Zwölf Kilogramm Bekleidung kauft im Schnitt jeder Deutsche im Jahr. Neun von zehn dieser Kleidungsstücke kommen aus Ländern, die nur geringe Lohn- und Produktionskosten aufweisen. Mehr als 50% der nach Deutschland importierten Ware stammt aus Asien, insbesondere aus China, der Türkei und Bangladesch. Die Produktionssituation in Deutschland ist eine ganz andere. Schneidereien existieren kaum noch, Unternehmen mit deutscher Produktion bilden die Ausnahme. Hierzu gehören beispielsweise die Unternehmen Trigema, Seidensticker oder auch teilweise Boss. Seit Jahren sinkt die Zahl der Beschäftigten – 2011 arbeiteten rund 12.000 weniger Beschäftigte in der Industrie als noch 2008.
Modeindustrie als Teil der Textilwirtschaft
Die Modeindustrie, die vielfach auch als Bekleidungsindustrie bezeichnet wird, ist Teil der Textilwirtschaft. Die Textilwirtschaft bezeichnet den Prozess der Verarbeitung und Distribution von textilen Gütern – mehrstufig von der Faser bis zum Verkauf.
Unternehmen der Bekleidungsindustrie erstellen das Design der Bekleidung, stellen die Kleidung her und vertreiben diese. Die Unternehmen können die Kollektionen und Serien selbst fertigen (komplette Eigenproduktion), aber auch von ausländischen Zulieferern fremdbeziehen. Die Bekleidungsindustrie verarbeitet den größten Anteil der Erzeugnisse aus der Textilindustrie weiter zu Damen-, Herren- und Kinderoberbekleidung, Miederwaren und Wäsche, Berufs- und Sportbekleidung sowie sonstigen Bekleidungserzeugnisse.
Die Entwicklung der Kollektion bildet die erste Wertschöpfungsstufe der Bekleidungswirtschaft.
Geschichte der Textil- und Bekleidungsindustrie
Die erste vorindustrielle Ausprägung einer Textil- und Bekleidungsbranche in Westeuropa ist dem Mittelalter zuzuordnen. Während die Bauern gesponnene Garne zur Weiterverarbeitung anfertigten, nutzten die Hausweber diese dezentrale, ländliche Produktion zur Textil- und Bekleidungsproduktion. Der Vertrieb der Produkte wurde durch sogenannte Verleger (Händler) zentral gesteuert und führte zur Entstehung einer Textil- und Bekleidungsbranche mit Zünften.
Das schnelle Bevölkerungswachstum, neue Absatzmärkte und eine rasche räumliche Ausbreitung führten im 16. und 17. Jahrhundert zu einer Neustrukturierung des Marktes. Neue Verkehrsnetze wurden gebildet, die den Handel von Produkten und Waren enorm erleichterten. Einen wichtigen Grundstein für die heutige Textil- und Bekleidungsindustrie lieferten technologische Entwicklungen – von der einfachen maschinellen Verarbeitung bis hin zu einer industriellen Struktur mithilfe der Mechanisierung der Baumwollherstellung. Aufgrund kolonialer Beziehungen zu Indien und den amerikanischen Südstaaten sowie seiner starken Seemacht erarbeitete sich England in dieser Phase eine einzigartige Import- und Exportstellung.
In Deutschland wurde das englische Produktions- und Verkaufsniveau von 1788 erst 1835 erreicht. Die Hochkonjunktur ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte zu einer steigenden Textilnachfrage und einem Ausbau der Infrastruktur.
Als die Globalisierung zuschlug
Die OECD charakterisiert Globalisierung als eine sich verstärkende Entwicklung von strategischen, internationalen Unternehmenskooperationen, mit einem hohen Anteil an Direktinvestitionen innerhalb der Auslandsproduktion. Die Aktivitäten im Ausland sind durch die Liberalisierung der Weltmärkte weit über den Globus verteilt.
Bedingt durch den Strukturwandel wuchs die deutsche Textilindustrie in den 1960er bis 1980er Jahren im Vergleich zu anderen Branchen unterdurchschnittlich. Zwischen 1970 und 1980 wurden 200.000 Mitarbeiter entlassen; 1980 waren nur noch 550.000 Arbeitnehmer der Textil- und Bekleidungsindustrie zugeordnet, etwa 2,2% aller Beschäftigten.
