Als Friedrich Wilhelm Murnau im Juli 1921 die Arbeit an den Außenaufnahmen zu seinem Vampirfilm "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" aufnahm, existierte das Genre des Horrorfilms noch nicht. Zwar hatte man seit der Frühzeit des Kinos fantastische Stoffe verfilmt, und insbesondere im deutschen Stummfilm erfreuten sich Spukgeschichten, Märchen und Legenden in der Tradition der Schauerromantik großer Beliebtheit. Doch verbindliche Topoi, Figurenkonstellationen und Inszenierungsstrategien für das "Unheimliche" gab es nicht: Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute, Filmarchitekten sowie Kostüm- und Maskenbildner waren angehalten, selbst zu definieren und zu erfinden, was ihrem Publikum einen Schauder über den Rücken jagen sollte.
Mit der von dem Münchener Schauspieler Max Schreck verkörperten Figur des blutsaugenden Grafen Orlok schuf Murnau unter tatkräftiger Mithilfe des Malers Albin Grau, der für Kostüme und Ausstattung von "Nosferatu" verantwortlich zeichnete, die zweifellos grauenerregendste Figur, die das Kino bis dato kannte: eine hohe, ungemein schmal wirkende Gestalt mit Glatze, buschigen Augenbrauen und hervorstehenden Nagezähnen, ein Nachtmahr aus dem Reich der Schatten, dessen spitze Fledermausohren und krallenbewehrte Finger einen von Kameramann Fritz Arno Wagner effektvoll fotografierten, markanten Schatten auf seine angsterfüllten Opfer warfen.
Szenen wie auf dem Schoner Empusa, wenn sich der Deckel eines Sarges im Laderaum wie von Geisterhand öffnet und der Graf kerzengerade senkrecht in die Höhe fährt (und damit den Maat des Schiffes augenblicklich in den Wahnsinn treibt) oder wenn sich Nosferatu (Max Schreck) – aus der Untersicht einer Schiffsluke aufgenommen, die das Unheimliche seiner Gestalt noch verstärkt – in zeitlupenhaftem Tempo über das Deck bewegt, haben bis heute nichts von ihrer Schreckenskraft verloren.
Doch die plakativen Momente des Horrors, etwa die Maske des Monsters und sein Schatten, die später zu Standards des Genres wurden, sind keineswegs die dominierenden Kräfte in "Nosferatu". In seiner Inszenierung zieht Murnau allemal die Andeutung, die Ahnung des Übernatürlichen vor. So kann man sich bei all den Schrecknissen, die dem jungen Makler Hutter (Gustav von Wangenheim) im Schloss des Grafen widerfahren, nie ganz sicher sein, ob sie nicht vielleicht doch nur seiner von dem Buch Von Vampyren erschrökklichten Geistern, Zaubereien und den sieben Todsünden befeuerten Fantasie entspringen und ob die "Gesichte" und schweren Träume nicht beim ersten Strahl der Sonne verfliegen, wie es sich Hutter immer wieder selbst einredet.
Anders als die meisten deutschen Spukfilme jener Zeit wurde "Nosferatu" vornehmlich an natürlichen Schauplätzen gedreht: Allenfalls die biedermeierlichen Interieurs sind bei Murnau Studiokulissen. Das finstere Schloss des Grafen in den Karpaten dagegen ist ebenso echt wie die norddeutschen Kleinstadtgassen des fiktiven Wisborg, das Murnau sich aus Schauplätzen in Lübeck, Wismar, Rostock und Lauenburg konstruierte.
Der ganze Film ist von Naturaufnahmen durchzogen: düstere Karpatengipfel und Wälder, Pferde, die vor dem von einer Hyäne gedoubelten Werwolf scheuen, ein reißender Fluss, auf dem einige Flößer den Grafen und seine Särge zum Schwarzen Meer transportieren, schließlich die See, manchmal wild bewegt mit gischtenden Wellen, manchmal totenstill. Eine Einstellung, die Hutters Frau Ellen (Greta Schröder-Matray) allein und schwermütig am Meer sitzend zeigt, umgeben von den schiefen Kreuzen eines Seemannsfriedhofs in den Sanddünen, ist in ihrer Komposition eindeutig von der Malerei Caspar David Friedrichs inspiriert, eines Künstlers der Romantik, dessen Landschaftsbilder stets Seelenzustände auszudrücken suchten. Murnau, der unter anderem auch Kunstgeschichte studiert hatte, wusste sicher um diesen Zusammenhang. Die von der Natur erzeugte Atmosphäre des Übernatürlichen ist in "Nosferatu" weit wichtiger als das, was wir heute Action nennen: Der Horror ist nicht künstlich, er entsteht aus dem Alltäglichen.
