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Porträt: Rolf Schmiederer | Politische Bildung | bpb.de

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Porträt: Rolf Schmiederer

Kerstin Pohl

/ 3 Minuten zu lesen

Rolf Schmiederers (1928-1979) Name steht in der politischen Bildung für die zentrale Bedeutung der Schülerinteressen im Bildungsprozess und für einen gesellschaftskritischen Ansatz, bei dem die Emanzipation der Lernenden im Zentrum steht.

Rolf Schmiederer (© Ingrid Schmiederer / Privatfoto)

Sein gesellschaftskritischer Ansatz hängt eng mit seiner eigenen Biografie zusammen: Er wurde 1928 in Stuttgart als Sohn eines sozialdemokratischen Facharbeiters und einer Putzmacherin geboren; vor allem seine Mutter war sehr aufstiegsorientiert. Nach dem Volksschulabschluss absolvierte er zunächst eine landwirtschaftliche Lehre; dem Kriegseinsatz entging er aufgrund einer angeborenen Lähmung im rechten Arm. Nach dem Krieg erwarb Schmiederer dann auf der Höheren Landbauschule Nürtingen das Fachabitur und arbeite als Verwalter auf großen Gütern (Pohl 2009, S. 136-149). Vor dem Studium an der "Hochschule für Sozialwissenschaften" in Wilhelmshaven-Rüstersiel besuchte Schmiederer von 1954 bis 1956 das dortige "Propädeutikum", um das Abitur nachzuholen. Während dieser Zeit trat er in die damals stärker linksorientierte niedersächsische FDP ein; im Laufe seines anschließenden Studiums wechselte er dann zur SPD und zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Von 1964 bis 1970 war Schmiederer am Institut für Politikwissenschaft der Uni Marburg tätig und schrieb dort seine Dissertation. Sie wurde 1971 unter dem Titel "Zur Kritik der politischen Bildung" veröffentlicht und gilt bis heute als eine der wichtigsten didaktischen Konzeptionen.

In dieser Schrift wird deutlich, dass die schulische Bildung für Schmiederer einen ambivalenten Charakter hat: Orientiert an Herbert Marcuse, Oskar Negt und anderen linken Gesellschaftstheoretikern betrachtet er die Bildung einerseits als Instrument der "herrschenden Klassen" zur Machterhaltung. Andererseits sieht er in ihr die Chance, die Lernenden aufzuklären und sie zu befähigen, die Manipulation der Menschen zu durchschauen und bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu überwinden. Die erforderliche politische Handlungsbereitschaft setzt dabei nach Schmiederer die Erkenntnis voraus, dass das eigene Schicksal gesellschaftlich bedingt ist. Er übernimmt in diesem Zusammenhang die marxistische Terminologie und stellt fest, die Schüler müssten ihre "objektiven" Interessen erkennen, um die Aufhebung von überflüssiger Herrschaft und Repression zu fordern und Unterdrückung und Entfremdung durch Emanzipation zu überwinden. Schmiederers didaktischer Ansatz ist fallorientiert und exemplarisch: Politischer Unterricht soll zunächst an den sinnlich-konkreten Erfahrungen der Schüler ansetzen. Es komme dann jedoch darauf an, dass sie diese alltäglichen Erfahrungen analytisch durchdringen und soziologisch und politisch begreifen. Auf diese Weise können sie dazu motiviert werden, sich mit relevanten, aktuellen politischen und gesellschaftlichen Konflikten sowie strukturellen gesellschaftlichen Widersprüchen auseinanderzusetzen (Schmiederer 1971, S. 105f).

Nach Abschluss seiner Dissertation wurde Schmiederer sehr schnell Professor – zunächst 1971 in Frankfurt am Main, dann 1972 in Gießen und schließlich ab 1974 in Oldenburg. Dort verfasste er die Neuausgabe seiner didaktischen Konzeption, die 1977 unter dem Titel "Politische Bildung im Interesse der Schüler" erschien. Die politischen Veränderungen in der Zeit der sozialliberalen Koalition, aber auch die Annäherungen der politischen Didaktiker, wie sie im Beutelsbacher Konsens deutlich werden, spiegeln sich in der Neuauflage wider. Nun stehen die didaktischen Überlegungen im Zentrum und die gesellschaftstheoretischen Begründungen treten in den Hintergrund. Aber auch wenn Schmiederer jetzt von einer "pragmatisch-bescheidene[n] Aufgabenstellung politischer Bildung" spricht (Schmiederer 1970, S. 84), bleibt er seiner Utopie treu: Was politische Bildung erreichen kann, ist für ihn nur eine erste "Stufe" auf dem Weg zu weitergehenden "politisch-gesellschaftlichen Zielsetzungen" (ebd.). Und Schmiederer fordert weiterhin, dass politische Bildung auf das "Begreifen der Identität von gesellschaftlich-politischer und persönlicher Relevanz" zielen muss (ebd. S. 174). Es ging ihm also noch immer vorrangig um die "objektiven" Interessen der Lernenden. Schmiederer setzte sich ausdrücklich gegen das häufige Missverständnis zur Wehr, Schülerorientierung sei vor allem individuelle Lebenshilfe.

Kurz nach Veröffentlichung seiner neuen Konzeption verstarb Rolf Schmiederer 1979 im Alter von nur 50 Jahren in Oldenburg an einem Herzinfarkt.

Der Text wurde übernommen aus dem Band: Wolfgang Sander / Peter Steinbach, Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014. Erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1449.

Quellen / Literatur

Kerstin Pohl, Politische Bildung zwischen Emanzipation und Demokratisierung. Ein Interview mit Ingrid Schmiederer zur Erinnerung an Rolf Schmiederer, in: Politische Bildung, Jg. 42 (2009) Heft 4, S. 136-149.

Rolf Schmiederer, Zur Kritik der Politischen Bildung. Ein Beitrag zur Soziologie und Didaktik des politischen Unterrichts, Frankfurt/M. 1971.

Rolf Schmiederer, Politische Bildung im Interesse der Schüler, Hannover 19

Fussnoten

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Weitere Inhalte

Dr. Kerstin Pohl ist Professorin für Didaktik der Sozialkunde/Politik in Mainz. Promotion und Schuldienst in Berlin. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Unterrichtsplanung, gesell-schaftstheoretische Grundlagen und Konzeptionen der politischen Bildung.