Zusätzlich zu den oben genannten Schätzungen kann die Größe der Bevölkerung von Problemgebieten, die besonders vom Klimawandel betroffen sein werden, einen Eindruck von der Zahl der Menschen vermitteln, die künftig vor besonderen klimatischen Herausforderungen stehen und möglicherweise in der Migration einen Ausweg sehen.
Der für die Festlegung von international anerkannten Terminologien zuständige Ständige Interinstitutionelle Ausschuss der Vereinten Nationen (Inter-Agency Standing Committee, IASC)
Hydrometeorologische Katastrophen
Folgen der schleichenden Verschlechterung der Umweltbedingungen
Signifikanter, andauernder Verlust von Staatsterritorium
Bewaffnete Konflikte um schwindende natürliche Ressourcen
Entscheidend für alle Szenarien ist, dass die klimabedingten Wanderungsbewegungen sowohl innerhalb der betroffenen Nationalstaaten als auch grenzüberschreitend stattfinden können und von Fall zu Fall auf einem Kontinuum zwischen freiwilliger vorbeugender Migration und Flucht einzuordnen sind. Die Migration kann dabei sowohl vorübergehend als auch permanent stattfinden.
Als gefährdet gelten allgemein die schwach entwickelten Inselstaaten (Small Island Developing States, SIDS), die subsaharischen Staaten, die asiatischen Küstenstaaten, die Polarregion, afrikanische Entwicklungsstaaten (Less Developed Countries, LDC), die am wenigsten entwickelten Länder weltweit (Least Delevoped Countries, LLDC), der Nahe und Mittlere Osten sowie Zentralasien
Von signifikantem, andauerndem Verlust von Staatsterritorium betroffene Gebiete
Als Folge des steigenden Meeresspiegels werden insbesondere die südpazifischen Inselstaaten (Carteret-Inseln, Kiribati, die Malediven, die Marshall-Inseln, Palau, die Salomon-Inseln, Tokelau, Tuvalu und Vanuatu) inzwischen als "Sinking Islands" bezeichnet, aber auch tief liegende Küstenregionen in Alaska und am Golf von Bengalen werden möglicherweise von diesem Phänomen betroffen sein. Einige Staaten haben aufgrund von Landverlusten und der Versalzung der Küstenregionen bereits begonnen, Bewohner ihrer Inselstaaten permanent umzusiedeln, andere Länder schließen eine permanente Umsiedlung ihrer Bevölkerungen oder zumindest großer Teile nicht aus (3)
Überschwemmungsgebiete
Insbesondere der Anstieg des Meeresspiegels sowie dessen hydrometeorologische Folgen (Zunahme periodischer Überflutungen, tropischer Stürme, Küstenerosion, Versalzung der Küstengewässer) stellen einen wesentlichen Anlass möglicher Massenwanderungen dar. Betroffen wären neben den kleinen Inselstaaten auch die Küstenregionen weltweit. Laut Stern-Bericht werden 2080 zwischen 10 und 300 Millionen Menschen allein vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein, abhängig vom erwarteten weltweiten Anstieg der Durchschnittstemperaturen um 2°C bis 4°C. Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, würde ein anzunehmender Meeresanstieg um einen Meter weltweit 360.000 Küstenkilometer betreffen. Ungefähr zwei Drittel der Weltbevölkerung leben nicht weiter als 100 km von den Meeresküsten entfernt, und allein in den Gebieten, die maximal zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen, der sog. Low Elevation Coastal Zone (LECZ), lebt mit 634 Mio. Menschen knapp ein Zehntel der aktuellen Weltbevölkerung, davon allein 360 Mio. in küstennahen Großstädten (bzw. 13% der weltweit in Städten lebenden Bevölkerung). Die meisten Personen in dieser vom ansteigenden Meeresspiegel betroffenen Zone leben in Asien, Afrika und Europa. Eine aktuelle Studie zur Urbanisierungsrate in der LECZ machte jüngst deutlich, dass neben den kleinen Inselstaaten insbesondere die dicht besiedelten und stark urbanen Deltas und Küstengebiete in Asien und Afrika einem erhöhten Überschwemmungsrisiko ausgesetzt sind
Am stärksten betroffene Staaten mit Küstengebieten bis maximal 10 m über dem Meeresspiegel (LECZ) | |||||
Staaten mit den höchsten absoluten Bevölkerungszahlen in LECZ | Staaten mit den höchsten relativen Bevölkerungsanteilen der LECZ-Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung | ||||
Staat | Bevölkerung in LECZ | In Prozent der Gesamtbevölke- rung des Staates | Staat | Bevölkerung in LECZ | In Prozent der Gesamtbevölke- rung des Staates |
1. China | 143.879.600 | 11 | 1.Bahamas | 266.580 | 88 |
2. Indien | 63.341.208 | 6 | 2. Suriname | 317.683 | 76 |
3. Bangladesch | 62.524.048 | 46 | 3. Niederlande | 11.716.861 | 74 |
4. Vietnam | 43.050.593 | 55 | 4. Vietnam | 43.050.593 | 55 |
5. Indonesien | 41.609.754 | 20 | 5. Guyana | 415.456 | 55 |
6. Japan | 30.477.106 | 24 | 6. Bangladesch | 62.524.048 | 46 |
7. Ägypten | 25.655.481 | 38 | 7. Belize | 91.268 | 40 |
8. USA | 22.859.359 | 8 | 8. Dschibuti | 248.394 | 39 |
9. Thailand | 16.478.448 | 26 | 9. Gambia | 510.159 | 39 |
10. Philippinen | 13.329.191 | 18 | 10. Ägypten | 25.655.481 | 38 |
Quelle: Balk (2008). Die aufgeführten Länder haben eine Mindestbevölkerung von 100.000 Personen und eine Mindestfläche von 1.000 km². Dadurch fallen u.a. die Malediven weg, deren gesamte Bevölkerung der Studie des Potsdamer Klimafolgenforschungsinstitut zufolge in der LECZ ansässig ist. Außerdem weisen 15 kleine Inselstaaten mit einer Gesamtbevölkerung von 423.000 Einwohnern Bevölkerungsanteile von mehr als 39 Prozent in den niedrig gelegenen Küstenregionen auf. Auch diese werden hier nicht berücksichtigt. |
Nicht alle Menschen in den LECZ werden ihren Wohnort verlassen müssen, aber diejenigen in den küstennahen und tief liegenden Gebieten sind vom Meeresspiegelanstieg möglicherweise akut gefährdet. Einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zufolge, leben in den Küstengebieten, die weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegen, bereits jetzt etwa 200 Mio. Menschen. 30 der 50 größten Städte der Welt liegen direkt an einer Meeresküste. Bei einem Anstieg um nur einen Meter wären der Studie zufolge das Nildelta Ägyptens und knapp ein Fünftel Bangladeschs (mit 35 Mio. Einwohnern) besonders betroffen, aber auch große Gebiete von Suriname, Guyana, Französisch-Guayana, den Bahamas, Benin, Mauretanien, Tunesien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Pakistan, Indien, Vietnam und China
In Europa wären schätzungsweise 13 Mio. Menschen von einem Meeresspiegelanstieg um einen Meter bedroht (insbesondere in den Niederlanden und Dänemark), in den deutschen Überflutungsgebieten circa 3,2 Mio.
Dürrezonen
Zahlreiche andere Gebiete werden aufgrund des Klimawandels künftig mit Süßwassermangel zu kämpfen haben. Die Autoren mehrerer Teilstudien des UN-Millennium Ecosystem Assessment stellten fest, dass Dürren, Wüstenbildung und der damit verbundene Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge zukünftig zu den stärksten Faktoren gehören, die Menschen aus Trockengebieten in andere Regionen wandern lassen werden. Der Grund dafür liegt in den weitreichenden Folgen des Wassermangels, der Schwierigkeiten in der Trinkwasserversorgung, Ernteverluste, Gesundheits- und Hygieneprobleme mit sich bringen wird.
Bereits heute leben mehr als 1,2 Mrd. Menschen in Regionen, in denen Süßwassermangel herrscht, d. h. wo die natürlichen Süßwasservorräte nicht ausreichen, um den Bedarf der dort lebenden Menschen zu decken
Für Ressourcenkonflikte anfällige Regionen
Die Klimawandelfolgen können neben Emigrationsbewegungen auch zu Konflikten um Ressourcen führen. Ein externes Gutachten des WBGU kommt zu dem Schluss, dass im Bereich der möglichen klimabedingten Konflikte die Schwerpunktregionen in Afrika, Asien und Lateinamerika liegen. Der klimabedingte Rückgang kultivierbarer Ackerflächen und Wasservorräte trifft dort eine Bevölkerung mit einem wachsenden Anteil Jugendlicher, die auch heute schon häufig in die Städte abwandern. Dies begünstigt religiöse, ethnische und zivilgesellschaftliche Konflikte
Egal welchen Auslöser möglicher klimabedingter Migration man näher untersucht, am stärksten betroffen werden die kleinen Inselstaaten sowie die LDCs und LLDCs Afrikas und Asiens sein. Bei Weitem nicht alle dort lebenden Personen werden klimabedingt migrieren. Infrastrukturmaßnahmen zur Sicherung der Küsten, Wassermanagementpläne und technische Neuerungen könnten in einer Vielzahl von Ländern und Regionen ausreichen, um die Klimawandelfolgen abzumildern. Aber selbst wenn nur wenige Prozent der vom Klimawandel betroffenen Menschen zu Klimamigranten werden, erreicht ihre Zahl eine ähnliche Größenordnung wie die Zahl der aktuellen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen (Stand Ende 2008: ca. 42 Mio.).