Gute Gründe für mehr ökonomische Bildung
Das Unterrichtsfach Wirtschaft ist an Berufsschulen als eigenständiges Fach fest verankert. In allgemeinbildenden Schulen gibt es seit 2017 in Baden-Württemberg ein eigenständiges Pflichtfach "Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung" (WBS). Die meisten anderen Bundesländer integrieren Inhalte der ökonomischen Bildung vor allem in das Unterrichtsfach zur politischen Bildung, das je nach Bundesland zum Beispiel "Politische Bildung", "Politik", "Sozialkunde" oder "Sozialwissenschaften" heißt. Immer häufiger kommt aber auch die Fachbezeichnung "Politik und Wirtschaft" bzw. "Politik/Wirtschaft" vor. In diesem Text wird dieses Fach der Empfehlung der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) folgend "Politische Bildung" genannt (GPJE 2004, S. 12).
Egal ob im Rahmen des Faches "Politische Bildung" oder als eigenständiges Fach: Für eine gute ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen gibt es überzeugende Gründe. So zeigen beispielsweise zahlreiche Untersuchungen, dass das ökonomische Wissen in der Bevölkerung Lücken aufweist (vgl. May 2011, S. 3). Dabei nimmt die Bedeutung der Wirtschaft zu, weil immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert werden und durch die zunehmende ökonomische Globalisierung auch staatliche und suprastaatliche politische Akteure weiter in die Abhängigkeit von Märkten geraten, was man zum Beispiel in der Finanzkrise am Umgang mit den "systemrelevanten Banken" beobachten konnte (vgl. z. B. Detjen/Kruber 2007, S. 29 und Retzmann u.a. 2009/2010, S. 15).
Neue Fächer für die Schule oder doch lieber Querschnittsaufgaben?
Aber brauchen wir deshalb ein eigenes Fach Wirtschaft? Und welche anderen Fächer müssen dann für ein neues Fach Wirtschaft Stunden abgeben? Das ist eine schwierige Frage. Auch andere wichtige Inhalte sind nicht in Form eigenständiger Unterrichtsfächer in der Schule vertreten. Brauchen wir nicht eigentlich auch ein Fach "Gesundheit", ein Fach "Ernährung" oder ein Fach "Nachhaltigkeit" (vgl. Famulla u. a. 2011, S. 51, Hedtke 2012, S. 2)?
Genauso wie Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit werden wirtschaftliche Inhalte allerdings auch heute schon in allgemeinbildenden Schulen thematisiert. Zum einen sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil des Faches zur politischen Bildung – auch wenn es nur "Politik" oder "Sozialkunde" heißt, und nicht "Politik und Wirtschaft": So wie die Politik durch Gesetze und Subventionen auf vielfache Weise in die Wirtschaft eingreift, spielen wirtschaftliche Akteure und Interessen in politischen Prozessen eine entscheidende Rolle. Zudem bestimmen wirtschaftliche Faktoren die Handlungsspielräume der Politik. Deshalb gilt: "Politik und Wirtschaft stehen in so enger Interdependenz, dass weder Politik ohne Ökonomie noch Ökonomie ohne Politik verstanden werden können" (GPJE 2004, S. 10).
Zum anderen werden wirtschaftliche Inhalte auch in anderen Unterrichtsfächern des etablierten Fächerkanons thematisiert – besonders in den beiden anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern Geographie und Geschichte. Vor allem Bundesländer, die an allgemeinbildenden Schulen kein eigenes Fach Wirtschaft einführen wollen, argumentieren häufig damit, dass ökonomische Bildung eine Querschnittsaufgabe sei, zu der alle Fächer beitragen.
Gerade in jüngster Zeit haben ökonomische Inhalte an den Schulen Konjunktur: Es gibt immer mehr Wettbewerbe zur ökonomischen Bildung, Projekte zur entrepreneurship-education und Praxiskontakte von Schulen mit der unternehmerischen Wirtschaft, durch die die ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen gestärkt werden soll (vgl. z. B. Hedtke 2011, S. 7).
Argumente für ein eigenes Fach
Insgesamt lässt sich also sagen, dass ökonomische Inhalte an allgemeinbildenden Schulen auch ohne ein eigenständiges Fach Wirtschaft präsent sind. Ob das aber ausreicht, ist umstritten. Vor allem Unternehmens- und Arbeitgeberverbände (vgl. Hedtke 2012), aber auch Eltern- und Lehrerverbände fordern ein eigenständiges Unterrichtsfach Wirtschaft (vgl. May 2011, S. 3). Wirtschaftsdidaktikerinnen und Wirtschaftspädagogen nennen dafür vor allem folgende Argumente, von denen viele auch in den Podcast-Interviews mit Markus Böhner und Roland Happ angesprochen werden (vgl. auch Retzmann u.a. 2010, S. 71-75; Wuttke/Minnameier 2014; Kaminski 2009; Kaminski/Loerwald 2017; Kaminski 2017, S. 379-383):