Neue Gerätetechniken, Plattformen und Video-on-Demand-Dienste verändern das Verständnis von Fernsehen. Die Bewegtbildangebote werden individueller und Fernsehinhalte vermischen sich mit professionell produzierten Videos. Die Zuschauer von heute schauen in der Summe mehr fern.
Unter Fernsehen verstand man jahrzehntelang das Ausstrahlen und Konsumieren eines von Fernsehsendern offerierten Programms am heimischen Fernsehapparat. Es wurde über Satellit, Kabel oder Antenne übertragen. Durch die "Digitalisierung von Inhalten" und die Entwicklung Interner Link: hybrider Gerätetechnik hat sich Fernsehen zunehmend verändert:
Es kann zeitunabhängig genutzt werden, z. B. unterwegs auf dem Tablet-PC oder Smartphone.
Es wird ergänzt durch neue Inhalte im Internet, die nicht mehr nur von Fernsehsendern stammen.
Zudem werden heutige Fernsehapparate zunehmend internetfähig. Damit verlieren die Fernsehsender ihren vormals exklusiven Zugang auf das Endgerät und konkurrieren nun mit Inhalte-Anbietern aus dem Internet am selben Apparat.
Was für Inhalte offerieren jedoch die neuen Anbieter des Internetfernsehens? Welche Probleme, aber auch Chancen bedeutet das für die etablierten Fernsehsender? Und in welcher Form kann der Zuschauer von dieser Entwicklung profitieren? Ist Internetfernsehen am Ende wirklich das 'bessere' Fernsehen? Diese und auch rechtliche Fragen zur Regulierung, die sich im Zusammenhang mit dem Internetfernsehen stellen, werden im Folgenden erörtert.
Internetfernsehen – was ist das?
Die Verknüpfung von Fernsehen und Internet ist eine Entwicklung, die sich in mehreren Stufen vollzogen und unterschiedliche Formen hervorgebracht hat (siehe folgende Abbildung).
Ausdifferenzierungsformen des Internetfernsehens
Internetfernsehen
Video-on-Demand
IPTV
Smart-TV
Entstehungszeit
seit 2005
seit 2006
seit 2009
Beispiele
Video-Sharing-Plattformen (z. B. YouTube); Mediatheken (z. B. ARD Mediathek); Submarken von Print-, Fernseh- und Radiomarken (z. B. spiegel.de, zdf.de); Unternehmens-TV (z. B. bmw.tv); Online-Videotheken (z. B. Maxdome, Amazon Prime Instant Video, Netflix)
Fernseher mit Zusatzgerät (Set-Top-Box); PC/Laptop, Smartphone, Tablet (z. B. Entertain to Go)
internetfähiger Fernseher
Angebot
Online Video-Angebote, die nicht mehr nur von klasssischen Fernsehsendern stammen; frei verfügbare Inhalte (z. B. Video-Sharing-Plattformen) und bezahlpflichtige Inhalte (z. B. Online-Videotheken)
lineares Fernsehprogramm der Fernsehsender; zusätzlich ggf. auch Zugriff auf Online-Videotheken (z. B. Telekom Videoload); nur für beschränkten Nutzerkreis (z. B. Telekom Entertain-Abonnenten)
lineares Fernsehprogramm der Fernsehsender und Video-on-Demand-Angebote
Quelle: C. Gerhards / eigene Darstellung
In einem ersten Schritt gelangten Videos über das Web auf den Computerbildschirm – als Video-on-Demand-Angebote (in der Literatur oftmals auch als Interner Link: Web-TV bezeichnet). Als Startpunkt für diese Form des Internetfernsehens kann das Gründungsjahr von YouTube 2005 angesehen werden. Ein Jahr später entstanden in Deutschland sog. Interner Link: IPTV-Dienste (Internet Protocol Television). Darunter ist Internetfernsehen am Fernsehgerät zu verstehen, das mit einem internetfähigen Zusatzgerät, der sog. Set-Top-Box, ausgestattet ist. Hier wird lineares Fernsehprogramm, das von Fernsehsendern stammt, mittels des Internet-Protokolls einem eingeschränkten Nutzerkreis (z. B. Telekom Entertain-Abonnenten) gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellt.
Mittlerweile können die Fernsehprogramme im IPTV-Angebot auch mit mobilen Endgeräten und der entsprechenden App abgerufen werden (z. B. Entertain to Go). Zudem bieten IPTV-Anbieter neben dem linearen Fernsehprogramm auch eigene On-Demand-Portale an (z. B. Telekom Videoload). Die Nutzung bleibt auch hier Abonnenten vorbehalten (z. B. Telekom Entertain Abonnenten). Video-on-Demand-Angebote hingegen umfassen nicht mehr nur Angebote von klassischen Fernsehsendern (z. B. ARD Mediathek), sondern auch nutzergenerierte Inhalte (z. B. bei YouTube), Videoangebote von Zeitungshäusern (z. B. spiegel.de) oder Online-Videotheken (z. B. Netflix). Die Inhalte sind entweder frei verfügbar und können ohne eine Entgeltzahlung von jedermann genutzt werden oder sind bezahlpflichtig (wie bspw. die Online-Videotheken Netflix, Maxdome, Watchever, Amazon Prime Instant Video).
Die neueste Entwicklungsstufe des Internetfernsehens ist das sog. Interner Link: Smart-TV (auch Hybrid-TV oder Connected-TV genannt), das im Fernsehgerät unterschiedliche Empfangswege vereint und in Deutschland im Jahr 2009 auf den Markt kam. Damit ist neben dem digitalen Kabel-, Satelliten- oder Antennenempfang auch der Zugang zum Internet möglich. Und das nicht nur für Abonnenten, wie beim IPTV, sondern für alle, die solch einen internetfähigen Fernsehapparat besitzen.
