Die berühmteste künstlerische Darstellung der vielstimmigen Geräuschwelt Berlins in den 1920er Jahren war ein Stummfilm: Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von 1927. Ruttmann drehte allerdings nicht nur diesen Film, sondern schuf drei Jahre später auch die erste Klangcollage der Radio- und Hörspielgeschichte. Unter dem Titel Weekend hielt er ein typisches großstädtisches Wochenende allein mit Geräuschen fest. Neben der Arbeit hört man den Verkehr, die Konsumwelt der Warenhäuser und die Ruhe der sonntäglichen Fahrt ins Grüne. Besonders der Lärm des Verkehrs und des öffentlichen Lebens war um 1930 nicht nur in Berlin, sondern in allen industrialisierten Großstädten der Welt ein viel diskutiertes Thema. Das zeigt auch das Beispiel New Yorks, wo 1929 eigens eine städtische Lärmbekämpfungskommission eingesetzt wurde. Allerdings bestand und besteht die Geräuschwelt der Großstadt nicht nur aus Verkehrslärm, sondern auch aus Klängen des Vergnügens und nicht zuletzt der Politik.
Walter Ruttmanns doppeltes Berlin
Berlin war in den "wilden" 1920er Jahren eine der dynamischsten Großstädte der Welt. Es war nicht nur das industrielle Zentrum und die verkehrs- und bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands, sondern auch Reichshauptstadt und Metropole der Künste und des Vergnügens. Zahlreiche Künstler und Literaten ließen sich davon inspirieren und setzten sich in Bildern und Fotografien, Romanen und Reportagen, Filmen und anderen Kunstwerken mit den Besonderheiten des großstädtischen Lebens in Berlin auseinander.
Zu den berühmtesten dieser Werke gehört der 1927 erstmals vorgeführte Montagefilm Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von Walter Ruttmann. Der 1887 in Frankfurt am Main geborene Maler begann in den frühen 1920er Jahren mit abstrakten Animationsfilmen zu experimentieren. Berlin – Die Sinfonie der Großstadt war Ruttmanns erster abendfüllender Realfilm. Allerdings hat auch dieser Film keine Erzählhandlung und kommt ohne Schauspieler aus. Er besteht aus einer Vielzahl kunstvoll ineinander montierter Alltagsszenen und Einstellungen, die den typischen Ablauf eines Tages in Berlin darstellen. An die Stelle der Erzählhandlung tritt die sinfonische Struktur, die den Tag vom morgendlichen Erwachen bis zum nächtlichen Vergnügungsrummel in fünf Akte gliedert.
Obwohl es sich um einen Stummfilm handelt, versinnbildlicht der Film durch seine dynamische Schnitttechnik, durch die Bilder des Verkehrs, der Arbeit und des abendlichen Vergnügens nicht nur die visuelle, sondern auch die akustische Reizüberflutung der Großstadt. Zudem arbeitete Ruttmann eng mit dem Filmkomponisten
Drei Jahre nach Berlin – Die Sinfonie der Großstadt setzte sich Walter Ruttmann erneut künstlerisch mit der Geräuschwelt der Großstadt auseinander, diesmal jedoch unmittelbar im Medium des Tons. Seine Klangcollage Weekend wurde am 13. Juni 1930 um 21 Uhr in der Berliner und der Schlesischen Funkstunde erstmals gesendet. Technisch gesehen handelt es sich bei dieser Collage von insgesamt elf Minuten und 20 Sekunden Länge um einen Tonfilm ohne Bilder, einen "blinden Film", wie Ruttmann sagte. Da die reinen Tonaufzeichnungstechniken der Zeit noch keine Montage erlaubten – sie wurde erst mit dem Magnettonband ab Mitte der 1930er Jahre möglich – nutzte Ruttmann die neu entwickelte Tonfilmtechnik, hielt aber lediglich den Ton der einzelnen Aufnahmen fest und montierte diesen anschließend zu seiner Klangcollage. In der Abfolge von fünf Kapiteln – "Jazz der Arbeit", "Feierabend", "Fahrt ins Freie", "Pastorale", "Wiederbeginn der Arbeit" – hielt er den Verlauf eines typischen Berliner Wochenendes inklusive Fahrt ins Grüne akustisch fest bzw. rekonstruierte er dieses klangkünstlerisch.
