Für Frauen, die historisch mit Sesshaftigkeit, Immobilität und Passivität in Verbindung gebracht werden, haben Mobilität und Migration eine spezielle Bedeutung. Frauen waren über lange Zeit entweder unsichtbar oder galten als Abhängige, deren Interner Link: Migration an jene von Männern gebunden war, und nicht als eigenständig Migrierende. In vielen Gesellschaften existieren weiterhin Hindernisse und Beschränkungen der Mobilität von Frauen. Frauen erleben häufig moralische Stigmatisierung sogar in Situationen, in denen sie umfassend an Migrationen teilhaben und Haupternährerinnen ihrer Familien sind. Sie gelten oft als "leichte Mädchen", als Prostituierte. Die Frage nach den Auswirkungen von Migration und insbesondere den Folgen, die die Beschäftigung von Migrantinnen für die Geschlechterhierarchie hat, ist seit Beginn der 1980er Jahre und vor allem seit den 1990er Jahren für viele Feministinnen und Wissenschaftler_innen ein anspruchsvolles Forschungsfeld. Vielfach lautete der Befund, die Migration von Frauen sei für die Familien problematischer als die von Männern. Die "Störung der Familie" gilt in diesem Zusammenhang als eine der am stärksten beachteten "Kosten" der Migration. Sie wird ausnahmslos auf die Abwesenheit der Mutter und die Zerstörung von Geschlechternormen zurückgeführt.
Die Interner Link: Feminisierung der internationalen Migration ist u.a. Ausdruck der andauernden und wachsenden Präsenz von Frauen in prekären, gering bezahlten Dienstleistungstätigkeiten wie der häuslichen Arbeit, der Pflege, der Betreuung von alten Menschen, in der Unterhaltungsbranche und der Prostitution. Grundlage dieser Tätigkeiten und Berufe sind auf das Interner Link: Geschlecht bezogene Annahmen darüber, dass Frauen eine ihnen "angeborene" Affinität zur Arbeit in der sogenannten Reproduktionssphäre besäßen, also für (unbezahlte) häusliche und familienbezogene Arbeiten (Care-Arbeit). Demnach wäre zu erwarten, dass weibliche Arbeit in dieser Sphäre nicht dazu geeignet ist, etablierte Geschlechternormen bezüglich der Arbeitsteilung im Haushalt zu destabilisieren und Geschlechterhierarchien aufzubrechen.
Migrantinnen sind sich durchaus dem institutionellen, politischen, kulturell-sozialen und ökonomischen Kontext bewusst, der ihre Beschäftigungschancen im Ausland strukturiert. Sie wissen, dass es für sie Arbeitsangebote gibt, weil die Beschäftigung von Migrantinnen (zuweilen auch die von Migranten) den Fortbestand der traditionellen Geschlechterordnung mit ihrer auf Klasse und Geschlecht beruhenden Hierarchie, ihren informellen Beschäftigungsstrukturen und ihren Familienidealen erlaubt (siehe unten).
Wenn für Migrantinnen die einzige Möglichkeit zum Verlassen ihres Heimatlandes darin besteht, sich Schmugglern anzuschließen oder sich als Katalogbraut bei Agenturen oder im Internet anzubieten, wenn ihre einzige Beschäftigungschance in hauswirtschaftlicher Arbeit oder in käuflichem Sex liegt, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie genau die Geschlechterordnung, die ihnen Grenzen öffnet und Arbeit verschafft, nicht infrage stellen, sondern sie akzeptieren. Manche gehen sogar darüber hinaus und machen mit viel Engagement deutlich, wie unersetzlich sie in ihrer traditionellen fürsorglichen Rolle sind.
Über die übliche Frage hinaus, ob sich die Geschlechterbeziehungen im Kontext von Migration verändern, versuche ich in diesem Text zu klären, wie die Wirkungen der Migration ausgehandelt werden und welcher Spielraum den Frauen für Handlungsmacht (agency) und Ermächtigung (empowerment) bleibt. Meine These lautet, dass Migrantinnen die traditionelle Geschlechterordnung nicht offen angreifen oder infrage stellen, sondern sie für ihre eigenen Zwecke nutzen und in Anspruch nehmen. Empirisch zeigt sich, dass in unterschiedlichsten Situationen Prozesse der Reproduktion der Geschlechterordnung sichtbar werden. Diese Prozesse beinhalten jedoch zugleich Elemente einer Veränderung und Untergrabung (Subversion) von innen heraus. Tief verankerte geschlechtliche Identitäten werden nicht offen infrage gestellt, sondern werden innerhalb der Zwänge und Anforderungen sich überschneidender Machthierarchien (Klasse, etnnische Herkunft, Gender usw.) im Kontext der Migration neu definiert.
Gibt es Gewinne für Frauen?
Heute herrscht weitgehender Konsens darüber, dass der Wandel in den Geschlechterbeziehungen eng mit der Teilhabe von Interner Link: Frauen am Arbeitsmarkt zusammenhängt. Eigenes Geld zu verdienen vergrößert die Verhandlungsmacht von migrierten Frauen im Vergleich zu ihrer Situation im Herkunftsland. Die Migration und Arbeitsmarktintegration von Frauen kann zugleich im Herkunftsland die Partizipation von Männern an Aktivitäten, die traditionell als Aufgaben von Frauen gelten, etwa die Betreuung von Kindern oder Haushaltsarbeit, begünstigen. Doch auch dann, wenn Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht erfolgreich sind, erlangen sie Zugang zu institutionellen und anderen Ressourcen (Bildung, wohlfahrtsstaatliche Leistungen, Rechtsschutz etc.), die ihnen normalerweise im Heimatland nicht zur Verfügung stehen. Die Beobachtung, dass Frauen eine Rückkehr in ihr Herkunftsland allgemein stärker ablehnen, lässt vermuten, dass es ihnen im Zielland besser geht als zuvor. Sie sind anpassungsfähiger und in höherem Maße bereit, sich dort auf Dauer niederzulassen. Männer hingegen tendieren dazu, als Reaktion auf eine als feindselig und ausgrenzend wahrgenommene Umwelt ihre eigenen Werte und Normen zu betonen.
Ein Teil der Migrantinnen stammt aus Ländern, in denen ihr Eintritt in den Arbeitsmarkt als Überschreitung ihrer traditionellen Rolle angesehen wird, beispielsweise in Marokko. Dennoch ermöglicht die Arbeit in Spanien marokkanischen Frauen eine bessere Kontrolle über Ressourcen und mehr Autonomie, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, "obwohl sie sich in Spanien als Ausländerinnen und als Frauen in einer untergeordneten Position befinden". Wenn die spanische Einwanderungspolitik weibliche Migranten bevorzugt, trägt das dazu bei, dass sich die Geschlechterordnung in Marokko verändert: Männer gelten nicht länger als alleinige Ernährer ihrer Familien, während Frauen als ökonomische Akteur_innen unverzichtbar werden. Eine ähnliche Entwicklung konnte in Bezug auf die Feminisierung der Handelskreisläufe zwischen Tunesien und Italien beobachtet werden. Philippinische Frauen in Interner Link: Frankreich z.B. erlangen den Status der Ernährerin der gesamten Familie und genießen Freiheiten, die sie in ihrem Heimatland nicht hatten. Männer hingegen übernehmen Aufgaben, die auf den Philippinen mit weiblichen Rollen assoziiert werden. Auf diese Weise kann Migration zum Empowerment von Frauen beitragen. Dies alles findet in einer Welt statt, in der (weibliche) Migrant_innen zu einer Existenz als "Bürger_innen zweiter Klasse" verurteilt sind. Es spricht angesichts fortbestehender Klassen- und Geschlechterhierarchien viel dafür, dass alle Verbesserungen, die Einwanderer_innen unter Umständen erreichen können, jeweils durch Statusverlust, Arbeitsüberlastung, Deklassierung und Ausbeutung wieder zunichte gemacht werden.
Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung?
Ein Großteil der (Forschungs-)Berichte thematisiert primär die sozialen Kosten der Frauenmigration: die Reproduktion von Geschlechterungleichheiten, die Intensivierung traditioneller Rollen, Abhängigkeit, den Verlust von Unterstützung und ein Mehr an Arbeitsbelastung für die Migrantinnen. Zu alldem kommt es, wenn Erwerbsarbeit auf die eine oder andere Weise als Erweiterung der Familienrolle der Frau verstanden und entweder als familiäre Pflicht der Frau oder nicht als "echte Arbeit" betrachtet wird.
Wenn weibliche Erwerbsarbeit erforderlich ist, um das Prestige der Familie zu erhalten, wie dies z. B. in den 1970ern in der kubanischen Community in den USA der Fall war, wird das Bild der traditionellen Frauenrolle um den Bestandteil der Erwerbsarbeit erweitert. Dann werden durch die als Familienpflicht verstandene Teilnahme am Arbeitsmarkt Werte wie die Ehrbarkeit der Familie oder auch hierarchische Muster in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen nicht infrage gestellt. Überdies bleibt die Erwerbsarbeit der Frau ihrer fürsorgenden Rolle untergeordnet.
