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"Gefährder" Gefährder – dieser Begriff taucht in aktuellen sicherheitspolitischen Debatten immer wieder auf. Doch wer ist damit eigentlich gemeint?

Daniela Hunold Jan Raudszus

/ 6 Minuten zu lesen

Ein Mann trägt eine elektronische Fußfessel (Symbolbild). Gefährdern kann das Tragen einer elektronischen Fußfessel angeordnet und somit ihre Bewegungen überwacht werden.

Der Begriff des Gefährders ist innerhalb der letzten Jahre zu einer festen Größe im Sprachgebrauch der Sicherheitsbehörden avanciert. Er findet z.B. als Bezeichnung für Personen Verwendung, von denen eine islamistisch motivierte Terrorgefahr ausgeht. Der Begriff erstreckt sich aber auch auf Interner Link: andere Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität. Der Interner Link: Gefährderbegriff ist allerdings nicht legal definiert. Er ist also nicht als Rechtsbegriff im Gesetz verankert. Vielmehr handelt es sich um einen polizeilichen Arbeitsbegriff , der insbesondere im Zusammenhang mit Interner Link: Terrorismus verwendet wird. 2004 wurde der Begriff des Gefährders durch die Arbeitsgemeinschaft der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes folgendermaßen definiert:

    "Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.

"

Hierbei sind vor allem besonders schwerwiegende Straftaten angesprochen, die sich gegen staatliche Interessen oder das Leben von Menschen richten. In der Regel sind mit der Definition Personen gemeint, bei denen die Behörden annehmen, dass diese extremistische Mitglieder des militanten Spektrums des jeweiligen Phänomenbereichs sind. Aufgrund von sicherheitsbehördlichen Erkenntnissen können sie als Gefährder eingestuft werden, auch wenn keine beweiskräftigen Tatsachen für eine zukünftige Straftat vorliegen.

Neben der Einstufung als Gefährder gibt es außerdem die Einstufung als "relevante Person". Dabei handelt es sich um Personen, die nach Einschätzung der Polizeibehörden innerhalb des extremistischen bzw. terroristischen Spektrums eine Rolle als Führungsperson, Logistiker oder "Akteur" einnehmen. Von diesen Personen wird daher davon ausgegangen, dass sie sich an einer der oben genannten Straftaten beteiligen bzw. diese unterstützen würden. Es kann sich auch um eine bedeutende Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, Beschuldigten oder Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat handeln.

Zahl der Gefährder

Die Zahl der Gefährder wird von keiner offiziellen Stelle regelmäßig veröffentlicht und ist zum Beispiel auch nicht Teil des Bundesverfassungsschutzberichts. Aufschluss geben v.a. Anfragen der Parteien im Deutschen Bundestag und Abfragen der Presse beim Bundeskriminalamt (BKA).

Danach verteilen sich die aktuellen Zahlen der Gefährder und relevanten Personen wie folgt:

Das BKA listet 679 Personen als Gefährder und 509 Personen als relevante Personen im Bereich der politisch-motivierten Kriminalität mit religiösem Hintergrund – dabei dürfte es sich ausschließlich um Mitglieder der islamistischen Szene handeln (Stand: 01.11.2019).

Im Phänomenbereich Rechtsextremismus liegen die Zahlen bei 46 Gefärdern bzw. 126 relevanten Personen (Stand: 25.11.2019). Die wenigsten Gefährder und relevanten Personen listet das BKA im Bereich der politisch-motivierten Kriminalität – links -. Hier ist die Rede von fünf Gefährdern und 85 relevanten Personen (Stand: 15.10.2019). Der Bereich der sogenannten Ausländischen Ideologie (u.a. die kurdische Arbeiterpartei PKK) schlägt mit 21 Gefärdern bzw. 50 relevanten Personen zu Buche.

Einstufung und Radar-iTE

Die Einstufung einer Person als Gefährder oder relevante Person erfolgt durch die Polizeien der Länder oder das BKA. Die Behörden bauen ihre Entscheidung dabei auf vorliegenden Informationen auf. Das bedeutet auch, dass die Entscheidung zur Einstufung nach den Maßgaben des jeweiligen Bundeslandes geschieht. Um eine Vereinheitlichung herbeizuführen und eine höhere Genauigkeit der Gefährdungseinschätzung einer Person zu gewährleisten, wurde 2016/2017 vom BKA in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz für den Bereich des islamistischen Terrorismus das Risikobewertungsinstrument Radar-iTE eingeführt. Basierend auf biografischen Informationen, die das Verhalten einer Person priorisieren und nicht etwa die Gesinnung oder Religiosität einer Person, erstellen Sachbearbeiter eine Bewertung mit drei verschiedenen Ausprägungen: hohes Risiko, auffälliges und moderates Risiko. Nach Bewertung des BKA wird der Einschätzungsprozess damit transparent und überprüfbar. Gleichzeitig erlaubt Radar-iTE eine Priorisierung vorzunehmen und damit auch bei begrenzten Ressourcen polizeiliche Maßnahmen fokussierter einzusetzen.

