In Deutschland wurde bis dato politisch nicht formuliert, welche Vorstellungen von einem gemeinsamen Zusammenleben in einer Gesellschaft, die durch Migration wesentlich pluraler geworden ist, als Leitmotiv eines neuen nationalen
Politisch wird von öffentlichen Einrichtungen gefordert, sich interkulturell zu öffnen und zu prüfen, ob sie die veränderte heterogene Gesellschaft in ihren Strukturen repräsentieren, sich also öffnen für Personen mit Migrationshintergrund. Parallel dazu könnte eine "Integration von unten" – eine Art civil integration als staatsbürgerliches, persönliches Integrationsbewusstsein – stark gemacht werden, indem die Erzählung Deutschlands als heterogenes Land deutlich damit verbunden wird, dass Anpassungsleistungen auch von den sogenannten Etablierten erwartet werden. Das Bilden einer heterogenen Gemeinschaft – im Sinne eines neuen Narratives oder eines Leitbildes der "Einheit der Verschiedenen", in welche die Integration jedem Bürger sozialstrukturell offen zu stehen hat – führt zu einem Paradigmenwandel im Integrationsverständnis. Die Politik sollte sich daran messen lassen, wie sie die Öffnung der Strukturen und Institutionen vorantreibt. Sie sollte sich aber auch daran messen, wie sie diese Erzählung einer heterogenen Gesellschaft so verankert, dass Anstrengungen von allen Seiten erwartet werden und nicht mehr nur von Migranten. In diesem Sinne sollte sich die etablierte Dichotomie von Migranten und Einheimischen zugunsten einer Bürger-Identität auflösen, die auf gesellschaftliche Integrationsprozesse als gemeinsamem Ziel hinarbeitet. Somit würde Integration im Sinne des Begründers der vergleichenden Politikwissenschaft, Alexis de Tocqueville, zum Kernziel einer modernen Demokratie, die gleiche Teilhaberechte und Partizipationschancen für alle ihre Bürger etablieren muss.
Hierfür müsste es in Deutschland eine Leitbild-Diskussion geben, die überparteilich geführt wird. Dazu sollte "eine fachlich und politisch überparteilich besetzte Kommission, etwa unter der Federführung der Integrationsministerin"
Mit der Anerkennung von Heterogenität als deutsche Normalität findet parallel eine narrative Neudeutung nationaler Identität statt – das "Deutschsein" wandelt sich und wird vieldeutiger. Diesen Gedanken transportierte auch Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum 65-jährigen Bestehen des deutschen Grundgesetzes: "Wer Deutscher ist, wird künftig noch viel weniger als bisher am Namen oder am Äußeren zu erkennen sein."
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers