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Medien und Gesellschaft im Wandel | Medienpolitik | bpb.de

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Medien und Gesellschaft im Wandel

Heinz Bonfadelli

/ 18 Minuten zu lesen

Medienwandel und Medienkrise können zu Skandalisierung, Moralisierung und Personalisierung in der Berichterstattung führen. Trägt Mediennutzung zur Informiertheit aller bei oder profitieren die besser Gebildeten stärker? Wie werden die alten und neuen Medien genutzt?

Der Schatten eines Fernsehkameramanns. (© picture-alliance)

Einleitung

Der Beitrag befasst sich mit den Leistungen der Interner Link: Massenmedien für Gesellschaft und Interner Link: Demokratie. Im Kontext von Medienwandel und Medienkrise werden Veränderungen im Journalismus wie Kommerzialisierung und Orientierung am Massenpublikum, aber auch die verstärkte Skandalisierung, Moralisierung und Personalisierung in der Politikberichterstattung thematisiert. Vor diesem Hintergrund wird zum einen nach Möglichkeiten der Sicherstellung von Medienqualität und zum anderen nach dem Potential von Internet und Interner Link: Social Media gefragt.

Abschließend stehen die Bürger der Zivilgesellschaft als Mediennutzer im Zentrum: Wie nutzen sie die alten und neuen Medien? Trägt Mediennutzung zur Informiertheit aller bei oder profitieren die besser Gebildeten stärker? Weitere Fragestellungen sind: Begünstigen die Medien Wandel oder Stabilität in der Gesellschaft? Hat die gestiegene Informationsflut tendenziell eine Fragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft zur Folge?

Gesellschaftliche Erwartungen und mögliche Leistungen der Massenmedien

Massenmedien wie Presse, Radio und Fernsehen sowie das Internet und Social Web leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren der Demokratie. Davon gehen Politiker im Allgemeinen und Medienschaffende im Speziellen, aber auch die Öffentlichkeit aus. Massenmedien sollen sowohl zur Stabilität wie auch zum Wandel der Gesellschaft beitragen.

Nach Meinung des Soziologen Niklas Luhmann ermöglichen Medien die Selbstbeobachtung der Gesellschaft:

  • Medien als "Fenster zur Welt" wählen relevante Themen für die Öffentlichkeit aus und stellen sie bereit.

  • Medien liefern den Bürgern Argumente für und gegen umstrittene Themen.

  • Medien recherchieren das für die Entscheidungsbildung notwendige Hintergrundwissen, bereiten es verständlich auf und machen es breit verfügbar.

Als Folge dieser Medienleistung werden Argumente zu aktuellen Fragen in der Öffentlichkeit ausgetauscht, diskutiert und kritisch hinterfragt. Durch die Nutzung der Medien beteiligt sich die Bevölkerung an den gesellschaftlich aktuellen Themen und Problemen. Dadurch erhöht sich der Wissensstand aller. Darüber hinaus erhofft man sich, dass auch Minderheiten wie Migranten durch die Medien in die Gesellschaft integriert werden. Durch die Medienberichterstattung könnten sich soziale Vorurteile und vielleicht sogar Diskriminierungen gegenüber Minderheiten abschwächen.

Massenmedien leisten für die Gesellschaft unverzichtbare Funktionen:

Funktionen der Medien für die Gesellschaft I. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Funktionen der Medien für die Gesellschaft (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/


Interner Link: Hier finden Sie beide Grafiken zum Download.

  1. Die Vermittlung von Information und Hintergrundwissen über aktuelle Ereignisse und relevante Themen (Stichwort: Interner Link: Agenda-Setting), aber auch einen Beitrag zur Bildung und kulturellen Entfaltung.

  2. Bürger, aber auch Politiker der Interner Link: Legislative wie Mitglieder der Regierung sowie weitere politische Akteure (z. B. Interner Link: Nichtregierungsorganisationen = NGOs) und solche aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft äußern ihre Interessen, Meinungen und Argumente zu politischen und gesellschaftlichen Fragen via Medien (Stichwort: Framing ). Die Medien selbst stellen für diese Akteure eine öffentliche Arena bzw. Plattform zur Verfügung. Sie ermöglichen so die Entstehung und Abstimmung von Meinungen durch eine sachgerechte Darstellung der bestehenden Meinungsvielfalt.


  3. Darüber hinaus kommt den Medien im Sinne einer sog. "Vierten Gewalt" aber auch eine unabhängige und im Idealfall verantwortungsbewusst wahrgenommene Kontroll- und Kritikfunktion zu: Über Recherchen sollen quasi stellvertretend für die Zivilgesellschaft die "Mächtigen" in der Gesellschaft kontrolliert und allfällige Missstände aufgedeckt werden.


  4. Schließlich wird den Medien zukunftsorientiert eine Frühwarnfunktion zugeschrieben: Sie sollten frühzeitig auf problematische Entwicklungen wie beispielsweise die Klimaerwärmung aufmerksam machen, sodass gesellschaftliche Lernprozesse stattfinden können (vgl. Grafiken oben und nachfolgende Übersicht).


Funktionen der Medien für die Bereiche der Gesellschaft

Information als "Fenster zur Welt" → transparente öffentliche Arena
Politik Wirtschaft Kultur - Soziales
Öffentlichkeit herstellenKonsuminformationOrientierung und Lebenshilfe
Artikulation von MeinungenWarenzirkulationSozialisation: Werte & Normen
Kontrolle und KritikBeschäftigung sichernIntegration in Gesellschaft
FrühwarnfunktionWertschöpfung z. B. in der MedienbrancheBildung und kulturelle Entfaltung
Partizipation & AktivierungUnterhaltung und Entspannung

Diese Erwartungen an die öffentlichen Massenmedien sind Idealvorstellungen, welche als wünschbare Leistungen gefordert werden. Sie sind in der Realität aber immer nur teilweise umgesetzt, was sich immer wieder in Medienkritik und Medienschelten äußert. Anstelle von transparenter Meinungsvielfalt kann speziell in autoritären Gesellschaften mit eingeschränkter Medienfreiheit die Meinung von Regierung oder mächtigen Gruppen als uniforme Mehrheitsmeinung unhinterfragt in den Medien dominieren (z. B. Russland oder China).

