Die sowjetischen Juden haben mit ihrer Auswanderung Fakten geschaffen. Allein 1989 sind mindestens 50.000 Personen ausgereist, vor allem nach Israel und in die USA – und sogar nach Deutschland. Juden kamen sowohl nach
Rechtlicher Rahmen: "Kontingentflüchtlinge"?
Am 9. Januar 1991 tagte die Ministerpräsidentenkonferenz des wiedervereinigten
Anders als z.B. im Fall vietnamesischer "Boatpeople", musste der Tatbestand der Verfolgung im Fall der Juden nicht nachgewiesen werden. Juden aus der untergehenden Sowjetunion emigrierten nach Deutschland, ins Land des Interner Link: Holocaust, unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit. Jene wusste lediglich, dass wieder "Ostjuden" kommen, aber nicht, unter welchen Voraussetzungen. Einer auf Symbolpolitik gründenden jüdischen Migration nach Deutschland nach der
Jüdische Gemeinden in Deutschland
Die zentrale Frage, die sich sowohl die DDR- als auch die bundesrepublikanischen Behörden stellten, war die so oft im Laufe der Weltgeschichte und der Entwicklung der Weltreligionen gestellte Frage: "Wer ist ein Jude?" Der halachischen Antwort nach, d.h. dem jüdischen Religionsgesetz entsprechend, sind Kinder einer jüdischen Mutter oder zum Judentum Übergetretene Juden und Jüdinnen. Der halachischen wurde eine weltliche, nationale Antwort des 20. Jahrhunderts vorgezogen: Kinder und z.T. Enkelkinder jüdischer Väter und/oder jüdischer Mütter (oder beider Elternteile) durften als "Kontingentflüchtlinge" nach Deutschland auswandern. Eine solche ethnisch-nationale Auffassung von Judentum entsprach auch dem Paragraf 5 in den sowjetischen Personalausweisen. Darin gab es eine Spalte "nacional’nost’" (Nationalität), in der bei Juden "evrej" ("Hebräer", Jude) stand. Die nationale Zugehörigkeit wurde in der UdSSR bei den Juden wie bei den Nichtjuden in der Regel väterlicherseits geführt. In der Folge standen zehntausende Männer und Frauen, die als Juden nach Deutschland kamen, nach allen Turbulenzen der Auswanderung und des Ankommens am Ende religiös gesehen als Nichtjuden vor geschlossenen Türen der jüdischen Gemeinden des Aufnahmelandes, da diese sich am halachischen Religionsgesetz orientieren. Nur ca. 85.000 der knapp 220.000 Einwanderer fanden den Weg in die jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik. Diese Menschen retteten de facto ein institutionalisiertes jüdisches Leben in Deutschland: Am Ende der 1980er Jahre, vor der Einwanderung, gab es knapp 30.000 Gemeindemitglieder. Viele von ihnen waren bereits höheren Alters. Hätte die Einwanderung nicht stattgefunden, gäbe es im heutigen Deutschland keine jüdischen Gemeinden jenseits der Großstädte mehr. Gegenwärtig gibt es 100.000 bis 105.000 Jüdinnen und Juden, die Mitglied in einer jüdischen Gemeinde sind. Mindestens 90 Prozent davon sind Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion.
Jüdische Zuwanderung heute
Die Einwanderung von jüdischen Kontingentflüchtlingen dauerte bis Ende 2004. 2003 bis Anfang 2004 wanderten mehr Juden aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland als nach Israel aus: 19.000 kamen nach Deutschland und 11.000 nach Israel. Dies führte zu spürbaren Konflikten. Laut Vertretern der Jewish Agency for Israel "verführe" die deutsche Regierung die postsowjetischen Juden dazu als Flüchtlinge einzureisen, obwohl seit Jahrzehnten ein jüdischer Staat Externer Link: existiere.
Im Januar 2005 trat das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft und die jüdische Einwanderung nach Deutschland als "Kontingentflüchtlinge" endete genauso abrupt, paradox und still wie sie 25 Jahre zuvor begonnen hatte. Die Symbolpolitik war zu Ende und mit ihr die jüdische Einwanderung. Seit 2005 können Juden nach einer Art Externer Link: Punktesystem einwandern: Nachgewiesene Deutschkenntnisse, eine nachweisbare positive Integrationsprognose (Arbeitsplatz) und die Zusage, Mitglied in einer jüdischen Gemeinde werden zu können, sind ausschlaggebend für die Einreiseerlaubnis.