In den 1990er Jahren geriet die europäische Textil- und Bekleidungsindustrie zusätzlich durch die Rezession in Europa, einem folgenden geringen Aufschwung sowie durch neue Technologien unter Druck.
Die Vorteile der hier ansässigen Unternehmen liegen in der Marktnähe, den kurzen Lieferzeiten und der hohen Flexibilität. Des Weiteren sind sie nicht von Produktionsschwankungen im Ausland betroffen.
Niedrige Marktbarrieren:
Die Möglichkeit der Trennung der Produktionsprozesse (Raum, Zeit, Organisation) verstärkt die Konkurrenzsituation und führt zu einer Verlagerung in Niedriglohnländer sowie zu einem Abbau der Beschäftigung in Deutschland.
Individualität der Konsumenten:
Das Verhalten der Konsumenten ist durch die gesteigerte Individualität und Sättigungserscheinungen schwerer vorhersehbar, und die Ausgaben für Bekleidungen haben sich – gemessen am verfügbaren Einkommen – reduziert. Unternehmen müssen flexibler werden.
Verkürzte Lead-Time:
Unternehmen verkürzen die Auslieferungszeit ihrer Produkte durch eine effizientere Gestaltung der Supply-Chain (Lieferkette). So können die Produktionen schneller und flexibler an die Kundenwünsche angepasst werden. Gründe für dieses wettbewerbsrelevante Verhalten sind kürzere Modezyklen, kleinere Losgrößen und kurzfristigere Bestellungen.
Industrielle Massenkonfektion:
Individualisierte, hochwertige Massenware bei gleichzeitig geringeren Kosten soll mithilfe von Fertigungstechnologien und elektronischer Vernetzung Alternativen zu einer Kosten- oder Produktführerschaft schaffen.
Diversifizierung:
Ein sinkender Marktanteil des Facheinzelhandels, wachsende Supermärkte, Discounter oder auch der stark wachsende Onlinehandel ändern die Strukturen des Bekleidungseinzelhandels.
Handel und Hersteller:
Die Wichtigkeit von Handelsmarken im Vergleich zu Herstellermarken nimmt zu. Händler nutzen ihre Nachfragemacht, um weitere Leistungen wie schnellere Nachordern zu erzielen.
Vertikale Integration und Koordination:
Probleme der Koordination von Schnittstellen bei kurzfristigen Marktbeziehungen können Verluste verursachen (nicht vorhandene Ware, Retouren, Reduzierungen). Die vertikale Integration wird durch den Handel im Rahmen der Übernahme weiterer Bereiche der Supply-Chain vorgenommen, aber auch durch die Industrie, die Verkaufsfunktionen übernimmt, um Absatz und Wettbewerbsfähigkeit zu überwachen.
Hinzu kommt das hohe Lohnniveau – vor allem im Konfektionsbereich – das eine enorme Belastung darstellt. Beispielsweise liegen bei Trigema rund 52% Lohnkosten gemessen am Umsatz vor.
Die Standortnachteile sollen durch hochwertige Textilprodukte und anspruchsvolle technische Textilien ausgeglichen werden. Bei steigenden Löhnen zielen Unternehmen auf eine Erhöhung der Fertigkeiten der Produkte.
Verlagerung der Produktionsstätten: Im- und Exportsituation in Deutschland
Grundsätzlich können innerhalb des Strukturwandels drei Arten der Verlagerung der Produktion in das kostengünstigere Ausland unterschieden werden. Die komplette Produktion im Ausland – entweder selbstständig durch einen lokalen Anbieter oder nach detaillierten Angaben durch den Kunden – wird als Vollimport bezeichnet. Dies ist mit höheren Anforderungen an den Lieferanten belegt. So müssen Vorprodukte selber beschafft, die Bekleidung gefärbt, gewaschen und verpackt werden. Bei der Lohnfertigung im Ausland nimmt der Auftraggeber im eigenen Land Fertigungsschritte selbst vor. Hierzu gehört oftmals die passive Lohnveredelung, also die Lieferung der Stoffe an die Produzenten. Zumeist werden die Stoffe im Produktionsland dann zugeschnitten, gelegt und letztendlich vernäht. Als letzte Art der Produktionsverlagerung ist die Eigenfertigung in Auslandsniederlassungen zu nennen. Durch eine steigende Qualität der ausländischen Lieferanten ist diese Art der Verlagerung aber äußerst selten. Ein Grund für die Wahl eines Produktionsstandorts ist oftmals die Anlieferungszeit der fertigen Bekleidungsteile. Da bei der passiven Lohnveredelung die Wege zweimal zurückgelegt werden, greifen europäische Bekleidungshersteller gerne auf europäische Lieferanten zurück. Im Bereich der Vollimporte ist Asien mit seinen gut entwickelten Standards und Wettbewerbsvorteilen ein beliebter Produktionsstandort.