Aber auch für Medien in Demokratien stellt sich die Frage, ob und wie stark sich diese konkret für mehr oder weniger Gleichheit in der Gesellschaft einsetzen. Denn anstelle von Beiträgen zur Integration und Solidarität bezüglich Migranten oder anderen Minderheiten können Medien durch pauschalisierend negative Berichterstattung zur Stereotypisierung beitragen und Diskriminierung verstärken. Schließlich besteht immer auch die Gefahr, durch einseitig moralisierende Darstellungen Einzelpersonen oder gesellschaftliche Gruppen ungerechtfertigt in Verruf zu bringen. Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung zeigen, dass Migranten und speziell Muslime in den Medien tendenziell wenig vorkommen, und wenn, dann stereotyp und negativ dargestellt werden .

Medienwandel und Medienkrise

Jüngste Entwicklungen im Medienbereich geben Anlass zur Sorge, dass die Qualität der Medienberichterstattung in Gefahr ist. Warnende Stimmen sprechen sogar von einer Medienkrise . Im Printbereich wie im Rundfunk ist bei den Medienkonzernen seit längerem eine wachsende Medienkonzentration im Gange: Große Medienkonzerne werden immer dominanter. Parallel dazu verschieben sich die Werbeausgaben von der Presse ins Internet und die Zeitungsnutzung ist rückläufig. Auf der Ebene der Medienorganisationen hat dies nicht zuletzt zur Entlassung von Medienschaffenden, zur Verkleinerung der Redaktionen und zur Schaffung von kostengünstigeren Interner Link: Newsrooms geführt. Im Nachrichtenraum erfolgt die gemeinsame Produktion der Inhalte für die Print-Ausgabe und das Online-Angebot. Die Journalisten schreiben somit einen Artikel nicht mehr nur für die Zeitung, sondern erstellen gleichzeitig auch Online-Versionen oder Radio- bzw. TV-Beiträge. Dies hat nicht zuletzt zu einer Erhöhung des Zeitdrucks der journalistischen Arbeit geführt.

Aber die Medienkrise ist nicht nur eine Finanzierungskrise, auch der Journalismus ist inhaltlich betroffen. Die Kommerzialisierung hat nicht nur zu einer Abnahme der Medienvielfalt geführt, sondern der wirtschaftliche Druck äußert sich ebenso in einer verstärkten externen Einflussnahme von Interner Link: Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) auf die Berichterstattung etwa als Gefälligkeitsjournalismus. Durch die Verwischung der Grenzen zwischen redaktionellem und Werbeteil (Stichwort: native advertising) wird die journalistische Unabhängigkeit gefährdet.

Als Folge der Ökonomisierung sind zudem eine verstärkte Orientierung am Publikum und dessen Wünschen zu konstatieren. Information und Unterhaltung sowie Öffentliches und Privates etwa von Politikern werden in der Berichterstattung vermischt, um diese interessanter zu machen. Die Medienkritik fokussiert hier unter den Stichworten "Personalisierung"und "Infotainment" zum einen auf die Boulevardpresse und zum anderen auf den Privatrundfunk. Beiden wird Populismus und mangelnde Unabhängigkeit sowie ein generell tiefes Qualitätsniveau vorgeworfen.

InfokastenInfotainment / Personalisierung

Die Vermischung von informierenden und unterhaltenden Formaten des Fernsehens wird als Infotainment bezeichnet. Der erste Teil des Wortes stammt von "Information", der zweite Teil leitet sich aus dem angloamerikanischen Begriff "Entertainment" (= Unterhaltung) ab. In der Regel wird damit die Tendenz beschrieben, z. B. in Nachrichtensendungen immer mehr "weiche" Themen wie Meldungen über Prominente aufzunehmen. Infotainment bezeichnet auch die zunehmende Emotionalisierung und Personalisierung von Nachrichten, wobei letzteres die Ausrichtung auf eine bestimmte Person (Moderator, "Anchorman") bedeutet.

Quelle: Tele-Visionen: Glossar medienwissenschaftlicher Fachbegriffe

Analysen der Medienberichterstattung erkennen und kritisieren insbesondere einen Wandel der sog. Medien-Logik, d. h. der Art und Weise, wie Medien Ereignisse und Themen selektiv auswählen und darüber berichten: Der Journalismus, aber auch Public Relations, würden immer mehr Ereignisse als Media-Events selber inszenieren und fokussierten immer stärker auf Skandalisierung und Moralisierung einerseits sowie Personalisierung, Emotionalisierung und Intimisierung andererseits. Dabei würde bewusst das Bedürfnis des Medienpublikums nach Neugier und Voyeurismus bedient und bewirtschaftet im Sinne der Steigerung von Auflagen und Reichweiten.

Umgekehrt wird unter dem Stichwort Interner Link: Medialisierung diskutiert, dass nicht nur die Politik, sondern auch die übrigen Bereiche der Gesellschaft wie auch die Wissenschaft sich der Medien-Logik anpassen würden .