Einige Fernsehgerätehersteller ermöglichen lediglich einen eingeschränkten Zugriff auf das Internet, indem sie eine vorinstallierte App-Galerie, wie man sie vom Smartphone her kennt, anbieten. Darüber sind dann z. B. die Seiten von YouTube, Facebook, Twitter und die Mediatheken der Fernsehsender anzusteuern. Andere Gerätehersteller ermöglichen neben den vorinstallierten Apps auch die freie Eingabe von Internetadressen, so dass alle im Netz verfügbaren Inhalte abgerufen werden können. Die Vorinstallation von Apps erfolgt aus einem einfachen Grund: Der Zuschauer hat am Fernsehgerät nur die Fernbedienung zur Verfügung, welche das Eintippen einer Internetadresse zurzeit noch umständlich macht.
Smart-TV-Geräte sind erst seit 2009 auf dem deutschen Markt erhältlich. Im Jahr 2014 gaben laut Digitalisierungsbericht der Medienanstalten 16 % der deutschen TV-Haushalte an, über mindestens ein sogenanntes Smart-TV-Gerät im Haushalt zu verfügen. Insgesamt 35 % der TV-Haushalte verfügen hiernach über mindestens eine Möglichkeit, ihr Fernsehgerät mit dem Internet zu verbinden, wovon aber lediglich 15 % tatsächlich auch die Internet-Funktionen nutzen. In nur 9,5 % der Haushalte ist das TV-Gerät selbst auch direkt mit dem Internet verbunden und kann als 'smart' bezeichnet werden kann.
Auch wenn Internetfernsehen am TV-Gerät noch nicht flächendeckend in den Wohnzimmern Einzug gehalten hat, dürfte sich dies in naher Zukunft ändern, da Fernsehapparate zunehmend standardmäßig als Smart-TV-Geräte ausgeliefert werden. Während 2010 der Anteil von Smart-TV-Geräten unter den verkauften Fernsehgeräten in Deutschland bei nur 5 % lag, stieg die Zahl ein Jahr später bereits auf 23 % und im Jahr 2015 waren es mehr als die Hälfte, nämlich 60 %.
Deutsche Haushalte liegen beim Anteil von Smart-TV-Geräten über dem europäischen Durchschnitt. Allerdings liegen sie was die Frage des Anschlusses dieser Geräte an das Internet betrifft unter dem europäischen Durchschnitt. Besonders hoch ist der Anteil der Smart-TV-Geräte bei Fernsehern mit einer Bildschirmdiagonale von 50 Zoll und mehr, hier waren bereits 2011 90 % der Geräte internetfähig (siehe Abb. unten).
Bevor die Möglichkeiten, die Smart-TV dem Zuschauer bietet, näher beschrieben werden, sei zunächst der Blick auf die Video-on-Demand-Angebote gerichtet. Denn von den drei genannten Formen des Internetfernsehens ist das Video-on-Demand jenes, welches bis dato die höchsten Nutzerzahlen beim Internetfernsehen aufweist.
Video-on-Demand-Angebote
Video-on-Demand ermöglicht es, dass neue Anbieter und Angebote auf den Markt treten, die sich in Konkurrenz zu etablierten, klassischen Fernsehsendern positionieren. Deren Kerngeschäft, die Entwicklung, Produktion und Verbreitung von Bewegtbild-Formaten, wird von den neuen Anbietern aufgegriffen und in das Web übertragen. Zeitungsunternehmen wie bspw. der Verlag M. Dumont Schauberg offerieren eigene Online-Nachrichtensendungen ("köln tv") im Rahmen der Online-Auftritte der Printmarken "Express" und "Kölner Stadt-Anzeiger", werbetreibende Unternehmen wie Weight Watchers Deutschland produzieren eigene Webserien ("Mein Ziel, mein Traum", 2011), und Online-Versandhäuser wie Amazon bieten Online-Videotheken (Amazon Prime Instant Video) mit z. T. eigens für diese Plattformen produzierten Serien an.
Im Jahr 2015 gab es laut des »BLM/LFK-Web-TV-Monitor 2015« insgesamt 1.044 Web-TV-Sender, ein deutlicher Rückgang gegenüber 2010 (1.275). Zu den Angeboten zählt der "BLM/LFK-Web-TV-Monitor" u. a. Video-Sharing-Plattformen, Mediatheken und Videocenter (Online-Videotheken wie maxdome), Submarken klassischer TV-, Print- und Radiomarken (z. B. zdf.de, spiegel.de), Unternehmens-TV (z. B. BMW.tv) und nicht-kommerzielle Anbieter (z. B. bundesregierung.de). 42 % der Angebote stammte 2015 von klassischen Medienanbietern, wobei die Submarken von Printmedien mit 25 % am stärksten vertreten waren. Video-Sharing-Plattformen wie YouTube stellten laut dieser Studie zwar nur 1 % des Angebots dar, doch gerade YouTube stellt mit 7.953 YouTube-Channels eine Vielzahl von Kanälen (siehe folgende Abb.).
Von 166 Mio. Video-Abrufen, die in Deutschland im Jahr 2011 getätigt wurden, entfielen 88 % auf sie. (siehe folgende Abb.: Video-Abrufe pro Tag der Web-TV-Angebote in Deutschland).
