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Die Auswanderung von Arbeitskräften wirkt sich auf gleich mehrere Gruppen in den Herkunftsländern aus: die Auswandernden selbst, zurückgelassene Haushaltsmitglieder, die übrige Bevölkerung sowie die Regierung. Dieser Beitrag stellt aus wirtschaftlicher Sicht zum einen die Auswirkungen der Abwanderung von Arbeitskräften den Auswirkungen von "Rücküberweisungen“ gegenüber (viele Ausgewanderte unterstützen mit einem Teil ihres ausländischen Einkommens Familienmitglieder und andere Personen im Heimatland); zum anderen geht es um die Effekte auf Haushaltsebene im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (Tabelle 1). Der Gesamteffekt der Auswanderung ist häufig für alle Beteiligten im Herkunftsland positiv – aber nicht immer. Beispielsweise kann sich die Abwesenheit der Ausgewanderten negativ auf schutzbedürftige Familienmitglieder auswirken, die im Herkunftsland zurückbleiben, insbesondere auf Kinder und Jugendliche sowie auf ältere und pflegebedürftige Menschen. Auch kann die Auswanderung zu einem Mangel an Fachkräften führen und damit die wirtschaftliche Entwicklung hemmen.
Menschen wandern aus und arbeiten im Ausland, weil (und nur wenn) sie erwarten, ihr Leben und das ihrer Familienangehörigen dadurch zu verbessern. Natürlich werden solche Hoffnungen nicht immer erfüllt (Punkt 1.1 in Tabelle 1), vor allem wenn die Informationen früherer Ausgewanderter über die Lebensbedingungen im Zielland ein zu rosiges Bild zeichnen. An der weltweiten Arbeitsmigration
Entscheidend ist, dass die
Migration ist in vielen Herkunftsländern vor allem für Arbeitskräfte mit besserer Ausbildung oder fachlichen Qualifikationen attraktiv. Das hat allerdings zur Folge, dass die Zurückgebliebenen unter Umständen einen schlechteren Zugang zu wichtigen Dienstleistungen haben (z. B. zur Gesundheitsversorgung im Falle eines medizinischen "Brain Drain", also der Abwanderung von Fachkräften im Gesundheitswesen) oder sie sind weniger produktiv, weil z.B. in einem Unternehmen Teammitglieder mit kritischen Qualifikationen fehlen.
Die Auswanderung wirkt sich auch auf die Staatsfinanzen aus: Die Einnahmen aus
Im Folgenden gehe ich auf einige wichtige Effekte und die zugrundliegenden Wirkungsmechanismen ein. Ich konzentriere mich auf
Auswirkungen auf Haushaltsebene: abwesende Haushaltsmitglieder
Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen temporärer und dauerhafter Migration. Bei temporärer Migration arbeiten die Ausgewanderten zwar im Ausland, bleiben aber Mitglieder des Haushalts im Herkunftsland – tragen also zur Finanzierung der Haushaltsausgaben bei und gehen davon aus, dass sie irgendwann in den Haushalt zurückkehren. Im Gegensatz dazu gründen Ausgewanderte bei dauerhafter Migration ihren eigenen Haushalt im Ausland oder es verlässt gleich der gesamte Haushalt das Herkunftsland. Temporäre Migration ist vor allem für gering- bis mittelqualifizierte Auswandernde attraktiv, die im Zielland nicht genug verdienen, um dort auch ihre Familien zu ernähren. Wenn sie im Zielland jedoch allein bescheiden leben, können sie beträchtliche Summen an ihre Familien in relativ armen Herkunftsländern mit niedrigen Lebenshaltungskosten zurückschicken. Beispiele hierfür sind moldauische Arbeiter auf Baustellen in Moskau,
In vielen qualitativen Studien und Medienartikeln wird auf die nachteiligen Auswirkungen der Abwesenheit von Eltern oder pflegenden Angehörigen auf im Herkunftsland verbliebene Kinder oder ältere Menschen hingewiesen (Punkt 1.2 in Tabelle 1).
Die Ergebnisse derselben Erhebung für Kinder mit migrierten Eltern waren differenzierter: Der Gesundheitszustand von Kindern mit und ohne ausgewanderte Eltern war insgesamt ähnlich. Allerdings gingen männliche Jugendliche, deren Eltern in Russland arbeiteten, seltener zur Schule als solche mit Eltern in Westeuropa; wenn die Eltern ausgewandert waren, wiesen männliche Jugendliche insgesamt eine niedrigere Einschulungsquote auf als weibliche Jugendliche.
Eine wichtige Erkenntnis aus diesen quantitativen Untersuchungen bleibt, dass die Sorge der Auswandernden um ihre im Herkunftsland zurückgelassenen Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen nicht unterschätzt werden sollte: Die meisten Menschen migrieren nur dann, wenn sie angemessene Betreuungsregelungen für ihre Kinder und älteren Verwandten treffen können. Trotzdem vermissen natürlich viele Kinder ihre ausgewanderten Eltern, was sich oft in qualitativen Untersuchungen zeigt.
