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Klimawandel, Migration und Geschlechterverhältnisse | Migration und Klimawandel | bpb.de

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Klimawandel, Migration und Geschlechterverhältnisse

Sybille Bauriedl

/ 6 Minuten zu lesen

Von den Auswirkungen des Klimawandels sind Frauen und Männer unterschiedlich betroffen. Ein zentraler Grund dafür liegt in ihrem gesellschaftlichen Rollenverständnis und Rollenverhalten und der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Ungleichheit.

Menschen auf einer überfluteten Straße in Narayanganj, Bangladesch. Bei Flutkatastrophen, die in Folge des Klimawandels zunehmen, fliehen Frauen oft später als Männer und gemeinsam mit ihren Kindern und anderen Familienangehörigen. (© picture-alliance, ZUMA Press)

Der Klimawandel betrifft grundsätzlich alle Menschen – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Neben den regionalen Unterschieden liegt dies wesentlich in Gesellschaftsstrukturen begründet. Von Folgen des Klimawandels betroffen zu sein, ist in relevantem Ausmaß auch von geschlechterkonformen Verhaltensweisen und geschlechterungerechter Ressourcenverteilung abhängig. Damit hat auch klimawandelbedingte Migration etwas mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun.

Klimawandelfolgen treffen Frauen anders als Männer

Wenn plötzliche Extremereignisse wie Hochwasser, Hitzewellen oder Hurrikans auftreten, sterben regelmäßig mehr Frauen als Männer. In einer Studie der London School of Economics wurden die Todesfälle infolge von Extremwetterereignissen nach den Kriterien Geschlecht und sozialer Status untersucht. Zwischen 1981 und 2002 wurden 4.605 Katastrophenfälle in 141 Ländern festgestellt. Die Zahl der Todesfälle von Frauen nach Katastrophen lag dabei deutlich höher in Ländern mit besonders hoher Ungleichheit der sozialen und ökonomischen Stellung von Frauen und Männern. Eine aktuelle Studie mit Fallzahlen in ähnlichem Umfang liegt nicht vor. Es ist aber zu vermuten, dass diese Differenz eher zugenommen hat, da die geschlechtsspezifische haushalts- und familienbezogene Arbeitsbelastung von Frauen in Regionen mit starken Klimawandelfolgen ansteigt (siehe unten).

Im Globalen Süden zeigt sich die ungleiche Sterberate bei Extremereignissen deutlicher als im Globalen Norden. Geschlechtsspezifische Verwundbarkeit ist jedoch kein Phänomen, das sich allein auf Entwicklungsländer beschränkt. Negative Folgen des Klimawandels, z.B. Gesundheitsbelastungen durch Hitzewellen, zeigen auch in Europa eine geschlechterungleiche Ausprägung. Während der Hitzewelle in Südeuropa im Sommer 2003 kam es in den betroffenen Ländern durch extreme Herz-Kreislauf-Belastungen zu 70.000 zusätzlichen Todesfällen, sogenannten "Hitzetoten". Betroffen waren insbesondere ältere und gesundheitlich geschwächte Menschen. Während der gesamten Hitzeperiode war die Geschlechterverteilung der Todesfälle zwar ausgeglichen, an den heißesten Tagen waren jedoch in 60 Prozent der Fälle Frauen betroffen. Auch für dieses auffällige Phänomen gibt es bisher keine gesicherten Erklärungen. Ein relevanter Faktor ist vermutlich, dass insbesondere ältere Frauen einkommensbedingt häufiger in Stadtteilen mit höherer Hitzebelastung leben. Sie können sich klimawandelresistentere Wohnlagen mit besserer Durchlüftung, kühlender Architektur und geringerer Bebauungsdichte, die in allen Städten zu den teuersten Wohnlagen zählen, nicht leisten. An Hitzetagen mit Tagestemperaturen über 30oC liegt die Temperatur in dicht bebauten, verkehrsreichen Stadtteilen regelmäßig 5oC höher als z.B. in Wohnlagen am Stadtpark. Zudem leben alte Frauen sehr viel häufiger allein und damit ohne schnelle Gesundheitsversorgung bei akuter Hitzebelastung. Das Europäische Parlament hat mittlerweile die Relevanz des Problems erkannt und in einem Initiativbericht vom 16. Januar 2018 festgestellt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei Naturkatastrophen ums Leben kommen, liegt um ein Vielfaches höher als bei Männern."

Auch Folgen des Klimawandels, die nicht direkt lebensbedrohlich sind, wirken sich ungleich auf Männer und Frauen aus. Krankheiten verbreiten sich schneller aufgrund von höheren Temperaturen oder Überschwemmungen. Da sich in vielen Gesellschaften vor allem Frauen um die Krankenpflege kümmern, steigt damit auch ihre (unbezahlte) Arbeitslast. Bei langanhaltenden Hitzeperioden in Trockenräumen ist zu beobachten, dass Frauen und Mädchen einen sehr viel höheren zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Energie- und Wasserversorgung ihrer Familien bewältigen und lange Wege zu Wasserstellen und Brennholzquellen zurücklegen müssen. In Afrika stellen Frauen über 90 Prozent der Grundnahrungsmittel her. Oft verfügen sie jedoch nicht über den finanziellen Spielraum, um auf Klimaveränderungen reagieren und die Produktion an veränderte Umweltbedingungen anpassen zu können.