Frauen üben beruflich häufig Tätigkeiten aus, die häuslichen Pflichten verwandt sind. Der räumliche Zusammenhang zwischen der Arbeit einer Frau und ihrem Zuhause ist die Grundlage dafür, die Arbeit als "Arbeit zuhause" und nicht als "echte Arbeit" zu definieren. Die grundlegende geschlechtliche Arbeitsteilung, die auf der Erwartung beruht, dass "Frauen für das Heim und Männer für die Erwerbsarbeit zuständig sind", wird so nicht infrage gestellt, sondern gestärkt. In der Bekleidungsproduktion in Paris ist der Status des Kleinunternehmers quasi für Männer reserviert, egal, ob sie nähen können oder nicht. Sie können oder müssen auf die Fähigkeiten ihrer Verwandten und anderer Frauen zurückgreifen. Von Frauen in der eigenen Familie können sie sogar erwarten, dass diese komplett ohne Bezahlung arbeiten, weil das Nähen schlichtweg als Erweiterung der häuslichen Pflichten von Frauen gilt. Obwohl diese Frauen vielleicht ein Einkommen erwirtschaften, ermöglicht dieses ihnen nicht, ihre Abhängigkeit zu beenden. Sie bleiben auf Jahre hinaus Heimarbeiterinnen ohne jegliche Aufstiegschance oder die Möglichkeit zur Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus. Das französische Legalisierungsverfaren von 1982, das etwa 135.000 irregulären Arbeitsmigrant_innen zugute kam, ging an vielen Frauen vorbei, da es den Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigung und einer langfristigen Anstellung voraussetzte. Die Arbeit vieler Frauen war jedoch durch Diskontinuität und kurzfristige, sporadische Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet.
In den meisten EU-Staaten und in der Türkei haben die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und die Alterung der Bevölkerung eine Interner Link: Nachfrage in der "Haushaltsnische" geschaffen. Zunehmend ersetzen ausländische Frauen sowohl die bezahlte als auch die unbezahlte Arbeit einheimischer Frauen in Haushalt und Pflege. Begründet wird die Beschäftigung von Migrantinnen mit auf Geschlecht und Ethnizität abstellenden Zuschreibungen: Demnach haben Frauen eine natürliche Begabung und sind grundsätzlich wohltätig veranlagt, anspruchslos und unterwürfig und somit ideal geeignet für Dienstleistungs- und Pflegearbeit. Als unproduktiv marginalisiert und oft aus der Kategorie 'Arbeit' ausgeschlossen, bleiben ihre Tätigkeiten eng mit dem Ideal der familiären Fürsorge verflochten und sorgen für dessen Fortbestand. Die Arbeit von Migrantinnen im Bereich persönlicher Dienstleistungen ermöglicht es, die Geschlechterhierarchien in den Haushalten ihrer Arbeitgeber aufrechtzuerhalten. Die zunehmende Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Interner Link: Deutschland geht mit wachsenden Ungleichheiten unter Frauen einher. Die meisten osteuropäischen Putzfrauen, Babysitterinnen und Haushälterinnen, denen deutsche, karriereorientierte Mittelschichtsfrauen die Reproduktionsarbeit übertragen, erfahren eine Deklassierung und Dequalifizierung: Sie gehören in ihren Heimatländern selbst der Mittelschicht an, üben dort oft akademische und freie Berufe aus und versuchen, diese zwar mit einem hohen Status versehenen, aber gering bezahlten Tätigkeiten "zuhause" weiterzuführen. Somit ist der Erhalt oder die Verbesserung ihres Status im Heimatland an ihre deklassierte Stellung im Erwerbsland gekoppelt.
Während diese Frauen es ihren Arbeitsgebern also ermöglichen, die alltäglichen Betreuungsarrangements als Norm zu erhalten, schaffen sie für ihre eigenen Familien ein Provisorium des "Zusammenlebens auf Distanz". Sie bewältigen dabei räumliche und zeitliche Trennungen, die in der Regel länger dauern als ursprünglich geplant. Dies kann für viele der Frauen zwar einen Zuwachs an Selbstbestimmung oder Interner Link: Empowerment bedeuten, da sich unter Umständen ihre wirtschaftliche Macht und Verhandlungsmacht im eigenen Haushalt vergrößert. Dennoch verstärkt es zugleich ihre traditionelle Identität als Mütter und Pflegepersonen, wie es eine der Frauen im Interview beschreibt: "Wenn ich nach Hause nach Polen fahre, ruhe ich mich nicht aus; es gibt so viel zu tun. Stellen Sie sich einen Mann vor, der mit zwei Kindern alleine ist. Wenn ich zum Beispiel für einen Monat bleibe, mache ich erst einmal zwei Wochen lang nur Hausarbeit." Infolgedessen bleibt die traditionelle Geschlechterordnung unhinterfragt, obwohl (oder gerade weil) der Vater oder der Partner die Aufgaben der Frau während ihrer Abwesenheit übernommen hat. Wenn die polnische Mutter und Arbeitsmigrantin aus Belgien zurück ist, muss alles "zur Normalität zurückkehren", auch wenn dies die Hälfte ihrer Urlaubszeit in Anspruch nimmt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl Arbeitsmigrantinnen im Ausland an Autonomie gewinnen, stellt sich mit ihrer Rückkehr sofort auch die traditionelle Geschlechterordnung wieder ein. Frauen haben weniger Möglichkeiten, aus ihrem Erfolg im Ausland Nutzen zu ziehen und müssen mit dem Stigma des "schlechten Rufs" rechnen: Migrantinnen – und nicht Migranten – wird vorgeworfen, durch ihre Abwesenheit "die Familie zu zerstören" und die gesellschaftliche und geschlechtliche Ordnung zu "zersetzen".
Die aufgeführten empirischen Beispiele zeigen, dass die Geschlechterordnung (im Herkunfts- ebenso wie im Zielland von Migrantinnen) nicht nur wandlungsresistent ist, sondern sich dort, wo sie sich mit Klasse, Migration und gesetzlichen Bedingungen überschneidet, sogar verstärken kann. Wähend die hergebrachte Arbeitsteilung und die Privilegierung von Männern unangefochten bleibt, führt Erwerbsarbeit dazu, dass sich die Arbeitsbelastung von Frauen insgesamt erhöht. Statt von ihren Ehemännern Hilfe bei der Hausarbeit zu erwarten, entscheidet sich die Mehrheit der Frauen dafür, Teile der Reproduktionsarbeit weniger privilegierten Frauen zu übertragen und damit auf das zurückzugreifen, was Arlie Hochschild (2000) die global care chain ("globale Pflegekette") genannt hat.
Gibt es trotz der unangetasteten und fortgeschriebenen Geschlechterordnung Potenziale für die Handlungsmacht von Frauen?
Geschlechterordnung als Ressource: Anpassung und eigener Vorteil
Die empirischen Beobachtungen zeigen, dass die Migration von Frauen zur Reproduktion der Geschlechterordnung führen kann und zwar auch in Situationen, in denen sie sich scheinbar umkehrt. Gleichzeitig zeigen sich Prozesse der Veränderung und Subversion der Geschlechterordnung von innen heraus. Dies bestätigt den Befund, dass die tief verankerten Geschlechtsidentitäten nicht offen infrage gestellt werden. Stattdessen werden sie innerhalb der Zwänge sich überschneidender Machthierarchien im Migrationskontext neu definiert. Migrantinnen nutzen die traditionelle Geschlechterordnung und nehmen sie für ihre eigenen Projekte der Selbstverwirklichung, Autonomie, Selbstermächtigung oder schlicht für den eigenen sozialen Aufstieg oder zugunsten ihrer Familie in Anspruch. Ebenso setzen sie mithilfe der Geschlechterordnung anderen Machtansprüchen und -hierarchien (im Zusammenhang mit Klasse, Ethnizität oder Migrantenstatus) Widerstand entgegen. Beispielsweise nutzen Manche Migrantinnen eine Heirat mit einem Ausländer als Strategie, um der Armut in ihren Heimatländern zu entgehen oder einen dauerhaften Aufenthalt im Zielland zu begründen. Dadurch eröffenen sie sich wiederum Chancen auf Beschäftigung oder wirtschaftliche Existenzgründung oder auf die Wiedervereinigung mit im Herkunftsland zurückgelassenen Angehörigen (z.B. über Familiennachzug). Auch traditionelle Normen und Institutionen wie die Ehe und das Mitgiftsystem können in diesem Sinne neu gestaltet und instrumentalisiert werden. So investieren etwa Tunesierinnen das auf ihren Handelsreisen nach Italien erwirtschaftete Kapital sowohl in die Mitgift als auch in die Ausbildung ihrer Töchter. Auf diese Weise gehen die Mütter mit dem Widerspruch um, einerseits bestimmte Geschlechternormen unangetastet zu lassen und andererseits die Emanzipation ihrer Töchter zu fördern.