Wählt man die Abrufzahlen als Kriterium, sind Video-Sharing-Plattformen wie YouTube und die dort offerierten Videos als zentraler Wettbewerber für die Online-Angebote klassischer Fernsehsender (Mediatheken) zu sehen. Auch wenn die o. g. Zahlen aus dem Jahr 2011 stammen und für den deutschen Markt keine neueren Erhebungen auf der Basis von angebotsbezogenen Abrufzahlen vorliegen, so ist davon auszugehen, dass Video-Sharing-Plattformen nach wie vor eine dominante Rolle bei der Nutzung von Video-on-Demand-Angeboten einnehmen.
Diese Vermutung wird gestützt durch die Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2014, die Onlinenutzer ab 14 Jahren nach ihrem Online-Video-Nutzungsverhalten befragte. Die Studie unterteilt die Video-on-Demand-Angebote zwar nach anderen Rubriken als der oben zitierte "BLM Web TV-Monitor 2012", doch wird auch hier die dominante Stellung von Videoportalen (also: Video-Sharing-Plattformen wie YouTube) im Nutzungsportfolio von Usern deutlich. 62 % der befragten Onliner gaben 2014 an, schon einmal Videoportale genutzt zu haben, ein Zuwachs von 5 % gegenüber 2013. Die 14- bis 29-Jährigen nutzten sogar zu 88 % Videoportale.
Die Nutzungszahlen für die Online-Angebote von Fernsehsendern bzw. Fernsehsendungen fielen hingegen deutlich geringer aus: 36 % der Onliner schauten schon einmal Video-on-Demand-Angebote von Fernsehsendern, bei den 14- bis 29-Jährigen waren es immerhin 49 %. Bemerkenswert ist auch die wichtige Rolle von Online-Communities (wie Facebook) als Nutzungsort für Video-on-Demand: 64 % der 14- bis 29-Jährigen haben hier bereits Online-Videos geschaut. Damit rangieren sie als Ort für den Videokonsum bei der jungen Zielgruppe auch deutlich vor den Online-Angeboten der klassischen Fernsehsender (Mediatheken und Websites der Fernsehsender).
Nutzungsorte Bewegtbild 2013 und 2014
Abb. 2: Nutzungsorte Bewegtbild 2013 und 2014 schon genutzt, absteigend sortiert nach Gesamt 2014, in %
Gesamt
14-29 J.
2013
2014
2013
2014
Videoportale im Internet
57
62
85
88
Onlineangebote eines Fernsehsenders/Fernsehsendungen
33
36
41
49
innerhalb einer Online-Community
29
29
66
64
Onlineangebot einer Tageszeitung
20
22
23
28
Onlineangebot eines Unternehmens
15
20
18
28
Onlineangebot einer Wochenzeitschrift bzw. eines Wochenmagazins
12
18
16
23
Onlineangebot eines Radiosenders
14
13
21
15
Onlineangebot einer Privatperson
8
11
12
15
Basis:Deutsch sprechende Onlinenutzer ab 14 Jahren (2014: n=1434; 2013: n=1389).
Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2014 in Koch/Liebholz 2014, S.399
Wie Fernsehsender ihr Programm im Web ausweiten
Da Video-Sharing-Plattformen zu den am häufigsten genutzten Video-on-Demand-Angeboten zählen, verwundert es nicht, dass die klassischen Fernsehsender sich mittlerweile verstärkt auch auf YouTube engagieren, indem sie dort bspw. eigene YouTube-Kanäle anbieten (z. B. WDR#3 sechzich) oder sog. Multi-Channel-Netzwerke betreiben. Darunter versteht man Netzwerke, die zahlreiche YouTube-Kanäle bündeln und vermarkten. ProSiebenSat.1 betreibt das Netzwerk "Studio71" mit rd. 360 Kanälen, und die RTL-Group übernahm im Jahr 2014 die Mehrheitsanteile an "StyleHaul", einem auf Mode und Schönheit spezialisiertem US-amerikanischem Multi-Channel-Netzwerk mit mehr als 3.500 YouTube-Kanälen.
Alle großen Fernsehsender bieten zudem seit Jahren Mediatheken an, in welchen der Zuschauer die Sendungen nachschauen kann, die er bei der regulären Fernsehausstrahlung verpasst hat. Der TV-Konzern ProSiebenSat.1 hat zudem mit MyVideo ein Video-on-Demand-Angebot, das neben der Bereitstellung von bereits ausgestrahlten Fernsehsendungen auch eigens für das Web produzierte Serien anbietet.
Darüber hinaus experimentieren zahlreiche Fernsehsender mit Sendungen, die im Fernsehen starten und dann ihre Handlungen im Web weiterführen. Am 9. und 16. November 2014 strahlte beispielsweise der Sender ZDFneo den zweiteiligen Fernsehkrimi "Dina Foxx – Tödlicher Kontakt" aus. Um die einwöchige Pause zwischen den beiden Ausstrahlungsterminen zu überbrücken, wurde eine siebenteilige Webserie produziert, die ausgewählte Handlungsstränge aus dem ersten TV-Teil aufgriff und dem Onlinenutzer tiefere Einblicke in die Erzählwelt des Krimis gab. Ein anderes Beispiel ist das Format "Berlin – Tag & Nacht" (RTL II), in welchem das Leben der jungen Bewohner einer Wohngemeinschaft in Berlin dargestellt wird und Facebook genutzt wird, um dort einzelne Handlungsstränge durch Video-Posts im Anschluss an die Fernsehausstrahlung weiterzuerzählen.
Der Zuschauer wird somit rund um die Uhr über die neuen Geschehnisse in der WG auf dem Laufenden gehalten, also selbst dann, wenn das werktägliche Fernsehformat gerade nicht auf Sendung ist.
Smart-TV – das neue Internetfernsehen
Die Online-Verlängerung von Fernsehformaten wird für Fernsehsender erst recht interessant, wenn der Zuschauer zur Nutzung dieser Inhalte nicht auf einen zweiten Bildschirm (Screen) umsteigen muss, sondern sie unmittelbar am Smart-TV-Gerät abrufen kann. Die Ergänzung des klassischen Fernsehprogramms um Online-Inhalte erfolgt dann folgendermaßen: Im laufenden Programm wird der Zuschauer durch einen Hinweis darauf aufmerksam gemacht, dass er weitere Online-Infos aktivieren kann. Mit der Wahl des roten Knopfes der Fernbedienung kann er dann in die Online-Welt des jeweiligen Senders wechseln. Dort hat er die Möglichkeit, z. B. an Live-Abstimmungen bei Casting-Shows teilzunehmen oder, wenn die Sender z. B. mit Versandhäusern kooperieren, das Kleid der Moderatorin unmittelbar per Fernbedienung zu erwerben. Zeitgleich kann er sich parallel zu seiner Lieblingssendung ebenfalls mit seinen Freunden in sozialen Netzwerken austauschen.
Doch nicht nur Fernsehsender bieten auf dem Fernsehgerät Online-Inhalte an. Andere Anbieter wie z. B. YouTube, Facebook, Twitter, bild.de oder Internetradiosender sind mit vorinstallierten Applikationen vertreten, wobei im Prinzip die Anzahl der Inhalteanbieter und die Vielfalt an Diensten unbegrenzt sind: "Das können lokale Anbieter sein, das Tierheim oder der Pizza-Bring-Dienst oder auch das Bürgerbüro". Für Fernsehsender bedeutet diese Entwicklungsstufe des Internetfernsehens, dass sie ihren vormals exklusiven Zugang auf das Fernsehendgerät verlieren.
Welche Möglichkeiten bietet das Internetfernsehen dem Nutzer?
Für den Zuschauer hingegen entsteht erstens die Möglichkeit, sich "Fernsehen à la carte" zusammenzustellen. Internetfernsehen hat im Vergleich zum ‚alten‘ Fernsehen auch einen weiteren, entscheidenden Vorteil: die zeitsouveräne Nutzungsmöglichkeit. Der Zuschauer kann selbst entscheiden, wann er sich im Online-Bereich etwas anschaut, ohne an die Ausstrahlungszeiten des klassischen Fernsehprogramms gebunden zu sein.
Der Wunsch, verpasste Fernsehsendungen nachzuschauen, ist mit 28,5 % schließlich auch ein zentrales Nutzungsmotiv von Besitzern eines Smart-TV-Geräts in Deutschland, so das Ergebnis einer Studie von Tomorrow Focus Media (2014) (siehe Abbildung oben). Zudem hat der Zuschauer die Möglichkeit, auch weitere Video-on-Demand-Angebote (wie Video-Sharing-Plattformen, Online-Videotheken etc.) abzurufen. Um spezielle Filme zu sehen, die nicht im TV-Programm laufen, nutzen laut der Studie 29,2 % der befragten Deutschen die Internetfunktion an ihrem Smart-TV-Gerät. In der Hauptsache (29,6 %) wird das Internet jedoch dann am Fernsehapparat aktiviert, wenn dem Zuschauer das Programm der Fernsehsender als nicht genügend interessant und ansprechend erscheint.
Danach befragt, welche Angebote mit der Internetfunktion am Smart-TV-Gerät in der Hauptsache genutzt werden, geben 55,4 % der deutschen Haushalte an, Videos zu schauen (siehe Abbildung unten). Danach folgen komplette Filme oder Serien (50,7 %) und Sendungen aus den Mediatheken von Fernsehsendern (41,6 %).
Mit dem Internetfernsehen wird somit ein alter Traum vieler Medienkritiker wahr: Der Zuschauer wird sein eigener Programmdirektor. Er kann sich sein eigenes Programm selbst zusammenstellen oder das von ihm favorisierte Fernsehprogramm um ergänzende Online-Informationen erweitern. So gesehen, bietet das Internetfernsehen die Möglichkeit zum individuell angepassten und deswegen ‚besseren‘ Fernsehen.
Angebotsvielfalt und Zeitsouveränität können jedoch auch anders, nämlich als Last interpretiert werden. Der Nutzer muss nun selbst aus einem ständig verfügbaren, unüberschaubaren Online-Programmangebot auswählen. Eine Vorselektion des Programms fehlt für die im Internet frei verfügbaren Inhalte. Dies mag bei Unterhaltungsangeboten weniger bedeutsam sein, bei journalistischen Nachrichteninhalten hingegen schon: Beim traditionellen ‚alten‘ Fernsehen verhält es sich so, dass der Sender (genauso wie die klassischen Medien Zeitung und Radio) mit seinem begrenzten Programmangebot eine filternde "Schleusenwärter"-Funktion (Interner Link: Gatekeeper) wahrnimmt. Er entscheidet darüber, was seinem Publikum aus der Fülle des Weltgeschehens dargeboten wird.
Negativ formuliert ist dies als eine Einschränkung des Souveräns 'Publikum' zu betrachten. Positiv gesehen geht mit der berufsjournalistischen Selektion und Informationsaufbereitung aber auch eine Qualitätssicherung einher. Journalistische Qualitätsstandards wie die Unabhängigkeit und Ausgewogenheit der Berichterstattung sind hier gewährleistet. Dies kann einerseits nicht bei all den Online-Inhalten vorausgesetzt werden, die von Privatpersonen, werbetreibenden Unternehmen, Parteien oder anderen nicht-journalistisch arbeitenden Anbietern bereitgestellt werden. Andererseits ermöglicht das Fehlen der "Schleusenwärter" zugleich auch, dass nun jeder seine eigenen Videos oder Kommentare veröffentlichen kann. Sie werden so einem Massenpublikum zugänglich gemacht – von belanglosen Alltäglichkeiten bis hin zu relevanten gesellschaftlichen Missständen.