Warum Frauen verwundbarer durch den Klimawandel sind als Männer, wurde bislang kaum systematisch erforscht. Die Beobachtungen lassen jedoch auf die Relevanz geschlechtlicher Arbeitsteilung und geschlechterungleicher Ressourcenzugänge schließen. Geschlechternormen sind also ein entscheidender Verwundbarkeitsfaktor – und damit auch die Anpassungsanforderung an den Klimawandel.

Frauen fliehen anders als Männer vor Extremereignissen

Migration ist eine Interner Link: Form der Anpassung an Folgen des Klimawandels. Diese Anpassungsform können jedoch nicht alle Menschen in gleicher Weise nutzen. Wenn Migration in Reaktion auf plötzlich eintretende klimawandelbedingte Extremereignisse stattfindet, spielt erstens der Zugang zu Verkehrsmitteln eine große Rolle, zweitens die Abwägung der Gefahren während der Flucht und drittens die Verantwortung für die Versorgung von Angehörigen. All diese Aspekte sind sehr stark geschlechtlich geprägt. So werden die immer wieder besonders hohen Todeszahlen von Frauen bei Flutkatastrophen in Pakistan, Indien und Bangladesch dadurch erklärt, dass Frauen in diesen stark hochwassergefährdeten Ländern weniger Mobilitätsmöglichkeiten haben: Sie haben weder gelernt zu schwimmen noch besitzen sie motorisierte Fahrzeuge. Sie haben weniger Zugang zu relevanten Risikoinformationen und sie tragen die Verantwortung für den Schutz ihrer Kinder. Fast überall auf der Welt wird die familiäre Sorgearbeit häufiger von Frauen als von Männern geleistet. Dies führt dazu, dass Frauen stärker an versorgungs- und hilfsbedürftige Personen im Haushalt gebunden sind und von außerhäuslichen Netzwerken und Informationsstrukturen ausgeschlossen bleiben. Damit gelingt es ihnen auch seltener als Männern, infolge von plötzlich auftretenden Extremereignissen eine Flucht zu realisieren und sich so in Sicherheit zu bringen. Rettende Interner Link: Flüchtlingslager bedeuten zudem eine Bedrohung durch sexuelle Gewalt sowie den Kampf um knappe Lebensmittel.

Es gibt zwei entscheidende Fragen, um Klimaverwundbarkeit und klimawandelbedingte Migration erklären zu können: Zum einen die Frage nach der Verwundbarkeit aufgrund von Sorgepflichten (Wer ist verantwortlich für die Haushaltsführung, für die Kinderversorgung, die Pflege von kranken und alten Familienmitgliedern?). Zum anderen die Frage nach der Verwundbarkeit aufgrund von Mobilitätsbeschränkungen (Wer hat Zugang zu Verkehrsmitteln? Wer kann sich in welcher Weise in der Öffentlichkeit bewegen?). In der Regel treffen beide Fragen auf Frauen, die in geschlechterkonformen Familienverhältnissen und mit geringem Einkommen leben, in besonders hohem Maße zu.

Klimawandel als Verstärker bestehender gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen

Ausschlaggebend für geschlechtsspezifische Klimaverwundbarkeit und Migrationschancen ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht. Das soziale Geschlecht drückt das gesellschaftlich geprägte Rollenverständnis und Rollenverhalten aus, das mit struktureller Ungleichheit verbunden ist. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn Frauen z.B. aufgrund der ihnen zugeschriebenen passiveren, emotionaleren Verhaltensweise selten für Führungspositionen vorgesehen sind oder ihnen der Zugang zu finanziellen Ressourcen erschwert wird. Aufgrund patriarchaler Geschlechternormen bei der Familien- und Haushaltsversorgung erscheint eine individuelle Flucht vor Extremereignissen für Frauen weniger legitim. Diese Formen struktureller Ungleichheit treten in Regionen mit häufigen klimawandelbedingten Extremereignissen noch deutlicher zu Tage, da gerade dort die Folgekosten (z.B. Pflege von Verletzten, Versorgung der Familie unter erschwerten Bedingungen, Suche nach knappen Lebensmitteln) von Frauen getragen werden.