Migration bietet denjenigen, die nicht in die vorherrschenden Frauen- und Männerbilder ihres Herkunftsmilieus passen, eine Möglichkeit, dieses zu verlassen bzw. dagegen zu kämpfen und Widerstand zu leisten. Migration kann eine Form des Ausbruchs aus existierenden Zwängen sein, wird aber auch zu einer Ressource, zu einer Möglichkeit, die im Herkunftsland zurückgebliebene Familie zu unterstützen und im Gegenzug Respekt und Anerkennung zu erhalten. Manche Frauen nutzen Zuschreibungen, die für sie zunächst hinderlich waren, später zu ihrem Vorteil und versehen die Geschlechterrollen mit neuen Attributen und Eigenschaften, die ihren eigenen Migrationspraktiken entsprechen. Beispielsweise werden Moldawierinnen, die in der Türkei arbeiten, in ihrer Heimat oft als verantwortungslos beschrieben, weil sie "als Mütter abwesend und als Ehefrauen unmoralisch" seien. Diese Mütter stellen jedoch nicht die Grenzen der lokal geltenden Norm der Mutterschaft als Grundstein der sozialen Ordnung infrage, sondern erweitern diese Norm auf migrierende Mütter. Sie tun dies nicht nur, um ihre Abwesenheit zu rechtfertigen, sondern auch zur Untermauerung ihres Anspruchs, bessere Mütter als die daheim gebliebenen Mütter zu sein. Eine solche Selbstbehauptung als "gute Mutter" ist unter Umständen die einzige gesellschaftlich akzeptierte Reaktion auf Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen, die die Frauen aufgrund ihrer Migration erfahren. Sie dient in gewisser Weise dazu, ihre Abwesenheit zu legitimieren, und ermöglicht ihnen, mit dem Widerspruch zwischen der "guten fürsorglichen Mutter" und der "schlechten abwesenden Mutter" zurechtzukommen.
Männliche Migranten, die einer Beschäftigung in Bereichen nachgehen, die sie selbst als "natürliche" Frauenarbeit betrachten – etwa Haushaltsdienstleistungen, Pflege, Tätigkeiten in Hotels oder Krankenhäusern – handeln häufig ihre Männlichkeit neu aus, um ihre Qualifikation für die hochgradig vergeschlechtlichten Anforderungen dieser Tätigkeiten zu demonstrieren. "Wie eine Frau arbeiten zu können" ist daher für sie ein gewichtiges Argument bei der Aushandlung von Erwerbsarbeit. Mit der Zeit statten sie ihre aktuelle Rolle etwa als männlicher Hausangestellter mit "natürlich männlichen" Attributen aus, die sie als Wettbewerbsvorteil darstellen. Beispielsweise betonen sie die Notwendigkeit physischer Kraft, die in der Tat eine wichtige Voraussetzung für Pflege- und Haushaltstätigkeiten ist. Jedoch wird dieser Aspekt selten wahrgenommen, wenn es sich um Frauen handelt, die diese Tätigkeiten ausführen.
Fazit
Feministische Wissenschaftlerinnen haben schon vor langer Zeit nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich Gender-Prozesse nicht unabhängig von Klasse, Ethnizität, Immigrationsstatus und anderen sozialen Beziehungen verstehen lassen, mit denen sie sich überschneiden. Sowohl Migrantinnen als auch Migranten sind "als Bürger_innen zweiter Klasse" mit Diskriminierung, Unsicherheit und Ungleichheit konfrontiert. Sie müssen in einer Situation, in der sie nach sozialem Aufstieg streben und sich deklassiert finden, ihre Kräfte vereinen. Die grenzüberschreitende Nachfrage nach Migrantinnen, die stereotypische Frauenarbeit im Haushalt oder bei der Betreuung von Kindern oder alten Menschen verrichten, ist ungebrochen. Ihre Tätigkeiten beruhen auf vergeschlechtlichten Annahmen über eine den Frauen innewohnende Affinität zur Arbeit in der Reproduktionssphäre. Diese Tätigkeiten sind deshalb nicht geeignet, die bestehenden Geschlechternormen hinsichtlich der Arbeitsteilung im Haushalt zu destabilisieren. In diesem Beitrag wurde der Frage nachgegangen, wie die widersprüchlichen Wirkungen von Migration ausgehandelt werden. Prozesse der Reproduktion der Geschlechterordnung werden in vielfältigen Situationen sichtbar; sie enthalten jedoch zugleich auch Elemente der Veränderung und der Subversion von innen heraus. Den empirischen Befunden zufolge lernen Migrantinnen, die Zuschreibungen, die für sie zunächst hinderlich sind, zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die meisten suchen jedoch eher den Kompromiss, als dass sie die traditionelle Arbeitsteilung und Werteordnung der Geschlechter kritisieren oder ablehnen.
Übersetzung ins Deutsche: Textworks Translations.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Frauen in der Migration.