Auswirkungen auf Haushaltsebene: Rücküberweisungen
Haushalte, die Geldüberweisungen von Migrantinnen und Migranten erhalten, haben ein höheres verfügbares Einkommen. Wenn die ausgewanderte Person aus demselben Haushalt stammt, muss zudem eine Person weniger ernährt werden (Punkt 1.3 in Tabelle 1). In der Regel sinkt die Armutsquote in Haushalten, die Rücküberweisungen erhalten; das zusätzliche Einkommen wird für lebensnotwendige Konsumgüter (z. B. bessere Lebensmittel) oder eine bessere Wohnsituation, mehr Bildung oder Gesundheitsversorgung ausgegeben (Punkt 1.4 in Tabelle 1). Während arme Migrantinnen und Migranten und ihre Familien häufig "von der Hand in den Mund" leben, können besser gestellte Ausgewanderte ihr Auslandseinkommen auch nutzen, um für Rituale im Lebenszyklus (etwa eine Hochzeit), langlebige Konsumgüter (wie ein neues Auto) oder Haushaltsinvestitionen (wie ein Wohnhaus oder die Ausbildung eines Kindes) zu sparen (Punkt 1.5 in Tabelle 1).
Politisch Verantwortliche fordern häufig Maßnahmen, um Rücküberweisungen in "produktive" Verwendungen wie betriebliche Investitionen zu lenken. Allerdings werden in der Praxis Rücküberweisungen nur selten in Unternehmen investiert (auch wenn es Erfolgsgeschichten von zurückgekehrten Migrantinnen und Migranten gibt, die Unternehmen gegründet haben). Ein offensichtlicher Grund dafür ist, dass in Ländern mit hoher Auswanderungsrate oft ein schlechtes Investitionsklima herrscht (z. B. Korruption, politische Instabilität, schlechte öffentliche Infrastruktur). Und auch wenn Auswandernde per definitionem bereit sind, Risiken einzugehen und unternehmerisch zu handeln, verlassen sie oft wegen des schlechten Investitionsklimas ihr Herkunftsland – oder weil sie nicht über die notwendigen Verbindungen oder Fähigkeiten verfügen, um in einem solchen Klima unternehmerisch erfolgreich zu sein.
Auswirkungen auf Haushaltsebene (1) | Gesamtwirtschaftliche Effekte (2) | |
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Arbeitskräfte ziehen ins Ausland |
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Haushalte erhalten Rücküberweisungen |
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Eigene Zusammenstellung des Autors.
Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen: Arbeitsmarkt und mehr
Aus vielen armen Ländern können nur Personen mit einem Hochschulabschluss oder besonderen beruflichen Qualifikationen, wie z. B. Fachkräfte im Gesundheitswesen, regulär (d.h. legal) auswandern, weil die Zielländer die Einwanderung auf diese Gruppen beschränken. Viele gering qualifizierte Arbeitskräfte migrieren daher trotz hoher finanzieller Kosten und gefährlicher Reisen irregulär; daneben gibt es auch einige reguläre Migrationsoptionen für Geringqualifizierte, etwa in der Golfregion für Arbeitskräfte aus überwiegend muslimischen Ländern. Im Schnitt verfügen die Auswandernden jedoch meist über ein höheres Bildungs- und Qualifikationsniveau als die einheimische Erwerbsbevölkerung im gleichen Alter. Somit kann die Auswanderung einen "Brain Drain" bedeuten, weil vergleichsweise hoch qualifizierte Arbeitskräfte arme Länder verlassen. Dies kann das Angebot an wichtigen Dienstleistungen (z. B. medizinische Versorgung) verringern oder das Wirtschaftswachstum bremsen, weil Arbeitskräfte mit kritischen Qualifikationen knapp werden (Punkt 2.1 in Tabelle 1). Wenn Berufs- oder Hochschulbildung aus staatlichen Mitteln finanziert werden, werden die Steuerzahlenden unter Umständen um den gesellschaftlichen Ertrag ihrer Investitionen gebracht.
Obwohl solche negativen Auswirkungen einer Auswanderung von Fachkräften denkbar sind, gibt es mindestens zwei Gründe, die diesen Bedenken entgegenstehen: Erstens wird es durch die Option der Migration attraktiver, ein höheres Bildungsniveau oder höhere berufliche Qualifikationen zu erwerben. Folglich gibt es insgesamt mehr Arbeitskräfte mit höheren Qualifikationen, und einige der Auswandernden hätten ohne die Chance auf Migration erst gar nicht in ihre Bildung investiert.
Zweitens können viele qualifizierte Arbeitskräfte in armen Ländern wegen schlechter Rahmenbedingungen und einem Mangel an notwendigen Inputs (d.h.
In vielen osteuropäischen Ländern hat Arbeitsmigration dazu beigetragen, die Auswirkungen des Systemwandels von der
Schließlich führen viele Ausgewanderte ein "transnationales" Leben, da sie sowohl im Herkunfts- als auch im Zielland in soziale und wirtschaftliche Netzwerke eingebunden sind. Einige übernehmen im Zielland fortschrittliche soziale oder politische Werte und bringen diese zum Tragen, indem sie sich an sozialen und politischen Prozessen im Heimatland beteiligen – entweder persönlich (z. B. durch Wahlen) oder durch die Weitergabe neuer Ideen und Werte an Familie und Freunde ("social remittances", d.h. soziale Rücküberweisungen; Punkt 2.3 in Tabelle 1). So unterstützen beispielsweise in Westeuropa lebende moldauische Migrantinnen und Migranten und ihre Familien seit langem politische Parteien, die eine enge Beziehung zur EU befürworten.
Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen: Rücküberweisungen
In vielen kleinen Volkswirtschaften mit hoher Auswanderung machen die Rücküberweisungen von Ausgewandeten im Verhältnis bis zu einem Viertel des