Afghan*innen leben seit vielen Jahrzehnten im Iran; viele bewegen sich im Laufe ihres Lebens mehrmals zwischen diesen beiden und häufig auch weiteren Ländern der Region hin und her. Seit Ende der 1970er Jahre sind afghanische Staatsangehörige vermehrt als Flüchtlinge in den Iran gekommen. Dabei gibt es eine weite Grauzone zwischen Arbeitsmigrant*innen und Flüchtlingen sowie zwischen Menschen, die ohne Aufenthaltsdokumente im Iran leben, weil sie sich in Afghanistan nicht sicher fühlen, und registrierten Flüchtlingen. Im Zuge gewaltsamer Machtkämpfe und wechselnder politischer Bedingungen in Externer Link: Afghanistan hat es seither mehrfach Rückkehrwellen und erneute Fluchtbewegungen aus Afghanistan in den Iran gegeben. 2017 lebten fast eine Million registrierte Flüchtlinge und 620.000 Visainhaber*innen aus Afghanistan sowie schätzungsweise anderthalb bis zwei Millionen Afghan*innen ohne afghanische Ausweise oder iranische Aufenthaltsdokumente im Iran.
Wie schon in früheren Phasen, sind die Rückkehrzahlen von Afghan*innen aus dem Iran zurzeit sehr hoch. 2016 kehrten 443.527 afghanische Staatsangehörige aus dem Iran und gleichzeitig eine ähnlich hohe Zahl aus Pakistan nach Afghanistan zurück.
Wie integrieren sich all diese Menschen nach ihrer Rückkehr in Afghanistan? Welche Möglichkeiten haben Rückkehrer*innen in Afghanistan, ihren Lebensunterhalt zu sichern? Bleiben sie, oder wandern sie sehr bald wieder ab? Welche Unterschiede bestehen zwischen Rückkehrer*innen verschiedener sozialer Klassen? Der Beitrag beantwortet diese Fragen auf der Grundlage von Dokumenten relevanter Hilfsorganisationen, Fachliteratur sowie Interviews mit Afghan*innen, die die Autorin zwischen 2015 und 2017 im Rahmen von Forschungsaufenthalten im Großraum von Kabul und Herat durchgeführt hat.
Gründe für Abwanderung und Rückkehr nach Afghanistan seit 1980
1978 brachte ein Militärputsch ein kommunistisches Regime in Afghanistan an die
Die schwere iranische Wirtschaftskrise nach dem Ende des
Die Militärintervention der USA stürzte 2001 die Talibanregierung in Afghanistan und installierte eine Übergangsregierung unter Hamid Karzai, der dann von 2004 bis 2014 Präsident Afghanistans war. Seit 2003 stellt die iranische Regierung keine neuen Amayesh-Karten für Afghan*innen mehr aus. Daraufhin stieg die Zahl “undokumentierter” Afghan*innen im Iran, also von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigungen. Zwar kehrten von März 2002 bis Oktober 2004 im Rahmen eines freiwilligen Rückkehrprogramms 770.643 Afghan*innen nach Afghanistan zurück. Dennoch hielten sich zwischen 2001 und 2005 neben mehr als einer Million dokumentierter Afghan*innen etwa eine halbe Million undokumentierter afghanischer Migrant*innen weiterhin im Iran auf.
Als ab 2006 die Kämpfe zwischen afghanischen Regierungstruppen und Taliban wieder zunahmen, stieg die Zahl der afghanischen Zuwander*innen in den Iran wieder an. 2008 beschloss die Dreiparteienkommission, dass Inhaber*innen von Amayesh-Karten eine Arbeitserlaubnis für 87 festgelegte Stellenkategorien erwerben durften, die bei jedem Wechsel des Arbeitgebers sowie jährlich erneuert werden musste. Amayesh-Karten sollten zunehmend durch eine reguläre Aufenthaltserlaubnis abgelöst werden.
Da die iranische Regierung die Kosten für die Verlängerung der Gültigkeit der Amayesh-Karte ständig erhöhte, wuchs die Zahl der Afghan*innen ohne gültige Aufenthaltsdokumente rapide und wurde 2017 auf 35 Prozent der Afghan*innen im Iran geschätzt.
Der Lebensstandard im Iran ist nach wie vor bedeutend höher als in Afghanistan, jedoch sind die rechtlichen Hürden für Erwerbstätigkeit und Unternehmensgründung sehr hoch. Frauen haben erheblich bessere Möglichkeiten, am Erwerbsleben teilzunehmen. Kinder können im Iran eine bessere Schulbildung erlangen als in Afghanistan. Afghanische Eltern – auch aus Arbeiterfamilien – haben sich seit jeher bemüht, ihren Kindern im Iran den Schulbesuch zu ermöglichen.