Die Zukunft des Fernsehens
Wird klassisches Fernsehen, das von Fernsehsendern angeboten wird, also in Zeiten von Internetfernsehen aussterben? Ein Blick in die Mediengeschichte zeigt, dass alte Medienformen nie gänzlich verdrängt werden, sondern auch in einer veränderten Medienlandschaft stets ihren Platz behalten. Dies dürfte auch für klassisches Fernsehen gelten (man spricht vom sog. Interner Link: Riepl'schen Gesetz, das 1913 von Wolfgang Riepl am Beispiel des Informationswesens des Altertums formuliert wurde und aufzeigt, dass in Zeiten von Medienbrüchen ‚alte‘ Medien nie gänzlich durch neue substituiert werden).
Die Fernsehnutzungszahlen der ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2014 zeigen schließlich (Gesamtbevölkerung ab 14 J.), dass mit 237 Minuten pro Tag (93 %) der Fernsehkonsum weiterhin vor allem linear stattfindet, also zu den von den Fernsehprogrammanbietern vorgegebenen Zeiten am TV-Gerät ferngesehen wird. Hinzu kommen 3 Minuten (1 %) zeitversetzte TV-Nutzung und 15 Minuten (6 %) Online-Nutzung von Fernsehsendungen und Videos anderer Anbieter über den Ausspielweg Internet, wobei 8 Minuten auf Fernsehsendungen und 7 Minuten auf Videos fallen (siehe Abbildung unten).
Mit seinen zeitlich vorgegebenen Programmen offeriert die klassische Form des Fernsehens schließlich "Orientierungspunkte, strukturiert den Alltag und vermittelt das Gefühl der Verbundenheit". In einer Welt, die von einem "Always-Online"-Modus geprägt ist und uns immerfort abverlangt, weiter zu klicken und zu agieren, kann es durchaus entlastend sein, bei der Bewegtbildnutzung eben nicht zu interagieren, sondern schlicht in einer sog. "Lean-Back"-Haltung fernzuschauen. Birgit Stark spricht in diesem Zusammenhang von "stabilen Nutzungsroutinen", die durch die "originären Eigenschaften des Mediums" geprägt sind.
Schaut man sich in der ARD/ZDF-Onlinestudie die Fernsehnutzungsformen bei den 14- bis 29-Jährigen an, so ist erkennbar, dass auch hier die klassische, lineare Fernsehnutzung führend ist, aber die Online-Nutzung von Bewegtbildern, die nicht von Fernsehsendern stammen, deutlich ausgeprägter ist als bei der Gesamtbevölkerung. Die klassische, lineare Fernsehnutzung liegt bei den 14- bis 29-Jährigen bei 126 Minuten pro Tag (79 %). Hinzukommen 2 Minuten (1 %) zeitversetztes Fernsehen und 32 Minuten (20 %) Online-Nutzung von Fernsehsendungen und Videos anderer Anbieter via Internet. Die 32 Minuten Online-Nutzung teilt sich in 11 Minuten Fernsehinhalte und 21 Minuten sonstige Bewegtbildinhalte auf.
Schon heute ist zu beobachten: "Das Verständnis von Fernsehen ändert sich, nicht nur, weil Fernsehen über neue Zugangswege (IP-Protokoll) und auf weiteren Plattformen angeboten wird", sondern auch weil Video-Sharing-Plattformen, Online-Videotheken oder Websites mit Bewegtbildern "ausgebaut werden und sich damit Fernsehsendungen und weitere Inhalte sozusagen ‚fernsehlike‘ vermischen". So gesehen ist das „Internet an sich keine Konkurrenz zum Fernsehen, sondern vielmehr kommt über einen neuen Zugangsweg eine weitere Nutzungsoption für das Fernsehen komplementär hinzu“. Konkurrierend ist also nicht der Zugangsweg, sondern die Angebotsvielfalt. Entsprechend muss auch der Fernsehbegriff – wie Beate Frees richtig konstatiert – der Angebotsvermehrung Rechnung tragen und erweitert werden: Fernsehen meint heutzutage das Anbieten und Nutzen von Bewegtbildern, unabhängig davon, ob sie von einem Fernsehsender stammen, oder auf welchem Endgerät sie übertragen werden.
QuellentextFazit
Wenn man den Fernsehbegriff um professionell produzierte Inhalte erweitert, dann schauen die Zuschauer von heute demnach nicht weniger, sondern diversifizierter fern – in Summe wird mehr ferngesehen.
So betrachtet bricht mit den neuen Bewegtbildangeboten und Inhalteproduzenten jenseits klassischer Fernsehsender gerade erst "das Goldene Zeitalter des Fernsehens" an. Schließlich erlebt Fernsehen – wie Jeff Bewkes, Präsident und COO von Time Warner ausführt, – "eine der erstaunlichsten Wachstumsgeschichten […], und zwar in jedem einzelnen Land. Es gibt keinen Teil des Fernsehgeschäfts, der nicht wächst: die Produktionen, die Zahl der Sender, die Zeit, die die Menschen mit Fernsehen verbringen, die Vielfalt der Programme, die Werbegelder und die Geräte, auf denen man fernsehen kann."
