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Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945 | Afrikanische Diaspora in Deutschland | bpb.de

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Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945

Katharina Oguntoye

/ 8 Minuten zu lesen

Wie haben die Menschen afrikanischer Herkunft bis 1945 in Deutschland gelebt? Wer waren sie und unter welchen Bedingungen meisterten sie das Leben in einer Gesellschaft, die sie als 'das Fremde' betrachtete? Eine Analyse von Originaldokumenten und Fotografien.

Einführung

Wie haben die Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland gelebt? Wer waren sie und unter welchen Bedingungen meisterten sie das Leben in einer Gesellschaft, die sie als 'das Fremde' betrachtete?

Ich wusste aus meinem eigenen Leben als Afro-Deutsche, Jahrgang 1959, wie es sich anfühlte als Schwarze Deutsche in Deutschland aufzuwachsen, sich als Inländerin zu fühlen und doch auch immer wieder als das Symbol des Anderen wahrgenommen zu werden. Ich fragte mich, wie die Situation für Afrikaner und Afro-Deutsche 100 oder 50 Jahre vor meiner Geburt gewesen sein mag.

Martin Dibobe als Zugführer am U-Bahnhof Schlesisches Tor, ca. 1908. (© Archiv der BVG Berlin)

Es gab keine Literatur oder Dokumente, die mir diese Fragen beantworten konnten. Die Afrikanerinnen und Afrikaner, die sich in der Metropole aufhielten, waren bis dahin nie Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Die Frage nach ihrer Anwesenheit in Deutschland und ihrem Beitrag für die Gesellschaft hatte sich für meine Historikerkolleginnen und –kollegen nicht gestellt. Der Grund hierfür war eine Reihe von unbelegten Vermutungen, die sich in der Folge im Wesentlichen als unrichtig und begrenzt erwiesen haben:

Die in Deutschland lebenden Afrikaner seien eine sehr kleine Minderheit und daher sei ihre Präsenz ohne Einfluss und Relevanz für die hiesige Gesellschaft gewesen.
Die deutsche Gesellschaft sei im Ganzen so fremdenfeindlich gewesen, dass ein normales Leben für Afrikaner hier nicht möglich gewesen wäre.
Die Menschen schwarzer Hautfarbe seien einzig auf die Rolle als exotisches Objekt beschränkt gewesen.

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit an der Universität begab ich mich 1987 auf die Suche nach den Zeugnissen des Lebens Schwarzer Menschen in Deutschland. Es gelang mir eine Skizze der afrikanischen Zuwanderung sowie der Lebensbedingungen der Afrikaner und Afro-Deutschen in Deutschland über drei historische Perioden zwischen der Errichtung deutscher Kolonien 1884 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu entwerfen. Nachdem ein Anfang gemacht war und einige mögliche Quellenfundstellen aufgezeigt waren, zeigte sich, dass die Forschung zur Präsenz Schwarzer Menschen in Deutschland ein überaus vielfältiges und facettenreiches Gebiet darstellte.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den verschiedensten Fachrichtungen, die sich heute diesem Themengebiet zuwenden und zu den verschiedensten Aspekten arbeiten, erleben, dass ihnen die Quellen in ihrer Fülle gar explodieren. Ich freue mich über die Vielfalt der Forschung und über jede neue Veröffentlichung, die dazu beiträgt, das Puzzle zu vervollständigen. Viele Fragen wurden mittlerweile beantwortet, doch viele neue sind entstanden und so ist dieses Forschungsgebiet weiterhin sehr aufregend und bietet die Möglichkeit neuer Entdeckungen. Vor allem seien die Spuren der Afrikanerinnen und Afrikaner in der deutschen Geschichte so gering, dass es keine ausreichende Menge von Originalquellen gäbe, die sich wissenschaftlich auswerten ließen.

Kaiserzeit und Kolonialherrschaft

Die Epoche des deutschen Kolonialismus fiel in die Zeit des deutschen Kaiserreichs. Durch die Einigung der deutschen Nation war die Zersplitterung der Kleinstaaterei überwunden und es schien nur folgerichtig, dass Deutschland seinen Anspruch zu den europäischen Großmächten zu zählen, nun auch mit dem Erwerb eigener Kolonialgebiete nach außen deutlich machte. Auf der von Otto von Bismarck 1884 einberufenen Berliner Kongo-Konferenz, an der alle zur damaligen Zeit wichtigen Nationen teilnahmen, wurde Afrika sozusagen am grünen Tisch unter den europäischen Mächten aufgeteilt. Mit dieser Absicherung im Hintergrund übernahm die deutsche Regierung – auf Drängen der interessierten Kolonial- und Wirtschaftskreise in Deutschland – die Schutzherrschaft in verschiedenen Gebieten Afrikas.

Deutsche Kolonial-Briefmarke. (© Public Domain, Deutsche Reichspost)

Die Errichtung der deutschen Kolonien bildete die Voraussetzung für die nun erstmals in größerer Zahl stattfindenden Einreisen von Afrikanern nach Deutschland. Deutsche Kaufleute, Missionare und Reisende waren bereits vor dem staatlichen Engagement Deutschlands in Afrika anwesend. Es gab einen regen Reiseverkehr und Handelsaustausch zwischen Afrika und Deutschland. Die Schifffahrtsverbindungen wurden nun regelmäßiger und die berühmte 'Woermann Linie' fuhr mit höherer Taktfrequenz nach Duala (Kamerun), Lome (Togo), zur Walfischbucht (Deutsch-Südwest-Afrika) oder nach Daressalam (Deutsch-Ost-Afrika).

Der Ausbau der deutschen Kolonien ging einher mit einem steigenden Bedarf an einheimischen Fachkräften für die Kolonialverwaltung und -wirtschaft. So kamen viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner zum Zweck der Ausbildung nach Deutschland. An deutschen Schulen und Universitäten erhielten einige von ihnen eine höhere Schulbildung. Die Mehrzahl der Neuankömmlinge wurde jedoch an Missions- und Kolonialschulen als Handwerker, zu einheimischen Missionslehrern, als Handwerker oder Facharbeiter für die Tätigkeit in den Kolonien ausgebildet. Wieder andere reisten auf Schiffen der deutschen Afrikalinien als Koch, Stewards oder Heizer nach Deutschland ein. Häufig wurden die Afrikaner als Sprachgehilfen für afrikanische Sprachen bei den deutschen Afrikaforschern eingesetzt oder sie kamen als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen, den Askari, nach Deutschland. Außerdem gab es noch die große Gruppe derjenigen meist jugendlichen Afrikanern und Afrikanerinnen, die von deutschen Kaufleuten oder Reisenden von deren Afrikareisen, sei es als Hilfen für Haushalt und Geschäft oder als sentimentales 'Mitbringsel', mit nach Deutschland zurückgebracht wurden.

Viele dieser Afrikaner, die als junge Männer oder Jugendliche nach Deutschland gekommen waren, blieben für den Rest ihres Lebens in Deutschland, gründeten Familien und arbeiteten hier. Einige von ihnen brachten sich auch auf politischer Ebene in die deutsche Gesellschaft ein.

Weimarer Republik – Hoffnung auf Demokratie und Gerechtigkeit

Porträt der Familie von Mandenga Diek, ca. 1920 (mit Frau Emilie Diek, geb. Wiedelinski, und den Töchtern Erika und Doris). (© Privatbesitz Herbert Reiprich/Oguntoye)

Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren und daraus resultierend waren die deutschen Kolonien in Afrika unter das Mandat der britischen und französischen Regierungen gelangt. Die Lage der Afrikaner in Deutschland und ihrer Familien veränderte sich hierdurch in mancherlei Hinsicht. Hatten die Afrikaner zum Beispiel einen deutschen Ausweis besessen, der sie als Angehörige einer deutschen Kolonie bezeichnete, wurde ihnen nun ein Status zugewiesen, der sie als "Angehörige der ehemaligen Schutzgebiete" auswies. Nach dem Versailler Vertrag sollten die Afrikaner aus den vormals deutschen Kolonien, die sich außerhalb dieser Kolonien aufhielten, nun automatisch zu Bürgern der jeweiligen Mandatsländer werden. Für die meisten Afrikaner in Deutschland war dies jedoch keine Option, da sie zum Teil bereits über mehrere Jahrzehnte in Deutschland lebten. Hier hatten sie ihren Lebensmittelpunkt – sie arbeiteten in Deutschland, waren Familienväter geworden und sprachen häufig auch keine andere europäische Sprache außer Deutsch.

Schon in den letzten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft hatten die Afrikaner, deren Verbindungen zu ihren Heimatländern oft noch bestanden, auf die Kolonialverwaltung einzuwirken versucht, um die Härten für die Menschen vor Ort zu mildern. In zahlreichen Petitionen und Eingaben (vor allem für Togo bei P. Sebald und Kamerun bei A. Rüger gut dokumentiert) wendeten sie sich an den deutschen Reichstag und versuchten mit Hilfe deutscher Unterstützer die deutsche Öffentlichkeit über die Zustände in den Kolonien zu informieren. Zu den zahlreichen politischen Aktivitäten der Afrikaner gehörte die Gründung einer zweisprachigen Zeitschrift, die in Deutsch und Duala erscheinen sollte und den Titel 'Elolombe ya Kamerun' (Sonne von Kamerun) trug.

Eine Gruppe politisch links orientierter Afrikaner rief den deutschen Zweig einer Menschenrechtsorganisation ins Leben, deren Hauptsitz sich in Paris befand: "Die deutsche Sektion der Liga zur Verteidigung der Negerrasse". Die wirtschaftliche Depression der Zwanzigerjahre traf viele der Afrikaner in Deutschland hart. Es war schwer Arbeit zu finden und die von Arbeitslosigkeit Betroffenen hatten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da dieser an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden war. Einige Afrikaner wurden durch einen kleinen Etat aus Haushaltsmitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt, der von der Gesellschaft für Eingeborenenkunde, einem deutschen Kolonialverein verwaltet wurde. Die monatliche Zuteilung der Gelder war an Wohlverhalten geknüpft und konnte ohne Begründung gewährt oder verweigert werden.

Die Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde begleitet von einer breiten Schmähkampagne gegen französische Besatzungstruppen, die aus Nordafrika stammten. Diese Kampagne hatte Folgen für die Afrikaner, so finden sich gehäuft Beschwerden von langjährig in Deutschland ansässigen Afrikanern, deren Bewegungsfreiheit durch Anfeindungen aufgrund der Schmachkampagnen eingeschränkt war. Vor allem der Aufenthalt im Rheinland war nun problematisch. Doch so schwer diese Zeiten gewesen waren, die schlimmste Periode sollte noch kommen.

Leben unter dem NS-Terrorregime

In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Lebensumstände für die Afrikaner, die Afro-Deutschen und deren Ehefrauen und Mütter stetig schwerer. Nun verloren auch die Afrikaner, die eingebürgerte Deutsche waren, ihre Pässe. Sie wurden zumeist durch staatenlose Ausweise ersetzt. Reisen ins Ausland waren erheblich erschwert und für die in Musik, Varieté, Zirkus oder Film beschäftigten Schwarzen Deutschen verkomplizierten sich die Arbeitsbedingungen. Später kam für sie eine wöchentliche Meldepflicht bei der Polizei hinzu.

In Deutschland selbst wurde es immer schwieriger eine Anstellung zu finden, denn aufgrund der rassistischen Propaganda wurde es selbst bereitwilligen Arbeitgebern unmöglich, Schwarze Angestellte zu behalten oder neu einzustellen. Die Lebensbedingungen der Afrikaner und Afro-Deutschen waren von Mühsal und kreativen Überlebensstrategien geprägt. Zwischen augenscheinlicher Sichtbarkeit und dem Zwang sich unsichtbar machen zu müssen, war das Leben nun umso mehr ein Balanceakt geworden.

