- Interner Link: 00:00 – Einstieg – die Panne der ARD
- Interner Link: 03:00 – Um was geht es in der zweiten Folge?
- Interner Link: 06:05 – Vorwurf der Briefwahl-Manipulation bei der Landtagswahl Sachsen-Anhalt
- Interner Link: 10:47 – Strafverfolgen bei Wahlbetrug
- Interner Link: 15:31 – Die Arbeit von Fact-Checkerinnen und Fact-Checkern
- Interner Link: 19:27 – Unterschied zwischen Verschwörungsmythen und Desinformation
- Interner Link: 22:50 – Welche Rolle spielt der "Cognitive Bias" bei der Wirkungsmacht von Faktenchecks?
- Interner Link: 26:35 – Was hat Desinformation mit gesellschaftspolitischen Fragen zu tun?
- Interner Link: 32:59 – Ausblick Folge 3
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Transkript von "Netz aus Lügen – Die Briefwahl (2/7)"
[00:00] Es ist der 24. September 2021. Der Freitag vor der Bundestagswahl. Ein langer Wahlkampf liegt beinahe hinter uns. In den letzten Monaten ging es um Laschets Lacher, Baerbocks Buch, Scholz’ Staatsanwaltschaftsbesuch. Irgendwann ging es nicht mehr darum, wirklich noch über Politik zu diskutieren, sondern sich gegenseitig Phrasen um die Ohren zu hauen, die über Monate auf den Marktplätzen der Republik geschliffen wurden.
Aber jetzt, am Freitag vor der Wahl, ist das meiste vorbei. Da passiert der ARD eine sehr peinliche Panne.
In der Freitagsausgabe von "Gefragt Gejagt” will Showmaster Alexander Bommes gerade herausfinden, wie viele Punkte die beiden Kandidatinnen erreichen können. Es geht hagelt Fragen um Schnittbohnen, Pyramiden und Klassiker des Deutschunterrichts.
Zuspieler (ZSP) "Gefragt Gejagt"
Und dann läuft unten ein Texteinblendung durch. "Bundestagswahl Hochrechnung 17:46 Uhr Union 22,1 % SPD 22,7 % AfD 10,5%”. Die Einblendung ist nur ein paar Sekunden zu sehen und trotzdem sofort im Internet. Schließlich ist "Gefragt Gejagt” auch eine der erfolgreichsten Sendungen im Ersten, laut Fernsehquoten sahen 2,36 Millionen Menschen zu.
Sofort geht die Mär vom Wahlbetrug um. Auf Twitter sind Sätze zu lesen wie:
ZSP
"Daran sieht man doch, dass die Wahl gefälscht ist. Diesen linksgrünen Medien, traue ich keinen Millimeter."
Das Erste stellt inzwischen auf Twitter klar - alles halb so wild. Hier ging nur ein Test für die Wahlsendung am Sonntag versehentlich live. Die Ergebnisse der Parteien sind frei erfunden.
Vermutlich hätte diese Panne vor zehn Jahren niemanden interessiert. Sie wäre getwittert worden, mit einem ironischen Kommentar versehen worden, à la "Na, wissen die schon mehr als ich?” Aber niemand hätte ernsthaft geglaubt, dass die ARD am Freitagabend schon die Ergebnisse der Wahl vom Sonntag hat.
Heute ist das anders. In einschlägigen Facebook-Gruppen oder Youtube-Channels geht es seit Monaten um kaum etwas anderes als Wahlmanipulation. Wahlbetrug. Angst vor der Briefwahl. Und diese Angst, verändert unser Verhältnis zu politischen Institutionen.
ZSP Jaursch
"Und da ist, glaube ich mittlerweile in den vergangenen drei bis vier Jahren zumindest aus meiner Sicht die Erkenntnis gereift, dass Plattformen nicht der Grund oder der Auslöser sind für Desinformation. Die gab es doch schon vorher. Desinformation gab es in der Zeitung, die gab es in Büchern, die gab's im Fernsehen. Aber dass wir eben aufgrund der riesengroßen Reichweite, der Schnelligkeit, der algorithmischen Verbreitung von Nachrichten, von Informationen, von Content im Netz, dass wir dadurch halt einfach Desinformation auf einem ganz anderen Niveau haben, in einem ganz anderen quantitativen und qualitativen Umfang und damit umzugehen, das ist, glaube ich, eine der der großen Fragen."
Jingle: "Netz aus Lügen - Die globale Macht der Desinformation" - ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung. Folge 2 – Die Briefwahl
Hallo, mein Name ist Ann-Kathrin Büüsker und ihr hört "Netz aus Lügen”.
Wichtig, bei uns bauen alle Folgen aufeinander auf - wenn ihr also die erste Folge noch nicht gehört habt, drückt kurz auf Stopp und hört sie. Denn wir machen nahtlos weiter.
In der letzten Folge haben wir über die Gefahr aus dem Ausland gesprochen - genauer über die Operation "Ghostwriter”, von der inzwischen auch das Auswärtige Amt sagt: Russland versucht die Accounts von Politikern und Politikerinnen zu hacken. Kleines Update dazu: Nachdem zuletzt die deutsche Regierung deutlich gegen Russland wurde, stimmt jetzt auch die Europäische Union mit ein. Sie fordert Russland dazu auf, sich an die Regeln eines verantwortungsvollen Verhaltens im Cyberspace zu halten. Über weitere Schritte werde nun nachgedacht.
