche Debatten fanden auf EU-Ebene statt. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil eines Abkommens zwischen Afghanistan und der EU mit dem Titel "Joint Way Forward", das im zweiten Halbjahr 2016 unterzeichnet wurde. Es spiegelt die Absicht der EU und der afghanischen Regierung wider, die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung und Verhinderung von Migration zu intensivieren, die als irregulär eingestuft wird. Des Weiteren soll die Rückführung sogenannter irregulärer Migrantinnen und Migranten sowie von Personen mit abgelehntem Asylantrag gefördert werden. Zusätzlich unterzeichneten die Regierungen Deutschlands und Afghanistans im Frühjahr 2016 ein bilaterales Abkommen über die Rückkehr afghanischer Staatsangehöriger in ihr Herkunftsland. Zu diesem Zeitpunkt wurde geschätzt, dass rund fünf Prozent aller in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen vor einer Rückkehr stünden. Um den Plänen zur erzwungenen Rückführung Rückendeckung zu verleihen, gab das Innenministerium an, dass es in Afghanistan "interne Schutzalternativen" gebe, also Gebiete, die als ausreichend sicher gelten, um Personen dorthin abzuschieben. Eine Verschlechterung der Sicherheitslage könne nicht für das gesamte Land bestätigt werden. Darüber hinaus würde das BAMF für jeden Asylantrag und jede Person, die abgeschoben werden soll, eine spezifische Risikobewertung vornehmen und durchführen.
Länderexperten und internationale Akteure wie das Interner Link: UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) sind sich einig, dass es in Afghanistan keine "internen Schutzalternativen", also keine sicheren Gebiete gibt. Ihre Einschätzungen basieren auf der sich stetig verschlechternden Sicherheitslage. Seit 2014 übersteigt die jährliche Zahl der Todesfälle und Verletzten in der Zivilbevölkerung kontinuierlich die 10.000er Marke, mit einem Höchststand von 11.434 getöteten Zivilpersonen im Jahr 2016. Dieser Anstieg gewalttätiger Zwischenfälle wurde in 33 von 34 Provinzen verzeichnet. Im August 2017 änderten die Vereinten Nationen zum ersten Mal seit dem Fall der Interner Link: Taliban ihre Einschätzung der Lage in Afghanistan von einem "Post-Konflikt-Land" in "ein Land, das sich in einem Konflikt befindet, der wenig Anzeichen einer Abschwächung zeigt". Die Gewalt ist jedoch regional ungleichmäßig verteilt. Im Jahr 2017 verzeichnete die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) die höchsten zivilen Opferzahlen in der Provinz Kabul und dort vor allem in der Interner Link: Stadt Kabul. Nach Kabul wurden die meisten Opfer in der Zivilbevölkerung in den Provinzen Helmand, Nangarhar, Kandahar, Faryab, Urusgan, Herat, Paktia, Kundus und Laghman registriert.
Trotz der sich verschlechternden Sicherheitsbedingungen in Afghanistan und der Proteste in Parlament und Zivilgesellschaft sowie von Nichtregierungsorganisationen veranlasste die deutsche Bundesregierung Ende 2016 einen ersten Sammelabschiebungsflug abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan. Diese Maßnahme wurde nicht nur mit den angenommenen "internen Schutzalternativen" gerechtfertigt. Innenminister Thomas de Maizière betonte, dass viele der Abgeschobenen verurteilte Straftäter seien. Nach den Interner Link: Vorfällen am Silvesterabend in Köln bietet die Problematisierung männlicher muslimischer Einwanderer eine Begründung für Abschiebungen nach Afghanistan: "Die Übergriffe (sexualisierte Gewalt und Eigentumsdelikte) durch unverheiratete muslimische junge Männer zur Silvesternacht waren ein passendes Signal, die 'Flüchtlingsfrage' als ethnisiert sexistisches Problem sexualpolitisch zu fassen."