Medienqualität zwischen Anspruch und Realität

Die vielfach geäußerte Kritik an den oben genannten (Fehl-)Entwicklungen im Journalismus hat Forderungen nach verstärkter Selbstregulierung und nach mehr medienpolitischer Fremdkontrolle zur Sicherstellung von Medienqualität Auftrieb gegeben. Dies hat in der Kommunikationswissenschaft zur Definition und Messung der Qualität von Medienangeboten als Forschungsthema geführt . Auch die Landesmedienanstalten begannen Studien zur Qualität der privaten TV- und Radioprogramme in Auftrag zu geben .

Die Diskussion über Medienqualität ist aber nichts Neues. Immer wieder streiten Journalisten, Politiker und das Medienpublikum kontrovers über die Qualität:

  • von Mediengattungen wie Boulevardpresse oder Privatfernsehen,

  • einzelner Programme bzw. Formate wie Reality-TV oder

  • einzelner Sendungen wie etwa der neue Polit-Talk "Absolute Mehrheit" von Stefan Raab vom 11. November 2012.

Infokasten"Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen"

Politische Talkshow mit Stefan Raab. "Fünf Gäste diskutieren über drei Themen und die Zuschauer entscheiden, wer die besten Argumente hat. Schafft es ein Talkgast die absolute Mehrheit hinter sich zu versammeln, gewinnt er 100.000 Euro!", so die ursprüngliche Eigenwerbung bei ProSieben Ende 2012. Nach sechs Folgen von November 2012 bis September 2013 wurde die Sendung wegen stark sinkender Quoten nicht mehr ausgestrahlt.

In solchen Debatten zur Medienqualität wird dabei auf positive Kriterien wie objektiv, sachgerecht, relevant, professionell, unabhängig, verständlich etc. verwiesen oder negativ mangelnde Professionalität, Subjektivität, Arroganz, Einseitigkeit, Realitätsverzerrung, Oberflächlichkeit u.a.m. kritisiert.

Bei der Ermittlung von Medienqualität werden einzelne Dimensionen etwa von TV-Nachrichten mittels Inhaltsanalyse gemessen und mit Qualitätsstandards verglichen. Was normativ unter Nachrichten- bzw. Medienqualität verstanden wird, kann aber unterschiedlich definiert und begründet werden. In der Regel werden solche Qualitätsdimensionen wie in Deutschland unter Rückgriff auf Interner Link: Art. 5 des Grundgesetzes und die entsprechenden Landespressegesetze abgeleitet.

Schatz/Schulz formulierten schon 1992 folgende 5 Qualitätsdimensionen für TV-Programme :

  1. Vielfalt von Angeboten bezüglich Formaten, Themen Regionen, Gruppen, Interessen und Quellen

  2. Relevanz der Themen für Individuen, Gruppen und Gesellschaft

  3. Professionalität der Inhalte und Gestaltung etwa bezüglich Sachgerechtigkeit und Unparteilichkeit

  4. Akzeptanz durch die Zuschauer

  5. Rechtmäßigkeit als Einhalten der entsprechenden journalistischen Normen und Mediengesetze, wie z. B. Jugendschutz.

Das magische Vieleck der Medienqualität

Magisches Vieleck der Medienqualität (Interner Link: Grafik zum Download) Bitte klicken Sie auf das Bild, um die Grafik zu öffnen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/


Parallel dazu formulierte Russ-Mohl sein Qualitätsmodell, nach dem sich qualitativer Journalismus zu orientieren habe an:

  1. Aktualität

  2. Komplexitätsreduktion

  3. Objektivität

  4. Transparenz und Reflexivität

  5. Originalität.

Der Vergleich der beiden Ansätze zeigt, dass Qualitätsmaßstäbe im Journalismus von verschiedenen Faktoren abhängig sind :

  1. Medium (Rundfunk vs. Presse),

  2. Periodizität (tagesaktueller vs. wöchentlicher Journalismus),

  3. Genre (Nachricht, Bericht, Reportage, Kommentar),

  4. Funktion (Information vs. Unterhaltung) und

  5. Selbstverständnis der Journalisten (objektiver Vermittler, Anwalt, Erklärer), aber auch

  6. vom Publikum als Zielgruppe (z. B. Bildung).

Mittlerweile sind zur Medienqualität verschiedene empirische Studien durchgeführt worden . Die Informationssendungen des öffentlichen Rundfunks schneiden dabei besser ab als jene des Privatrundfunks, insofern etwa ARD und ZDF u. a. mehr Nachrichten, einen höheren Politikanteil, eine breitere Themenvielfalt und mehr Themen mit gesellschaftlicher Relevanz aufweisen.

Und die Diskussion in der Kommunikationswissenschaft befasst sich nicht mehr nur mit der Frage nach der Messung, sondern zunehmend mit dem Problem der (nachhaltigen) Sicherstellung von Medienqualität im Rahmen des redaktionellen Managements . Stichworte hierzu sind: Vorhandensein publizistischer Leitlinien, Factchecking und Gegenlesen, Blatt- bzw. Sendekritik, institutionalisierte Weiterbildung etc.

Internet und Web 2.0 als Alternativen

Statt Bevormundung des Publikums zum Mitgestalten auffordern – etablierte Medien haben begonnen, Möglichkeiten anzubieten. (© Photocase/chriskuddl | ZWEISAM)

Während die Bemühungen um Medienqualität auf bestehende Medienangebote von Presse und Rundfunk zielen, verstärkte sich in den letzten Jahren die grundsätzliche Kritik an den klassischen Massenmedien durch Anhänger und Vertreter der sog. Neuen Medien . Für sie beschränkt der Journalismus der klassischen Medien die Meinungsfreiheit grundsätzlich und bevormundet das Publikum. Nach ihrer Meinung bietet sich das Internet wegen seiner Interaktivität an, wobei das Interner Link: Social Web mit seinen Diskussionsforen, Blogs und Twitter neue Möglichkeiten für alle Nutzer bereitstelle und so die Öffentlichkeit transparenter und egalitärer mache. Die "Konsumenten" der klassischen Medien werden dabei unter dem Stichwort "Produser" zu Produzenten in der Internetsphäre.