Aber so viel zu Desinformation aus dem Ausland.
[03:00] In dieser Folge soll es um Desinformation aus dem Inland gehen. Denn auch ohne Eingriff aus dem Ausland gibt es hier sehr viele Lügen im Netz. Als Beispiel haben wir dafür eine Falschbehauptung herausgesucht, die im Vorfeld der Wahl, immer wieder zu hören war: Die Briefwahl sei nicht sicher. Ein Angriff auf die politische Institution. Und nachdem wir erklärt haben, wieso das nicht stimmt, gehen wir eine Ebene tiefer. Wie kann es eigentlich sein, dass wir jeden Tag mit so viel Desinformation konfrontiert sind, dass jeden Tag so viel Quatsch ins Internet geschrieben wird? Und warum glauben das so viele Menschen?
PAUSE
ZSP Thiel
"Erlauben Sie uns zum Schluss noch einen Satz zur Briefwahl."
Das ist Georg Thiel, der Bundeswahlleiter.
ZSP Thiel
"Die Briefwahl gibt es seit 1957 und es hat seit all den Jahren keinen Hinweis auf großflächige Manipulationen gegeben, die auch im Entferntesten in den Bereich hineingekommen wären, wo die Wahl nicht sicher und valide abgelaufen wäre. Es ist so, dass die Wahl, dass die Urnen für die Briefwahl genauso behandelt werden wie die Urnen für die normale Urnenwahl. Da geht häufig durchs Netz: Das würde unterschiedlich behandelt, das wäre nicht transparent. Nein, das ist nicht so."
Die Tonaufnahmen stammen übrigens aus derselben Pressekonferenz Anfang Juli, die wir schon in der ersten Folge gehört haben. Der Innenminister, der Verfassungsschutzpräsident, der Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und eben der Bundeswahlleiter - die vier Männer haben diese Pressekonferenz einberufen, um zu versichern: Die Sicherheit der Bundestagswahl ist nicht gefährdet. Weder von außen noch von innen.
Dass Georg Thiel von der Briefwahl spricht, hat zwei Gründe: zum einen ist da die pandemische Lage.
ZSP Thiel
"Wir stellen uns selbstverständlich darauf ein, dass angesichts der jetzt wieder neu sich abzeichnenden Pandemie-Lage die Briefwahl-Beteiligung steigen wird. Aber wir haben das gut bei den Landtagswahlen die Kollegen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gut gemanagt, dass sie fast verdoppelte Zahlen hinbekommen haben, das zu managen. Und da gehen wir davon aus, dass uns das gesamt auch bei der bei der Bundestagswahl am 26. September gelingen wird."
PAUSE
Der zweite Grund sind die immer lauter werdenden Stimmen, die vor einer Briefwahl warnen.
[06:05] Wie das so abläuft, kann man an einem konkreten Beispiel recht deutlich zeigen. Denn wir hatten dieses Jahr ja nicht nur eine Bundestagswahl, sondern auch mehrere Landtagswahlen, unter anderem in Sachsen-Anhalt.
Es ist ein Twitter-User mit dem klingenden Namen Buttergott_1, der am Nachmittag des 06. Juni für viel Verwirrung sorgt. In Sachsen-Anhalt wird an diesem Tag gewählt und so wirklich weiß niemand, wie es ausgeht. Bei den Meinungsforschungsinstituten Civey und Insa liefern sich die CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bei Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen liegt die CDU deutlich vorn.
Die AfD hofft in Sachsen-Anhalt stärkste Kraft zu werden. Und dann kommt Buttergott_1.
Um 11:47 twittert der ein Bild aus einem vermeintlichen Wahllokal. Viele Zettel liegen auf dem Tisch, Plexiglasscheiben sind zum Covid-Schutz aufgestellt worden. Und darüber schreibt er:
ZSP Buttergott_1
"Heute als Wahlhelfer in #SachsenAnhalt. Macht euch keine Sorgen, unser ganzes Team ist darauf vorbereitet der AfD
Der Tweet wird schnell vom ehemaligen AfD-Politiker André Poggenburg geteilt. Die Aufregung unter AfD-Wählerinnen und Wählern ist verständlicherweise groß. Nur: Das Foto stammt gar nicht aus einem Wahllokal in Magdeburg oder Halle, sondern aus den USA. Aus Washoe County, Nevada. Auch der Account Buttergott_1 ist ein Troll, wurde im Februar 2021 angelegt, inzwischen ist er gesperrt. Die Reaktionen, die der Tweet hervorrufen sollte, sie waren bewusst provoziert.
Aber die Nachricht der vermeintlichen Wahlmanipulation? Die ist in der Welt. Der Tweet wurde am Wahlabend 143 Mal geteilt und erreichte ein prognostiziertes Publikum von 2,5 Millionen Usern. Das findet später eine Studie heraus.
Und auch über diesen Tweet hinaus, wird die Legitimität der Wahl von einer lauten Minderheit stark angezweifelt. Die Vorwürfe werden unter anderem von der Partei "Die Basis” erhoben. Die Partei stammt aus dem Umfeld der Corona-Proteste im Jahr 2020. Mitglieder der Partei fallen immer wieder mit antisemitischen und den Holocaust relativierenden Äußerungen auf. Am 5.07.2021 taucht auf Youtube ein Video auf.