Zwischen sozialem Geschlecht und Klimaverwundbarkeit besteht jedoch kein monokausaler Zusammenhang – nicht alle Frauen sind grundsätzlich stärker vom Klimawandel betroffen als Männer. Klimaverwundbarkeit ist ein multikausales Phänomen. Fehlende Eigentumsrechte, Einkommensarmut, Mangel an Bildung und öffentlicher Gesundheitsvorsorge und geringe soziale Rechte spielen genauso eine Rolle und betreffen auch andere soziale Gruppen. In Studien zu geschlechtsspezifischer Klimaverwundbarkeit bleiben z.B. bisher soziale Unterschiede innerhalb einzelner Staaten und Regionen unhinterfragt. Diese in den Blick zu nehmen wäre aber wichtig, um die Verschränkung von Geschlechterverhältnissen mit Klassenverhältnissen und Gesellschaftsverhältnissen, die auf rassistischen Hierarchisierungen basieren, erkennen zu können, die ebenfalls den Zugang zu Arbeit, Einkommen, Landeigentum, Technologien, Krediten und politischen Entscheidungsprozessen regulieren.

Geschlechtergerechtigkeit in der Klimapolitik

Die unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf Männer und Frauen werden international anerkannt, sie sind aber kein Interner Link: Topthema in der internationalen Klimapolitik. Die internationalen Verhandlungen für Klimavereinbarungen werden von den Vereinten Nationen geführt. Das hat zur Folge, dass nationale Interessen im Vordergrund stehen. Auch wenn die Frauenorganisation der Vereinten Nationen (UN Women) schon 2009 festgestellt hat, dass "die Risiken des Klimawandels nicht geschlechtsneutral sind" , hat dies bisher keine Folgen für verbindliche Vereinbarungen oder gar geschlechterbezogene finanzielle Entschädigungen gehabt.

Schon bei der Klimakonferenz auf Bali 2007 forderten feministische Netzwerke und Organisationen: "Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit". Als großer Erfolg wurde von ihnen 2014 das Lima Work Programme on Gender gewertet. Es fordert alle Vertragsstaaten auf, in ihrem jährlichen Bericht zur Umsetzung nationaler Klimaziele Geschlechteraspekte zu berücksichtigten. Wie bei allen geschlechterpolitischen Vereinbarungen der UN-Vertragsstaaten ist allerdings keine Sanktionierung bei Nicht-Umsetzung des Programms vorgesehen. Seine Durchschlagkraft bleibt damit begrenzt.

Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Migration und Klimawandel.

Mehr zum Thema

Quellen / Literatur

Alber, Gotlind / Hummel, Diana / Röhr, Ulrike / Spitzner, Meike / Stieß, Immanuel (2018): Geschlechtergerechtigkeit und Klimapolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 21-23. Interner Link: http://www.bpb.de/apuz/269306/geschlechtergerechtigkeit-und-klimapolitik?p=all (letzter Zugriff: 20.07.2018).

Bauriedl, Sybille / Hackfort, Sarah (2016): Geschlechtsspezifische Verwundbarkeit. In: Bauriedl, S. (Hg.): Wörterbuch Klimadebatte. Bielefeld: Transcript-Verlag, S. 95-100.

Dankelmann, Irene (2010): Gender and Climate Change: An Introduction. London: Routledge.

EP – Europäisches Parlament (2017): Bericht über Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter und Klimagerechtigkeit. Externer Link: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-2017-0403+0+DOC+XML+V0//DE (letzter Zugriff: 17.07.2018).

Genanet (2017): Gender bei internationalen Klimaverhandlungen. http://www.genanet.de/projekte/klima-energie/unfccc.html (letzter Zugriff: 20.07.2018).

Neumayer, Eric / Plümper, Thomas (2007): The gendered nature of natural disasters. The impact of catastrophic events on the gender gap in life expectancy, 1981-2002. In: Annals of the Association of American Geographers 97(3), S. 551-566.

Robine, Jean‐Marie / Cheung, Siu Lan / Le Roy, Sophie / Van Oyen, Herman / Herrmann, François R. (2007): Report on excess mortality in Europe during summer 2003. Externer Link: http://www.theurbanclimatologist.com/uploads/4/4/2/5/44250401/mortalityheatwave2003.pdf (letzter Zugriff: 20.07.2018).

UN – United Nations Women Watch (2009): Women, Gender Equality and Climate Change. Externer Link: www.un.org/womenwatch/feature/climate_change/#1 (letzter Zugriff: 27.08.2018).

WEN – Women’s Environmental Network (2010): Gender and the climate agenda. The impacts of climate change on women and public policy. www.gdnonline.org/resources/Gender and the climate change agenda 21.pdf (letzter Zugriff: 22.07.2018).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neumayer/Plümper (2007).

  2. Robine (2007).

  3. WEN (2010), S. 11f.

  4. EP (2017), S. 5.

  5. Dankelmann (2010).

  6. EP (2017).

  7. WEDO (2007).

  8. Bauriedl/Hackfort (2016).

  9. UN (2009).

  10. Genanet (2017).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Sybille Bauriedl für bpb.de

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Weitere Inhalte

Dr. Sybille Bauriedl ist Professorin für Integrative Geographie an der Europa-Universität Flensburg und arbeitet zu Klimagerechtigkeit, Energiewende, Bioökonomie, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Sie hat das Wörterbuch Klimadebatte herausgegeben (2016, Transcript-Verlag) und betreibt den Blog Externer Link: https://klimadebatte.wordpress.com