Recht auf Bildung und Inklusion – für alle gleich?
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"Was die Flüchtlinge angeht, wollen wir noch die Tatsache hervorheben, dass der Vorbehalt der deutschen Bundesregierung gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention praktisch die Auswirkung hat, dass die Kinder zuerst in ihrem Status als Flüchtling gesehen werden, und dann erst als Kinder."
(Bundespressekonferenz am 21.02.2006 in Berlin mit dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Muñoz Villalobos)
Mit dem Begriff der Inklusion verbindet sich eine aktuelle und wichtige Diskussion in der deutschen Bildungspolitik. Damit ist gemeint, dass alle Kinder und Jugendlichen ungeachtet ihrer Herkunft und ihrer Leistungsfähigkeit ein Recht auf Bildung und zwar in Regelklassen haben. Untersuchungen haben gezeigt, dass das deutsche Schulsystem jungen Geflüchteten oder Neuzugewanderten den Zugang zu einem erfolgreichen Bildungsweg erschwert und damit dem Anspruch der Inklusion nicht gerecht wird. Besonders die Trennung der Lerngruppen in Regel- und Vorbereitungs- bzw. Seiteneinsteigerklassen ist problematisch, denn sie trägt zur Diskriminierung bei, so dass der Start im neuen Schulsystem von Kindern und Jugendlichen mit Fluchtbiographie erschwert wird:
In einem separierenden (von lat. separare = trennen) Schulsystem werden die Kinder und Jugendlichen zunächst einzig und allein unter dem Kriterium angeblicher Unterschiede betrachtet und werden (noch) nicht in Regelklassen integriert.
Im Gegensatz zur Inklusion, geht das Konzept der Integration immer noch und vor allem von einer Anpassungsleistung der Schüler*innen aus.
Hinsichtlich geflüchteter Schüler*innen ist darüber hinaus zentral, ihre bisherigen (Lern-)Erfahrungen und persönlichen Interessen jenseits von Krieg und Vertreibung zu berücksichtigen. Aus diesem Grund erscheint uns auch der Begriff "Flüchtling" als problematisch. Damit verbunden ist nämlich die Gefahr, dass der Status eines Flüchtlings "zum identitätsbestimmenden Merkmal stilisiert" wird, sodass "alle anderen Persönlichkeitsmerkmale [...] diesem einen Kriterium nach- und untergeordnet" werden.
Dies hat u.a. zur Folge, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der letzten Jahre "geflüchtete Menschen unmittelbar zum Opfer der Umstände" wurden, während angeblich "die Aufnahmeländer ihre Retter" waren.
Modelle, Daten und erste Forschungsergebnisse
Vom Menschenrecht auf Bildung sind Kinder und Jugendliche in Deutschland so lange ausgeschlossen, bis sie als Asylsuchende registriert sind, bzw. einen Antrag auf Asyl stellen konnten. Erst wenn das geschehen ist, greift auch für sie die Schulpflicht. Das hängt unter anderem mit fehlenden Rechten in der Migrationsgesellschaft Deutschland zusammen: Nur in einigen Bundesländern (Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein) setzt die Schulpflicht "schon mit dem Asylantrag ein".
Diese Form der gemeinsamen, nicht-separierenden Beschulung scheint allerdings die Ausnahme zu sein: Aus organisatorischen Gründen und nicht etwa aufgrund pädagogischer Argumente sind beispielsweise im Großraum Köln im Schuljahr 2014/15 über 90 Prozent der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen in "Vorbereitungsklassen" beschult worden. Kinder und Jugendliche mit einem rechtlich unsicheren Status laufen darüber hinaus Gefahr, auch von diesen schulorganisatorischen Modellen ausgeschlossen zu werden und somit überhaupt keinen Zugang zum
Inwiefern das Recht auf Bildung eingelöst wird, kann aufgrund der mangelnden Datenlage und fehlender Forschungen nicht beantwortet werden. Einerseits ist statistisches Material zur Bildungsteilhabe für die Gruppe junger Geflüchteter in Deutschland "nicht vorhanden".
Allerdings kann aufgrund erster Forschungsarbeiten angenommen werden, dass geflüchteten Schüler*innen in der Schule eher defizitorientiert begegnet wird, dass also zunächst das gesehen wird, was sie angeblich nicht können. Auf der Grundlage unserer eigenen ethnographischen Studien in "Vorbereitungsklassen" in NRW für neu Zugewanderte lässt sich u.a. die Hypothese aufstellen, dass sogar die bereits erworbenen schulisch relevanten Kompetenzen und Stärken der Schüler*innen nicht im Unterricht berücksichtigt werden. Neben lebenspraktischen oder auch fachspezifischen Kenntnissen kann das etwa eine Mehrsprachigkeit auch im schriftsprachlichen Bereich sein. Die Berücksichtigung dieser Kompetenzen könnte den Erwerb des Deutschen unterstützen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Schulkinder mit Fluchtbiographie systematisch auf ihre fehlenden Deutschkenntnisse und ihren Status als "DaZ-Schüler*innen" (DaZ = Deutsch als Zweitsprache) reduziert werden. Sie gelten als eine Gruppe, die vorrangig einen Deutschkurs benötigt, um überhaupt an dem monolingual (= einsprachig) deutsch organisierten Bildungsangebot teilnehmen zu dürfen. Dies verblüfft auch vor dem Hintergrund der steigenden Nachfrage nach bilingual englischem Unterricht, insbesondere an Gymnasien.
Aus Sicht von Lehrkräften, die geflüchtete Schüler*innen unterrichten, stehen außerdem oft vermutete
Herausforderungen für die deutsche Schule
Unter Berücksichtigung der zu Beginn des Beitrags zitierten Aussage des UN-Sonderberichterstatters und seiner Feststellung, dass in
Zur schulischen Inklusion von geflüchteten Schüler*innen würde daher eine ressourcenorientierte Perspektive beitragen, durch die Kinder und Jugendliche als angehende Deutsch- bzw. Mehrsprachige wahrgenommen werden. Entsprechende sprachdidaktische Konzepte liegen bereits vor – siehe z.B. den Translanguaging-Ansatz nach García (2009) – und werden in den USA auch in Sprachförderprogrammen für "immigrant newcomers" eingesetzt. Dabei erwerben die Schüler*innen nicht die neue Sprache der Mehrheitsgesellschaft einfach dazu (= additiv), sondern entwickeln und integrieren neue Sprachpraktiken in ihr bereits bestehendes, mehrsprachiges Repertoire: Auf dem Weg zum Erlernen einer neuen Sprache ist es diesem Ansatz zufolge legitim und notwendig, im Alltag und in Bildungseinrichtungen 'Sprachmischung' als Lernstrategie einzusetzen.
Mit diesem inklusiven Ansatz kann eine Schulpraxis überwunden werden, "die ausschließlich eine Varietät der deutschen Sprache, die Bildungs- oder Schulsprache sowie sogenannte Weltsprachen fördert und elaboriert, während sie zugleich die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien negiert".
Ein weiterer Beitrag zur Inklusion würde darin bestehen, trennende Formen der Beschulung systematisch abzubauen. Denn indem man auf Modelle wie Vorbereitungs- und Auffangklassen verzichtet, und den Blick für die Ressourcen der neuen Schüler*innen schärft, können tatsächliche Inklusion und interkulturelle Bildung realisiert werden.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers