"Wir sind keine Cheerleader, wir stehen nicht am Rand"
Weibliche Fans im Männerfußball
Nicole Selmer
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Fußball wurde zu einer Männerdomäne gemacht, doch Frauen waren von Anfang an im Stadion. Sie unterstützen ihren Verein, setzen sich mit Vorurteilen auseinander und wollen auf Augenhöhe akzeptiert werden. Doch wieviel Gleichberechtigung lassen Kurven und Fußball-Business zu?
Ungeschriebene Geschichte. Frauen als Fußballfans
Auch wenn eine zusammenhängende Historie fehlt – die Vereinschroniken und -bücher liefern, meist unbeabsichtigt, immer wieder kleine Einblicke in die lange, aber ungeschriebene Geschichte weiblicher Fußballliebe. In England hat sich das Sir Norman Chester Centre for Football Research an der Universität von Leicester mit der Geschichte weiblicher Fankultur beschäftigt. Die folgende Feststellung kann ebenso für Deutschland gelten:
ZitatFrauen waren immer Teil des Fußballpublikums
Selbst wenn die Zahl der weiblichen Zuschauer in der Vergangenheit sicherlich manchmal nicht sehr groß war, so scheinen Frauen doch immer einen Teil des Fußballpublikums gebildet zu haben.
Zitiert nach Selmer 2004, S. 12
Mit Hüten, Fahnen und Plakaten
Bilder aus der Frühzeit des Sports in Deutschland zeigen, dass der Fußball vor dem Ersten Weltkrieg die gutbürgerliche Mittelschicht auf den Platz lockte und zwar inklusive Frauen. Die kickten zwar selbst nicht, sondern spielten Tennis oder Hockey, waren aber durchaus für Fußball als Zuschauerinnen zu begeistern. Das zeigt diese kleine Randnotiz: Als der Sport-Club Victoria Hamburg von 1895 e. V. beschloss, eine Vereinszeitung herauszugeben, so geschah dies, wie dem Editorial der ersten Ausgabe vom Januar 1907 zu entnehmen ist, nicht zuletzt, um "auch die Damen unserer Tennis-Abteilung, die ein so reges Interesse auch für unser Fußballspiel bereits bekundet haben, noch mehr [zu] gewinnen".
Aber auch in den 1920er-Jahren, als längst nicht mehr nur Hunderte, sondern viele Tausende Zuschauende die Stadien füllten, waren Frauen dabei. Selbst im größten Getümmel. Etwa bei der Wiederholung des Pokalendspiels von 1922 zwischen dem HSV und dem 1. FC Nürnberg. Die Erstauflage war nach 90 Minuten, Verlängerung und allgemeiner Erschöpfung (es war noch kein Elfmeterschießen vorgesehen) abgebrochen worden. Zur Wiederholung in Leipzig strömten 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauer in ein völlig überfülltes Stadion, es kam zu Ausschreitungen, Flaschen flogen über die Ränge. Und mittendrin – Frauen, wie ein zeitgenössischer Beobachter berichtete:
ZitatSowas muß man gesehen haben!
Der frisch fröhliche Kampf, den die hinteren Reihen im Zuschauerraum mit Sodawasserflaschen gegen die vorderen Linien geführt haben. Wie das flog, klirrte und in der Sonne glitzerte, als so einige tausend Sodawasserflaschen auf einem Frontabschnitt von 200 Meter hoch im Bogen auf die vorderen Reihen niederprasselten.
Es war lieblich anzusehen, wie sie da im schwarzen Dreck zur Deckung gegen die feindlichen Geschosse niedergestreckt lagen, die Damen mit den weißen Sommerkleidern. Sowas muß man gesehen haben! Da muß man dabei gewesen sein!
Zitiert nach Bausenwein u. a. 1996, S. 254
Bei der Neuauflage des Finales von 1922 zwei Jahre später in Berlin waren Frauen ebenfalls dabei: Mit FCN-Fahnen unterstützten sie in einem kleinen Grüppchen ihren Verein und wurden auf einem Schwarz-Weiß-Foto in einer Chronik des Klubs festgehalten. Ebenso wie die Frauen, die während der WM 1934 in Italien Hakenkreuzfahnen schwenkten, als die deutsche Mannschaft dort antrat. Fußballautor Hardy Grüne schrieb: "Während des Endturniers reisten zahlreiche deutsche Fans über den Brenner, wobei sich, wie die Bilder belegen, auch eine Menge Frauen unter den 'Schlachtenbummlern' befanden. Die WM wurde offenbar zu einem gemütlichen Familienausflug unter italienischer Sonne genutzt."
Springen wir in die Nachkriegszeit: Dort feierte der HSV viele Norddeutsche Meisterschaften, aber auch Niederlagen, zum Beispiel 1958 im Endspiel gegen den FC Schalke 04 um die Deutsche Meisterschaft. In der Chronik zum 100-jährigen Bestehen des Vereins findet sich dazu ein Bild von Fans, die gerne als "wahrhaft" und "echt" bezeichnet werden – Fans nämlich, die auch nach einer Niederlage noch zu ihrem Verein stehen. Nach der Rückkehr vom Finale wurde die Mannschaft am Hauptbahnhof unter anderem von jungen Frauen mit selbstgemalten Plakaten "Trotzdem ward ihr prima" und "Ihr habt uns begeistert" in Empfang genommen. Die Bildunterschrift in der Vereinschronik lautet: "Die weiblichen Fans gehören zu den treuesten."
In den Exemplaren des "Kickers" aus diesen Jahren finden sich ebenfalls Frauen – auf der letzten Seite unter der Rubrik "Fußballer und ihr Familienalbum", zusammen mit Kind und/oder Haustier der Spieler. Manch Gattin oder Verlobte, heißt es, nehme am Fußball Anteil, andere seien "zu aufgeregt", um Spiele von der Tribüne zu verfolgen. Dass es auch anders zuging, zeigt das Beispiel von Liselotte Kremer, der Frau von Franz Kremer, seines Zeichens Gründer und Präsident des 1. FC Köln. Der war der letzte Titelträger vor der Einführung der Bundesliga (und der erste danach). Zur Feier des Meistertitels von 1962 bemalte Frau Kremer den Bürgersteig vor der FC-Gaststätte "Dörper" mit rot-weißer Farbe und handelte sich dafür eine Anzeige des Ordnungsamtes ein. Über die noch immer bestehende Leidenschaft der inzwischen 89 Jahre alten Dame für den FC berichtete 2008 der Kölner Express.
Fans des SV Werder Bremen zeigen ihre Anteilnahme am Tod von Adrian Maleika. Auch in den dunklen Kapiteln der Fußballgeschichte tauchen Frauen auf: Nach den gewaltsamen Fanauseinandersetzungen rund um das Spiel zwischen dem HSV und Werder Bremen im Oktober 1982, bei denen ein Werderanhänger durch Steinwürfe getötet wurde, standen acht Mitglieder des Hamburger Fanklubs "Die Löwen" vor Gericht. Darunter auch eine Frau, die Hetzparolen gerufen und sich an einer Schlägerei beteiligt haben sollte. Sicherlich eher eine Ausnahme, aber auch Teil der Geschichte weiblicher Fußballanhängerinnen. Ebenso wie die traurige Statistik des größten Unglücks im europäischen Fußball: Beim FA-Cup-Halbfinale im April 1989 in Sheffield kamen im Stadion Hillsborough 96 Fußballfans ums Leben, darunter neun weibliche Fans.
Die Zahl der Frauen auf den Tribünen war in früheren Jahrzehnten sicher geringer als heute, nachvollziehen lässt sich dies nicht mehr. Ebenso ist wahrscheinlich, dass sie sich – genau wie die Gesamtzuschauerzahl – mit den Konjunkturen des Fußballs und des gesellschaftlichen Wandels veränderte. Die zunehmende Gleichstellung und Berufstätigkeit von Frauen, ihre veränderte Präsenz im öffentlichen Raum dürften gleichfalls eine Rolle gespielt und sich in der Präsenz von Frauen im Stadion niedergeschlagen haben.