Reintegration in Afghanistan
Afghanistan ist derzeit nicht in der Lage, jährlich mehrere Hunderttausend afghanische Rückkehrer*innen nachhaltig in seine Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren. Politische Unsicherheit, Gefahren, von Bombenangriffen bewaffneter Organisationen wie den Taliban oder bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und gegnerischen Gruppen mit betroffen zu werden, sowie eine sich nur schleppend von den schweren Einbrüchen von 2013-2015 erholende Wirtschaft bieten kein geeignetes Umfeld für eine gelingende Reintegration. Es fehlt an massiver Unterstützung über einen längeren Zeitraum. Da im Zeitraum 2015 bis 2017 die Hilfen von außen sanken, wurde die Not in den Armensiedlungen in Kabul und anderen Städten, in denen sich auch zahlreiche
Vertreibung aus illegalen Siedlungen
Viele Afghan*innen, darunter Binnenvertriebene und Rückkehrer*innen, siedeln sich in Kabul auf Grundstücken an, die sich einflussreiche Politiker angeeignet haben. Diese lassen die Siedler*innen so lange gewähren, wie sie ihnen als potenzielle Wähler*innen nützen können. Andere besiedelte Grundstücke gehören Ministerien, weitere privaten Firmen. Sobald die Landeigentümer*innen eine andere Nutzung der Grundstücke planen oder die wilden Siedlungen nicht mehr zulassen wollen, setzen sie die Polizei oder Milizen zur Vertreibung ein.
In Herat versprach die Gemeindeverwaltung 2017, das größte ehemalige Vertriebenenlager (Maslakh) in eine legale Siedlung umzuwandeln. Die dort lebenden Binnenvertriebenen hatten längst ihr nomadisches Leben aufgegeben und begonnen, geringfügige einkommenschaffende Tätigkeiten aufzunehmen. Neben der Wollknäuel- und Teppichproduktion der Frauen und Kinder sind sie auf
Der Vergleich der Situation von Unterschichtsangehörigen in Kabul und Herat verdeutlicht: Ein legaler Zugang zu Grundstücken und Wohnungen in den Städten ist die Voraussetzung für den Aufbau einer gesicherten Lebensgrundlage für Rückkehrer*innen wie auch alle anderen städtischen Armen. Der Erlass 104, der dafür eine rechtliche Basis bietet, wurde bisher jedoch noch kaum durchgesetzt. Dies liegt auch an den Partikularinteressen von politischen Machthabern, die den gegenwärtigen Zustand aufrechterhalten. Unter diesen Umständen zögern viele, die keine Perspektive in der Landwirtschaft haben, aus dem Iran nach Afghanistan zurückzukehren. Sie befürchten zu Recht, ohne Sicherheit in den Armenvierteln der Städte leben zu müssen.
Besser gestaltet sich die Lage für Rückkehrer*innen mit einer Berufsausbildung und Geld oder registriertem Eigentum in Afghanistan sowie für diejenigen, die Familienmitglieder im Ausland haben, die sie in Afghanistan mit Geld oder Gütern sowie Nahrungsmitteln unterstützen können. Einzelne anthropologische Studien deuten darauf hin, dass die Reintegration in Afghanistan eher bei denjenigen gelingt, die aus eigenem Entschluss aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt sind.
Remigration und Migrationskreislauf
Nicht nur Afghan*innen aus der Mittelschicht profitieren von der Möglichkeit anhaltender Geschäftsbeziehungen im Iran und wiederholten Arbeitsaufenthalten dort. Erkenntnisse aus Feldforschungen zeigen, dass sogar Abgeschobene ohne jegliche formale Qualifizierung trotz schwerer Strafandrohung wiederholt in den Iran zurückreisen, um dort illegal zu arbeiten.
Auch für Angehörige der Unterschicht bietet die Arbeit im Iran Möglichkeiten, berufliche Fähigkeiten zu erwerben, sei es auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Handelsbereich. Wegen der schlechten Arbeitsmarktlage in Afghanistan können Rückkehrer*innen diese jedoch selten verwerten und ein Einkommen in Afghanistan erzielen. Daher entscheiden sie sich immer wieder, die Risiken illegaler Arbeit im Iran nochmals auf sich zu nehmen, um mit dem dort erworbenen Einkommen ihre Familien zu unterstützen. Für Familien ist die zeitweilige Entsendung von Angehörigen in den Iran eine Strategie, um die Versorgung abzusichern. Geldsendungen erfolgen über ein Netzwerk von Verwandten und iranischen Mittelsmännern (Havala-Finanzsystem).
Fazit
Die Absicherung der Existenzgrundlage ist die stärkste Triebkraft für die Abwanderung aus Afghanistan in den Iran. Krieg und Gewalt erhöhen die Flüchtlingszahlen. Flucht und Migration in den Iran haben seit Ende der 1970er Jahre Afghan*innen Möglichkeiten eröffnet, dortige Bildungs-, Ausbildungs- und Erwerbschancen zu nutzen. Die Rückkehr nach Afghanistan erfolgt bisher nur in seltenen Fällen freiwillig, da die politische, wirtschaftliche und Sicherheitslage im Land volatil geblieben ist. Die Reintegration in Afghanistan ist für viele Menschen, insbesondere der Unterschicht, schwierig und wird regelmäßig von erneuten Vertreibungen unterbrochen. Erzwungene Rückkehr in Form von
Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoll, die Möglichkeiten legaler Erwerbstätigkeit in Nischen des Arbeitsmarktes sowie Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Afghan*innen im Iran mit internationaler Unterstützung weiter auszubauen. Dadurch können afghanische Migrant*innen und Geflüchtete Verwandte in Afghanistan unterstützen und deren Abwanderung verhindern. Die Rückkehr aus dem Iran ist überwiegend temporär. Sie wird so lange nicht nachhaltig sein, bis die politische und wirtschaftliche Lage in Afghanistan Afghan*innen ausreichende Handlungsräume für eine Absicherung der von ihnen erstrebten Lebensverhältnisse eröffnen kann.
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