ZSP Fuellmich
"Reitschuster hat auch berichtet und es gibt noch ein paar Leute meinen, das kann nicht sein, dass diese Wahl, die kurz kurz bevor die Wahl losging, ein Kopf an Kopf Rennen mit der AfD zwischen AfD und der CDU vorhergesagt hat. Und dann am Ende gewinnt die CDU mit 10 prozent Vorsprung. Das halten wir für ziemlich ausgeschlossen."
Das sagt Reiner Fuellmich, Spitzenkandidat der Partei "Die Basis” für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Bei der Bundestagswahl trat er übrigens als Kanzlerkandidat an - die Partei erreichte bundesweit 1,4 Prozent.
"Die Basis” hat Einspruch gegen die Wahl eingelegt. Wie in anderen Bundesländern auch, kann man in Sachsen-Anhalt bis zu einem halben Jahr nach Bekanntmachung des amtlichen Ergebnisses Einspruch einlegen - dieser wird dann vom Wahlausschuss geprüft. Die Vorwürfe begründet Fuellmich mit der Diskrepanz zwischen Umfragen und Ergebnis. Und damit, dass die Wahlbeteiligung zwischen 16 und 18 Uhr stark anstieg.
ZSP Fuellmich
"Und dafür, dass hier etwas gedreht wurde, spricht ja auch dass, ich glaube Minuten vor Schluss der Wahllokale plötzlich aus einer Wahlbeteiligung von knapp 40 Prozent 60 Prozent wurde. Also diese 20 Prozent, die da aus dem Nichts auftauchten. Die muss man sich angucken. Wir gehen davon aus, dass das Briefwahlstimmen sind und wir gehen davon aus, dass das in großem Umfang getürkt worden ist, weil die Leute, die es gemacht haben, sich angeguckt haben: Wer hat die letzten 5-6 Jahre nicht gewählt? Ach, die werden wohl diesmal wieder nicht wählen. Also machen wir mal schön was für die. Wir machen Briefwahl. Es fiel auf, weil einige der Leute, die nicht gewählt hatten, doch plötzlich wählen wollten. Und denen wurde gesagt: 'Geht aber nicht. Du hast ja schon gewählt.' Also da werden wir sicherlich noch ein paar Überraschungen erleben. Ich kann es nicht sagen, aber es wird vor der Bundestagswahl noch sehr viel ans Licht kommen, auch zu diesem Wahlbetrug. Und das wird uns, denke ich, helfen."
Es gibt gleich mehrere Probleme an der Erzählung: Da wäre zum einen die Sache mit der Wahlbeteiligung zwischen 16 Uhr und 18 Uhr: das liegt daran, dass Briefwahlstimmen noch am Wahltag abgegeben werden konnten. So gingen sie erst spät in die Erhebung der Wahlbeteiligung mit ein. Und zum anderen: Nicht jedes Institut hat ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert. Civey und Insa stützen sich vor allen Dingen auf Online-Daten, die von Freiwilligen stammen, die sich gemeldet haben. Der Politikwissenschaftler Achim Goerres bezeichnet diese Umfragetechnik in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk als "Kreisklasse der Umfragetechnik”.
PAUSE
Wir könnten übrigens ewig so weitermachen - uns einzelne Fälle anschauen, wo behauptet wird: "Es wird einen großen Betrug bei der Bundestagswahl geben”, nur um dann zu erklären, wieso das nicht so ist.
Zum Beispiel die Behauptung, dass auch Stimmen von toten Menschen gezählt werden. Also dass beispielsweise die Grünen in die Todesanzeigen schauen und merken: "Mhm, Herbert Meier aus Bad Münster am Stein…. der wählt dieses Jahr grün”. Das ist so gut wie unmöglich - oder nur mit sehr großer krimineller Energie schaffbar. Da wäre zum einen das Wählerverzeichnis, das von den Kreisen aktuell gehalten wird. Und selbst wenn Herber Meier tatsächlich eine Wahlbenachrichtigung erhalten sollte - dann braucht er ja immer noch einen Wahlschein. Und den für einen Toten zu beantragen ist eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt ist.
ZSP Hellmann
"Die Strafverfolgungsbehörden sind, soweit ich das mitbekommen habe, sehr dahinter her, wenn es Hinweise oder bloß den Anfangsverdacht auf Briefwahl-Betrug oder in irgendeiner Art und Weise Wahlbetrug gibt. Das wird meines Wissens nach sehr stringent auch geahndet, wenn es da in irgendeiner Art und Weise zu Unstimmigkeiten kommen könnte."
Das sagt Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung. Er hat Wahlmanipulationen untersucht und sagt, flächendeckende Manipulation gibt es nicht. Was passiert, das sind Einzelfälle. Und die gab es auf kommunaler Ebene.
"Eine andere Konstellation, die etwas problematisch ist und wo wir dann wahrscheinlich auch zum Thema Wahlbetrug in Stendal kommen, ist eben die Beantragung von Briefwahlunterlagen. Sie haben die Möglichkeit, auch für andere Personen in Vertretung Briefwahlunterlagen zu beantragen."