Allerdings werden diese Hoffnungen auf verstärkte Partizipation der Bürger durch das Internet kontrovers diskutiert . Betont wird etwa, dass auch im Internet die etablierten politischen Akteure – Stichwort "Twitter" – und die mächtigen Wirtschaftsorganisationen dominieren würden. Zudem zeichnet die bisherige empirische Forschung ein eher ernüchterndes Bild, und zwar sowohl was die Qualität der Beiträge anbelangt als auch die politikorientierte interaktive Nutzung des Internets. Obwohl nach der neuesten ARD/ZDF-Onlinestudie 59 % der Onliner mindestens einmal wöchentlich Artikel und Berichte im Internet lesen, geben nur 12 % der Onliner an, an Internetforen teilzunehmen, und nur 8 % nutzen mindestens einmal pro Woche Blogs, also Weblogs von Bloggern. Darüber hinaus werden unter dem Stichwort "Shitstorms" auch Schattenseiten des Social Web diskutiert , insofern zu Reizthemen wie Flüchtlinge, Gleichstellung, Homo-Ehen etc. "mitunter hochemotionale Reaktionen auslösen und eine echte Debattenkultur vermissen lassen". Solche Netzdebatten erwecken den Eindruck, dass es weniger um einen konstruktiven Dialog mit gegenseitiger Kenntnisnahme der Argumente geht, sondern oft nur um Skandalisierung und Moralisierung mittels verbaler Scharmützel.

Vergleich zwischen klassischem und Internet-Journalismus

Zudem haben die klassischen Medien unter dem Stichwort Interner Link: Bürgerjournalismus begonnen, ihre Nutzer zu aktivieren und stärker zu beteiligen (siehe nachfolgende Übersicht). Neue Partizipationsformen werden angeboten: Fotos, Filme und Textbeiträge können über Internet und Handy zugemailt und in den redaktionellen Teil integriert werden. Darüber hinaus recherchieren die professionellen Journalisten heute selber verstärkt im Internet und nutzen die laufenden Diskussionen in den Foren als Input für ihre eigene Arbeit. Im Folgenden wird der Journalismus in den klassischen Medien (Presse und Rundfunk) mit den neuen Möglichkeiten der Partizipation im Internet verglichen:

Vergleich zwischen klassischem und Internet-Journalismus

Klassische Medien Internet und Social Web
Tagesaktualitätkontinuierliches Updating möglich
explizite QualitätsstandardsInfo-Qualität unklar, nicht transparent
auf Dauer gestellte professionelle Leistungspontan von "unabhängigen Laien" erbracht
strukturiertes Angebotzugangsoffene egalitäre Vielfalt
Einseitigkeit der Massenkommunikationzweiseitiger interaktiver Austausch
Rollentrennung: Journalist – RezipientRollenwechsel: Produzent – User als Produser
Push-Situation: Medien bieten Infos anPull-Situation: Nutzer müssen aktiv Info suchen
Nutzung tendenziell passiv-rezipierendNutzung aktiv → interaktiv → partizipativ
kaum Zugangsbarrierendigitale Zugangsklüfte und Fragmentierung

Allerdings ist nicht immer klar, was genau unter Bürgerjournalismus zu verstehen ist:

Das Phänomen hat vielfältige Facetten und der Begriff wird dementsprechend uneinheitlich verwendet . Im Kern meint Bürgerjournalismus aber eine zugangsoffene, unabhängige und vielfältige Nachrichtenproduktion durch zivilgesellschaftlich engagierte Bürger in Form von selbstständig erbrachten Laienangeboten. Konkret werden darunter Formate wie Weblogs, Podcasts oder Wikis und Facebook, YouTube oder Twitter verstanden.

Positiv herausgehoben wird vor allem, dass so eine breite Partizipation der Bürger an öffentlicher Kommunikation möglich und die Entscheidungsfindung in der Politik durch Diskussionsbeteiligung der Betroffenen demokratischer würde. Als Beispiel kann auf die breite Diskussion um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" verwiesen werden.

Aus der Perspektive der klassischen Medien werden Erwartungen an den Bürgerjournalismus im Internet abgeschwächt: Es wird betont, dass nur Bezahlmedien dauerhaft gesichert, aktuelle und professionelle redaktionelle Leistungen zu erbringen vermögen, welche auf klar definierten Qualitätsstandards beruhen. Die Leistungen des Bürgerjournalismus seien, was die Qualität anbelangt, oft nicht transparent und außerdem sehr heterogen. Zudem überwiege in Internetkommentaren der Austausch von nicht-neutralen Meinungen, vertiefte unabhängige Recherchen seien die Ausnahme und der Anteil an Exklusivinformation gering.

Die vorliegenden Befunde sprechen somit eher gegen den Optimismus, dass der Bürgerjournalismus bezüglich Qualität mit dem professionellen Journalismus konkurrieren könne . Relativierend ist allerdings festzuhalten, dass die Forschung im deutschen Sprachraum erst am Anfang steht und der Bürgerjournalismus im Internet ohne Zweifel neue Impulse auch für die etablierten Medien gebracht hat.

Eine kontrovers geführte Debatte innerhalb der Kommunikationswissenschaft befasst sich mit der Frage nach den Wirkungen des Medienwandels und des Internets für die Bürger als Mediennutzer:

  • Positive Utopien erwarten mehr Partizipation und mehr Demokratie als Mobilisierungsthese

  • Skeptiker befürchten, dass die Verbreitung des Internets mit seiner fast unbegrenzten und heterogenen Informationsfülle eine Aufsplitterung des Publikums aufgrund seiner spezifischen Interessen und Vorzüge zur Folge haben könnte.