Frauen im Stadion
Wie hoch ist der Frauenanteil im Stadion heute und wie hat er sich verändert?
Diese Frage anhand von Daten zu beantworten ist unmöglich, denn Erhebungen zum Frauenanteil im Stadion liegen erst seit einigen Jahren und auch nur bei einigen Vereinen vor. Die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) verkündete in ihrem Bundesliga-Report 2009 – ohne Zahlenhintergrund, schon gar nicht mit vergleichenden Daten: "Der Anteil der weiblichen Zuschauer in den Bundesliga-Stadien hat deutlich zugenommen. Mittlerweile ist knapp ein Viertel der Stadionbesucher weiblich".
Sport + Markt AG verzeichnete in einer Präsentation von 2008 – allerdings ohne Angabe von nachvollziehbaren Quellen – zwischen der Saison 1994/95 und 2007/08 einen Anstieg von zehn Prozent auf 23 Prozent. Judith Kerschgens hat in einer Studie einen durchschnittlichen Frauenanteil von 27 Prozent für die 1. Bundesliga in der Saison 2004/05 ermittelt; die Basis sind dabei Schätzungen von acht und Erhebungen von vier Vereinen. Der Rest machte keine Angaben.
Männlichkeitsmaschine. Wie Fußball männlich wurde
Infobox"Die Frauen wurden aus dem Fußball vertrieben und dem Fußball wurde das Weibliche ausgetrieben."
Das bekannteste Fußballgesicht in den USA? Vermutlich noch immer das von Mia Hamm. Oder vielleicht Abby Wambach oder Hope Solo. In jedem Fall ist es weiblich. Fußball in den USA ist traditionell ein Frauensport, ein Sport der weißen Mittelschicht, der keineswegs als "hart" gilt – im Gegensatz zum National- und Männersport American Football. Fußball als vornehmlich von Männern für Männer gespielter Sport, wie wir ihn in Deutschland und Europa kennen, ist keine naturgegebene Tatsache, sondern Resultat historischer und kultureller Prägungen.
Recht einfach ablesen lässt sich das daran, dass der Fußball, als er im ausgehenden 19. Jahrhundert von England auf den Kontinent kam, zunächst eine bürgerliche Freizeitbeschäftigung war. Mit der Gründung des Deutschen Fußball-Bundes e. V. 1900 setzte die Entwicklung zum modernen Sport ein. Der zunächst als "englisch" verweichlicht und somit unmännlich geltende Fußball musste sich dabei gegen das typisch "deutsche" Turnen durchsetzen. Das gelang neben der Verregelung und Pflege des Wettkampfs auch durch die Verbindung mit dem Militär: Ab 1908 war das Fußballspiel in den Ausbildungsplänen der Armee verankert, nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich der Fußball schließlich im Laufe der 1920er-Jahre zum Massenzuschauersport.
Die Soziologin Marion Müller zeichnet in ihrer Studie "Fußball als Paradoxon der Moderne" die Geschichte des Fußballs vor dem Hintergrund der historischen Konstruktion der Geschlechterdifferenz nach und zeigt, dass auch der moderne Fußball keineswegs eine von Beginn an unhinterfragt männliche Angelegenheit war, sondern erst allmählich dazu gemacht wurde:
ZitatGeschlechterdifferenzen im Fußball
Vielmehr fungierte die Geschlechtszugehörigkeit bis zur Jahrhundertwende offenbar noch als Merkmal zur Mannschaftsbildung, auch wenn wir über Anzahl und Bedeutung solcher Spiele nichts sagen können. Letztlich bleibt festzuhalten, dass der Exklusion (Ausschließung) der Frauen aus dem Fußball die Segregation (Trennung) der Geschlechter im Spiel vorausging; in einem ersten Schritt wurden Frauen zu unwürdigen Spielgegnern und Mitspielern erklärt.
Quelle: Marion Müller 2009, S. 73
So wies 1902 die englische Football Association ihre Mitgliedsvereine darauf hin, dass das Spielen mit und gegen "Lady Teams" zu unterlassen sei. Diese Mahnung schränkte das Fußballspielen von Frauen ein, sie weist jedoch auch darauf hin, dass es Frauenteams gab und dass sie – aus heutiger Sicht noch viel bemerkenswerter – um 1900 gegen Männerteams spielten und zwar immerhin in so großer Zahl und Häufigkeit, dass es nötig war, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.
Zwei Jahrzehnte später, 1921, wurde daraus ein – ideologisch unterfüttertes – Gesetz: Den (während und nach dem Ersten Weltkrieg populären) Frauenteams wurde die Benutzung der vereinseigenen Plätze untersagt: "[…] The game of football is quite unsuitable for females and ought not to be encouraged."
Hier zeigt sich ein zentrales Moment der entstehenden Verbindung von Fußball und Männlichkeit: Um Fußball zu spielen, bedarf es bestimmter männlich konnotierter Körper- und Charaktereigenschaften, aber wer Fußball spielt, erhält diese Eigenschaften auch. Frauen und Fußball hingegen wurden als füreinander ungeeignet erklärt. Die Frauen wurden aus dem Fußball vertrieben, und dem Fußball wurde das Weibliche ausgetrieben.
Fußball, so heißt es im DFB-Jahrbuch von 1920, kennt "keine weibische Weichlichkeit, kein ängstliches Zagen, keine Empfindelei". Und: "Man nehme dem Fußballspiel die Gefahr, wickele die Spieler fein säuberlich in schützende Wattepolster, und kein echter Junge wird es noch weiter beachten". Was den Fußball in dieser Deutung attraktiv macht für Jungen, nämlich dass er zum Kampfsport erklärt wird, hat auch eine andere Seite. Fußball braucht richtige Männer, aber er wirkte auch als unerwünschte Vermännlichung. So sah es auch der DFB, als er sich 1955 mit dem Fußball für Frauen beschäftigte – und ihn für seine Mitgliedsvereine verbot: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand".
Parallel zum Ausschluss der Frauen vom aktiven Spiel über die postulierte körperliche und psychische Unvereinbarkeit mit dem Fußball fand mit Bezug auf das Publikum eine ähnliche Bewegung statt. Die auf dem Platz geforderte und im Spiel entstehende Härte und Männlichkeit wurde gewissermaßen auf die Ränge gespült. Für den Fußball als Erfolgsmodell, das heißt als Massenzuschauersport der 1920er-Jahre, war dies eine vorwiegend proletarische Männlichkeit, die für Spieler und Zuschauer galt und in der es für Frauen keinen gleichwertigen symbolischen Platz gab. In seinem Buch "Frauenfußball und Maskulinität" beschäftigt sich der österreichische Kulturwissenschaftler Matthias Marschik auch mit der Rolle weiblicher Zuschauerinnen beim Fußball. Er gelangt zu der Feststellung, dass in den frühen 1920er-Jahren, also zu der Zeit, in der Fußball sich auch in Österreich zu einem Massensport entwickelte, die Positionen von Frauen in der Fußballwelt definiert wurden, und zwar innerhalb bestimmter Parameter, die noch heute ihre Gültigkeit haben:
ZitatDas Stadion als maskulines Territorium
Die Beziehung zwischen Frauen und Fußball wurde in dieser Zeit auf einen neuen Status eingeschworen, nämlich auf jenen des 'Unverständnisses'. Das Stadion wird als maskulin konnotiertes Territorium konstruiert, auf dem Verständigung nicht mehr möglich ist.
Quelle: Matthias Marschik, 2003
Diese Vorstellung einer "Wesensverschiedenheit" von Frauen und Fußball, die so von männlichen Schreibern auf den Weg gebracht wurde, hat bis heute Bestand. Der Verhaltensforscher Desmond Morris beschrieb 1981 in seinem Buch "Das Spiel: Faszination und Ritual des Fußballs" den Sport, seine Rituale aus einer anthropologischen Perspektive, die manch unhinterfragte Selbstverständlichkeit der Fankultur offenlegte:
ZitatEine geheiligte Männerzusammenkunft
Nur wenn wir einen 'harten' Nachmittag verbringen, wird es ein harter Sport bleiben, wird er seinen rituellen Charakter als Mannbarkeitstest behalten, nicht nur für die Spieler, die uns gewissermaßen vertreten, sondern auch für uns selbst. Durch bequeme Sitze und andere Annehmlichkeiten würde der ganze Vorgang verwässert und die Kraft des Rituals abgeschwächt. Von einer geheiligten Männerzusammenkunft im Langhaus des Stammes sänke das Spiel zu einer gemütlichen Familienunterhaltung.
Zitiert nach Desmond Morris 1981
Mit anderen Worten das, was Fußball in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Deutschland einmal war und in den USA heute ist: kein Nationalsport, kein millionenschweres Business, kein Härtetest und kein vermeintliches Sicherheitsrisiko. Die Vermännlichung des Fußballs ist die Grundlage seiner Erfolgsgeschichte und wird in seinen Inszenierungen weiter aufrechterhalten. Einen Beitrag dazu leistet auch die "Sportschau" der ARD, die seit einigen Jahren mit Knetfiguren und Geschlechterklischees aus der Steinzeit wirbt. Der aktuelle Spot zur Jubiläumssaison geht so: Eine männliche Knetfigur im Höhlenmenschen-Outfit will Fußball im Fernsehen gucken, eine weibliche Figur will seine Aufmerksamkeit. Das misslingt, und zwar so lange, bis sie nur noch einen Bikini mit schwarz-weißem Fußballmuster trägt. Brüste, Bälle – die männliche Figur ist begeistert, die weibliche sagt abschätzig "Neandertaler", und aus dem Off verkündet eine Stimme "Männer waren schon immer so, jedenfalls samstags".
Das Ich von Fußballbiografien ist männlich. Vorbild für viele nachfolgende Erzählungen ist Nick Hornbys Roman "Fever Pitch". In den Worten des Erzählers sind die Geschlechterrollen klar verteilt. "Ich verliebte mich in Fußball, wie ich mich später in Frauen verliebte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an die Schmerzen oder Zerreißproben, die das mit sich bringen würde." Aber wie verlieben sich Frauen in den Fußball? Wie sieht die weibliche Fansozialisation aus?
Auch wenn der Kanon der entsprechenden Erzählungen, literarisch ebenso wie wissenschaftlich oder journalistisch, weiterhin männlich bleibt: Mittlerweile gibt es eine Reihe von sozial- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen sowie von weiteren Büchern und Artikeln, die sich mit dem Thema weibliche Fankultur beschäftigen. Die dabei zutage geförderten Ergebnisse zeigen große Gemeinsamkeiten zwischen männlicher und weiblicher Fußballbegeisterung und einige wichtige Unterschiede auf. So klingt es in den Worten der 36-jährigen Katja, Fan des VfB Stuttgart:
ZitatKatja (36), Fan des VfB Stuttgart:
Angefangen hat es als Kleinkind, immer sonntags mit meinem Vater auf den Fußballplatz zum VfL [Heimatdorf], und so hat es angefangen mit emotionalem Fußballschauen und dann halt auch selber spielen. Also meine Kindheitssommer sind … nur Kicken. […] Das war beeindruckend, meinen VfB das erste Mal live zu sehen im Neckarstadion. Manchmal habe ich mehr nach den Fans geguckt und nach dem, was drumrum war […] diese Leute und die Stimmung und das Gesinge und das Geschreie, das war einfach phänomenal.
Quelle: Sülzle 2011, S. 288
Hier sind viele Elemente zu finden, die eine Sozialisation zum Fußballfan bestimmen und die sich durch zahlreiche Erzählungen männlicher wie weiblicher Fans ziehen: Begleitung einer älteren Bezugsperson, Emotionen, Aufregung, Identifikation mit der Mannschaft und die Faszination der Stadionatmosphäre. Dass die Bezugsperson dabei in vielen Fällen eine männliche, oft der Vater, ist, erscheint angesichts der statistischen Geschlechterverteilung im Stadion nur logisch.
Es gibt, wie Sülzle anführt, jedoch ebenso auch andere Beispiele: Freundinnen, Mütter und Großmütter. Als Beispiel für eine solche generationenübergreifende Fangeschichte können die beiden HSV-Anhängerinnen Ulla und Janina dienen:
ZitatUlla und Janina, HSV
Ulla:
Ich war HSV-Fan und habe meine Tochter natürlich mitgeschleppt.
Janina: Ich hatte keine andere Wahl!
Ulla: Meinen Sohn habe ich nicht dafür begeistern können, da war ich zuerst enttäuscht, aber dann habe ich eben Janina mitgenommen.
Genauso wie Ulla und Janina in der berüchtigten Westkurve der 1980er-Jahre ihre Plätze einnehmen konnten, finden auch andere Frauen Zugang zum Stadion und zur Fankurve und fühlen sich dort zu Hause: Die Metapher der "zweiten Familie", das Gefühl der Zugehörigkeit spielt auch in den Erzählungen weiblicher Fans eine wichtige Rolle. Neben diesen Gemeinsamkeiten zwischen männlichem und weiblichem Fußballzugang gibt es jedoch auch deutliche Differenzen. Fußball ist ein nach bestimmten geschlechtsspezifischen Regeln organisiertes soziales und kulturelles Umfeld. Die Auseinandersetzung damit bestimmt unweigerlich mit, wie sich weibliche Fans im Fußball bewegen. Ein zentrales Element ist hier die starke Trennung zwischen männlichen und weiblichen Rollen. In ihrer Feldstudie zum 1. FC Union Berlin beschäftigt sich die Ethnologin Victoria Schwenzer auch mit den Rollen, die Männern und Frauen im Fußball angeboten werden: Da sind der fachsimpelnde Experte, der Held, der von Auseinandersetzungen mit Polizei und gegnerischen Fans berichten kann, und der meist lautstarke Enthusiast. Alle sind samt ihrer Mischformen als Fans definiert und akzeptiert. Für die Frauen bleiben ergänzende Rollen, denen wiederum gemein ist, dass sie nicht als Fans definiert sind: die Begleiterin, das schwärmende Mädchen oder die zu beschützende Frau.
Um ihrerseits als Fan anerkannt zu werden, müssen sich Frauen im Fußball mit diesen Zuschreibungen auseinandersetzen. Das bedeutet, Fußballkompetenz unter Beweis stellen zu müssen, die Männern "qua Geschlecht zugestanden wird", wie Wetzel schreibt. Es bedeutet, sich gegen die Unterstellung zu wehren, nur aus erotischem Interesse an den Spielern oder – eine Variante, die die organisierte Fanszene kennt – an den tonangebenden Männern in der Kurve ins Stadion zu gehen.
Es bedeutet, nicht zu viel Schwäche, Zimperlichkeit oder Angst zu zeigen – sich also möglichst wenig entlang klassisch weiblicher Rollenmuster zu verhalten. Darunter fällt etwa auch der Verzicht auf allzu feminine oder freizügige Kleidung, denn die gehört zum Rollenfach Groupie und legitimiert in der sexistischen Logik (nicht nur der Fankurve) die Wahrscheinlichkeit von dummen Sprüchen oder gar Übergriffen. Auch Frauen tragen stattdessen lieber das geschlechtsunspezifische und stadionkompatible Fanoutfit: Jeans und Trikot, T-Shirt oder Kapuzenpulli.