Stendal. Inzwischen ein Standard-Beispiel, wenn geraunt wird, dass die Wahl in Gefahr ist. Was ist passiert? Bei der Kommunalwahl 2014 schnitt ein CDU-Abgeordneter per Briefwahl deutlich besser ab als in der Wahlkabine. Journalisten und Journalistinnen recherchierten und fanden heraus: Für den CDU-Mann wurden viel mehr Stimmzettel abgeholt als erlaubt - normalerweise sind es vier.
ZSP Hellmann
"Das hat eigentlich den Sinn, dass Sie für Personen, die aus anderen Gründen, beispielsweise weil sie gerade zum Arbeiten irgendwo anders sind oder? Ja, weil sie krank und gebrechlich sind, nicht selbst die Briefwahlunterlagen beantragen können, dass sie das für andere mitmachen können. Das ist eigentlich begrenzt auf vier Personen, für die sie das machen können."
In Stendal waren es 70. Und die auch nur auf eine der Bevollmächtigten. Insgesamt wurde der Abgeordnete für Wahlfälschung in 300 Fällen zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Ähnliches passierte übrigens auch bei der Kommunalwahl in Niedersachsen. 2016 haben vier Politiker der Linkspartei in Quakenbrück in einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil Wahlberechtigte zu Hause besucht. Für diese Menschen wurden dann Briefwahlunterlagen angefordert. Die Stimmzettel wurden dann teils durch die Politiker ausgefüllt und unterschrieben. In anderen Fällen füllten die Wähler die Wahlzettel zwar selbst aus - wurden aber in der Stimmabgabe beeinflusst. Der Betrug ist aufgeflogen, die Kandidaten und Kandidatinnen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Rahmen der Ermittlungen wurde dann auch gegen eine Politikerin der FDP Anklage erhoben.
Ihr fragt euch jetzt bestimmt: Wie passt das jetzt zusammen? Erst erzählen wir, dass es keine systematische Manipulation gibt und liefern dann die Gegenbeispiele gleich mit. Wer sagt mir, dass bei der Bundestagswahl nicht auch massenhaft Stimmen falsch abgegeben wurden?
Die Antwort liegt im Wahlrecht. Und in der Größe der Wahl.
Spielen wir das doch einmal durch.
Wie viele Stimmen brauche ich, um die Kommunalwahl in Quakenbrück zu meinen Gunsten zu entscheiden? Die Stadt hat rund 12.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wahlberechtigt sind rund 10.000
Auf Bundesebene ist das Ganze dann noch komplizierter.
Denn durch das Verhältniswahlrecht ist es höchstens möglich einer Partei insgesamt einen Sitz oder mehr im Bundestag zu verschaffen. Würde ich versuchen wollen, die Wahl in ganz Deutschland zu manipulieren, bräuchte ich Mitwissende in beinahe jedem Wahlkreis. Kurz: eine Verschwörung in einer Größenordnung, gegen die selbst "Die Amerikaner haben die Mondlandung gefaked” mickrig wirkt.
PAUSE
[15:31] Wir sind jetzt hier in dieser Folge in einer Situation, in der sich Fact-Checkerinnen und Fact-Checker oft befinden. Irgendwo wird ein Vorwurf erhoben, der schnell sehr viele Menschen erreicht. Das Video mit den Mitgliedern von der Partei "Die Basis” zur Landtagswahl wurde zum Beispiel mehr als 100.000 Mal abgerufen. Für ein beliebtes Musikvideo wäre das eher wenig. Für ein deutschsprachiges Video dieser Art ist das recht viel.
Aber wenn man sich die Vorwürfe dann anschaut, merkt man schnell: wirkliche Beweise für den Wahlbetrug gibt es nicht. Was bleibt ist ein Raunen.
Ein Raunen, das uns auf den fauligen Kern von Desinformation stößt. Denn Ziel von Desinformation ist ja nicht, die Wahrheit herauszufinden oder sie zu verbreiten - sich ernsthaft auf diese Suche nach Wahlbetrug zu machen. Es geht darum, das Vertrauen in unsere Wahlen - und noch tiefer gehend - in objektive, faktenbasierte Wahrheiten zu zerstören.
Und dieses Raunen über die Briefwahl, das wird lauter. Zwar wurde die Briefwahl in den letzten fünfzig Jahren immer wieder kritisiert - aber so heftig wie heute noch nie. Bei einer repräsentativen Umfrage vom Think-Tank Reset-Tech mit mehr als 3000 Befragten kam vor wenigen Wochen heraus: Deutsche denken zwar, dass ihnen Desinformation nichts anhaben kann, viele glauben sie dann aber trotzdem.
Zum Beispiel glauben 28 % der Befragten die völlig erfundene Behauptung, dass die Grünen das Autofahren verbieten wollen.
Was ebenfalls 23 % der Befragten glauben: Briefwahl ist besonders anfällig für Manipulation.
Wieso glauben das so viele Leute? Gucken wir mal eine Ebene tiefer.
ZSP Jonas
"Es gibt so typische Themen der Desinformation, sagen wir immer, die sehr beliebt sind, sozusagen, wozu Falschmeldungen verbreitet werden. Das sind so Sachen wie Klimawandel, Migration oder auch Migration und Einwanderung und auch Gesundheit. Schon immer schon vor Corona und aber auch. Sachen, die behauptet werden, Zitate, die angeblich irgendwelche bekannten Persönlichkeiten, sei es Politikerinnen oder Sportler innen oder sonst wer behauptet haben."