Der Schatten, den "Nosferatu" damit auf die Filmgeschichte wirft, ist lang und wird beständig länger. In Murnaus eigenem Werk ist es das Südsee-Drama "Tabu" (1930/31), das mit seiner gefahrvollen Natur, dem Unheil bringenden Schiff und dem bedrohlichen Schatten des Priesters dem legendären Vampirfilm am nächsten steht. Der amerikanische Horrorfilm der 1930er Jahre ist ohne das fantastische deutsche Stummfilmkino nicht denkbar; hier steht "Nosferatur" als Inspirationsquelle in einer Reihe mit "Das Cabinet des Dr. Caligari" (R: Robert Wiene, 1919), "Der Golem, wie er in die Welt kam" (R: Paul Wegener, Carl Boese, 1920) und "Metropolis" (R: Fritz Lang, 1926). Noch deutlicher als in den Monster-Filmen des Universal-Studios zeigt sich der Einfluss von "Nosferatu" in jenen Werken, die sich vordergründiger Schockeffekte enthalten und in ihrer Inszenierung auf die Imagination des Betrachters vertrauen: wie etwa "Vampyr" (1932), ein bizarrer Albtraum des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer, oder die Filme, die der amerikanische Produzent Val Lewton in den 40er Jahren beim Studio RKO herstellen ließ. Auch ein gelungenes direktes Remake von "Nosferatu" existiert: In Werner Herzogs "Nosferatu - Phantom der Nacht" (1979) spielt Klaus Kinski, der die Gestik und Körperhaltung Max Schrecks bis ins Detail imitiert, den Vampir in einer dem Original nachempfundenen Maske. Und schließlich präsentiert der amerikanisch-britische Film "Shadow of the Vampire" (R: E. Elias Merhige, 2001) eine Fantasie über die Dreharbeiten zu "Nosferatu" in den Karpaten, die suggeriert, dass Max Schreck (Willem Dafoe) tatsächlich ein Vampir gewesen sei.
Im Vorspann von "Nosferatu" heißt es: "Nach dem Roman Dracula – von Bram Stoker. Frei verfaßt von Henrik Galeen." "Frei verfaßt", das besagte in diesem Fall nicht nur, dass sich der Autor Freiheiten mit der Handlung und den Charakteren herausgenommen hatte. Es bedeutete vor allem, dass die kleine Produktionsfirma Prana-Film GmbH die Rechte zur Verfilmung des Romans gar nicht erworben hatte. Wohl nicht zuletzt, um einem Urheberrechtsstreit aus dem Weg zu gehen, änderte Galeen Ort und Zeit der Handlung sowie sämtliche Namen der literarischen Vorlage. Doch es half nichts: Bram Stokers Witwe verklagte die Produktionsgesellschaft und gewann den Prozess; "Nosferatu" sollte die einzige Produktion der Prana-Film GmbH bleiben.
Denn trotz der erwähnten Änderungen folgt "Nosferatu" dem Handlungsablauf von Stokers Roman zunächst relativ getreulich: Hutter reist im Auftrag seines Chefs, des Häusermaklers Knock (Alexander Granach), nach Transsylvanien, um dem Grafen Orlok ein Haus in Wisborg anzubieten. Im Schloss des Grafen in den Karpaten angekommen, muss Hutter feststellen, dass sein Gastgeber ein Vampir ist, der nur des Nachts zum Leben erwacht und folglich zu einem beständigen Quell von Albträumen für den jungen Makler wird. Nachdem Orlok ein Bildnis von Hutters Frau Ellen gesehen hat – "Einen schönen Hals hat Eure Frau" –, kauft er das Haus in Wisborg gerade dem Heim Hutters gegenüber. Alsbald begibt sich der Graf per Schiff, dessen Besatzung er nach und nach bis auf den letzten Mann tötet, nach Wisborg; in seinem Gefolge reisen Ratten und die Pest. Oder genauer gesagt: Nosferatu selbst ist der schwarze Tod – denn alle Pestopfer weisen mysteriöse Wundmale am Hals auf.
Die Idee der Pestepidemie fügte Galeen der literarischen Vorlage hinzu, und Murnau inszeniert die entsprechenden Szenen in Wisborg in einer gewissen Analogie zum Schrecken des Ersten Weltkriegs, der den Menschen zu Beginn der 20er Jahre noch kollektiv im Gedächtnis war. Doch das Verriegeln von Fenstern und Türen hilft nicht gegen das Unheil: Nahezu jede Familie hat Todesfälle zu beklagen, wie die Szene belegt, in der ein Mann alle betroffenen Häuser mit weißen Kreidekreuzen markiert. Der im Schloss gefangene Hutter kann unterdessen mit knapper Not fliehen, er erreicht Wisborg schließlich zur gleichen Zeit wie der Graf. Das Ende – Ellen opfert sich, und der Vampir versäumt beim Blutsaugen am "schönen Hals" den ersten Hahnenschrei und wird vom Licht der Sonne zerstört – ist eine alleinige Erfindung Murnaus. Bei Stoker folgen Harker und der Vampirjäger Dr. Van Helsing, den Murnau und Galeen in ihrer Bearbeitung gleich ganz wegließen, dem flüchtenden Grafen nach Transsylvanien und können dem Vampir einen Pflock ins Herz schlagen, noch ehe die Sonne untergeht.
Abgesehen vom Finale betrifft die größte Veränderung sicherlich die Figur des Grafen: Der Roman zeichnet den Vampir als Libertin mit aristokratischer Arroganz, als eine bizarre erotische Fantasie, die sich im viktorianischen England auszubreiten droht. Bei Murnau hingegen ist und bleibt der Nosferatu ein poetischer Nachtmahr, ein ewiges – und in seiner Einsamkeit und der Gier nach dem warmen Blut beinahe bemitleidenswertes – Schreckgespenst: die dunkle Kehrseite des vermeintlich behaglichen deutschen Biedermeier, das sich hier zunächst einmal in friedlichen Kleinstadtgassen, verspielten Gartenszenen und überladenen Interieurs manifestiert. Doch hinter der Fassade der Idylle lauert der Schrecken, das macht der Film von Beginn an mit seinen vielen Anspielungen auf die Vergänglichkeit des Lebens deutlich: "Warum hast Du sie getötet ... die schönen Blumen ... ?!", sagt Ellen ganz traurig zu ihrem Mann, der sie mit einem Blumenstrauß aus dem Garten überrascht, und der Arzt hält den dahin hastenden Hutter auf der Straße mit den Worten auf: "Niemand enteilt seinem Schicksal." Doch Hutter eilt dem Horror mit geradezu kindlicher Begeisterung entgegen: "Ich reise weit fort in das Land der Diebe und Gespenster", erzählt er seiner Frau freudestrahlend.
Die Naivität Hutters – als sich der Graf ihm einmal bedrohlich nähert, zieht er sich einfach die Bettdecke über den Kopf – lässt ihn auch als reichlich inadäquaten Liebespartner für Ellen erscheinen, sodass für die junge Frau vom Grafen trotz seines abstoßenden Äußeren durchaus eine tödliche Erotik ausgeht. Murnau schneidet dabei Szenen aus Wisborg und Transsylvanien derart geschickt aneinander, dass der Eindruck entsteht, der Graf reagiere direkt auf Ellens expressive Gefühlsäußerungen. Tatsächlich beeilt er sich dann ja auch sehr, nach Wisborg zu reisen. Wenn Ellen schließlich ekstatisch ausruft: "Ich muß zu ihm. Er kommt!", dann weiß man nicht, ob sie nicht doch den Vampirstod herbeisehnt. Am Ende ergeht es Ellen genau wie dem Betrachter eines – dieses – Horrorfilms: Das Gefühl der Angst lässt sich durchaus genießen.