Hörbeispiel im Internet:Werkbeschreibung
In den ersten Minuten hört man Arbeitsgeräusche – Hämmern, Sägen, metallisches Scheppern, das Stampfen schwerer Maschinen –, sodann Verkehrslärm – einen Zug, Autos, die Trillerpfeife eines Verkehrspolizisten – sowie menschliche Stimmen – ein Kind, das Goethes Erlkönig rezitiert, ein Telefongespräch, einen Warenhausverkäufer –, man hört Musikfetzen, eine Registerkasse, Schreibmaschinentippen. Nach einiger Zeit wird das Tempo der Schnitte langsamer. Fabriksirenen verkünden das Ende der Arbeit, Pulte werden zugeklappt, man hört Kichern, Abschiedsrufe, Kirchenglocken. Es folgen die "Fahrt ins Freie" (Autohupen und Fahrgeräusche) und die "Pastorale" mit Naturgeräuschen, aber auch mit Gesang (Das Wandern ist des Müllers Lust, Ein Prosit der Gemütlichkeit), Kinderversen, Marsch- und Kirchenmusik sowie abermals Kirchenglocken. Ein Wecker, Telefonklingeln und erneut Fabriksirenen signalisieren in der letzten Minute den "Wiederbeginn der Arbeit", der an die Geräusche aus der ersten Sequenz "Jazz der Arbeit" anknüpft.
Walter Ruttmann (m.), Regisseur und Autor von "Berlin - Sinfonie der Großstadt", mit Lotte Reiniger bei der Durchsicht seines Filmes. (© picture-alliance/akg)
Walter Ruttmann (m.), Regisseur und Autor von "Berlin - Sinfonie der Großstadt", mit Lotte Reiniger bei der Durchsicht seines Filmes. (© picture-alliance/akg)
Die Klangcollage Weekend wurde bei Weitem nicht so bekannt wie Ruttmans Berlin-Film. Laut Wolfgang Hagen wurde das Stück nur einmal im Radio gesendet und ein halbes Dutzend Mal öffentlich aufgeführt, um dann für viele Jahre in Vergessenheit zu geraten. Erst in den 1990er Jahren wurde es wiederentdeckt, nicht nur als avantgardistisches Hörspiel, sondern auch als frühe Vorform des Samplings, also der vor allem im Hip-Hop beliebten Technik, Versatzstücke älterer Tonaufnahmen zu neuen Musikstücken zusammenzusetzen. Im Jahr 2000 würdigte eine Reihe von DJs aus der Elektroszene Ruttmanns Pionierleistung mit einem Ruttmann Remix. Weekend ist jedoch nie in den Kanon der ikonischen Großstadtwerke aufgenommen worden. Tatsächlich spiegelt es auch nicht im selben Maße wie Berlin – Die Sinfonie der Großstadt die Faszination des pulsierenden Großstadtlebens. Der längere Teil ist nicht den Großstadtgeräuschen gewidmet, sondern der relativen Ruhe des im Grünen verbrachten Sonntags.
Zudem offenbart das Hörstück Ruttmanns hohen künstlerischen Anspruch; er folgte eher einem formalistischen als einem dokumentarischen Ideal. Weekend ist daher nicht einfach ein Tondokument der Großstadtgeräusche im Jahr 1930, sondern eine hochgradig stilisierte künstlerische Auseinandersetzung mit diesen. Als solche spiegelt es zum einen die Tatsache, dass auch die Fahrt ins Grüne am Wochenende integral zum Großstadtleben gehörte. (Ähnlich zeigt dies der ebenfalls 1930 uraufgeführte neusachliche Film Menschen am Sonntag.) Zum anderen verdeutlicht das Stück, dass die akustische Welt der Großstadt nicht einfach aus Lärm bestand, sondern aus dem Nach- und Ineinander unterschiedlicher Geräusche und unterschiedlicher Geräuschpegel. Ruttmann hatte ein Gespür für die musikalische und rhythmische Struktur dieses Ineinanders der Alltagsgeräusche, für die Abfolge schneller und langsamer, lauter und leiser, mechanischer und organischer Geräusche in der Großstadt, und verdichtete sie in seiner Hörcollage zu einem elfminütigen Kunstwerk. In der öffentlichen Diskussion über die Geräuschwelt der Großstadt ging es aber selten um deren musikalische Struktur; im Vordergrund stand zumeist der Lärm.
Hörbeispiel im Internet:Film: "Menschen am Sonntag" (1929)
Die Stadt und der Lärm
Dass Städte laut sind, ist ein Gemeinplatz, der nicht nur auf moderne Großstädte zutrifft. Als Zentren von Handwerk, Handel und Verkehr waren Städte auch schon in früheren Jahrhunderten
Nach dem Krieg schritt die Motorisierung und Elektrifizierung des Verkehrs und damit die Technisierung des Lärms weiter voran. Während etwa der Straßenlärm in New York kurz vor der Jahrhundertwende, so eine zeitgenössische Beobachtung, in erster Linie von Pferdewagen, Händlern, Straßenmusikern, Klingeln und Tieren verursacht wurde und damit weitgehend organischen Ursprungs war, katalogisierte das New Yorker Gesundheitsamt 1930 in einer Bestandsaufnahme des "City Noise" hauptsächlich technische Geräuschquellen wie Autos, Züge und Straßenbahnen, Bauarbeiten, Lautsprecher und Radios. Zugleich erlaubten neue Messverfahren und der Fortschritt in der Elektroakustik nun objektivierende und quantifizierende Bestimmungen des Lärms. Ein entscheidender Schritt war die Einführung des Dezibels als Messeinheit für Schalllautstärke im Jahr 1925. Die amerikanische Technik- und Wissenschaftshistorikerin Emily Thompson spricht deshalb von einer Verwissenschaftlichung der Lärmbekämpfung in der Zwischenkriegszeit.
Ein gutes Beispiel dafür war die 1929 vom New Yorker Gesundheitsamt eingesetzte Lärmbekämpfungskommission (Noise Abatement Commission). In ihr waren neben städtischen Beamten und Vertretern der Industrie in erster Linie Ärzte, Physiologen, Neurologen und Akustikingenieure vertreten. Unter deren Anleitung ließ die Kommission standardisierte Umfrageformulare an die Bevölkerung verteilen und entsandte einen Lärmmesswagen, der an 138 Punkten die Belastungen registrierte und so eine Art Lärmkarte New Yorks erstellte. 1930, im selben Jahr, in dem Walter Ruttmanns Weekend erstmals ausgestrahlt wurde, legte die Kommission ihren 300-seitigen Bericht unter dem schlichten Titel City Noise vor. In ihm wurden die genauen wissenschaftlichen Verfahren der Lärmmessung und -bestimmung sowie die Ergebnisse der durchgeführten Messungen und Befragungen dargelegt. Die zahlreichen wissenschaftlichen Schaubilder und Tabellen sind zum Teil nur für Experten verständlich. Gleichwohl richtete sich der Bericht auch direkt an die New Yorker Bevölkerung, klärte über die gesundheitlichen Folgen des Lärms auf und gab Hinweise, wie unnötiger Lärm zu vermeiden sei. Die ebenfalls enthaltenen Fotos und Karikaturen unterstreichen seinen volksaufklärerischen Charakter.
Zu den vorgeschlagenen und von der Kommission eingeleiteten Maßnahmen gehörten technische Verbesserungen, beispielsweise bei der Dämmung der Straßen und Gebäude, der Dämpfung der Fahrgeräusche von Autos und Stadtbahnen oder der Verkehrsführung und -kontrolle. Die Vorschläge zielten zudem auf die Verhaltensweisen der Stadtbewohner, die durch Aufklärung und notfalls durch Verordnungen dazu gebracht werden sollten, etwa auf unnötiges Hupen oder lautes Radiohören zu verzichten.
Mit dieser Erziehung zu einem rücksichtsvollen Verhalten im öffentlichen Raum – und z. B. auch durch die Einrichtung von Ruhezonen um Schulen oder Krankenhäuser – knüpften die Lärmschutzbemühungen der New Yorker Kommission an
Großstadttreiben
1927 veröffentlichte Eugen Szatmari als ersten Band der neuen Reihe Was nicht im Baedeker steht das Buch von Berlin. Dieser neuartige Reiseführer sollte nicht in erster Linie die Geschichte und die Baudenkmäler Berlins darstellen (wie das der klassische Baedeker tat), sondern an das "Berliner Leben" heranführen. Szatmari empfiehlt seinen Leserinnen und Lesern daher an ihrem ersten Tag in Berlin zunächst einen "Vormittagsspaziergang durch Berlin", der in die belebten Zentren des Verkehrs und der Warenwelt führt: die Einkaufsgegend der Leipziger Straße, den Verkehrsknotenpunkt des Potsdamer Platzes, das neue Zentrum im Westen um den Bahnhof Zoo und den Kurfürstendamm. Berlin zu erleben hieß vor allem, den Verkehr und das geschäftige Treiben auf den Straßen zu erfahren. Ab 17 Uhr begann das Vergnügungsleben, zunächst mit einem Tanz-Tee, bei dem der allgegenwärtige Modetanz Charleston getanzt wurde. Später am Abend ging man ins Theater, Kino, in ein Konzert oder zu einer Sportveranstaltung. Man konnte auch auf einem der zahlreichen Berliner Bälle tanzen oder eines der vielen Cafés, eine Bar oder Kneipe aufsuchen.