Der Klimawandel betrifft grundsätzlich alle Menschen – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Neben den regionalen Unterschieden liegt dies wesentlich in Gesellschaftsstrukturen begründet. Von Folgen des Klimawandels betroffen zu sein, ist in relevantem Ausmaß auch von geschlechterkonformen Verhaltensweisen und geschlechterungerechter Ressourcenverteilung abhängig. Damit hat auch klimawandelbedingte Migration etwas mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun.
Klimawandelfolgen treffen Frauen anders als Männer
Wenn plötzliche Extremereignisse wie Hochwasser, Hitzewellen oder Hurrikans auftreten, sterben regelmäßig mehr Frauen als Männer. In einer Studie der London School of Economics wurden die Todesfälle infolge von Extremwetterereignissen nach den Kriterien Geschlecht und sozialer Status untersucht. Zwischen 1981 und 2002 wurden 4.605 Katastrophenfälle in 141 Ländern festgestellt. Die Zahl der Todesfälle von Frauen nach Katastrophen lag dabei deutlich höher in Ländern mit besonders hoher Ungleichheit der sozialen und ökonomischen Stellung von Frauen und Männern.
Im Globalen Süden zeigt sich die ungleiche Sterberate bei Extremereignissen deutlicher als im Globalen Norden. Geschlechtsspezifische Verwundbarkeit ist jedoch kein Phänomen, das sich allein auf Entwicklungsländer beschränkt. Negative Folgen des Klimawandels, z.B. Gesundheitsbelastungen durch Hitzewellen, zeigen auch in Europa eine geschlechterungleiche Ausprägung. Während der Hitzewelle in Südeuropa im Sommer 2003 kam es in den betroffenen Ländern durch extreme Herz-Kreislauf-Belastungen zu 70.000 zusätzlichen Todesfällen, sogenannten "Hitzetoten". Betroffen waren insbesondere ältere und gesundheitlich geschwächte Menschen. Während der gesamten Hitzeperiode war die Geschlechterverteilung der Todesfälle zwar ausgeglichen, an den heißesten Tagen waren jedoch in 60 Prozent der Fälle Frauen betroffen.
Auch Folgen des Klimawandels, die nicht direkt lebensbedrohlich sind, wirken sich ungleich auf Männer und Frauen aus. Krankheiten verbreiten sich schneller aufgrund von höheren Temperaturen oder Überschwemmungen. Da sich in vielen Gesellschaften vor allem Frauen um die Krankenpflege kümmern, steigt damit auch ihre (unbezahlte) Arbeitslast. Bei langanhaltenden Hitzeperioden in Trockenräumen ist zu beobachten, dass Frauen und Mädchen einen sehr viel höheren zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Energie- und Wasserversorgung ihrer Familien bewältigen und lange Wege zu Wasserstellen und Brennholzquellen zurücklegen müssen.
Warum Frauen verwundbarer durch den Klimawandel sind als Männer, wurde bislang kaum systematisch erforscht. Die Beobachtungen lassen jedoch auf die Relevanz geschlechtlicher Arbeitsteilung und geschlechterungleicher Ressourcenzugänge schließen. Geschlechternormen sind also ein entscheidender Verwundbarkeitsfaktor – und damit auch die Anpassungsanforderung an den Klimawandel.
Frauen fliehen anders als Männer vor Extremereignissen
Migration ist eine
Es gibt zwei entscheidende Fragen, um Klimaverwundbarkeit und klimawandelbedingte Migration erklären zu können: Zum einen die Frage nach der Verwundbarkeit aufgrund von Sorgepflichten (Wer ist verantwortlich für die Haushaltsführung, für die Kinderversorgung, die Pflege von kranken und alten Familienmitgliedern?). Zum anderen die Frage nach der Verwundbarkeit aufgrund von Mobilitätsbeschränkungen (Wer hat Zugang zu Verkehrsmitteln? Wer kann sich in welcher Weise in der Öffentlichkeit bewegen?). In der Regel treffen beide Fragen auf Frauen, die in geschlechterkonformen Familienverhältnissen und mit geringem Einkommen leben, in besonders hohem Maße zu.
Klimawandel als Verstärker bestehender gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen
Ausschlaggebend für geschlechtsspezifische Klimaverwundbarkeit und Migrationschancen ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht. Das soziale Geschlecht drückt das gesellschaftlich geprägte Rollenverständnis und Rollenverhalten aus, das mit struktureller Ungleichheit verbunden ist. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn Frauen z.B. aufgrund der ihnen zugeschriebenen passiveren, emotionaleren Verhaltensweise selten für Führungspositionen vorgesehen sind oder ihnen der Zugang zu finanziellen Ressourcen erschwert wird. Aufgrund patriarchaler Geschlechternormen bei der Familien- und Haushaltsversorgung erscheint eine individuelle Flucht vor Extremereignissen für Frauen weniger legitim. Diese Formen struktureller Ungleichheit treten in Regionen mit häufigen klimawandelbedingten Extremereignissen noch deutlicher zu Tage, da gerade dort die Folgekosten (z.B. Pflege von Verletzten, Versorgung der Familie unter erschwerten Bedingungen, Suche nach knappen Lebensmitteln) von Frauen getragen werden.
Zwischen sozialem Geschlecht und Klimaverwundbarkeit besteht jedoch kein monokausaler Zusammenhang – nicht alle Frauen sind grundsätzlich stärker vom Klimawandel betroffen als Männer. Klimaverwundbarkeit ist ein multikausales Phänomen. Fehlende Eigentumsrechte, Einkommensarmut, Mangel an Bildung und öffentlicher Gesundheitsvorsorge und geringe soziale Rechte spielen genauso eine Rolle und betreffen auch andere soziale Gruppen. In Studien zu geschlechtsspezifischer Klimaverwundbarkeit bleiben z.B. bisher soziale Unterschiede innerhalb einzelner Staaten und Regionen unhinterfragt. Diese in den Blick zu nehmen wäre aber wichtig, um die Verschränkung von Geschlechterverhältnissen mit Klassenverhältnissen und Gesellschaftsverhältnissen, die auf rassistischen Hierarchisierungen basieren, erkennen zu können, die ebenfalls den Zugang zu Arbeit, Einkommen, Landeigentum, Technologien, Krediten und politischen Entscheidungsprozessen regulieren.
Geschlechtergerechtigkeit in der Klimapolitik
Die unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf Männer und Frauen werden international anerkannt, sie sind aber kein
Schon bei der Klimakonferenz auf Bali 2007 forderten feministische Netzwerke und Organisationen: "Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit". Als großer Erfolg wurde von ihnen 2014 das Lima Work Programme on Gender gewertet.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers