Gerade angesichts der noch frischen Erinnerungen an die Kriegsverbrechen und an die Bestrafung durch die Alliierten wirkte die Integration wie eine Anerkennung dafür, dass Deutschland dieses Mal auf dem richtigen Weg war. Auf der anderen Seite führte dies dazu, dass viele Deutsche die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus allzu schnell verdrängten – ganz im Sinne der Re-Orientation-Politik der Amerikaner blickten sie lieber in die Zukunft.
Zeichen des Neubeginns
Verstärkend kam hinzu, dass der Marshallplan das Ende der Demontagen, die allgemein in Deutschland Verbitterung hervorgerufen hatten, ankündigte, auch wenn deren Beendigung noch auf sich warten ließ. Allgemein schien jetzt eine bessere Zeit zu beginnen, selbst wenn die ersten Importe erst viel später eintrafen. Es gab nach den Jahren, in denen die unzweifelhaft erbrachten Anstrengungen vielfach wirkungslos geblieben waren, wieder eine Perspektive. Zu diesem Gefühl trug auch die massive, das ERP vorwegnehmende und begleitende Propaganda bei: Zwar waren die einzelnen Unternehmer nicht immer begeistert davon, Plaketten an ihren Betrieben anbringen zu müssen, aber die Wirkung war unbestreitbar groß.
Für die USA war noch ein anderer Effekt wichtig: Die Wahrnehmung von außen, dass die neue Weltmacht nun endlich zu handeln begonnen hat. Dies war vor allem vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Konfrontation im "Kalten Krieg" wichtig, da der Eindruck von Stärke so wesentlich überzeugender transportiert werden konnte. Tatsächlich gehörte für die Westdeutschen in ihrer Mehrheit die Bündnistreue zu den Amerikanern und das Vertrauen in die Stärke und Zuverlässigkeit der USA lange Zeit zu den Grundüberzeugungen. Eine ganz wesentliche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Unterstützung durch den Marshallplan.
Hinter dem "Eisernen Vorhang"
Aber auch auf der anderen Seite des "Eisernen Vorhangs" hatte der Marshallplan ganz erhebliche psychologische Auswirkungen. Dabei ist besonders der Moment der durch die Sowjetunion erzwungenen Ablehnung entscheidend, weil er gerade für die Tschechoslowakei und Polen die Ohnmacht gegenüber der späteren Führungsmacht verdeutlichte. In einem bis heute spürbaren Misstrauen gegenüber der Sowjetunion wirkt diese Ohnmacht bis heute nach. Ein weiterer Aspekt dieser vom Marshallplan ausgeschlossenen Staaten zeigte sich besonders deutlich in Ostdeutschland: Ob berechtigt oder unberechtigt hat sich hier teilweise bis heute die Überzeugung gehalten, die Lasten und die Verantwortung für die NS-Verbrechen und den Zweiten Weltkrieg allein getragen zu haben. Das Programm "Aufbau Ost" stellte insofern einen gleichsam nachgeholten "Marshallplan" für die neuen Bundesländer dar – allerdings unter wesentlich ungünstigeren Vorzeichen.
Zuletzt kommt der langlebige Mythos vom Marshallplan darin zum Ausdruck, dass in vielen Krisensituationen seit den 1950er Jahren nach einem "neuen Marshallplan" verlangt wurde. Dabei geht es in vielen Fällen nicht um konkrete Pläne oder Hilfsprogramme, sondern der Begriff allein bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass es wieder aufwärts gehen möge.