Was zukünftig weiter beobachtet werden muss, ist der Wandel im Mediennutzungsverhalten, der sich heute bereits bei den 14- bis 29-Jährigen abzeichnet. Danach befragt, ob sich der Konsum von Programmen von Fernsehsendern verändert hat, seitdem es Videoportale wie YouTube gibt, gibt laut ARD/ZDF-Onlinestudie (2014) jeder Dritte (33 %) der 14- bis 29-Jährigen an, weniger klassisches Fernsehprogramm zu sehen; für 52 % hat sich nichts geändert, 10 % der unter 30-Jährigen schaut mehr klassische Fernsehsendungen. Diese Selbsteinschätzung der Befragten macht die Wettbewerbssituation zwischen den Programmen von Fernsehsendern und denen von Video-Sharing-Plattformen deutlich und zeigt, dass die Angebote der klassischen Fernsehsender im Aufmerksamkeitsranking bei unter 30-Jährigen offenbar unter Druck geraten sind.
Auch wenn sich mit dem Aufkommen von Video-Sharing-Plattformen (die ARD/ZDF-Onlinestudie verwendet hierfür die Bezeichnung "Videoportale") die Nutzungsgewohnheiten – zumindest bei der jungen Altersgruppe – verschieben, so ist dennoch nicht davon auszugehen, dass klassisches Fernsehprogramm damit obsolet wird. Gerade was die Internet- und Interaktionsmöglichkeiten am smarten Fernsehgerät angeht, bleibt abzuwarten, in welchem Umfang diese tatsächlich von den Zuschauern angenommen und genutzt werden. Wie oben bereits dargestellt wurde, ist die Anschlussquote von Smart-TV-Geräten ans Internet derzeit noch sehr gering: In nur 9,5 % der deutschen Haushalte, die über Smart-TV-Geräte verfügen, ist das Gerät tatsächlich auch mit dem Internet verbunden.
Funktionen von Video-Sharing-Plattformen und Fernsehprogrammen für den Zuschauer
Danach befragt, aus welchen Motiven heraus Fernsehprogramme und Videoportale geschaut und welche Funktionen ihnen jeweils zugeschrieben werden, geben in der ARD/ZDF-Onlinestudie (2014) die Probanden (Onlinenutzer ab 14 Jahren) an, mit Fernsehprogramm folgende Funktionen zu verbinden:
Verlässlichkeit der Sendezeit (32 %),
Information (27 %),
Gesprächsstoff (15 %),
Entspannung (14 %) und
Alltagsnützlichkeit (13 %)
Vergleiche hierzu auch die folgende Abbildung:
Mit der Nutzung von Videoportalen hingegen verbinden die Nutzer u.a. folgende Funktionen:
Uneingeschränkte Verfügbarkeit (39 %),
Humor (22 %),
Angebotsbreite (21 %),
Entspannung (16 %) und
Information (15 %)
Vergleiche hierzu auch die folgende Abbildung:
Beim Fernsehprogramm ist das Informationsmotiv nach der Verlässlichkeit der Sendezeiten also der Bereich, der die zweithöchste Zustimmung erlangt. Bei Videoportalen rangiert nach der uneingeschränkten Verfügbarkeit der Humor als wichtigstes Nutzungsmotiv. Welche Bewegtbildformen für den Zuschauer als ‚besser‘ bewertet werden, hängt letztendlich also davon ab, was seine konkreten Nutzungsmotive besser befriedigen kann.
Bemerkenswert sind allerdings die Zahlenwerte der 14- bis 29-Jährigen: 35 % von ihnen sagen, dass Videoportale eine echte Alternative zu klassischem Fernsehen darstellen (bei der Gesamtstichprobe der Onlinenutzer ab 14 Jahren liegt der Wert bei nur 16 %). Neben der Angebotsbreite (42 %), Humor (42 %) und Entspannung (33 %) sind Videoportale für sie Gesprächsstoff (25 %) und dienen auch der Information (23 %).
Die Konvergenz der Technologien und Endgeräte und der Umstand, dass Fernsehen heutzutage nicht nur klassisches Fernsehprogramm von Fernsehsendern meint, sondern auch die Bewegtbilder von Video-Sharing-Plattformen, Online-Videotheken oder Websites umfasst, haben Auswirkungen auf die rechtlichen Regulierungsfragen. Besonders offensichtlich wird der Bedarf nach einer Neujustierung der bisherigen Medienregulierung, wenn man sich vor Augen führt, dass am Smart-TV-Gerät zwei Medienformen (Rundfunk und Internet) in einem Endgerät verschmelzen, für beide aber eine unterschiedliche Regulierungsdichte gilt. Die Regulierung von Rundfunkinhalten ist bisher wesentlich strikter angelegt als die Regulierung von Internetinhalten. Besonders betroffen sind die Werberichtlinien, der Jugendschutz und der Datenschutz.
Im klassischen Fernsehen sind die Dauer und die Frequenz von Werbeunterbrechungen durch den Rundfunkstaatsvertrag streng geregelt und eingeschränkt. Bei öffentlich-rechtlichem Fernsehen darf die Gesamtdauer von Werbung höchstens 20 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt betragen. Auch dürfen nach 20 Uhr und an Sonn- und Feiertagen keine Werbesendungen ausgestrahlt werden (§ 16, Abs. 1, Rundfunkstaatsvertrag 2013). Für private Rundfunkanbieter gilt die 12-Minuten-Regel: Der Anteil an Fernsehzeit für Werbespots und Teleshopping-Spots darf innerhalb einer Stunde nicht mehr als 12 Minuten betragen (§ 45, Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag 2013). Im Internet hingegen gibt es keine Auflagen hinsichtlich des zeitlichen Einsatzes und der Dauer von Werbung.