  • Parallel dazu tendiert der gesellschaftlichen Wandel in Richtung verstärkter Individualisierung, was Politikabstinenz und Politikverdrossenheit verstärkt. Das könnte wiederum die Fragmentierung der Gesellschaft in mehr oder weniger abgeschottete und polarisierte Teilöffentlichkeiten verstärken . Dies würde letztlich einen Verlust der Integrationsfunktionen der Medien bedeuten.

  • Allerdings gibt es auch hier Gegenargumente: Zum einen gibt es Hinweise, dass auch im Internet die organisierten, mächtigen und ressourcenstarken gesellschaftlichen Akteure wie Wirtschaftsverbände mit ihrer Präsenz weiterhin dominieren. Zum anderen haben sich die traditionellen Medien mit eigenen Online-Plattformen im Internet zu etablieren begonnen. Hinzu kommt, dass sich die Medien bei der Wahl ihrer Themen gegenseitig aneinander orientieren, aber auch die neuen politisch aktiven Gruppen des Internets sich wiederum auf die klassischen Medien mit ihren Themen beziehen.

  • Darum dürfte die Gefahr einer sich abschwächenden Interner Link: Agenda-Setting-Funktion der Medien eher unwahrscheinlich bleiben . Darunter wird die Leistung der Medien verstanden, die knappe Aufmerksamkeit der Bürger auf eine begrenzte Anzahl politisch relevanter Themen zu fokussieren .

Mediennutzung im Wandel: zwischen Individualisierung und Fragmentierung

Während bis jetzt der Medienwandel vor allem aus der Perspektive der Medien und des Journalismus dargestellt worden ist, soll im letzten Teil des Beitrags auf die Bürger als Mediennutzer eingegangen werden, und zwar mit der Ausgangsfrage: Was hat sich im Umgang mit den Medien verändert?


Bitte klicken Sie auf das Bild, um zur den Grafiken zu kommen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Der Medienwandel lässt sich für Deutschland sowohl im Medienvergleich mit der seit 1964 alle fünf Jahre durchgeführten ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (siehe Abb. oben) als auch im Trendverlauf mit den ARD/ZDF-Onlinestudien gut dokumentieren und nachzeichnen.

Die nachfolgende Tabelle zeigt sowohl Stabilität als auch Wandel im Umgang mit den Medien. Einerseits werden die klassischen Medien Fernsehen und Radio bis 2010 stabil auf hohem Niveau genutzt, und zwar sowohl was die Reichweite als auch was die Nutzungsdauer anbelangt, aber seit 2010 leicht rückläufig. Andererseits zeigen sich bei der Tageszeitung Verluste bezüglich Reichweite und Nutzungsdauer, allerdings wird dieser Rückgang weitgehend durch die Nutzung von Online-Zeitungsangeboten kompensiert. Schließlich dokumentiert die Studie einen starken Anstieg der Internetnutzung. Dies belegt auch die jährlich durchgeführte ARD/ZDF-Onlinestudie. Nach der jüngsten Erhebung von 2015 waren 79.5 % der deutschsprachigen Erwachsenen online, d. h. nutzten das Internet mindestens gelegentlich .

Mediennutzung im Wandel

Anmerkung: Personen ab 14 Jahren, Mo-So., 5.00-24.00 Uhr
Reichweiten pro Tag in % Nutzung in Minuten pro Tag
2000 2005 2010 2015 2000 2005 2010 2015
Fernsehen85898680185220220208
Radio 85847974206221187173
Tageszeitung5451443330282323
Bücher 1823211818252219
Internet 10284346134483107

Quelle: Engel/Breunig (2015), ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2015: Mediennutzung im Intermediavergleich in: Mediaperspektiven 7-8/2015.

Eine Folge dieser rasanten Verbreitung des Internets ist, dass sich die zu Beginn bestehenden Zugangsklüfte verringert haben (vgl. Nadia Kutscher: Teilhabe im Kontext des Internets: Zukunftsperspektiven und Herausforderungen). Aber auch heute noch haben jüngere, gebildete und einkommensstarke User signifikant mehr Zugang zum Internet und nutzen dieses auch häufiger und länger. Es bestehen aber nach wie vor ebenso soziale Disparitäten in der Nutzung der klassischen Medien .

Während weniger Gebildete und Mediennutzer aus sog. Interner Link: Hedonistischen Milieus politisch weniger interessiert sind und sich verstärkt über das Fernsehen informieren, ist das Interesse am politischen Geschehen bei den Gebildeteren und im sog. "Gesellschaftlichen Leitmilieu" deutlich stärker ausgeprägt, und die Tagespresse hat als Informationsquelle eine größere Relevanz.

Interessant ist, dass verschiedene Kommunikationswissenschaftler wie beispielsweise der Amerikaner John Zaller in jüngster Zeit versuchen, das Negativ-Image des Fernsehens als sog. "Null-Medium" abzubauen: Sie heben hervor, dass auch weniger Gebildete und politisch wenig Interessierte quasi durch zufällige oder versehentliche Nebenbei-Nutzung aktuelle Themen aufnehmen können, sofern über diese prominent in den Medien berichtet wird.

QuellentextHans-Magnus Enzensberger: "Null-Medium"

Das Fernsehen wird primär als eine wohldefinierte Methode zur genußreichen Gehirnwäsche eingesetzt; es dient der individuellen Hygiene, der Selbstmeditation. Das Nullmedium ist die einzige universelle und massenhaft verbreitete Form der Psychotherapie.…

Insofern kommt der Wattebausch vor den Augen der Transzendentalen Meditation recht nahe. So ließe sich auch die quasi-religiöse Verehrung, die das Nullmedium genießt, zwanglos erklären: Es stellt die technische Annäherung an das Nirwana dar. Der Fernseher ist die buddhistische Maschine.