Das ist Uschi Jonas vom Factchecking-Portal Correctiv. Wenn eine Berufsgruppe weiß, welche Lügen im Netz verbreitet werden, dann sind es Factchecker und Factcheckerinnen.
ZSP Jonas
"Im Prinzip schauen wir immer morgens vor allem, was kursiert in sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp und so weiter an Behauptungen, die irgendwie sehr viral sind und wo man irgendwie das Gefühl hat, da könnte irgendeine falsche Information dahinterstecken. Da ist vielleicht irgendwas nicht richtig und dann recherchieren wir da hinterher und machen Faktenchecks dazu."
Correctiv ist eins der bekanntesten Recherchezentren Deutschlands. Die Faktenchecks, die man auf ihrer Webseite findet, tragen Überschriften von "Nein, es wird nicht durch "geheime Planspiele" versucht, Saskia Esken zur Kanzlerin zu machen" bis "Nein, Annalena Baerbock hat nicht gesagt, dass es mehr Glasfaser geben müsse, um E-Autos auf dem Land zu laden”.
Ziel der Factchecking-Abteilung ist es, Falschmeldungen so zu widerlegen, dass man es danach wirklich versteht. Und idealerweise kann man den Text von Correctiv dann einfach in eine Whatsapp-Gruppe packen, wenn mal wieder eine Falschinformation herumgereicht wird.
Manche Behauptungen lassen sich aber gar nicht widerlegen.
ZSP Jonas
"Es kommt im Zweifel so ein bisschen darauf an, was für eine Art von Behauptung das ist, weil manche Behauptungen… Man muss ja schon so ein bisschen unterscheiden bisschen zwischen Falschinformation und Verschwörungstheorien, dann auch im Zweifel. Manche Sachen sind einfach so eine große Verschwörung, die man teilweise auch gar nicht widerlegen kann."
Verschwörungsmythen lassen sich schwerer aus dem Weg räumen, weil es fast immer um angebliche Geheimpläne geht. Und wer an Verschwörungsmythen glaubt, ist oft nicht durch einen Faktencheck allein zu erreichen.
Denn für sich genommen kann man jede Behauptung recht schnell aus dem Weg räumen. Auf Einzelfälle hinweisen, auf die Schwierigkeiten einer bundesweiten Umsetzung. Habe ich aber ohnehin das Vertrauen in die Demokratie verloren und glaube daran, dass die Wahl manipuliert wird, wird der Faktencheck nicht verfangen.
[19:27] Das ist übrigens ein guter Zeitpunkt den Unterschied zwischen Verschwörungsmythen und Desinformation zu erklären. Die Grenzen sind da nämlich oft fließend. Nehmen wir die Behauptung "in Sachsen-Anhalt wurde die Wahl manipuliert”. Das ist eine Behauptung, die sich überprüfen lässt und wenn es keine Beweise für die Behauptung gibt, kann man diese zurückweisen. Der Wahlausschuss kann zum Beispiel den Einspruch ablehnen, wenn ihm die Indizien nicht genügen.
Das Problem an Verschwörungsmythen ist, dass die, die daran glauben, sich durch das geschlossene Weltbild nur schwer von Fakten beeindrucken lassen. Nehmen wir an, mein bester Freund ist davon überzeugt, dass die Erde eine Scheibe ist. Selbst wenn ich ihn zu einem Heißluftballonflug einladen würde, um ihm die Krümmung der Erde zu zeigen, könnte es gut sein, dass er mir nicht glaubt. Immerhin könnte ich Teil der Verschwörung sein.
Und selbst wenn sie widerlegt werden, wird diese Widerlegung in ein schon geschlossenes Weltbild wieder eingerückt.
ZSP Pizzagate
Ein Beispiel: Teil der sogenannten Pizzagate-Verschwörung war es, dass hochrangige Mitglieder der Demokratischen Partei der USA, inklusive der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, im Keller einer Pizzeria Kinder gefangen halten und missbrauchen. Am 4. Dezember 2016 stürmte ein bewaffneter Mann die Pizzeria um die Kinder aus dem Keller zu holen - nur um dann festzustellen, dass diese keinen Keller hat.
PAUSE
Denen, die an Pizzagate glauben, war das aber egal: Für die Gläubigen war der Sturm Teil einer Vertuschungskampagne. Selbst der Bewaffnete, der den Keller stürmte, glaubte danach weiter fest an Pizzagate.
Erreicht man solche Menschen überhaupt noch mit Factchecking? Nö. Dazu kommt, dass wir es auch mit einem sich selbst befeuernden System zu tun haben. Eine Studie des MIT - dem Massachusetts Institute of Technology, einer DER Top-Unis der USA, hat gezeigt, dass Falschmeldungen auf Twitter sich deutlich schneller verbreiten als die Wahrheit. Sie können kaum noch durch Faktenchecks eingefangen werden. "Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.” Das Zitat, das - apropos Faktencheck - fälschlicherweise Mark Twain in die Schuhe geschoben wird, es stimmt empirisch gesehen. Das bestätigen auch andere Studien.
Sollten wir dann jetzt eigentlich diese Folge hier beenden? Aufhören über Desinformation zu sprechen?
Ne. Natürlich nicht.