Auch beim Jugendschutz liegt eine regulatorische Ungleichbehandlung von Fernsehen und Internet vor: Im frei empfangbaren Fernsehen dürfen z. B. sog. "relativ unzulässige Inhalte – wie etwa einfache Pornografie" – nicht ausgestrahlt werden, im Internet jedoch schon, wenn der Anbieter sicherstellt, dass ausschließlich Erwachsene zu den Inhalten Zugang erhalten. In der Praxis geschieht dies über Altersverifikationssysteme. Im Rundfunk sind Inhalte gemäß § 4 Abs. 2 JMStV (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) dagegen grundsätzlich unzulässig.
Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Ausstrahlung von altersbeschränkten Filmen ein. Im frei empfangbaren Fernsehen können Filme mit einer Altersfreigabe von 16 Jahren erst nach 22:00 Uhr ausgestrahlt werden. Eine Verbreitungsbeschränkung gilt zwar auch für das Internet (so ist es im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zumindest festgelegt), wobei diese aber "aufgrund der riesigen Menge und den vielen ausländischen Angeboten eine mehr theoretische Regelung" ist. Auch hier stellt "sich die Frage nach der weiteren Sinnhaftigkeit der traditionellen regulatorischen Ungleichbehandlung", wenn doch die unterschiedlichen Bestimmungen durch Zusammenführung zweier Medien in einem Endgerät umgangen werden können.
Hinzukommen Datenschutz-Problematiken, die im traditionellen, linearen Fernsehen bislang keine Rolle gespielt haben. Durch die Kombination von Fernsehempfang und Internetverbindung am smarten Fernsehendgerät kann das individuelle Nutzungsverhalten über den Rückkanal erfasst und ausgewertet werden. Fernsehsender, Gerätehersteller wissen nun, wann der Fernsehzuschauer umschaltet, parallel im Internet surft, oder sich über den Red-Button Waren bestellt. "Während das Erstellen und Auswerten von Nutzungsprofilen (Tracking) im Online-Bereich üblich ist, erwartet es der Fernsehzuschauer […] bis dato nicht". Auch hier wird über regulatorische Maßnahmen beraten werden müssen, auch wenn der Verein Deutsche Plattform-TV, in welchem u. a. Fernsehgerätehersteller und TV-Sender Mitglieder sind, jüngst im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle Leitlinien zum verantwortlichen Umgang mit Daten auf Smart-TV beschlossen hat.
Regulatorische Herausforderungen
Die medienpolitische Debatte über die regulatorischen Herausforderungen steht erst noch am Anfang. Die bisher geltende Regulierung wurde in der Audiovisuellen Medienrichtlinie der EU festgelegt und im Jahr 2010 durch den 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RStV) in deutsches Recht übertragen. Sie richtet sich nach technologischen Verbreitungswegen und unterscheidet zwischen linearen Diensten (über Rundfunk verbreitete Inhalte) und nicht-linearen Diensten (über Internet verbreitete Inhalte). Für diese gilt, wie oben bereits beschrieben wurde, eine abgestufte Regelungsdichte.
Mittlerweile ist die zuständige Europäische Kommission jedoch der Überzeugung, dass in Zeiten der fortschreitenden Konvergenz von Rundfunk und Internet eine regulatorische Trennung nach linearen und nicht-linearen Verbreitungswegen nicht mehr zeitgemäß ist und ein technologieneutraler und inhaltsorientierter Ansatz gefunden werden muss. Sie veröffentlichte im April 2013 ein sog. "Grünbuch" ("Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte"). Hierbei handelt es sich um ein Diskussionspapier, mit dem Ziel, im Dialog mit den Mitgliedstaaten einen Regulierungsrahmen zu entwickeln, der der Konvergenz der Medientechnologien Rechnung trägt. Nach der Veröffentlichung des Grünbuchs wurden in der Mitgliederstaaten ausgewählte Interessenvertreter (u. a. Rundfunkanbieter, Netzbetreiber, Kinderschutzvereinigungen, Digital- und Internetfirmen, Behörden) konsultiert und von der EU-Kommission gebeten, Stellungnahmen zu den im Grünbuch formulierten Fragen abzugeben. Eine Zusammenfassung der eingegangenen Stellungnahmen veröffentlichte die Kommission im September 2014. Darin wird deutlich, dass die Akteure ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, und die Empfehlungen an die EU-Kommission äußerst divergent ausfallen.
Dies zeigt sich allein schon in den Stellungnahmen der deutschen Akteure. Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), in welchem u.a. die Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1 vertreten sind, fordert die EU-Kommission auf, die an den technischen Übertragungsweg regulatorisch gekoppelte Trennung in lineare und nicht-lineare Dienste künftig aufzugeben. Insbesondere spricht er sich für eine Deregulierung der Werbung aus, so dass Rundfunkanbieter an Smart-TV-Geräten nicht länger durch quantitative Beschränkungen benachteiligt werden. Diese Forderung resultiert daraus, dass der private Rundfunk sich schließlich in der Hauptsache über Werbung finanziert und die bisherige regulatorische Ungleichbehandlung zwischen Rundfunk und Internet aus seiner Perspektive eine Wettbewerbsverzerrung darstellen muss. Auch in puncto Jugendschutz fordert der VPRT eine Deregulierung. Es solle, unter Beibehaltung von gewissen Mindeststandards, nur reguliert werden, "wo dies zwingend erforderlich ist". Neue Regulierungsmodelle müssten auf einem freiwilligen Ansatz beruhen und das Instrument der Selbstregulierung nutzen.