Quelle: "Die vollkommene Leere. Das Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind." Hans-Magnus Enzensberger, in: Externer Link: DER SPIEGEL 20/1988, S. 234–244.

In Anlehnung an eine gängige Alarmanlage ist vom sog. "Burgler Alarm" die Rede: Man müsse die bestehenden demokratietheoretisch basierten Anforderungen an eine aktive und aufmerksame Mediennutzung durch die Bürger zurückschrauben. Nach Zaller genügt es schon, wenn Bürger die Medien nur oberflächlich und kaum informationsorientiert nutzen, weil die Medien in Krisensituationen zu intensiver Kommunikation greifen und so quasi einen "Alarm" auslösen würden, sodass auch politisch Uninteressierte durch die oben erwähnte zufällige Nutzung auf das jeweilige Thema aufmerksam würden. Allerdings sind seine Überlegungen nicht unwidersprochen geblieben.

Politisches Interesse und Aufmerksamkeit für Politik in den Medien

Stimulieren die neuen interaktiven Möglichkeiten des Internets die politische Partizipation der Bürger? (CC, World Of Good) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Resultate aus der Studie "Massenkommunikation" (2011) illustrieren, dass 36 % der Bevölkerung in Deutschland sehr an Politik interessiert sind. Das politische Interesse ist aber gesellschaftlich ungleich verteilt (vgl. Tabelle: Politisches Interesse und Aufmerksamkeit für Politik in den Medien): Männer, ältere und vor allem gebildetere Menschen interessieren sich deutlich stärker für Politik. Parallel dazu variiert die Motivation, sich über aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse auf dem Laufenden zu halten oder der Politik in den Medien nur Aufmerksamkeit zu schenken.

Auch hier sind Geschlecht, Alter und Bildung wichtige Faktoren von gesellschaftlich ungleich verteilter Medienaufmerksamkeit. Darüber hinaus geben 63 % der regelmäßigen Zuschauer der öffentlich-rechtlichen Programme im Unterschied zu nur 36 % derjenigen mit Vorliebe für die Privatsender an, sich über politische Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.

Politisches Interesse und Aufmerksamkeit für Politik in den Medien

Anteile in Prozentinsg.GeschlechtAlter Bildung
M F 14-29 30-49 50+ tief mittel hoch
Politisches Interesse: "sehr" 364330223246303451
Über politische Entwicklungen / Ereignisse Bescheid wissen 485343304361444660
Interessiere mich vor allem, wenn persönlich betroffen 484352655236515037
Medien helfen mir, Politik besser zu verstehen: "sehr" 343930353337323343

Quelle: Reitze/Ridder (2011), S. 124 ff. (Anm.: Die ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation wird alle fünf Jahre durchgeführt). Weitere Daten finden sich in der Studie zur politischen Mediennutzung (Uli Bernhard/Marco Dohle/Gerhard Vowe, 2014). Download: Wie werden Medien zur politischen Information genutzt und wahrgenommen?

Medienfunktionen im Vergleich

In der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2015 werden die Befragten neben Reichweite und Nutzungsdauer sowie Beachtung von Politik in den Medien ebenfalls gebeten, ihre Nutzungsgründe für die einzelnen Medien zu nennen (vgl. Tabelle: Medienfunktionen im Vergleich). Während in der Anfangsphase die Nutzung des Internets vor allem informations- (Suchmaschinen) und kommunikationsorientiert (E-Mails) war, sind heute unterhaltungsbezogene (Spaß), soziale (Mitreden können) und habituelle (Gewohnheiten) Motive klar wichtiger geworden.

Medienfunktionen im Vergleich

"trifft voll und ganz / weitgehend zu" in % Zeitung TVRadio Web
kognitive Funktionen Weil ich mich informieren möchte95817790
Weil ich Denkanstöße bekomme60474560
Weil ich nützliche Dinge für Alltag erfahre76566382
affektive FunktionenWeil es mir Spaß macht64798575
Weil ich dabei entspannen kann40787536
Eskapismus Weil ich mich ablenken möchte22585238
soziale FunktionenDamit ich mitreden kann73524947
Weil ich mich dann nicht allein fühle10253114
Ritual Weil es aus Gewohnheit dazugehört57556845
Tabellenbeschreibung

Engel/Breunig (2015), Massenkommunikation 2015: Funktionen und Images der Medien im Vergleich in: Media Perspektiven 7-8/2015

Anmerkung: Pers. ab 14 Jahren; Nutzung mind. mehrmals/Monat, Quelle:

Die bis jetzt präsentierten Befunde geben jedoch noch keine klare Antwort auf die oben gestellte Frage nach der aktiv-politikorientierten Nutzung des Internets. Die Externer Link: ARD/ZDF-Onlinestudien liefern dazu mit ihren Erhebungen weiterführende Hinweise. Während private Netzwerke und Communities (z. B. Facebook) im Jahr 2013 immerhin von 46 % der Onliner zumindest gelegentlich genutzt wurden, lag der entsprechende Wert für berufliche Netzwerke (z. B. Xing, LinkedIn) mit 10 % im Jahr 2013 deutlich tiefer . Die Nutzung von Webblogs (zumindest gelegentlich) stieg im Jahr 2014 auf 16 % (2012 waren es lediglich 7 %, 2013 bereits 16 %) und die Nutzung von Twitter (zumindest gelegentlich) lag im Jahr 2014 bei 9 %.