Abbildung 2: Wichtigste Herkunftsländer für Textil- und Bekleidungsimporte nach Deutschland nach Einfuhrwert 2013 (in Millionen Euro)
Abbildung 2: Wichtigste Herkunftsländer für Textil- und Bekleidungsimporte nach Deutschland nach Einfuhrwert 2013 (in Millionen Euro)
China führt das Ranking der Einfuhrwerte wichtiger Importländer nach Deutschland 2013 deutlich an (Abbildung 2). Bekleidung im Wert von 7,87 Milliarden Euro wird von dort aus nach Deutschland verschifft. Es folgen Bangladesch (3,24 Milliarden Euro) und die Türkei (3,1 Milliarden Euro). Da der Durchschnittswert pro Bekleidungsstück insgesamt niedriger ist als die Preise der Einfuhren aus nicht-asiatischen Ländern, kann somit die mengenmäßige Bedeutung asiatischer Produzenten als deutlich höher angesehen werden.
Führende Händler und Modemarken befürchten nach der Deflation der Einkaufspreise innerhalb der Produktion von Bekleidung zukünftig eine Preissteigerung von mehr als 4%. Gründe liegen in den Lohnkosten, die momentan vor allem in China wachsen, aber auch in steigenden Material- und Rohstoffkosten. Um dies zu umgehen, werden neue Produktionsstandorte gesucht, 72% der Unternehmen wollen ihre Produktion weiterhin von China in andere Länder verlagern. Insbesondere Bangladesch, Vietnam, Indien und Myanmar gehören zu den kommenden wichtigsten Beschaffungsländern. Trotz der Probleme im Bereich der Sozialstandards in Bangladesch scheint eine Alternative noch nicht erkennbar. Einkäufer der führenden Marken ziehen deswegen eine Ausweitung der Beschaffung aus diesem Land in Betracht. Es soll hierbei aber insbesondere in Standards für Audits und Brandschutz investiert werden – und das nicht nur in Bangladesch.
Zu Deutschlands wichtigsten Handelspartnern für Textil- und Bekleidungsexporte gehörten in 2013 insbesondere Länder aus der EU: Österreich, die Niederlande und Frankreich. Insgesamt sind die Exporte gestiegen – von 2012 auf 2013 um etwa 1,4%, im Vergleich der ersten Halbjahre 2013/2014 sogar um 5,5% (Frankreich plus 11,3%; Großbritannien plus 23,7%, Dänemark plus 21,6%).
Umsätze im Überblick
Abbildung 3: Umsatz der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (Betriebe mit 20 oder mehr Beschäftigten) 2005 bis 2013 (in Milliarden Euro)
Abbildung 3: Umsatz der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (Betriebe mit 20 oder mehr Beschäftigten) 2005 bis 2013 (in Milliarden Euro)
Textil- und Bekleidungsindustrie.
2013 konnte ein Umsatz von 11,3 Milliarden Euro innerhalb der Textilindustrie verzeichnet werden, für die Bekleidungsindustrie war es ein relativ schwieriges Jahr (Abbildung 3). Steigende Rohstoff- und Energiekosten sowie Wirtschaftskrisen in europäischen Ländern führten zu einem Rückgang der Umsätze auf rund 7,5 Milliarden Euro, zu Insolvenzen und zu Entlassungen. 2012 existierten in Deutschland gut 10750 Unternehmen der Mode- und Textilindustrie. Die Anzahl kleinerer Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter einer Millionen Euro lag bei über 80%. Trotzdem erwirtschaften diese Unternehmen nur einen Anteil am Gesamtumsatz der Industrie von unter 5%.
Einzelhandel.