Sophia Gerschel hat die Stellung junger Frauen in der Ultraszene am Beispiel der Jenaer Gruppe "SenoritHAs" untersucht. Sie schildert die Auseinandersetzungen mit Geschlechterstereotypen, die bei Männern und Frauen vonstattengehen und zumindest in Jena für eine Akzeptanz der weiblichen Ultragruppe gesorgt haben. Dafür, so sehen es die jungen Frauen selbst, ist eine erfolgreiche Abgrenzung nötig: "Wir sind keine Cheerleader, wir stehen nicht am Rand. ". Insgesamt macht diese prekäre Balance einen Teil des Reizes aus, den die Fußballwelt auf Frauen ausüben kann:
ZitatFrauen können sich ausprobieren
Die Fankurve ist eine Welt junger Männer, die nach deren Regeln funktioniert, und es gibt Möglichkeiten für Frauen, sich dort selbstverständlich und anerkannt zu bewegen. Frauen können sich in dieser Umgebung, so sie wollen, eine Scheibe der männlichen Sozialisation abschneiden. Sie können sich ausprobieren in Eigenschaften, Handlungen und Haltungen, die eigentlich für Männer reserviert sind, manchen Frauen jedoch, zumindest zeitweise, näher liegen als die allgemeinen gesellschaftlichen Anforderungen an ihr Geschlecht.
Zitiert nach Selmer/Sülzle 2006, S. 125
Lauter und raumgreifender als sonst können sich auch Frauen im Fußball geben, den Schiedsrichter beschimpfen, Bier verschütten und jubeln. Die Zugehörigkeit zur Fankultur ist Frauen möglich, in jede Nische der Kurve können sie jedoch nicht gelangen. Im Fußball bieten sich Frauen Freiräume, die anderswo schwer vorstellbar sind, zugleich werden ihnen aber auch feste Grenzen gesetzt.
Wenn es um die – symbolische oder reale – Ausübung von Gewalt geht, gelten im Stadion für Männer und Frauen unterschiedliche Regelungen: Ein Mann verteidigt sich, wenn er oder seine Ehre – seine Kurve, seine Fahne – angegriffen wird. Für Frauen gilt hingegen, dass sie nicht geschlagen werden, aber noch viel weniger selbst schlagen. Weibliche Fans können Teil der Gruppe sein, sie gehören jedoch nicht in die erste Reihe, weder bei körperlichen Auseinandersetzungen noch für die Imponiergesten gegenüber der gegnerischen Fangruppe.
Zielgruppe Frau. Interesse der Fußballindustrie an Frauen
Frauen als Zielgruppe für Fußballmarketing, Sponsoren und Vereine sind eine vergleichsweise neue Erscheinung. Nur allmählich setzt sich die Einsicht durch, dass Frauen beim Fußball ein noch weitgehend unausgeschöpftes wirtschaftliches Potenzial darstellen. Das Marktforschungsinstitut Sport + Markt AG präsentierte 2008 eine Untersuchung zum Thema Frauen und Fußball unter dem Titel "Fußballboom dank Frauen" . Bemerkenswert ist die Mahnung der Marktforscher an Vereine und Sponsoren. Bemerkenswert deshalb, weil kaum einmal darauf gehört wird. Was den Vereinen und Sponsoren einfällt, um Fußball an die Frau zu bringen, hat mit Fußball oft wenig zu tun.
QuellentextFußballboom dank Frauen
Unsere Forschungen zeigen zudem, dass ein Aspekt klar überschätzt wird: Der 'Popstar-Faktor'. Die Mehrheit der Frauen sind genauso leidenschaftliche Fußballfans wie Männer.
Ein früher Wegbereiter war hier Peter Krohn, in den 1970er-Jahren HSV-Präsident und erster bezahlter Manager im Fußball, der dem Fußball neue weibliche Zuschauerkreise erschließen wollte: Frauen sollten durch neue Trikots in Rosa und Himmelblau angesprochen werden, bei ihren vermeintlichen ästhetischen Vorlieben abgeholt werden ("Diese Farben gefallen Frauen."). Auch ein erotisches Moment wollte Krohn in die mediale Präsentation der Spieler einbringen und malte sich Sektbäder für erfolgreiche Torschützen aus: "So was lockt Mädels ins Stadion".
Auch heutige Marketingabteilungen beziehen ihre Sicht auf weibliche Fans aus der Unterstellung von Fansein als Männersache. In vielen Fällen bedeutet dies, für die nicht zu leugnende Anwesenheit von Frauen im Stadion eine andere Erklärung zu finden als für die Anwesenheit der Männer:
"Etwa 50 Prozent unserer weiblichen Fans sind Teenies, die ins Stadion kommen, weil sie die Spieler toll finden. Für die würden wir auch gerne was machen", wird der Fanbeauftragte des VfL Bochum Dirk Michalowski im Mai 2007 im "Tagesspiegel" zitiert. Dort verrät auch Christian Venghaus, Fanbeauftragter von Arminia Bielefeld, was sein Verein für Frauen tut:
Zitat Ein knackiger Mann mit engen Shorts
Mit unserer Plakatkampagne sprechen wir auch Frauen an. Da gibt es zum Beispiel einen knackigen Mann mit engen Shorts.
Quelle: Christian Venghaus, Arminia Bielefeld, Leitung Club-Marketing und Mitglieder & Fan in: Tagesspiegel vom 26. Mai 2007, "Rosa Schals und Miss-Wahlen"
Im für die Deutsche Fußball Liga erstellten Report "Fan 2007. Qualitative Studie zur Anziehungskraft der Bundesliga" heißt es: "Neu hinzugekommen ist seit 2006 die starke Faszination für Fußball durch Frauen." Auch hier wird ein spezifisch weiblicher Blick auf den Fußball postuliert. Frauen, so schreibt Medienforscher Jo Groebel, seien keineswegs "eine Zielgruppe für komplett übertragene, normale Fußballspiele, sondern vor allem für Zusammenschnitte in Magazinform mit viel Balldramatik und vielen Menschen- und Prominenten-Geschichten".
Die Schlussfolgerung aus dieser Konstellation ist es, Fußball zielgruppenspezifisch für Frauen zu vermarkten – ganz ohne Fußball. Wie das aussieht, zeigte die Website www.herthafreundin.de von Hertha BSC, die im Februar 2007 online ging und speziell weibliche Fans ansprechen sollte – mit Interviews und Fotos von Spielern, Schminktipps, Kochrezepten und Erläuterungen von Fußballregeln, aber ohne eine aktuelle Tabelle. Die "herthafreundin.de" ist inzwischen offline.
In den Fanartikelkatalogen der Bundesligavereine werden Frauen als eigene Zielgruppe mit Rubriken wie "Damen-Kollektion" oder "Lady Collection" bedacht. Die Damenabteilungen bringen Abwechslung in das sonst meist zweifarbig an den Vereinsfarben orientierte Sortiment der Fanartikel, denn sie enthalten viel Rosa, Glitzer und Blümchendekor. Besonders zwischen 2005 bis 2009 waren rosa Fanartikel bei den Einkäufern der Marketingabteilungen groß in Mode. Der rosa Schal führt die Idee, für alle sichtbar für den Verein und seine Farben einzustehen, ad absurdum. Frauen werden dadurch als das "Besondere" markiert. Sie sind für alle auf den ersten Blick als Frau zu erkennen und werden so nicht einem Verein, sondern zuallererst einem Geschlecht zugeordnet.
Die rosa Fanartikel haben für Diskussionen und Proteste in der Fanszene gesorgt. Die Kritik gilt dabei zum einen der – als Symptom der Kommerzialisierung begriffenen – Verwendung anderer Farben als der traditionellen Vereinsfarben, zum anderen jedoch auch der damit verbundenen Ausgrenzung der weiblichen Fans: So stellen Fans von Eintracht Frankfurt auf der 2008 gestarteten Website "www.stoppt-rosa.de" ("stoppt rosa" ist inzwischen offline) fest: "Frauen wollen in der Männerdomäne Fußball ernst genommen und gleich behandelt werden. Warum brauchen wir dann Fanartikel extra in 'Girlie'-Farben?"
QuellentextRosa Tanktops im Abseits
Vereine, Verbände und Medien sind gut beraten, ihr Augenmerk auf die Zielgruppe der Frauen und Mädchen zu legen. Fernab aller Klischees gilt es, die Fußballbedürfnisse weiblicher Fans auf Augenhöhe zu befriedigen. Ein paar rosa Tanktops im Fanartikelkatalog tun es da nicht mehr.
