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Werterziehung im Unterricht | Fachtagung "Demokratie und der Streit um Werte" | bpb.de

Fachtagung 2017: "Demokratie und der Streit um Werte" Thematische Verortung in Politik und politischer Bildung Zur Theorie der Demokratie, Werte und Toleranz Julian Nida-Rümelin Andreas Urs Sommer Michael Quante Susanne Boshammer Über die Praxis Werterziehung im Unterricht Projektpräsentation: Dialog macht Schule Ein sozialwissenschaftlicher Abschluss Die populistische Revolte: Ein Kampf um Werte? Diskussion: Krüger und Merkel

Werterziehung im Unterricht

/ 4 Minuten zu lesen

Roland Henke vom Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Bonn gab in seinem Vortrag einen Einblick in das neue, von ihm konzipierte Schulmaterial "Demokratie und der Streit um die Werte – Anregungen für Werte-Diskurse im Unterricht", das tagungsbegleitend im Auftrag der bpb erstellt wurde. Außerdem beleuchtete er die theoretische Herangehensweise an diese Thematik

Roland Henke (© Ast/Juergens)

Wozu bedarf es überhaupt einer Werterziehung? Henke stellte heraus, dass demokratische Gesellschaften auf Wertorientierung angewiesen seien. Wie Böckenförde in seinem Diktum bereits 1967 postulierte, lebt der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Ähnliches gelte für das Verhältnis von Wertorientierung und demokratischer Gesellschaft. Weiter führte Henke aus, dass die zwanglose Werte-Erziehung primär vom Schulwesen vorgenommen werden müsse.

Er plausibilisierte die Gleichsetzung der Wertorientierung mit dem Böckenförde-Diktum indem er eine "Bestimmung des Wertbegriffs in pädagogischer Perspektive" gab. Wert stehe hier als eine für den Einzelnen bedeutsame Vorstellung/Überzeugung von etwas, das anerkannt bzw. erstrebt werde und somit als Basis von Einschätzungen und Beurteilungen diene. Verinnerlicht und gebildet durch Interaktion seien Werte nicht explizit wahrnehmbar, sondern zeigten sich in Handlungsweisen und Urteilen. Außerdem betonte er die Differenz zwischen Normen, also kodifizierten Regeln des äußerlichen Verhaltens, und Tugenden, d.h. allgemein als (moralisch) gut anerkannten dauerhaften (Charakter-)Eigenschaften. Aus der vorangegangen Begriffsbestimmung heraus lasse sich argumentieren, dass der Fokus im Schulalltag auf der Bildung von tugendhaften Menschen liegen solle, die eine mit dem Gemeinwesen kompatible moralische Orientierung als innere Haltung aufweisen. Würde normiertes Handeln fokussiert werden, könnten jederzeit inakzeptable Handlungsweisen auf- bzw. ausbrechen.

Abstimmung im Publikum (© Ast/Juergens)

Werteerziehung als Aufgabe des Gesamtsystems Schule

Die drei in den Materialien präsentierten Methoden der Werteerziehung versuchen die beschriebenen Aspekte aufzufassen. Die vorgestellten Methoden müssten selbstredend noch um einige Punkte der Moralerziehung (z.B. eigene Verantwortung, wertschätzende Sprache, richtiges Schulklima etc.) ergänzt werden. In dieser Hinsicht seien die Methoden nur Bestandteil eines das gesamte Schulleben umfassenden Konzeptes der Werteerziehung.

Henke betonte, dass die gelehrten Werte vor allem durch Pluralismus gekennzeichnet seien. Mit Höffe sei zwischen einer Ethik und der Pluralität von Ethiken eines 'gelungenen' Lebens zu unterscheiden. Er plädiere für eine Ethik bzw. Moral der elementaren Verbindlichkeiten als Voraussetzung einer pluralistischen Gesellschaft, also Wertepluralismus und Werte, die die Grundlage des Gemeinwesens fundieren. Doch wie kann man zu einem gewaltfreien Austausch divergierender Interessen – der "geistigen Substanz der Demokratie" – erziehen?

Elemente der Werteerziehung im Fachunterricht

Zunächst benannte Henke den Aspekt der Klärung der (eigenen) Werte. Die Educandi sollen sich der eigenen Werthaltung bewusst werden, wobei die politische Dimension hier eher eine Hintergründige sei. Wertvorstellungen müssten, mit Hegel gesprochen, aus der reflexionslosen Nacht des Bewusstseins in die Sphäre des Begriffs geholt und dort geklärt werden. Die Bewusstmachung der eigenen Wertorientierungen sei die Bedingung für ihre Prüfung. Dies garantiere noch nicht, dass es sich um demokratische Werte handle, mache sie aber diskutabel.

Des Weiteren sei die Entwicklung von Empathie zu nennen. Der Schritt aus der "Ego-Sphäre" in das Reich der Alterität sei zu vollziehen. Diese Fähigkeit auch beim 'Anderen' wahrzunehmen, könne Wertediskurse in ein Verständnis füreinander überführen. Damit sei auch die Erkenntnis verbunden, dass Werte und Vorstellungen Teil der Identität des Anderen seien und sich durch kognitive Einsicht alleine nur schwerlich verändern ließen. An dieser Stelle komme der rationale Diskurs ins Spiel, bei dem die eigenen Werthaltungen mit denen der anderen abgeglichen und auf ihre Überzeugungskraft hin geprüft werden. Wertvorstellungen müssten sich anhand der argumentativen, kommunikativen Vernunft bewähren (ein empirisches Beispiel hierfür sei die politische Geschichte der Wert-Entwicklung in Westeuropa). Das argumentative Vertreten von Werten im Unterricht stärke die Fähigkeit, später am Diskurs um die Wertaushandlung teilzunehmen und fördere so die Mündigkeit der Person. Mit Kohlberg könne herausgestellt werden, dass insbesondere Dilemmageschichten förderlich seien. Der Diskus als regulative Idee ist hier die "transzendentale Bedingung oder Voraussetzung" für die Durchführung eines Streits um die Werte. Es sei sinnfällig, dass diese Diskurs ermöglichenden Werte, wie es auch Höffe anspricht, das Fundament demokratischer Gesellschaftsordnungen bildeten.

Roland Henke stellt das Unterrichtsmaterial vor (© Ast/Juergens)

Die pädagogische Funktion von Wertediskursen

"Indem also der Fachunterricht auf der Basis geklärter eigener und empathisch wahrgenommener fremder Wertorientierungen in die argumentative Diskurskultur einübt, leistet er, ohne im demokratischen Belehrungsduktus aufzutreten [...] einen unverzichtbaren Beitrag zur Demokratieerziehung." Abschließend fügte Henke noch eine Bemerkung zur Wirksamkeit von Werterziehung insgesamt hinzu. Trotz allem Einfluss des schulischen Umfelds, bleibe die zentrale Gelingensbedingung für Moralerziehung die moralische Selbstbestimmung. Die kantische 'Revolution der Denkungsart' verweise auf den von der Willensstärke abhängigen Prozess der 'Reform für die Sinnesart'. Für die moralische Orientierung bleibe letztendlich jeder selbst verantwortlich.

Das Unterrichtsmaterial "Die Demokratie und der Streit um die Werte" für weiterführende Schulen finden Sie Interner Link: hier.

Von Simon Clemens

Fussnoten