An den "Gammlern", die spätestens seit 1964 zum alltäglichen Bild der europäischen Metropolen gehörten, schieden sich die Geister: "Die Gammler waren in Haltung und Kleidung lebendiger Protest. Ungepflegt und teilweise heruntergekommen, störten sie das bürgerliche Sauberkeitsempfinden entschieden; ihr langes Haar attackierte das Image vom männlichen Mann mit Familie, Haus, Besitz und Erfolg. Was der Gammler war und besaß, zeigte er ungeniert und trug er bei sich. Öffentlich stellte er die Leistungsgesellschaft infrage, indem er sich ob der Sonne freute, las oder musizierte, wenn die Gesellschaft mit Arbeit und Fleiß ihr Sozialprodukt mehrte. Ohne die Autorität unmittelbar zu verhöhnen, verhöhnte der Gammler sie doch, weil er Normen, Regeln und Tabus verachtete." (Hollstein 1969, S. 38) Dabei waren die Gammler weder aggressiv wie die Halbstarken der Fünfzigerjahre noch politisch wie die sich unter anderem aus den Gammlern formierende Hippie-Kultur. Die Gammler wollten die Welt nicht programmatisch verändern, sondern im Grunde nur in Ruhe gelassen werden, selbst zumeist der Mittelschicht entstammend, aus dem aufgezwungenen Kanon der so genannten "Pflichten" aussteigen. "Seht mal, das Ganze ist nämlich eine Welt von Rucksackwanderern, die sich weigern zu unterschreiben, was die Konsumgesellschaft fordert: dass man Produziertes verbrauchen soll und daher arbeiten muss, um überhaupt konsumieren zu dürfen, das ganze Zeug, das sie eigentlich gar nicht haben wollen, wie Kühlschränke, Fernsehapparate, Wagen, zumindest neue Wagen zum Angeben, bestimmte Haaröle und Parfüms und lauter solchen Kram, den man schließlich immer wieder eine Woche später auf dem Mist wiederfindet, alle gefangen in einem System von Arbeit, Produktion, Verbrauch, Arbeit, Produktion, Verbrauch, ich habe eine Vision von einer großen Rucksackrevolution, Tausende oder sogar Millionen junger Amerikaner, die mit Rucksäcken rumwandern, auf Berge gehen, um zu beten, Kinder zum Lachen bringen und alte Männer froh machen, junge Mädchen glücklich machen und alte Mädchen noch glücklicher, alles Zen-Besessene, die rumlaufen und Gedichte schreiben und die durch Freundlichkeit und auch durch seltsame, unerwartete Handlungen ständig jedermann und jeder lebenden Kreatur die Vision ewiger Freiheit vermitteln" (aus Jack Kerouac: Gammler, Zen und Hohe Berge, S. 75).
Die Gammler inszenierten ihren Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft nur für sich selbst, sie "wollte(n) nicht Macht erobern, sondern sich von deren Einfluss befreien. Solches reichte indessen schon, um das System zu beunruhigen." (Hollstein 1969, S. 39) Allein ihre lässige Präsenz provozierte die noch nationalsozialistisch geprägte Wiederaufbaugeneration. "Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören", versprach Bundeskanzler Ludwig Erhard im Juni 1966, und die NPD forderte in ihrem Parteiblatt, "das ganze Problem radikal und im Sinne des gesunden Volksempfindens zu lösen" (Der Spiegel 39/1966, S. 72). "Unter Hitler hätte es so etwas nicht gegeben", empörten sich Passanten beim Anblick der Langhaarigen an der Berliner Gedächtniskirche oder am Hannoveraner Georgsplatz. Die Mehrzahl der Bundesbürger, die sich rechtschaffen empörten, kannte Gammler allerdings nur aus den Medien: Mehr als 5000 bis 7000, die sich vorwiegend in den wenigen Großstädten Deutschlands sammelten, gab es wohl nicht.
Die Provos
Die Provos "setzten den impulsiven Widerstand der Gammler in bewusste und vorsätzliche Provokation des Systems um - Sie leisteten die ersten bewussten und ausdrücklich politisch-rational angelegten Ansätze, alternative Strukturen einzurichten." (Jaenicke 1980, S. 55 u. 57) Doch anders als die Hippies waren die Provos keine Aussteiger, ging es ihnen nicht um den Aufbau einer von der Mehrheitsgesellschaft möglichst autonomen Alternativkultur. "Sie wollten keine Subkultur, ihre Aktionen zielten darauf, erstarrte Strukturen aufzubrechen, sie wollten Provokation und Infiltration, nicht Autonomie. Allerdings begann das Provotariat auf dem Höhepunkt seiner Bewegung den Aufbau einer Gegengesellschaft mit Zeitungen, Läden, Kommunen, Zentren, Selbsthilfeorganisationen usw., um sich so die materielle Basis für ihre Ideen, Aktionen und eigenen Lebenszusammenhänge zu schaffen." (a.a.O.)
Provos in den Niederlanden, der Geburtsstätte dieser Bewegung, bezeichneten sich selbst als "Jugendbewegung, die agitiert, provoziert und Unruhe stiftet". Wie schon die Gammler bildeten die Provos keine feste Organisation, sondern "eine ebenso bunte wie heterogene Menge ähnlich gesinnter Jugendlicher ohne Führung, Hierarchie, Apparat oder Hauptquartier. Planung, Berechnung, Organisation und Kaderbildung waren den Provos ein Greuel" (Hollstein 1969, S. 55). Ihr Hauptangriffsziel war die autoritäre Gesellschaftsstruktur, die stets aufs Neue durch provokative Aktionen demaskiert werden sollte.