Quelle: Sport + Markt, 2008
Maßnahmen zur "positiven Diskriminierung"
Eine weitere Variante dieser besonderen Adressierung von weiblichen Fans sind Maßnahmen zur "positiven Diskriminierung", wie etwa verbilligter Eintritt in den unteren Spielklassen in Deutschland für "Frauen, Arbeitslose und Senioren", Blumen oder Sekt im Stadion zum Valentinstag oder bei anderen als "Frauentag" definierten Gelegenheiten. Diese Aktionen sollen nach Aussage der Verantwortlichen mehr Frauen und Mädchen ins Stadion locken. Sie sorgen jedoch auch dafür, dass diese herausstechen und nicht einfach ganz normale Fans sind, die den vollen Preis zahlen und statt einer Rose ein Bier in der Hand halten. Die Maßnahmen, mit denen die vermeintlich anderen weiblichen Interessen befriedigt werden sollen, führen zu einer weiteren Vertiefung der Kluft zwischen "Fan" und "Frau", zu einer Fortschreibung der Legende von der "Wesensverschiedenheit" und sichern damit die Männerbastion Fußball. Energisch verwehren sich unter anderem die weiblichen Ultras aus Jena gegen diese Praxis :
ZitatJenaer SenoritHas
Wir wollen verdammt noch mal keinen Preisnachlass oder irgendwelche Sonderaktionen. Wir wollen keine mitleidsvollen oder belächelnden Blicke und wir wollen uns nicht rechtfertigen müssen für das, was wir tun!
Die rosa Fanartikel sind inzwischen wieder aus vielen Fanshop-Sortimenten verschwunden, was als Beleg für ihre geringe Beliebtheit gewertet werden darf. Die Versuche, Fußball geschlechtsspezifisch zu vermarkten, gehen jedoch weiter. Im September 2012 präsentierte Werder Bremen gemeinsam mit seinem Sponsor Kraft Foods "die erste Frauenloge" der Bundesliga.
ZitatJacobs Ladies Lounge
Das Angebot ist hochattraktiv: In einer grün-weißen Wohnzimmeratmosphäre erleben weibliche Fußballfans bei Kaffee, Kuchen die Heimspiele des SV Werder in einem ganz besonderen Ambiente.
Quelle: Marco Gottschalk von Jacobs Krönung, Werder Bremen News 2012
Die Ergänzung des Kaffeeklatschs für Frauen ist die auf dem Stadionvorplatz aufgebaute "Bull‘s-Eye-Bude". Zu der heißt es: "Der unübersehbare Slogan 'Echter Geschmack für echte Kerle!' zeigt sofort, wer die Zielgruppe dieses Auftritts ist. 'Grillen ist ganz klar Männersache.' Und deshalb positioniert sich die amerikanische Barbecue-Sauce mit ihrem typisch rauchigen Geschmack auch ganz klar als Männerprodukt – auch wenn die Saucen natürlich durchaus auch Frauen schmecken".
"Not here for your entertainment". Frauen in der aktiven Fanszene
Frauen, die sich in der Fanszene bewegen, setzen sich mit den dort herrschenden Strukturen und Vorurteilen, aber auch den sich bietenden Freiräumen auseinander – als einzelne Fans im Stadion ebenso wie als organisierte Fanklubs, Ultragruppen oder informelle Netzwerke. Das Spektrum der von weiblichen Fans – mehr oder weniger bewusst – eingesetzten Strategien im Umgang mit der "männlichen Grammatik" der Fankultur ist bunt und vielfältig. Weibliche Fans kennen das Vorurteil, sie würden nur ins Stadion gehen, um sich die gut trainierten Männer anzuschauen. Diese Unterstellung impliziert zum einen, dass männliche Fans dies nicht tun, zum anderen, dass Fans generell so etwas nicht tun, und schließlich auch, dass Frauen, die Spieler betrachten wollen, vom Spiel selbst nichts verstehen.
Diese Meinungen werden auch von vielen Frauen geteilt. Sie grenzen sich bewusst und offensiv von vermeintlichen Groupies ab. Kommentare über das Aussehen der Spieler können peinlich auffallen und sind für ihren eigenen Status als Frau beim Fußball alles andere als hilfreich. Einen anderen Umgang wählte schon vor rund zehn Jahren der Frauenfanklub "Always Ultras Cologne". Die Kölnerinnen ließen mehrere Saisons die Zuschauerinnen im Stadion den "Mr. FC Köln" unter den Spielern küren, der dann mit Schärpe und Urkunde ausstaffiert wurde. "Wir haben uns gesagt, die wollen das Klischee, wir geben ihnen das Klischee", sagt eine der Frauen des Fanklubs.
Frauenfanklubs und Ultragruppen
Nicht nur in Köln, auch an anderen Orten wie Aachen, Bochum, Dortmund, Frankfurt, Nürnberg oder Wolfsburg gab oder gibt es Fanklubs nur für Frauen, die als "Red-Black Crazy Girls", "Betzemääd" oder "BVB-Schicksen" mehr oder weniger sichtbar im Stadion selbst und auch auf Webseiten in Erscheinung treten. Die Motive für den Zusammenschluss sind dabei ganz unterschiedlich, ebenso wie bei gemischten oder rein männlichen Fanklubs. Von der buchstäblichen Schnapsidee einer Freundinnenrunde über den organisatorischen Rahmen für einfacheren Ticketkauf und gemeinsame Auswärtsfahrten bis zum Anliegen, damit auch ein Zeichen für die Präsenz von Frauen auf den Rängen zu setzen: So schreiben etwa die "Betzemääd" des 1. FC Kaiserslautern auf ihrer Website: "Frauen interessieren sich für Fußball und sonst nichts. Wir möchten in erster Linie unseren FCK unterstützen und demonstrieren, dass auch Frauen sich für Fußball interessieren, mitfiebern und mitleiden und sich gerne gemeinsam Fußballspiele anschauen."
Stimmen "Frauen interessieren sich für Fußball und sonst nichts. Wir möchten in erster Linie unseren FCK unterstützen und demonstrieren, dass auch Frauen sich für Fußball interessieren, mitfiebern und mitleiden und sich gerne gemeinsam Fußballspiele anschauen." "Betzemääd", 1. Frauen-Fan-Club des 1.FC Kaiserslautern zitiert aus: http://www.betzemaed.de/ "Nur weil es mehr weibliche Fans und Ultras in den Kurven gibt, bedeutet das nicht gleichzeitig auch, dass sie so respektiert und behandelt werden, wie es sich gehört." "Blickfang Ultra", Magazin zur deutschen Ultraszene zitiert aus der Ausgabe vom Februar 2010
"Wir wollen akzeptiert werden, denn wir leben diesen Sport, wie viele andere Mädels auch. Wir geben 100 Prozent, 90 Minuten lang und versuchen unseren Verein bis aufs Letzte zu unterstützen. Ist das alles weniger wert, nur weil wir Frauen sind?!" "SenoritHas", weibliche Ultragruppe des 1. FC Carl Zeiss Jena zitiert aus: "If I where a boy" "Wir versuchen also den Nachteil, der sich für die weibliche Minderheit beim Fußball ergibt, unter dem Namen „Chicas“ bewusst publik zu machen, anzupacken und zum Guten zu wenden. Dabei stehen unsere Jungs hinter uns und zeigen uns immer wieder, dass wir letztendlich als vollkommen gleichwertige Mitglieder gelten." "Chicas" Chicas sind alle weiblichen Mitglieder der Schickeria München, einer Ultragruppe des FC Bayern München "Und brav, lieb und nett wollen wir auch nicht sein. Keine Engelchen, Mäuschens oder Schnuckis. Dann schon lieber Schicksen!" "BVB-Schicksen", Frauen-Fan-Club der Borussia Dortmund zitiert aus: http://www.bvb-schicksen.de/die-bvb-schicksen.html
"Wir sind ein reiner Frauenfanclub, keine Groupies, keine Feministinnen, sondern ganz normale weibliche Eintrachtfans! Und gegen Männer haben wir auch nix ;-) " "EFC Frieda", Frauen-Fan-Club von Eintracht Frankfurt zitiert aus: Nicole Selmer, 2011
"Ständig wiederkehrende Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern aufgrund von lächerlichen Beziehungsproblemen und die 'Unbeständigkeit' einiger Männer in unseren Reihen, die anscheinend nur in unserer Gruppe aktiv sein wollten um Frauen kennenzulernen, brachten das Fass schließlich zum Überlaufen." "Ultrà Sankt Pauli", weibliche Ultragruppe des FC St. Pauli zitiert aus: "Kein Schritt zurück" Eine explizit feministische Position vertritt dabei kaum eine der Gruppen nach außen. Auch die weiblichen Fanklubs bewegen sich im Spannungsfeld, das die Situation von Frauen im Fußball prägt: Die eigene – subjektiv ganz selbstverständlich erlebte – Liebe zum Fußball kollidiert immer wieder mit der Infragestellung des Fanstatus von außen. Die Auseinandersetzung mit Klischees über weibliche Fans drückt sich ironisch gewendet in Namen wie "TivoliTussen" (Alemannia Aachen), "Milchschnitten" (FC St. Pauli) oder "Uschifront" (1. FC Köln) aus. Letztere präsentieren sich als Gruppe im Stadion zudem mit einer rosa Zaunfahne als Provokation und Umwertung der in der Kurve negativ besetzten Weiblichkeitsklischees.