Denn natürlich sind Factchecks auch sinnvoll. Zum Beispiel, wenn Menschen wirklich unsicher sind und eine Handreichung brauchen, meint Uschi Jonas von Correctiv.
ZSP Jonas
"Und wir sagen auch immer: man erreicht einfach mit Faktenchecks Leute, die wirklich verunsichert wegen irgendeiner Sache sind. Und die wirklich interessiert sind, dass irgendjemand, dass jemand da ist, der für sie recherchiert: Was stimmt denn jetzt und was nicht? Und das sind dann auch Leute, die rückmelden: Boah, danke. Danke. Okay, jetzt weiß ich Bescheid. Das hat mir total geholfen. Ich war mir einfach unsicher."
Und nicht nur für diese Menschen ist Factchecking wichtig. Es kann auch Menschen helfen, die tagtäglich mit Verschwörungsgläubigen zu tun haben. Kann Argumentationsmunition im Kampf um Fakten sein - allein deshalb lohnt es sich schon, Dinge so aufzuschreiben, wie sie wirklich sind. Und nicht so, wie sie manche fühlen.
Trotzdem denken rund zwanzig Prozent der Deutschen, wenn man der Reset-Tech-Studie folgt, dass die Wahl gefährdet sei. Ein Erklärungsversuch, wieso Faktenchecks oft nicht verfangen; wieso die Sorgen um Wahlmanipulation trotzdem geteilt werden, ist, sich anzuschauen, in welchem Kontext solche Desinformation stattfindet. Denn in den seltensten Fällen wandert eine Lüge von einem Lager in das andere. Fans der Grünen werden eher weniger an Falschmeldungen über angeblich geplante Verbote glauben, weil sie sich tendenziell mehr mit den Inhalten und Forderungen der Partei auseinander gesetzt haben. Desinformationen wird aber auch dort geteilt, wo Menschen ohnehin schon Vorurteile haben, die dann durch Falschmeldungen bestätigt werden. Hier spielen Dienste wie Telegram und Whatsapp natürlich eine enorme Rolle. Beispiel: Die fünf größten Kanäle auf Telegram in Deutschland stammen aus dem Lager der Corona-Protestbewegung und Verschwörungstheoretiker. In kürzester Zeit konnten hier enorme Reichweiten aufgebaut werden - Kanäle, die von bis zu 180.000 Menschen abonniert werden. Und in diesen Kanälen wird inzwischen nicht nur Content geteilt, der mit Corona zu tun hat, sondern eben auch andere Desinformation. Gezielte Falschinformationen, die schaden sollen.
ZSP Jonas
"Da werden schon so Räume geschaffen, die da irgendwie weiter genutzt werden. Ein vielleicht gutes Beispiel ist vielleicht tatsächlich die Querdenken-Bewegung auch von der Seite, wo ja auch so ein paar schillernde Persönlichkeiten existieren, die sehr viel Desinfo zur Corona irgendwie verbreitet haben, die dann auch angefangen haben, bei den Hochwassern quasi Desinformation zu verbreiten."
Wovon Uschi Jonas hier spricht, hat es sogar in die internationale Presse geschafft. Der Guardian oder die Nachrichtenagentur Associated Press berichteten darüber, wie die Protestbewegung Querdenken sich die Hochwasser-Situation in West-Deutschland zu nutze machte. Auf den einschlägigen Telegram-Kanälen wurde zum Beispiel behauptet, dass die Rettungskräfte absichtlich abgezogen und behindert würden. Und diese Lüge erscheint in einem Umfeld, das ohnehin schon voller Falschmeldungen zu Corona-Impfungen und -Beschlüssen ist.
[22:50] Das ist eine gute Stelle, um über ein Phänomen aus der Psychologie zu sprechen. Es erklärt uns, warum es manchmal so schwer ist, mit Faktenchecks gegen Desinformation anzukommen. Cognitive bias, kognitive Verzerrung, heißt es. Wir glauben, unser Denken wäre rational, dabei ist es das gar nicht. Zum Beispiel wäre da der Confirmation Bias. Die Bestätigungsverzerrung, die seit den 60er Jahren erforscht wird. Unser Gehirn glaubt nämlich viel eher die Dinge, die unserem bisherigen Weltbild entsprechen.
Ein Beispiel vom Bundestagswahlabend:
Auf Twitter ärgerte sich ein User, dass die AfD im Wahlkreis Würzburg zwar 6,6 Prozent der Zweitstimmen erhalten habe, aber keine einzige Erststimme. Er sprach von Wahlbetrug.
Eine schnelle Recherche hätte ergeben, dass wegen eines Formfehlers die AfD keinen Spitzenkandidaten für den Wahlkreis aufgestellt hatte. Aber wer ohnehin glaubt, dass ein Wahlbetrug stattfinden wird, der sucht nach den kleinsten Indizien. Auch Wählerinnen und Wähler aus dem grünen Milieu sind nicht vor der Bestätigungsverzerrung gefeit: Als im Sommer 2021 das Hochwasser Teile NRWs und Rheinland-Pfalz wegspülte, ging ein Foto durchs Netz. Klassische Falschinformation. Ein in der Flut versunkener BMW hatte auf der Rückseite den Aufkleber: "Fuck You Greta”. Das Foto wurde zehntausende Mal geliked, war aber eine Fotomontage. Auch hier ist der Confirmation Bias am Werk - wir glauben das, was wir glauben wollen.