Insgesamt besaßen im Jahr 2013 46 % der Onliner, d. h. mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung (ab 14 Jahren), ein Profil in einer privaten Community (Internet-Gemeinschaft). Immerhin 76 % schreiben im Jahr 2013 Beiträge auf Profilen, Verschicken persönliche Nachrichten, chatten mit anderen Mitgliedern der Community mindestens einmal pro Woche, aber nur 21 % geben an, wöchentlich nach tagesaktuellen Nachrichten zu suchen . Die Communities werden somit von ihren dominanten jungen Nutzern vorwiegend für die private und nicht für die öffentlich-politische Kommunikation genutzt.

Mediennutzung der tagesaktuellen Medien im Direktvergleich (Interner Link: Grafik als PDF zum Download). Bitte klicken Sie auf das Bild, um die Grafik zu öffnen. (© bpb)

Geese/Zubayr/Gerhard (2009) und Gscheidle/Gerhard (2013) haben in weiteren Studien speziell die Medien- und Internetnutzung bei Wahlen in Deutschland untersucht:

  • 69 % (2009) bzw. 66 % (2013) der Wähler gaben an, das Fernsehen,

  • 44 % (2009) bzw. 38 % (2013) die Zeitung und

  • 23 % (2009) bzw. 16 % (2013) das Radio zur Information über den Wahlkampf genutzt zu haben.

  • Nur 18 % nannten 2009 das Internet als Informationsquelle für die Bundestagswahl, 2013 waren es schon 23 %.

An der Spitze der genutzten Internetquellen standen die Angebote der traditionellen Offline-Medien:

  • 46 % (2009) und 41 % (2013) Internetseiten von Zeitungen und Zeitschriften,

  • 35 % (2009) und 30 % (2013) Nachrichten von Internetanbietern und Suchmaschinen,

  • 32 % (2009) und 22 % (2013) Internetseiten von Parteien und Politikern sowie

  • 26 % (2009) und 23 % (2013) Internetseiten von TV-Sendern.

Soziale Netzwerke bzw. interaktive Web-Angebote wie Facebook (2009: 9 %, 2013 mit Twitter: 8 %), Foren und Blogs (2009: 6 %, 2013: 3 %) oder Interner Link: Videoplattformen wie YouTube (2009: 5 %, 2013: 2 %) wurden jedoch kaum genutzt.

Bildungs- und schichtspezifische Zugangsklüfte

Nicht jeder hat den gleichen Zugang zu Wissen und Bildung. (Archer2000) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Schließlich ist im Bereich der Medienwirkungen über die nach wie vor bestehenden Zugangsklüfte hinaus nach deren Konsequenzen zu fragen. Die Wissenskluft-Perspektive, 1970 formuliert und seither mit vielfältigen empirischen Belegen unterfüttert , stellte erstmals den populären Glauben in Frage, wonach die Medien zur Informiertheit aller in der Gesellschaft beitragen. Sie besagt, dass die durch die Medien verbreitete politische Information tendenziell zu verstärkten Wissensklüften zwischen den verschiedenen sozialen Segmenten führt.

Dies nicht zuletzt, weil bildungs- und statushöhere Mediennutzer:

  • die informationsreichen Printmedien stärker als Informationsquellen nutzen,

  • über mehr thematisches Vorwissen und

  • bessere Medienkompetenzen verfügen,

  • stärker an politischer Information interessiert und auch

  • in umfassendere soziale Netzwerke eingebettet sind.

Bezüglich des Internets bedeutet dies folgendes:

Es bestehen nicht nur alters-, geschlechts- und bildungs- sowie schichtspezifische Zugangsklüfte . Und auch auf den nachgelagerten Ebenen der Nutzung, Rezeption und Wissensaneignung wird das Internet von den weniger gebildeten und statustieferen Nutzern weniger informations- bzw. politikorientiert genutzt. So nutzten beispielsweise nach der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (Breunig/Engel 2015) im Jahr 2015 93 % der Onliner mit mindestens Abitur das Internet, weil sie sich informieren möchten, aber nur 87 % der Onliner mit Volks-/Hauptschule. Die bildungsspezifischen Unterschiede in der Mediennutzung zur politischen Information äußern sich zudem noch stärker, wenn man nicht nur die Onliner fokussiert, sondern die Gesamtbevölkerung betrachtet. So nutzen nach Bernhard/Dohle/Vowe (2014, S. 161) 44,9 % der Personen mit Hochschulreife Nachrichtenseiten im Internet mindestens mehrmals pro Woche, aber nur 14,4 % jener mit Hauptschulbildung. Im Umgang mit dem Internet ergeben sich also ebenfalls die schon bei den klassischen Medien festgestellten Wissensdisparitäten allein schon durch dessen bildungsspezifischen Zugang, aber auch Nutzung.

Dies gilt ebenso für die politische Partizipation: Auch hier bewirken die neuen, medientechnologischen Möglichkeiten des interaktiven Internets nicht bei allen Nutzern verstärkte politische Partizipation. Sondern letztlich schöpfen nach den vorliegenden Studien vor allem die bildungs- und statushöheren Nutzersegmente das Partizipationspotential des Internets besser aus.

Fazit

Auch wenn Internet und mit ihm das Social Web auf gesellschaftlicher Ebene mehr und neue Möglichkeiten nicht zuletzt der interaktiven Kommunikation in Foren und Blogs bereitstellen und ermöglichen: Hier dominieren nach wie vor die ressourcenstarken (politischen) Akteure der Offline-Welt. Neue Funktionen der Online-Kommunikation machten sich bislang vor allem durch Mobilisierung in Wahlkämpfen oder Bürgeraktionen bemerkbar, wie etwa der US-Wahlkampf von Barak Obama illustrierte.