Almut Sülzle schreibt zu den Strategien der Umwertung. "Sie dienen der Aufdeckung 'verborgener', nicht thematisierbarer Ausschlussmechanismen und gleichzeitig dem Übertreten und Verwischen dieser eben dadurch aufgezeigten Grenzen. Die Frauen, die diese Taktiken einsetzen, wissen sehr wohl, dass es gerade diese Grenzziehung zwischen Frau und Fan ist, die ihnen das Leben im Fußball auf Dauer schwer macht".
Auch in der Ultraszene ist das Thema "Frauen in der Kurve" auf verschiedenen Ebenen präsent: Transparente gegen Sexismus – wie es sie in den letzten Jahren unter anderem bei Darmstadt, Hannover und St. Pauli gegeben hat – sind nicht an jedem Spieltag zu sehen, aber es gibt sie. Das Magazin "Blickfang Ultra", Sprachrohr der Szene, lässt in seiner Ausgabe vom Februar 2010 auf mehreren Seiten über "Female ultrà contra Sexismus. Diskriminierung hat viele Gesichter" diskutieren. Dabei geht es um Vor- und Nachteile von Frauensektionen in Ultragruppen, um Sexismus und die Frage nach der Akzeptanz von weiblichen Ultras: "[N]ur weil es mehr weibliche Fans und Ultras in den Kurven gibt, bedeutet das nicht gleichzeitig auch, dass sie so respektiert und behandelt werden, wie es sich gehört".
Die Jenaer "SenoritHAs", die auch mit einem eigenen Doppelhalter im Stadion präsent sind, fordern in einem Text ("If I were a boy") Respekt ein und berufen sich dabei auf die Ultraideale der Gemeinsamkeit, des unbedingten Einsatzes für den Verein: "Wir wollen akzeptiert werden, denn wir leben diesen Sport, wie viele andere Mädels auch. Wir geben 100 Prozent, 90 Minuten lang und versuchen unseren Verein bis aufs Letzte zu unterstützen. Ist das alles weniger wert, nur weil wir Frauen sind?!"
QuellentextSenoritHas Jena: If I were a boy…
Wenn ich ein Junge wäre, dann würde ich anziehen, was ich will, mit meinen Freunden Bier trinken gehen und dann zum Stadion fahren. Ich würde mir das Spiel angucken und schreien, bis ich keine Stimme mehr habe. Ich würde meinen Emotionen freien Lauf lassen und auch schimpfen, wenn mir etwas nicht passt. Wenn ich ein Junge wäre, würde ich mich anlegen mit wem ich will, würde 90 Minuten lang alles geben und dann den Abend in der Kneipe ausklingen lassen - aber ich bin nun mal kein Junge. Habe ich trotzdem das Recht all diese Dinge zu tun?
Man könnte meinen in unserer so liberalen emanzipierten Welt sollte dies kein Problem sein und doch finden sich immer wieder Orte, an denen das nicht der Fall ist. Die Medien bieten da das beste Beispiel. Wenn Frauen in Bierwerbespots vor ein Eislaufprogramm gesetzt werden, während der Mann gemütlich das Spiel ansieht und Frau bestenfalls noch für den Getränkenachschub sorgen darf, sind die Rollen klar verteilt. Kein Wunder, dass dieses Bild der Frauen dann auch von der Gesellschaft übernommen wird und die Stadionbetreiber diesen armen unwissenden Geschöpfen unter die Arme greifen wollen, indem sie die Eintrittspreise für Frauen herabsetzen. Spätestens jetzt ist auch der letzte Fan davon überzeugt, wenn man ihnen schon Preisnachlass gibt, dann muss es wirklich schlimm um die Frauenwelt stehen. Und schon ist man in eine Ecke gedrängt, ohne doch etwas falsch gemacht zu haben.
Wir wollen verdammt noch mal keinen Preisnachlass oder irgendwelche Sonderaktionen. Wir wollen keine mitleidsvollen oder belächelnden Blicke und wir wollen uns nicht rechtfertigen müssen für das was wir tun! Wir wollen akzeptiert werden, denn wir leben diesen Sport, wie viele andere Mädels auch. Wir geben 100%, 90 Minuten lang und versuchen unseren Verein bis aufs Letzte zu unterstützen. Ist das alles weniger wert, nur weil wir Frauen sind?! Muss ich mich wirklich verkleiden und auch den letzten Funken Weiblichkeit ablegen, nur um auch etwas Anerkennung für mein Tun zu bekommen?!
Wir betrachten Rassismus als veraltete Erscheinung, aber legitimieren es, wenn Frauen auf Grund ihres Geschlechtes anders behandelt werden. Ist das nicht auch diskriminierend? Muss ich meinen Namen in den Dreck ziehen lassen, damit gegnerische Fangruppen etwas zum provozieren haben? Und muss ich das alles weiterhin übersehen, um in der Männerwelt akzeptiert zu sein? Wir wollen nicht länger, dass unser Intellekt, unsere Meinung, unser Wissen und unsere Erfahrung herabgewürdigt werden, nur weil wir in die vermeintlich letzte Männerdomäne eingedrungen sind. Ist es nicht traurig, dass Männer sich so bedroht fühlen durch die bloße Anwesenheit des weiblichen Geschlechtes? Durch besonders grobschlächtiges Verhalten kaschiert man seine eigene Unsicherheit und macht den Stadionbesuch für die Frauen teilweise unerträglich. Ist das wirklich Sinn der Sache?
Wäre es nicht viel schöner, wenn alle zusammenarbeiten, schließlich wollen wir doch das Selbe: die grenzenlose Liebe und Hingabe zu unserem Verein. Wir haben es alle gemeinsam geschafft, den Rassismus aus unseren Stadien zu vertreiben und nun ist es an der Zeit gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen und nicht mehr wegzusehen, sondern auch dem Sexismus den Kampf anzusagen!
Gemeinsam werden wir es schaffen, beim Fußball und überall!
Aus: SenoritHas Jena: If I were a boy…
Einen subversiv-ironischen Seitenhieb auf Vorurteile gegenüber Frauen in den Ultraszenen inszenierten die Frauen von "Ultrà Sankt Pauli" im Januar 2010, indem sie auf der Website der Gruppe ein Statement veröffentlichten: "Lange Jahre haben wir uns für ein gleichberechtigtes Miteinander ausgesprochen und eingesetzt und vertreten auch nach wie vor die Position, dass die Liebe, die uns mit dem FC Sankt Pauli verbindet, über Geschlechtergrenzen hinausgeht, doch seit einiger Zeit können wir unsere Augen nicht mehr vor den Tatsachen verschließen.