Viele Personen afghanischer Herkunft haben längere Zeit – wenn nicht den größten Teil ihres Lebens – außerhalb Afghanistans in einem der Nachbarländer verbracht. Dies bedeutet, dass viele Abgeschobene mit dem Leben in ihrem Herkunftsland nicht vertraut sind und vor Ort keine sozialen Netzwerke haben. Gleiches gilt für Personen, die aus Afghanistan geflohen sind, aus Sicherheitsgründen jedoch nicht an ihren Herkunftsort zurückkehren können. Das Vorhandensein sozialer Netzwerke und potenzieller Unterstützungsstrukturen ist besonders wichtig in Ländern, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit, Armut, Korruption, hohe Arbeitslosenquoten und unzureichende (öffentliche) Dienstleistungen und Infrastruktur gekennzeichnet sind. Selbst wenn Personen, die nach Afghanistan abgeschoben wurden, an einigen Orten möglicherweise nur einem geringen Risiko körperlicher Bedrohungen ausgesetzt sind, stellt das Fehlen sozialer Kontakte und Unterstützungsstrukturen dennoch eine existenzielle Bedrohung dar.
Die Debatten über Abschiebungen nach Afghanistan und deren Durchführung wurden einerseits von der parlamentarischen Opposition und andererseits von Straßenprotesten begleitet. Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl und lokale Flüchtlingsräte haben wiederholt ihre Kritik an Zwangsrückführungen nach Afghanistan geäußert. Die Durchführung von Abschiebungen liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer. Dies führt zu erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Anzahl der abgeschobenen Personen. Angesichts der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan haben mehrere Landesregierungen Anfang 2017 zudem Abschiebungen in das Land am Hindukusch ausgesetzt. Gleichzeitig ist die Interner Link: Schutzquote für afghanische Asylbewerbende kontinuierlich gesunken.
Ein schwerer Terroranschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul am 31. Mai 2017 veranlasste die Bundesregierung, ihre Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan zu überdenken und Abschiebungen in das Land vorübergehend auszusetzen. Bundeskanzlerin Merkel zufolge war das zeitweilige Abschiebungsverbot Resultat der sich verschlechternden Sicherheitslage und konnte aufgehoben werden, sobald eine neue, günstige Beurteilung der Situation vorlag. Während Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern ohne Vorstrafen (vorrübergehend) nicht durchgeführt wurden, förderte die Bundesregierung fortlaufend die freiwillige Rückkehr sowie die Abschiebung von verurteilten Straftätern mit afghanischer Staatsangehörigkeit und Personen, die im Interner Link: Asylverfahren Identitätsbetrug begangen hatten.
Seit Juli 2018 dürfen auch Afghaninnen und Afghanen ohne Vorstrafen wieder nach Afghanistan abgeschoben werden, obwohl die Sicherheitslage im Land nach wie vor höchst prekär ist. Die Entscheidung beruhte auf einer überarbeiteten Bewertung der örtlichen Situation durch das Auswärtige Amt. Es wurde von der Opposition der linken Mitte im Parlament sowie von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen heftig kritisiert. Trotz dieser Kritik war die Haltung der Bundesregierung rigoros. Im Zeitraum Dezember 2016 bis 10. Januar 2019 wurden 20 Sammelabschiebungsflüge von Deutschland nach Kabul mit einer Gesamtzahl von 475 Personen afghanischer Herkunft durchgeführt.