Zwar sind empirische Studien auf Ebene der Nutzer im deutschen Sprachraum zum Umgang und zum Demokratiepotential des Internets noch spärlich: Die vorliegenden Befunde deuten doch übereinstimmend in die Richtung, dass das Ideal der aktiven politischen Teilnahme durch das Internet und die vorherrschende Realität der weiterhin dominierenden klassischen Massenmedien (Fernsehen und Zeitung als wichtigste Quellen politischer Information der Bevölkerung) nach wie vor auseinanderklaffen. Obwohl Emmer/Vowe 2004 in ihrer Studie herausgefunden haben, dass das Internet gewisse, z. B. interpersonale politische Kommunikationsaktivitäten wie E-Mails an Zeitungen oder an eine Partei, zu stimulieren vermag, weil sie leicht erlernt und unkompliziert eingesetzt werden können.

Die Beziehung zwischen dem Internet und den herkömmlichen Formen der politischen Partizipation scheint jedoch eine der Komplementarität (d. h. der Zusammengehörigkeit scheinbar widersprüchlicher, sich aber ergänzender Eigenschaften) und nicht eine der Verdrängung zu sein. Hinzu kommt, dass auch das Internet die bestehenden sozialen Ungleichheiten nicht einfach quasi medientechnologisch zu neutralisieren vermag. Letztlich fungieren Medien als Trendverstärker, indem bestehende Ungleichheiten bezüglich ökonomischer und sozialer Ressourcen, (Medien-) Kompetenzen und politikbezogener Motivation nicht eingeebnet, sondern tendenziell verstärkt werden.

Die Wissenskluft-Perspektive wird darum auch mit Interner Link: Matthäus-Effekt umschrieben, was bedeutet: Wer hat (Wissen), dem wird gegeben (Wissenszuwachs). Die neuen interaktiven Möglichkeiten des Internets sind zwar notwendig, aber nicht auch schon hinreichend zur Generierung von mehr politischer Partizipation. Zwar reduziert die Zugänglichkeit zu mehr Information und Kommunikation die Kosten, was Informationssuche und -nutzung anbelangt, und das Social Web erleichtert zweifelsohne die Mobilisierung von Bürgern, aber die neuen digitalen Möglichkeiten werden verstärkt von jenen genutzt, welche politisch sowieso partizipieren und handeln wollen.

Quellen / Literatur

Links



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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Luhmann 1996.

  2. Vgl. Bonfadelli/Friemel 2015, S. 196ff.; Wehling 2016.

  3. Beck 2007, S. 87 ff und Neverla/Schäfer 2012.

  4. Z. B. Schiffer 2005.

  5. Vgl. Jarren et al. 2012.

  6. Hoffmann/Raupp 2006.

  7. Vgl. Bernhard/Scharf 2008.

  8. Vgl. Imhof et al. 2006; Schulz 2008, S. 31ff.

  9. Vgl. Imhof 2006.

  10. Vgl. Jarren 2012.

  11. Vgl. Arnold 2008.

  12. Maurer/Reinemann 2006, S. 28.

  13. Vgl. Patrick Donges: Bildung und Information als Auftrag – sind die Medien in der Pflicht?

  14. Vgl. hierzu Russ-Mohl, 1992.

  15. Vgl. Russ-Mohl 1992.

  16. Vgl. Daschmann 2009.

  17. Vgl. Wyss 2008.

  18. Vgl. Schrape 2011.

  19. Vgl. Scherer 1998, Winkel 2001.

  20. Emmer/Bräuer 2010, Emmer/Vowe 2010, Imhof et al. 2015.

  21. Frees/Koch 2015, S. 372 und Tippelt/Kupferschmitt 2015, S. 442.

  22. Vgl. Weichert 2014.

  23. Vgl. Neuberger 2012.

  24. Vgl. Eilders 2011; Ziegele 2016.

  25. Vgl. Neuberger 2012, S. 60.

  26. Vgl. Holtz-Bacha 1998, Holtz-Bacha/Peiser 1999.

  27. Vgl. Schrape 2011.

  28. Vgl. Bonfadelli/Friemel 2011, S. 181 ff.

  29. Vgl. Engel/Breunig 2015; Best/Handel 2015.

  30. Vgl. Externer Link: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=511

  31. Vgl. Frees&Koch: ARD/ZDF-Onlinestudie 2015: Externer Link: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=535

  32. Vgl. Blödom/Gerhards/Klingler 2006.

  33. Vgl. Bernhard Engel /Lothar May: Mediennutzung und Lebenswelten

  34. Vgl. Marcinkowski 2010.

  35. Hans-Magnus Enzensberger 1988.

  36. Vgl. Reitze&Ridder 2011.

  37. Vgl. Engel&Breunig (2015) in Media Perspektiven 7-8/2015.

  38. aktuelle Ausgabe der ARD/ZDF-Onlinestudie: Eimeeren/Frees 2014.

  39. Vgl. hierzu Externer Link: ARD/ZDF-Onlinestudie 2014, Tabelle: "Nutzung von Web-2.0-Anwendungen 2007 bis 2014" S. 388, die differenzierte Erhebung der Nutzung privater bzw. beruflicher Communities wurde das letztmalig im Jahr 2013 durchgeführt.

  40. Vgl. hierzu ARD/ZDF-Onlinestudie (Busemann, 2013): Bestandsaufnahme zur Frage Externer Link: "Wer nutzt was im Social Web?"

  41. Vgl. Wirth 1997, Bonfadelli 2007.

  42. Vgl. Frees/Koch 2015.

  43. Marr/Zillien 2010.

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Weitere Inhalte

Dr. Heinz Bonfadelli ist Professor für Publizistikwissenschaft am IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Er beschäftigt sich in seiner Forschung sowohl mit der Medienrealität als auch mit Fragen der Mediennutzung und Medienwirkung.