Maßnahmen

Die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der von Gefährdern und relevanten Personen ausgehenden Gefahr unterscheiden sich nach Bundesland, den dortigen gesetzlichen und dienstlichen Regelungen und nach dem betroffenen Individuum. Behörden äußern sich normalerweise nicht dazu, welche Maßnahmen sie jeweils ergreifen. Zu den möglichen Maßnahmen gehören Gefährderansprachen und verschiedene Formen der Informationsbeschaffung, zum Beispiel durch (punktuelle oder dauerhafte) Observation. Auch kann bei Gefährdern das Tragen einer elektronischen Fußfessel angeordnet und somit ihre Bewegungen überwacht werden.

Kritik des Begriffs

Die Anwendung des Begriffs, also die Einstufung einer Person als Gefährder, ist umstritten, da sie vor allem auf Annahmen und Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden beruht, sich daraus aber intensivierte polizeiliche Maßnahmen und erweiterte Befugnisse ergeben. So wurden mit der Interner Link: Verabschiedung des neuen Polizeiaufgabengesetzes in Bayern im Jahr 2018 die polizeilichen Befugnisse gegen eine als Gefährder eingestufte Person deutlich ausgeweitet.

Viele Bundesländer streben die Abschiebung von Gefährdern an, sofern diese ausländische Staatsangehörige sind. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 52 Gefährder und andere Personen aus der islamistischen Szene ausgewiesen. Seit 2017 wird dazu u.a. die Möglichkeit des § 58a AufenthG genutzt. 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage eines hängigen Falls in Bremen entschieden, dass nach dieser Bestimmung eine Abschiebungsanordnung erlassen werden kann "auf der Grundlage einer hinreichenden zuverlässigen Tatsachengrundlage einer vom Ausländer ausgehende Bedrohungssituation im Sinne eines beachtlichen Risikos", welches sich jederzeit aktualisieren und dann in eine konkrete Gefahr umschlagen könne. Eine bereits vorhandene konkrete Gefahr im Sinne des Polizeirechts ist dafür aber ausdrücklich nicht notwendig.

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Mit der Einführung und Anwendung des Gefährderbegriffes verdeutlicht sich eine Verschiebung des sicherheitsbehördlichen Fokus von konkreten, strafbaren Handlungen oder einem konkreten Verdacht auf Verhaltensweisen, die "nicht in den Bereich der Strafbarkeit (auch im Vorbereitungs- oder Versuchsstadium)" fallen. Vielmehr gewinnt die Bewertung der Bedrohung – für die Indizien ausreichend sein können – durch das "kriminelle Potential" an Gewicht, also eine nicht näher konkretisierbare Gefährlichkeit, die sich in der Zukunft ausbilden könnte. Dementsprechend gelten auch andere Beurteilungsmaßstäbe und Eingriffsschwellen, die sich eher Interner Link: an einer abstrakten anstatt an einer konkreten Gefahr orientieren.

Die beschriebene Vorverlagerung des Zeitpunktes staatlicher Interventionen in einen Bereich, in dem noch kein strafrechtlich relevantes Handeln konkret bestimmbar oder vorhersagbar ist, Interner Link: zeichnet sich spätestens seit den Terroranschlägen im September 2001 ab. So führen z.B. Interner Link: die nach 9/11 verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze zu einer Vorverlagerung von Strafbarkeit und Erweiterung des Sicherheitsbegriffs zur vorbeugenden Sicherheitsgewährleistung. Weniger das Erreichen eines Zustandes der Sicherheit ist hier handlungsleitend, sondern die Annahme verschiedener Unsicherheitszustände. Ziel ist hierbei, schwer bestimmbare konkrete Zeitpunkte und Formen eines terroristischen Anschlags zu kontrollieren und damit auch aufsteigende Ängste in der Bevölkerung zu reagieren. Im Rahmen des Vorsorge-Paradigmas sind Vorverlagerungen somit oftmals mit der "zu bekämpfenden terroristischen Gefährdungslage begründet, bei der sich noch nicht hinreichend konkret ablesen lässt, wie, wann und wo sich diese Gefahr realisieren wird".

Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers "Interner Link: Migration und Sicherheit".

Weitere Inhalte

Dr. Daniela Hunold leitet ein Referat für Forschung und Analyse im Landeskriminalamt Bremen. Daneben ist sie Gastdozentin für Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention an der Deutschen Hochschule der Polizei.

Jan Raudszus leitet das Referat für Analyse des Staatsschutzes der Polizei Bremen. Daneben unterrichtet er als Lehrbeauftragter an der Hochschule für öffentliche Verwaltung im Rahmen der Polizeiausbildung.