Die Geschäftsjahre 2008 und 2009 des Textil- und Bekleidungshandels waren von einer starken Kaufzurückhaltung betroffen. Dieser Trend konnte jedoch seit 2010 in eine positive Entwicklung umgekehrt werden.
Onlinehandel.
Der Anteil des Onlinehandels am Branchenumsatz des Versandhandels überstieg 2009 erstmalig mit 53,3% die 50%-Marke, seit Jahren wächst er zweistellig. Der interaktive Handel (Online und Katalog) mit Bekleidung, Wohntextilien und Schuhen erreichte 2013 einen Umsatz von 16,1 Milliarden Euro, ein Plus von 14% im Vergleich zu 2012, wobei der reine Onlinehandel von den sinkenden Zahlen des Kataloghandels profitierte. Gleichzeitig stieg die Anzahl an Unternehmen des interaktiven Handels – 2005 existierten noch 395, 2012 waren es schon 3850 Unternehmen mit 43700 Mitarbeitern. Die Umsätze der 100 größten Onlinehändler in Deutschland (beispielsweise Otto, Klingel, QVC, Amazon, Zalando) sind 2013 auf 19,6 Milliarden Euro angewachsen. Momentan haben 9% der Händler einen Onlineshop gelauncht, 5% greifen auf bestehende Plattformen wie Amazon zurück.
Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen
Die gestiegene Nachfrage nach Auslandsproduktionen führte zu der Errichtung von Exportwirtschaftszonen, die eine schnelle Ansiedlung neuer Produktionsstätten in Schwellen- und Entwicklungsländern fördern. 2003 gab es etwa 2000 dieser Zonen in 70 Schwellen- und Entwicklungsländern. Inklusive der chinesischen Sonderwirtschaftszonen sind in diesen Zonen zwischen 70 bis 100 Millionen Menschen beschäftigt. Manche dieser Exportzonen führen kein nationales Arbeitsrecht, verbieten Gewerkschaften oder deren Aktivitäten. Junge Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren machen gut 60% der Beschäftigten aus.
Bei Auflistung der Kosten eines Kleidungsstückes, das in einem solchen Schwellenland produziert wird, wird sichtbar, wie sich die Bezahlung der Näherinnen gestaltet. Verkauft wird beispielsweise eine Jeans für 14 Pfund (circa 16 Euro), hergestellt wird sie in Bangladesch. Die Produktionskosten stellen 5% des Gesamtpreises dar und liegen bei 1,16 US-Dollar. Dabei werden mit 90 Cent die Fabrikkosten gedeckt, 26 Cent sind Gewinn der Fabrik. Zu den Fabrikkosten gehören Löhne und Sicherheitsmaßnahmen. Die restlichen Kosten der Produktion sind Vertrieb, Ladenkosten (zusammen 47%), Transport (20%) und Materialkosten (18%) zuzuordnen.
Größere Unternehmen verfügen mittlerweile über Verhaltenskodizes, innerhalb derer sich die Zulieferer verhalten sollen. Sublieferanten werden hier jedoch oftmals nicht mit einbezogen und unterliegen somit keinem Schutz. Fortschritte sind insbesondere bei unternehmensübergreifenden Verhaltenskodizes erkennbar, dennoch herrschen bei vielen Zulieferern noch völlig mangelhafte Arbeitsbedingungen. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen scheint aber selten als Lösung genutzt zu werden, vielmehr wird versucht, gemeinsam Missstände zu beseitigen.
Neben der Debatte um Arbeitsbedingungen wird seit Ende der 1980er Jahre über die Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von Bekleidung und deren Herstellung diskutiert, etwa hinsichtlich des hohen Wasserverbrauchs bei der Textilveredelung oder des Einsatzes giftiger Chemikalien. Auf Forderungen nach naturbelasseneren Produkten und umweltverträglichen Produktionen
Globalisierung der Konsumenten: Schnelllebigkeit der Modezyklen
An sich besitzt Mode keinen physischen Nutzen gegenüber der Bekleidung – eine nicht-modische Jacke kann trotzdem über die gleichen Funktionen verfügen wie eine modische Jacke. Mit Mode aber können die Konsumenten ihr Bedürfnis, sich von der Masse abzuheben oder sich dieser anzugleichen, befriedigen. Das beeinflusst die Nachfrage nach Mode.