Nur sehr wenige Juden kommen seitdem nach Deutschland (um die hundert Personen pro Jahr). Die Hürden sind sehr hoch, die Kriterien komplex. Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, sagte in diesem Zusammenhang 2009: "Mein Eindruck war, dass dieser Teil der Zuwanderungsregelung zwischen der damaligen Bundesregierung und dem Zentralrat so ausgehandelt worden war. […] Wenn es von Seiten der jüdischen Gemeinschaft ein entsprechendes Bedürfnis gibt, wird jede Bundesregierung dazu bereit sein, entsprechende Gespräche […] zu führen."
Seit 2005 sinken kontinuierlich die Mitgliederzahlen in den jüdischen Gemeinden: 2005 gab es 107.677 Mitglieder. Die Externer Link: neueste Statistik der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) verzeichnet zum Jahresende 2016 nur noch 98.594 Mitglieder. 71- bis 80-Jährige machen die größte Gruppe, nämlich 16.716 Gemeindemitglieder, aus. Den 256 Geburten standen 2016 1.498 Sterbefälle gegenüber.
In den Ländern der ehemaligen UdSSR, vor allem in der
Die ausreisewilligen Juden aus der Ukraine, Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – die genaue Anzahl müsste ermittelt werden – würden sowohl die wieder schrumpfenden jüdischen Gemeinden Deutschlands als auch die in den letzten Jahren z.T. außerhalb der Gemeinden, vor allem in den deutschen Großstädten, entstandene jüdische Zivilgesellschaft mit ihren zahlreichen Organisationen, Vereinen und Gruppen stärken.
Parallelen jüdischer und russlanddeutscher Einwanderung
Die jüdische Einwanderung weist zahlreiche Parallelen mit der Einwanderung von ca. 2,4 Millionen "Spätaussiedlern" aus der ehemaligen Sowjetunion (seit 1987) auf. Gleichzeitig bestehen wesentliche, nicht nur numerische Unterschiede. Verwaltungstechnisch haben Russlanddeutsche gegenüber jüdischen Kontingentflüchtlingen den Vorteil, sofort die deutsche Staatsbürgerschaft und deutsche Renten für ihre Berufstätigkeit in der ehemaligen UdSSR zu bekommen. Demgegenüber markieren die erleichterten symbolpolitischen Voraussetzungen (Minimum an Nachweispflicht diverser Zugehörigkeitskriterien wie Sprache, Familiengeschichte, kulturelle Eigenschaften zwischen 1991 und 2004) gewisse Vorteile für die Gruppe jüdischer Kontingentflüchtlinge. Die Lebensbedingungen in Aufnahmestellen, in
Mitglied einer "Schicksalsgemeinschaft" zu sein, gehört zum Selbstverständnis vieler Deutscher aus der ehemaligen UdSSR: Die Tragödien sowjetisch-deutscher Geschichte (Deportation, das Verbot, sich wieder in den Herkunftsorten anzusiedeln und bestimmte Berufe auszuüben) vereinigen Teile der russlanddeutschen Gruppe bis heute. Manche schöpfen aus diesen Erfahrungen der (Groß)Eltern ihre Identität.
Mindestens 2,2 Millionen Juden wurden auf dem Territorium der UdSSR durch die Nationalsozialisten und ihre Gehilfen im Holocaust ermordet. Trotzdem sehen sie sich nicht oder nicht in vergleichbarem Maße als "Schicksalsgemeinschaft". Nicht wenige Vertreter der postsowjetisch-jüdischen Einwanderer empfinden sich gar als
Die Symbolpolitik und die Erinnerungskulturen prägen die postsowjetischen Juden und die Russlanddeutschen stark, jedoch nicht entscheidend. Die soziale, politische, kulturelle und religiöse Realität in Deutschland sind für beide Gruppen von ausschlaggebender Bedeutung.
Schicksalsgemeinschaft oder Sieger?
Beide Gruppen, Russlanddeutsche und Juden, haben beträchtliche Schwierigkeiten, ihre Erinnerungskulturen in Deutschland zu legitimieren. Einerseits sehen sich Juden aus postsowjetischen Ländern als sowjetische "Sieger" an, leben aber in einer jüdischen Opfergemeinschaft im Land der "Täter" und der "Besiegten". Sie sind meist gebildete, oft religionsferne, russischsprachige Intellektuelle – und gelten damit als "nichtjüdische Juden". Andererseits setzen Russlanddeutsche auf traditionelle Familien- und gesellschaftliche Werte. Sie streben an, als "Gleiche unter Gleichen" zu leben – d.h. als "Deutsche unter Deutschen". Deutschland definiert sich jedoch zunehmend als ein postnationales
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers