"Wir haben seit zehn Minuten keinen Strom. Wie sieht es bei Euch aus?" – Der Tweet eines Lesers aus einer mobilen App heraus elektrisiert die Redakteure am Newsdesk einer regionalen Tageszeitung. Gestern haben sie noch über mögliche Auswirkungen der starken Schneefälle auf die Stromversorgung für die Region geschrieben. Auf Twitter und auf Facebook wächst das Thema; vermutlich sind einige Strommasten umgeknickt; erste Fotos werden getwittert. Und obwohl vom Stromversorger noch keine Stellungnahme vorliegt, wird am Newsdesk sofort entschieden, das Thema groß und breit zu recherchieren: Drei Reporter aus verschiedenen Lokalredaktionen fahren in die betroffenen Stadtviertel und umliegenden Gemeinden, der Social-Media-Redakteur hört sich im Internet um und die Wissenschaftsredakteurin wird mit einem Hintergrundstück zur Stromversorgung beauftragt. Eine Wirtschaftsredakteurin recherchiert beim Stromversorger.
Am Newsdesk laufen die Fäden aus den Ressorts und den Lokalredaktionen zusammen – und das nach und nach eingehende Material wird auf die medialen Plattformen und Zeitungsausgaben verteilt. Das Interview mit dem Geschäftsführer des Stromversorgers kommt sofort auf die Website und ergänzt dort die Eilmeldungen, die aus den Tweets und Facebook-Einträgen zusammengefasst worden sind. Ein Ausschnitt wird als Audio-O-Ton der Kollegin zur Verfügung gestellt, die die Nachrichten für den hauseigenen Radiosender produziert. Als man am Newsdesk merkt, dass das Thema von Internet-Nutzern stark geklickt wird und zum Quotenhit der Online-Ausgabe geworden ist, wird die Seite eins der Tageszeitung frei geräumt: Ein Editor fasst alle recherchierten Quellen zu einem Aufmacher zusammen. Ein Kollege am Newsdesk baut alle einlaufenden Beiträge zu einem Themen-Package auf der Seite Drei zusammen. Am Abend werden die auf Twitter, auf Facebook und in den Foren unter den eigenen Beiträgen bereits zuhauf eingegangenen Kommentare von Nutzern für die Tageszeitung zusammengefasst.
Dieses Szenario einer konvergenten Redaktion wäre mit den traditionellen Strukturen einer Redaktion nicht möglich. Jedes Ressort bearbeitete seine Seiten; jede Abteilung hatte seine Sendung(en); jedes Medium seine Redaktion. Neue Modelle der Redaktionsorganisation durchbrechen diese Autonomie: Ressort-, programm- und medienübergreifendes Arbeiten wird an einem Newsdesk oder in einem Newsroom zum Prinzip. Komplexe, aber aktuell wichtige Themen werden in Breite und Tiefe erkannt und können flexibel geplant und bearbeitet werden. Die Anglizismen Newsroom und Newsdesk avancierten in diesem Zusammenhang zu Modewörtern des Redaktionsmanagements im deutschsprachigen Raum. Dabei werden diese Begriffe in der journalistischen Praxis ganz unterschiedlich verwendet und bewertet. Schwierig für Analyse und Bewertung ist schon alleine die Tatsache, dass es viele im Detail unterschiedliche Newsdesk-Modelle gibt.
Medienübergreifende Planung
Schätzungen zufolge hatte schon Mitte der 2000er Jahre etwa die Hälfte der Zeitungsredaktionen in Deutschland auf die neuen redaktionellen Strukturen und Workflows umgestellt; heute dürften es weit mehr sein. Beispiele sind die Mainpost in Würzburg, die Rheinische Post in Düsseldorf, der Fränkische Tag in Bamberg oder die WAZ-Gruppe mit der NZR, Westfälischen Rundschau und der Westfalenpost. Auch Nachrichtenagenturen wie dpa, APA oder epd arbeiten mit neuen Newsdesk- und Newsroom-Konzepten. Und Rundfunkanstalten experimentieren mit Newsroom- und Newsdesk-Ideen für eine bessere Vernetzung der Medien. So hat der Saarländische Rundfunk 2006 einen Newsroom als gemeinsames Planungszentrum von Radio-, Fernseh- und Multimedia-/SAARTEXT-Redaktion eingerichtet und konstatiert nach fünf Jahren, dass sich das Konzept "durchgesetzt hat und als vorbildliche Innovation im Medienbereich gilt", vor allem weil die Planung medienübergreifend gebündelt wird, Ressourcen gemeinsam genutzt und freie Zeiten zu neuen Recherchen eingesetzt werden.