Ganz anders positionieren sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter. Sowohl die ARD als auch das ZDF sprechen sich in ihren Stellungnahmen dafür aus, weiterhin zwischen linearen und nicht-linearen Angeboten mit abgestufter Regulierungsdichte zu unterscheiden. Dreh- und Angelpunkt ihrer Argumentation ist, dass – trotz zunehmender Konvergenz – auch in Zukunft die lineare Fernsehnutzung „einen sehr hohen Stellenwert“ einnehmen und für die öffentliche Meinungsbildung eine zentrale "Orientierungs- und Leitfunktion" wahrnehmen werde. Somit müsse die regulatorische Ungleichheit zwischen Rundfunk- und Internetangeboten weiterhin aufrechterhalten werden. Hinsichtlich der bisherigen Werberegulierung erkenne man zwar an, dass eine zeitliche Beschränkung auf die 12-Minuten-Regel in Zeiten von Video-On-Demand nicht mehr sinnvoll ist, zugleich macht zumindest die ARD in ihrer Stellungnahme unmissverständlich deutlich, dass eine zeitliche oder wie auch immer geartete Einschränkung der Werbung im Umfeld von redaktionellen Inhalten als unabdingbar angesehen wird. Ökonomisch betrachtet ist das Festhalten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter an den strengen Werberichtlinien einfach zu erklären. Sie, die durch Gebühren subventioniert werden, haben keinerlei Nutzen von einer Deregulierung. Im Gegenteil: Eine Deregulierung würde ihre Wettbewerber, die Privaten, die sich durch Werbung finanzieren, nur weiter stärken und deren Erlösmöglichkeiten steigern.
In Sachen Jugendschutz sprechen sich die Öffentlich-Rechtlichen dafür aus, bisherige Regelungen der Audiovisuellen Medienrichtlinie neu zu justieren, da durch die Möglichkeiten eines Rückkanals bei konvergenten Endgeräten auch neue Gefahren lauerten. Keinesfalls dürfte es dabei aber zu einer Absenkung des strengen Jugendschutzniveaus kommen, das für lineare Dienste gelte. Vielmehr solle das hohe Jugendschutzniveau für lineare Inhalte der Maßstab für die Entwicklung von neuen Schutzstandards in konvergenten Welten sein.
Auch der deutsche Bundesrat beschloss am 5. Juli 2013 eine Stellungnahme mit folgenden zentralen Eckpunkten: Er spricht sich für die Einführung "gemeinsamer Regeln für die Inhalte unabhängig von der technischen Verbreitung" aus, befürwortet eine Deregulierung der quantitativen Werberegeln und "strebt den Erhalt der hohen Standards beim Jugend-, Daten- und Verbraucherschutz an, wie er heute im Bereich der linearen Medien eine Selbstverständlichkeit ist." Damit nimmt er zentrale Forderungen sowohl der Privaten als auch der Öffentlich-Rechtlichen auf.
Ausblick
Das Verständnis von Fernsehen ändert sich in Zeiten, in denen Programme von Fernsehsendern Konkurrenz durch Videoportale, Streamingdienste, Onlinevideotheken etc. bekommen haben. Diese neue Angebotsvielfalt hat, wie die ARD/ZDF-Onlinestudie 2014 zeigt, erste Auswirkungen auf das Mediennutzungsverhalten, vor allem bei den Jüngeren.
Beate Frees geht davon aus, dass sich der Wandel "langsam bzw. im Wechsel der Generationen" fortsetzen wird, eine radikale Entwicklung, die in der Substitution von klassischem Fernsehprogramm gipfelt, ist aber nicht zu erwarten. Birgit Stark zufolge sind "Fernsehnutzungsgewohnheiten einem beständigen Wandel, aber keiner radikalen Veränderungen" unterlegen. Den "Hype um den interaktiven Zuschauer" sieht sie daher kritisch und als "technologisch konstruiert". Vom Zuschauer gelernte Funktionen des klassischen Fernsehens, wie die Alltagsstrukturierung durch die von Sendern vorgegebene Programmabfolge, würden von Vertretern, die eine Revolution im Fernsehmarkt erwarten, außer Acht gelassen.
Von einer tiefgreifenden Veränderung des Fernsehmarkts geht hingegen die Prognose einer führenden Beratungsgesellschaft aus: Ihr zufolge würde es in wenigen Jahren nur noch wenige große Sender geben, die klassisches, lineares Programm anbieten, während kleinere Sender aus dem Markt gedrängt und ganz auf den Online-Bereich umsteigen würden. Da zukünftig deutlich weniger Zuschauer klassisches Fernsehen konsumierten, so die Annahme, müssten sie von den Sendern daher mit besonderen Qualitätsprogrammen hofiert werden. So betrachtet würde das Internetfernsehen in der Tat auf ganzer Linie einen Gewinn für den Zuschauer darstellen, da es nicht nur eine Fülle an neuen Online-Angeboten liefert, sondern durch die Wettbewerbssituation auch dazu beiträgt, das ‚alte‘ Fernsehen der Fernsehsender weiterzuentwickeln.
Zum Weiterlesen auf bpb.de
Deutsche Fernsehgeschichte in Ost und West
Neue Angebote und Verbreitungswege
Start des digitalen Fernsehens
Internetfernsehen
Jürgen Wilke: Ausblick: Das Mediensystem im Umbruch, aus: Dossier "Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde"
Felix Hügel: Radio zum Sehen und Vorbeikommen, aus Dossier "Hörfunker"
Dr. Claudia Gerhards ist Professorin für Kommunikation und Multimedia am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Düsseldorf. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsleiterin, Producerin und Formatentwicklerin für verschiedene Fernsehproduktionsfirmen. Sie ist Jurorin des Deutschen Radiopreises (in den Jahren 2012 und 2013) und des Adolf Grimme Preises (2007). Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich Web TV, Unterhaltungsformate und Transmedia, zuletzt: Nonfiction-Formate für TV, Online und Transmedia. Entwickeln, präsentieren, verkaufen. Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft 2013.
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