QuellentextUltra‘ Sankt Pauli: Kein Schritt zurück!
Nach langen Diskussionen haben wir, die weiblichen Mitglieder der Gruppe Ultra‘ Sankt Pauli, beschlossen, uns zur Rückrunde der Männer unserer Gruppe zu entledigen. Seit Jahren lastet die gesamte Arbeit, die USP zu der Gruppe macht, die sie ist, allein auf unseren Schultern. Da wir es leid sind, den Ertrag unserer Arbeit in diesem sexistischen Feld Fußball, nur von Männern repräsentiert zu sehen, haben wir uns entschieden, zu drastischen Mittel zu greifen und in einer flashmobartigen Aktion die männlichen Mitglieder gewaltsam zum Gruppenaustritt zu zwingen.
Lange Jahre haben wir uns für ein gleichberechtigtes Miteinander ausgesprochen und eingesetzt und vertreten auch nach wie vor die Position, dass die Liebe, die uns mit dem FC Sankt Pauli verbindet, über Geschlechtergrenzen hinausgeht, doch seit einiger Zeit können wir unsere Augen nicht mehr vor den Tatsachen verschließen. Den männlichen Mitgliedern unserer Gruppe mangelt es zu großen Teilen so grundlegend an dem von uns gelebten Verständnis von Ultra‘, dass es für uns nicht mehr tragbar erschien, sie in unserer Gruppe zu dulden.
Die zunehmenden Verschiebungen der Prioritäten, weg von fußball- und ultrà-relevanten Themen, hin zu einem popkulturartigen Ultrà-als-Hobby- Habitus, wurden für uns unerträglich. Ständig wiederkehrende Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern aufgrund von lächerlichen Beziehungsproblemen und die "Unbeständigkeit" einiger Männer in unseren Reihen, die anscheinend nur in unserer Gruppe aktiv sein wollten um Frauen kennenzulernen, brachten das Fass schließlich zum Überlaufen.
Wir lassen uns nicht mehr von zeitaufwändigen Schwanzvergleichen in unserer Gruppenentwicklung bremsen und sehen nach endlosen, ertraglosen Debatten unsere Ideale in so großem Maße geringschätzt und durch den Dreck gezogen, dass wir die einzig bleibende Konsequenz gezogen haben- den gewaltvollen Ausschluss.
Aus:Ultra‘ Sankt Pauli: Kein Schritt zurück!, Januar 2010
Das dazugehörige Foto zeigt vermummte Frauen in szene- und fantypischer Kleidung mit Schlagstöcken und einer Bionade-Flasche. Es ist ein ernsthaftes Statement "echter" Fans, das sich der Mittel von Ironie und Subversion bedient. Die Aktion der USP-Frauen sorgte in Ultraforen für viel Aufmerksamkeit und wurde bei Weitem nicht von allen als ironisch verstanden. Die männliche Gruppenpose, hier inszeniert von weiblichen Ultras, und der ironische Umgang mit den Geschlechterstereotypen bringen offensichtlich Unruhe in die Geschlechterverhältnisse der Fankurven. Was Sophia Gerschel zusammenfassend für Frauen in der Ultraszene schreibt, kann so auch für weibliche Fans in anderen Bereichen des Fußballs gelten:
ZitatFrauen tun das, was andere Ultras auch tun.
Wie kam es, dass sich Frauen einer solchen männerdominierten Szene anschlossen? Auf diese Frage gibt es keine frauenspezifische Antwort. Ihnen liegt einfach der Jenaer Fußball am Herzen, sie teilen die gleichen Ideale und Anschauungen wie die männlichen Ultras, wodurch ein Zusammenhalt der Gruppe entsteht, bei dem es keine Rolle spielt, ob man Frau oder Mann ist. Die Frauen nehmen an den regelmäßigen Treffen teil, sie helfen bei der Vorarbeit für die Choreographien und fahren mit zu den Auswärtsspielen. Sie tun das, was andere (männliche) Ultras auch tun.
Frauen als Teil der aktiven Fanszenen werden auch medial zunehmend wahrgenommen: Über die verschiedenen Frauen-Fanklubs sind mehrere Artikel, Porträts und Interviews erschienen, die sich zum überwiegenden Teil ernsthaft mit dem Fandasein der Frauen auseinandersetzen. Dem Thema weiblicher Ultras widmete sich im September 2012 die Sendung "Tracks" auf ARTE, ebenso wie ein Artikel der "tageszeitung" im Januar 2012.Von nachhaltigerer Wirkung für die Anerkennung von Frauen in der Kurve dürften jedoch Aktionen wie das Statement der "SenoritHAs", die Provokation der USP-Frauen sowie Fahnen und Doppelhalter sein, die die Präsenz von Frauen anzeigen und gegen Sexismus Position beziehen.
ZitatFußball, Frauen, Männlichkeiten
Meinem Eindruck nach haben in den letzten Jahren solche öffentlichen, explizit auf Veränderung des Geschlechterverhältnisses ausgelegte Aktivitäten und Aktionen gegen Sexismus – der auch als solcher beim Namen genannt wird – zugenommen.
Quelle: Almut Sülzle, 2011
Das seit 2004 bestehende Netzwerk "F_in Frauen im Fußball" von weiblichen Fans, Fanprojektmitarbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen usw. hat sich die Sichtbarmachung solcher Aktionen ebenso auf die Fahnen geschrieben wie den Einsatz gegen Sexismus. Mit T-Shirts, Aufklebern oder einem Transparent, das in verschiedenen Kurven präsentiert wurde, macht "F_in" darauf aufmerksam, "dass Fußball auch Frauensache ist – auf den Rängen, auf dem Platz, in der Gesellschaft".
QuellentextF_in Netzwerk Frauen im Fußball
F_in steht für die Verbindung von Frauen und Fußball: dafür, dass Fußball auch Frauensache ist – auf den Rängen, auf dem Platz, in der Gesellschaft.
F_in ist ein internationaler Zusammenschluss von weiblichen Fans, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen Gegründet wurde das Netzwerk im Jahr 2004 im Rahmen der von der deutschen Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) veranstalteten Tagung „Abseitsfalle!?“.
F_in will > Frauen in verschiedenen Bereichen wie Fanprojekten, Fanorganisationen, Journalismus, Wissenschaft, Mädchenarbeit vernetzen > Frauen im Fußballkontext sichtbarer machen > Sexismus und Diskriminierung im Fußball aufzeigen und bekämpfen
Aus: http://www.f-in.org/, der Homepage von F_in Netzwerk Frauen im Fußball
Im März 2012 verordnete die UEFA sich selbst eine Quote von mindestens einer Frau für ihr wichtigstes Organ, das Exekutivkomitee, und berief die Norwegerin und ehemalige Aktive Karen Espelund als erste Vertreterin. Nur zwei Monate später zog der Weltfußballverband nach und berief Lydia Nsekera aus Burundi, Präsidentin des nationalen Verbandes, in das FIFA-Exekutivkomitee. Eine Quote von 40 oder auch nur 25 Prozent, wie sie für Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen wie Norwegen vorgeschrieben und europaweit zumindest diskutiert wird, erscheint für die Organisationen des Fußballs abwegig. Dessen Gremien rekrutieren sich zu einem großen Teil aus dem Kreis ehemaliger Aktiver, und hier ist der Männerfußball dem Frauenfußball, was ökonomisches Gewicht und die daraus folgenden professionellen Strukturen angeht, um Lichtjahre voraus und wird es voraussichtlich immer bleiben. Auch die Verwaltung und Regulierung des Frauenfußballs obliegt heute noch in vielen Fällen Männern.