Einschätzung der Situation in Afghanistan
Fortgesetzte Abschiebungen afghanischer Staatsangehöriger werden durch die Annahme legitimiert, dass bestimmte Regionen in Afghanistan die notwendigen Sicherheitsanforderungen für abgeschobene Personen erfüllen. Wie aber kommt die Bundesregierung – und insbesondere das BAMF – zu einer solchen Einschätzung der Sicherheitslage einerseits und der individuellen Perspektiven andererseits? Während die parlamentarischen Debatten über Abschiebungen nach Afghanistan andauerten, berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, wie das BAMF Sicherheitsbewertungen für Afghanistan durchführt. Demnach tauschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF wöchentlich Informationen über militärische Kämpfe, Selbstmordattentate, Entführungen und gezielte Tötungen aus. Bleibt der Anteil der zivilen Opfer unter einem Verhältnis von 1:800, gilt das individuelle Risiko als gering und als nicht ausreichend hoch, um in Deutschland Schutz zu erhalten. Die Richtlinien des BAMF gehen außerdem davon aus, dass junge Männer, die im erwerbsfähigen Alter und bei guter Gesundheit sind, in den urbanen Zentren Afghanistans ausreichende Schutz- und Einkommensmöglichkeiten finden können, um das Existenzminimum zu sichern. Es wird angenommen, dass solche Möglichkeiten auch für Personen bestehen, die keine Familie oder andere soziale Netzwerke zu ihrer Unterstützung mobilisieren können. Der Herkunftsort oder die Herkunftsregion einer Person ist ein weiterer Aspekt, der bei der Beurteilung der Frage berücksichtigt wird, ob afghanische Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland bleiben dürfen. Das BAMF untersucht die Sicherheits- und Versorgungssituation in der Region, in der asylsuchende Personen afghanischer Herkunft geboren wurden oder zuletzt gelebt haben, bevor sie das Land verließen. Diese Analysen umfassen auch die Frage, welche religiösen und politischen Überzeugungen an dem betreffenden Ort dominieren. Aufgrund dieser Bewertungskriterien hält das BAMF folgende Regionen für ausreichend sicher: Kabul, Balch, Herat, Bamiyan, Tachar, Samangan und Pandschir.
Freiwillige Rückkehr
Neben der Durchführung von Abschiebungen nach Afghanistan fördert Deutschland auch die freiwillige Rückkehr afghanischer Staatsangehöriger. Zu diesem Zweck unterstützt es das Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany (REAG), das die Reisekosten abdeckt und Rückkehrerinnen und Rückkehrern zusätzliche finanzielle Unterstützung gewährt. Darüber hinaus gibt es das staatlich unterstützte Rückführungsprogramm (Government Assisted Repatriation Program, GARP), das Personen, die sich in ihrem Herkunftsland wieder etablieren möchten, finanziell unterstützt. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) organisiert und überwacht Rückführungen, die von diesen Programmen gefördert werden. Seit 2015 haben mehrere Tausend afghanische Staatsangehörige mit Hilfe dieser Programme Deutschland verlassen. Bei diesen freiwilligen Rückkehrerinnen und Rückkehrern handelte es sich überwiegend um Personen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland hatten, zum Beispiel Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, oder Personen, die mit einer Duldung im Land lebten.
Tabelle 2: Freiwillig aus Deutschland zurückgekehrte afghanische Staatsangehörige 2015-2017
Der anhaltende Konflikt in Afghanistan führt nicht nur zu Tod, physischen und psychischen Verletzungen, sondern auch zur Zerstörung von Wohnraum sowie Lebensunterhaltsmöglichkeiten und erschwert den Zugang zu Gesundheit, Bildung und Dienstleistungen für große Teile der afghanischen Bevölkerung. Diese anhaltend problematische Situation betrifft die lokale Bevölkerung ebenso wie Migrantinnen und Migranten, die freiwillig oder unfreiwillig nach Afghanistan zurückkehren. Aus diesem Grund wird die Migration aus Afghanistan voraussichtlich weitergehen – ungeachtet der von Deutschland und anderen Aufnahmestaaten eingeführten Beschränkungen.
Dr. Carolin Fischer ist Postdoc an der Universität Neuenburg in der Schweiz. Ihre Forschung konzentriert sich auf Fragen der Zugehörigkeit und Formen bürgerschaftlichen und politischen Engagements im Kontext von Migration und Mobilität. Ihre 2015 an der University of Oxford abgeschlossene Dissertation untersucht die Dynamiken der sozialen Identifikation und des sozialen Engagements von afghanischen Diasporagruppen in Deutschland und Großbritannien.
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