Ok. Wir haben uns angesehen, warum es für die Befürchtungen zur Briefwahl keine konkreten Belege gibt. Und dass Factchecking-Plattformen aber nicht bei allen Menschen durchdringen, wenn sie sagen: Hey, das ist aber falsch. Schicht für Schicht haben wir uns zum Kern des Problems vorgearbeitet.
PAUSE
[26:35] Bei Desinformation geht es ganz oft um unsere Gesellschaft. um die Sorgen, Nöte und Ängste, die wir gerade haben. Und diese werden mit Hilfe von Technik weiter vergrößert und gefüttert.
ZSP Jaursch
"Der andere Trend, der sich aber seit 2016 ziemlich gezeigt hat, ist, dass es in den Medien, in der Politik, in der Zivilgesellschaft und teilweise auch in der Wissenschaft so einen Fokus gibt auf die Plattformen, auf große Online-Plattformen von Facebook über Twitter bis hin zu heute Tiktok, Snapchat oder so. Und gefragt wurde: Was spielen die für eine Rolle? Und überlegt wurde: Sind das jetzt wirklich die Desinformationsschleudern?"
Das ist Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung. Den haben wir ganz am Anfang schon mal gehört Die Stiftung ist...
ZSP Jaursch
"... ein Think Tank für die Gesellschaft im technologischen Wandel. Das heißt, wir behandeln ganz unterschiedliche Themen, die alle irgendwie mit Digitalisierung, mit technologischem Wandel zu tun haben, z.B. Cybersicherheit, künstliche Intelligenz in der Außenpolitik und eben auch z.B. Desinformation und wie wir mit Plattformen umgehen."
Und in seiner Arbeit beschäftigt Julian Jaursch genau eine Frage: Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen uns - also der Gesellschaft - und der Technik.
ZSP Jaursch
"Und da ist, glaube ich mittlerweile in den vergangenen drei bis vier Jahren zumindest aus meiner Sicht die Erkenntnis gereift, dass Plattformen nicht der Grund oder der Auslöser sind für Desinformation. Die gab es doch schon vorher. Desinformation gab es in der Zeitung, die gab es in Büchern, die gab's im Fernsehen. Aber dass wir eben aufgrund der riesengroßen Reichweite, der Schnelligkeit, der algorithmischen Verbreitung von Nachrichten, von Informationen, von Content im Netz, dass wir dadurch halt einfach Desinformation auf einem ganz anderen Niveau haben, in einem ganz anderen quantitativen und qualitativen Umfang und damit umzugehen, das ist, glaube ich, eine der der großen Fragen."
Wir werden uns übrigens noch in einer eigenen Folge nur mit den Plattformen auseinandersetzen. Denn die haben schon einen erheblichen Einfluss auf die Lügen, die wir jeden Tag im Netz sehen.
Julian Jaursch erzählt uns, dass es natürlich schon immer Desinformation gab. Früher hätte man vieles, was man heute im Netz liest, am Stammtisch gehört. Oder von autoritären Herrschern gehört. Wenn wir aber den Sprung ins Digitale machen, tritt da plötzlich eine Plattform zwischen uns, die so designt ist, das größtmögliche Engagement - also Interaktion - zu erreichen. Und hier gelten dann schnell: Wer die aufsehenerregendste Geschichte zu erzählen hat, der gewinnt. Julian Jaursch glaubt, dass...
ZSP Jaursch
"Dass es ein ein großes Interesse und eine große Sorge und Angst gibt, dass ausländische Staaten in Deutschland eingreifen, das ist auch eine berechtigte Sorge, die ist da, aber das vielleicht immer noch nicht so richtig angekommen ist, die Desinformation, die die meiste Desinformation, die wir haben in Deutschland, kommt wahrscheinlich eher aus dem Inland und das sind einfach Menschen, die hier sind und ihre Ansichten, ihre politischen Positionen, teilweise ihre Verschwörungsmythen verbreiten wollen."
Und wieso tun sie das? Da hat Julian Jaursch ein ganzes Bündel an Antworten parat. Zum einen, weil die Desinformation mit ihren Überzeugungen und politischen Ansichten übereinstimmt. Ob die Menschen dabei aus dem rechten oder linken Spektrum kommen, ist unerheblich - die meisten von uns haben einen blinden Fleck, bei dem wir nicht soooooo genau hinschauen, ob die Erzählung jetzt stimmt. Stichwort Confirmation Bias. Wobei es aber auch Studien gibt, die zumindest für die USA andeuten, dass das Verhältnis zwischen Linken und Konservativen nicht 50/50 ist. Zum Beispiel fanden Forscher und Forscherinnen der University of California heraus, dass Konservative leichtgläubiger sind. Aber nicht weil sie dümmer sind, sondern weil sie eher davon überzeugt sind, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist - und in einer gefährlichen Welt, lohnt es sich, Informationen über Gefahren ernst zu nehmen.
Das erklärt vielleicht auch, dass eine anderen Studie aus den USA herausfand, dass die größten Falschbehauptungen im Netz eher auf der konservativen Seite verbreitet werden. Wie die US-Desinfo-Sphäre funktioniert, schauen wir uns übrigens auch noch in einer späteren Folge an.