Dennoch gilt: Wenn Frauen in Verbandsstrukturen wichtige Rollen einnehmen können, dann praktisch ausschließlich über die Nische Frauenfußball. Für den Deutschen Fußball-Bund ist hier Hannelore Ratzeburg die zentrale Figur. 1977 gelangte sie als Vertreterin für den seit sieben Jahren erlaubten Frauenfußball in den Spielausschuss und arbeitete sich – über strukturelle und persönliche Hürden hinweg – in weitere Gremien auf nationaler und internationaler Ebene. Die verdienstvolle Netzwerkarbeit von Ratzeburg hat zweifellos dazu beigetragen, mehr Frauen auch in Vereinen und Landesverbänden in verantwortliche Positionen zu bringen bis hin zur Rolle von Steffi Jones als Chefin des WM-Organisationskomitees 2011 und Direktorin der Abteilung Frauenfußball.
Diese Positionen in weiblicher Besetzung sind nur im Frauen- nicht im Männerfußball denkbar. Ob die institutionelle Diskriminierung, die "gläserne Decke" des Fußballs, langfristig dadurch verschwindet, dass die Hierarchien des Frauenfußballs durchlässiger für Frauen sind, bleibt abzuwarten.
Ausnahmeerscheinungen
In den Institutionen und Strukturen des Männerfußballs hingegen ist bis dato kaum eine Tendenz zu einer stärkeren Repräsentanz von Frauen zu erkennen: Britta Stegemann als Managerin der SG Wattenscheid in den 1990er-Jahren und Katja Kraus als Vorstandsfrau beim HSV zehn Jahre später sind bisher Ausnahmen geblieben und demzufolge immer wieder mit ihrer besonderen Rolle als "erste Frau" in ihrer jeweiligen Position konfrontiert. Interessant ist hier die Einschätzung von Katja Kraus, die in einem Interview im Juni 2011auf Basis ihrer langjährigen Erfahrung im Frauen- und Männerfußball einen Bewusstseinswandel durch Generationenwechsel konstatiert:
ZitatKatja Kraus, Gesellschafterin der Sportmarketingagentur Jung von Matt/sports
Als ich 1996 Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt wurde, war die Skepsis der Männer groß, und sie haben ihr Spielfeld nach Kräften verteidigt. Durchaus auch mal mithilfe eines Fouls. Auch heute spielen Männlichkeitsrituale in der Fußballbranche noch eine große Rolle. Aber das weicht gerade etwas auf, da zunehmend Männer, die eine andere Vorstellung von Führung, Teamstruktur und Kommunikation haben, in verantwortlichen Positionen sind.
Die aktuell einzige Pressesprecherin eines Bundesligisten, Katharina Wildermuth beim 1. FC Nürnberg, will ihre Rolle nicht als spezielles Problem des Fußballs sehen, wie sie im Februar 2012 in einem Interview sagte.
ZitatKatharina Wildermuth, Pressesprecherin beim 1. FC Nürnberg
In Deutschland sind Frauen heute im Durchschnitt besser ausgebildet als Männer, sie sind zielstrebig und ehrgeizig. Trotzdem sind sie in Führungspositionen unterrepräsentiert und verdienen in gleichen Positionen oft weniger. Das ist kein spezielles Problem des Fußballs, sondern in allen Branchen üblich.
Im Sportjournalismus zeigt sich ein ähnliches Bild: 2008 zählte der Verband Deutscher Sportjournalisten e. V. (VDS) unter seinen 3.600 Mitgliedern 10,5 Prozent Frauen, allerdings mit leicht steigender Tendenz. Im August 2003 waren es nur sechs Prozent. In leitenden Positionen sind Frauen auch im Sportjournalismus eine absolute Seltenheit, und auch mit ihrer Sicht- und Hörbarkeit steht es nicht zum Besten. Katrin Müller-Hohenstein ist als Moderatorin "des aktuellen sportstudios" des ZDFund bei Länderspielübertragungen etabliert, aber auch die einzige. Kollegin Monica Lierhaus bei der ARD ist zwar nur krankheitsbedingt nicht mehr im Einsatz, wurde im "Sportschau"-Team auch nicht durch eine Frau ersetzt.
Im Radio sind Sabine Töpperwien beim WDR und Martina Knief beim HR die einzigen weiblichen Stimmen der allwöchentlichen ARD-Bundesligakonferenz. Claudia Neumann war 2011 die erste Frau, die ein Fußballspiel im deutschen Fernsehen kommentierte – zur WM der Frauen. Auch hier ist es bisher also nur die Nische Frauenfußball, die weibliche Präsenz möglich macht, und auch das erst sehr spät. Aktuell sucht der Bezahlsender Sky die "erste Live-Kommentatorin der Bundesliga" (gemeint ist hier tatsächlich die der Männer). Da diese Suche nicht unter professionellen Journalistinnen, sondern im Stil von Model- und Musikcastingshows erfolgt, ist davon jedoch nicht mehr als ein Marketinggag zu erwarten.
Im Bereich der sozialpädagogischen Fanarbeit hingegen sind vergleichsweise viele Frauen beschäftigt – zumindest im Vergleich mit anderen Bereichen des Fußballs. Mit anderen Bereichen sozialer Arbeit verglichen ist der Anteil der hauptamtlich in den Fanprojekten beschäftigen Mitarbeiterinnen von 26 Prozent bei insgesamt 150 Beschäftigten in bundesweit 47 Fanprojekten eher niedrig. Die Herausforderung, die sich in diesem Feld stellt, ist die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte. So formulierten es schon 1997 mehrere Fanprojektmitarbeiterinnen der Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS) in einem Grundsatzpapier.
"Mädchenarbeit", also spezielle Angebote für weibliche Fans, gehört in vielen Fanprojekten zum Tätigkeitsspektrum und wird in aller Regel von den Kolleginnen geleistet, das heißt, eine weibliche Fachkraft ist meist Voraussetzung für diese Angebote. Ein Bewusstsein für die Beschäftigung der Mitarbeiter mit der Zielgruppe der weiblichen Fans fehlt jedoch oft. Auch eine geschlechtsreflektierte Arbeit mit Jungen, die deren spezifischen Zugang zum Fußball und Konzepte von Männlichkeit in der Fankultur in den Blick nimmt, ist noch weitgehend eine Leerstelle, wie die Erziehungswissenschaftlerin Esther Lehnert schreibt:
ZitatDie Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit ist wichtig
In der Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Fanprojekten fällt auf, dass es sich hierbei um eine Geschichte handelt, die eng verknüpft ist mit den Themen Gewalt und Männlichkeiten. Auffällig ist, dass es bei dem Thema Gewalt eine explizite Auseinandersetzung gibt, und dass es sie zum Thema Männlichkeiten nicht gibt, beziehungsweise bisher nur in marginaler Form. […]
Für diese wichtige Auseinandersetzung bedarf es männlicher Sozialpädagogen, die sich bereits mit ihrer Männlichkeit sowie ihren Vorstellungen über die Geschlechterordnung auseinandergesetzt haben und aus einer kritischen Auseinandersetzung heraus einen positiven Bezug zu ihrer eigenen Männlichkeit entwickelt haben.
In jüngster Zeit wird bei den Fanprojekten jedoch vermehrt in diese Richtung gedacht und gearbeitet: So stand auf dem von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) ausgerichteten Weiterbildungstreffen im September 2012 das Thema "Jungenarbeit" auf dem Programm.
Ihr eigenes Fußballinteresse war der Anstoß für Nicole Selmer, sich mit den Geschichten weiblicher Fans zu beschäftigen, 2004 erschien ihr Buch »Watching the Boys Play. Frauen als Fußballfans«. Gemeinsam mit Antje Hagel und Almut Sülzle veröffentlichte sie Selmer »gender kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht« (2005). Sie schreibt zu den Themen Fußball & Gender, Fankultur und (Anti-)Diskriminierung, u.a. in den Fußballmagazinen ballesterer und Transparent. Nicole Selmer lebt und arbeitet in Hamburg.
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