Überraschend waren die Forschungsergebnisse, welche bei meiner Recherche für diese Periode zu Tage traten. Die Politik des NS-Staates und seiner Behörden gegenüber den Afrikanern in Deutschland erscheint beim ersten Ansehen überaus widersprüchlich und irrational. So finden sich 'streng geheime', keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmte Dokumente und Papiere über intern geführte Diskussionen, wie NS-Funktionäre im Auftrag 'ihres Führers' über die Möglichkeiten spekulierten, wie Afrikaner aus den ehemaligen deutschen Kolonien "... in Lohn und Brot zu bringen ..." seien.

Die Argumentation der NS-Bürokratie lief darauf hinaus, dass man doch einige Afrikaner für eine pro-deutsche Kolonial-Propaganda zu gewinnen hoffte; denn die Nazis planten die Errichtung eines "Mittelafrikanischen Kolonialreiches unter deutscher Vorherrschaft". Die gesamte Gesetzgebung für das geplante Apartheidsystem, einschließlich der Gesetze für die Sklavenarbeit der Afrikaner bis hin zu Passentwürfen in diesem deutschen Kolonialreich, lag im Entwurf bereits 1940 vor. Deutschland kam der Realisierung seiner Kolonialträume niemals nahe. Trotzdem wurde dieser Traum kontinuierlich bis 1945 weiter geträumt.

Neben ihrer Ausgrenzung als Schwarze Menschen waren die schlimmsten Verfolgungsformen für Afrikaner und Afro-Deutsche die Zwangssterilisation junger Schwarzer Deutscher und die Verschleppung in Konzentrationslager. Hier dienten oft Ehen oder Partnerschaften zu weißen Deutschen oder ein vermuteter Sabotageakt als Grund. Aber die Afrikaner und Afro-Deutschen erfuhren in dieser Zeit auch Solidarität und Unterstützung von anderen Deutschen. Es war mir wichtig auch dies darzustellen; ein Zeitzeuge sagte: "Was unsere Frauen und Mütter damals geleistet haben, kann sich keiner vorstellen. Wir konnten ja oft nicht mal auf die Straße gehen und dann mussten sie für uns einkaufen und zwar ohne die ausreichenden Lebensmittelmarken zu haben. Ohne sie hätten wir nicht überleben können." Und eine andere Zeugin berichtete von einem deutschen Arbeitgeber, der sie im Betrieb versteckt hielt und alle Kollegen schützten sie vor dem Zugriff der Nazis.

Für die Menschen heute ist es wichtig, ein möglichst vollständiges Bild der Geschichte von Schwarzen Menschen in Deutschland zu haben und nicht auf Vermutungen und falsche Vorstellungen angewiesen zu sein. Das Leben von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland hat vielerlei Aspekte und wir sollten uns bemühen sie in ihrer Vielfalt und Komplexität zusammenzutragen.

Literatur

Oguntoye, Katharina: Eine afro-deutsche Geschichte, Berlin 1997.

Dies./May Opitz/Dagmar Schultz: Farbe bekennen, Berlin 1986.

Rüger, Adolf: "Imperialismus, Sozialreformismus und antikoloniale demokratische Alternative: Zielvorstellungen von Afrikanern in Deutschland im Jahre 1919", in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 23 (1975), S. 1293-1308.

Sebald, Peter: Togo 1884-1914: Eine Geschichte der deutschen "Musterkolonie" auf der Grundlage amtlicher Quellen, Berlin/Ost 1988.

Stoecker, H. (Hg.): Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft, Berlin 1968.

Fussnoten

Katharina Oguntoye, geb. 1959, Historikerin, engagiert sich seit mehr als zehn Jahren in der Schwarzen Deutschen Community. Seit 1996 arbeitet sie als Projektmanagerin im Verein "Joliba – Interkulturell Leben und Arbeiten e.V.". Dessen jüngstes Projekt "Fairway" richtet sich an Jugendliche, die gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit aktiv werden möchten.