Und dann… dann ist da noch ein Punkt, den wir im Hinterkopf behalten sollten, wenn es um Desinformation geht. Erinnern wir uns noch einmal an die Dauerbrenner der Desinformation, die die Factcheckerin Uschi Jonas eben aufgezählt hat.
ZSP Jonas
"Es gibt so typische Themen der Desinformation, sagen wir immer, die sehr beliebt sind, sozusagen, wozu Falschmeldungen verbreitet werden. Das sind so Sachen wie Klimawandel oder auch Migration und Einwanderung und auch Gesundheit."
Diese Themen haben eine große gesellschaftliche Relevanz und eine direkte Auswirkung auf unser Leben - es sind Dinge, über die man streiten kann, wirklich große Probleme, die es anzupacken gilt. Das haben wir in der letzten Folge ja auch schon bemerkt. In Polen wird über Schwangerschaftsabbrüche gestritten. Bei uns über Zuwanderung. Und hier sieht Julian Jaursch auch ein großes Potential für einen langfristigen Ansatz gegen Desinformation.
ZSP Jaursch
"Wie gestalten wir unsere Migrationspolitik noch darunter liegend? Wie gehen wir mit strukturellen Rassismus um? Aber das sind halt Probleme, die nicht mit einem Gesetz, mit einer Medienkompetenz, Maßnahmen, mit einer Maßnahme der Plattform gelöst werden können. Das sind langfristige strukturelle Aufgaben. Aber um Ihre Frage einfach zu beantworten Ja, das sind genau die Probleme, die angegangen werden müssen, um Desinformation im Kern zu adressieren."
Überträgt man das auf die Zweifel an der Briefwahl, dann könnte das bedeuten: Nicht die Briefwahl an sich ist das Problem, sondern dass sich manche Menschen von der Politik nicht repräsentiert fühlen. Menschen, die oft auch nicht wählen, weil sie den Eindruck haben: "die da oben machen das eh ohne mich aus, wählen lohnt sich nicht.” Über fehlende Repräsentation nachzudenken und dementsprechend zu handeln, könnte ein Hebel von vielen sein, um etwas gegen Desinformation zu unternehmen.
In Wahrheit ist alles natürlich viel komplexer. Ein Teil der 20 %, die befürchten, dass die Wahl manipuliert werden könnte, hat vielleicht gar kein Interesse mehr an repräsentativer Demokratie - oder ist nicht an Erklärungen interessiert, wie genau jetzt die Briefwahl funktioniert. Studien wie die Mitte-Studie oder die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigen immer wieder, dass eine signifikante Gruppe nicht mehr an die Legitimität der Demokratie glaubt. Und diese Akteure verbreiten auch im eigenen Interesse Desinformation zur Briefwahl.
PAUSE
[32:59]Als wir diese Folge hier schreiben, gibt es übrigens ein kleines Beben in der deutschen Desinformationslandschaft.
Denn eine der größten Quellen für Desinformation, der Youtube-Kanal RT Deutsch des russischen Staatssenders Russia Today wird von Youtube gesperrt. RT Deutsch hatte mehr als 600.000 Abonnenten und Abonnentinnen. Die Videos wurden insgesamt mehr als fünfhundert Millionen Mal geklickt. Der Kanal ist Teil einer großflächigen Sperrung - Youtube will alle Videos, die Falschinformation zur Corona-Impfung beinhalten von der Plattform haben.
Aber auch im Bereich Wahlmanipulation war RT Deutsch sehr aktiv - die Gefragt-Gejagt-Geschichte war dort zum Beispiel auch zu lesen. Der Text ist ein typischer RT-Text. Faktisch nicht falsch, aber in seiner Tonalität und Kontext dann doch maximal verzerrend.
ZSP Spahn
"Ich denke das mit Abstand bedeutendste Medium ist RT DE. Hier beobachte ich seit Jahren rasant steigende Nutzerzahlen. Mittlerweile haben sie auf den wichtigsten Social Media Plattformen mehr als 1,2 Millionen Nutzer. Das ist ein beachtliches Ergebnis. Sputnik ist weniger einflussreich, rangiert eher in der mittleren Liga. Aber sehr aktiv sind auch die zwei Social Media Kanäle, redfish und maffick.Während RT DE sich eher in eine rechte Richtung entwickelt hat, sieht man ganz klar, dass hier ein Ausgleich geschaffen wurde mit Redfish, der mit sozialkritischen Themen ein eher linkes Publikum erreicht."
Aber um all das… geht es erst in der nächsten Folge.
Denn da schauen wir nach Ost-Europa. Wir sehen uns Russlands Medienstrategie an, besuchen die Ukraine und lernen, wie Desinformation vor dem Internet-Zeitalter ausgesehen hat.
Diese Folge wurde geschrieben von Christian Alt. Redaktion BPB: Marion Bacher. Audio-Produktion: Simone Hundrieser und Sebastian Dreßel. Fact-Checking: Karolin Schwarz. Produktionshilfe: Lena Kohlwees. Vielen Dank an die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt - sie hat Daniel Hellmann interviewt.
"Netz aus Lügen - die globale Macht der Desinformation” ist ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung, produziert von Kugel und Niere. Ich bin Ann-Kathrin Büüsker und wenn ihr Feedback zu dieser Folge habt, schreibt uns doch unter E-Mail Link: podcast@bpb.de. Bis nächstes Mal!