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Aus diesem Anlass schlossen sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammen und gründeten im Jahr 2018 den gesamtgesellschaftlichen Verein "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Ihr Ziel war die Koordination eines Jubiläums, an dem sich viele gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen bundesweit mit Veranstaltungen rund um das Thema jüdisches Leben beteiligen sollten (Scherer, 2018).
Dabei beabsichtigten die Initiatoren, das Positive der deutsch-jüdischen Geschichte ins Auge zu fassen und jüdische Geschichte nicht mehr nur in Zusammenhang mit mittelalterlichen Pogromen und der Schoa darzustellen. Dahinter stand sowohl die Überzeugung, dass jüdisches Leben ein fester Bestandteil der deutschen Kultur und Gesellschaft ist, als auch die Hoffnung, dem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland etwas Positives entgegenzusetzen (Stoldt, 2018). Der Antisemitismus fundiert auf einer alten Tradition,
Im Nachkriegsdeutschland wie in großen Teilen Europas beschäftigen sich seit 76 Jahren zahlreiche Wissenschaftler und Pädagogen damit, Handlungsstrategien für die Prävention und Bekämpfung dieses Virus zu erarbeiten und umzusetzen. Ungeachtet dieser Bemühungen erstarkt der Antisemitismus (Public, 2018; World Jewish Congress (WJC), 2019). Die brutalen, teilweise vereitelten Anschläge gegen jüdisches Leben in den vergangenen Jahren – sowohl in Europa als auch im Rest der Welt – führen uns immer wieder vor Augen, wie schnell der Glaube an
Das Festjahr "#2021JLID – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ist ein neuer Versuch, Judenfeindlichkeit etwas Positives entgegenzusetzen und mithilfe niedrigschwelliger Formate eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.
Kritiker geben zu bedenken, dass die über 1.700-jährige jüdische Geschichte auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands kein Grund zu feiern sei. Es handele sich vielmehr um eine lange Anreihung von Verfolgung, Diskriminierung, Vertreibungen und Ermordung jüdischer Menschen, die in der
Viele junge Juden fordern heute wortstark ein, als normaler Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden (Kovacs, 2020). Sie möchten jüdisches Leben nicht mehr ausschließlich auf religiöse Symbole, Antisemitismus und eine Opfergeschichte (Brenner, 1994) reduzieren, sondern in der Öffentlichkeit als gleichwertiger Teil einer modernen, zukunftsorientierten Gesellschaft wahrgenommen und respektiert werden.
Es wird oft als "Wunder" bezeichnet, dass im Schatten der deutsch-jüdischen Geschichte und des erstarkenden Antisemitismus wieder Juden in Deutschland leben. Hinter diesem "Wunder" steht insbesondere die
Dies erfordert, dass der Mehrheitsgesellschaft, neben einer zukunftsorientierten Erinnerungs- und Gedenkkultur, ein realistisches Bild der in Deutschland lebenden Juden vermitteln wird, fernab von Vorurteilen und oft vorherrschenden verklärten und romantisierten Vorstellungen. Wissensvermittlung und Begegnung, Verständnis und Empathie – und explizit nicht ausschließlich Opferempathie (Bundesregierung, 2011) – sowie ein unverkrampftes Miteinander sollten hierbei im Vordergrund stehen, frei von latentem Antisemitismus (RIAS, 2020) auf der einen, und latentem Misstrauen auf der anderen Seite.
Ein Teil dieser Forderungen ist nicht neu. Sie finden sich bereits in einem 45-seitigen Beitrag zu 1.600 Jahre jüdischem Leben wieder, der 1938 vom
In diesem Text klagen jüdische Autoren die Mehrheitsgesellschaft eindringlich an. Sie fragten sich, warum Juden nicht als ein normaler Teil der deutschen Gesellschaft akzeptiert würden, obwohl sie seit über 1.600 Jahren wichtige Beiträge zur deutschen Kultur geleistet hätten und es immer noch täten: als Rechtswissenschaftler, Naturwissenschaftler, Künstler, Musiker, Forscher und Sportler. Der Text ist ein Plädoyer gegen Verschwörungsmythen und den gängigen Gebrauch und Missbrauch antisemitischer Schlagwörter. Die Autoren versuchten, Vorurteile und Verschwörungsmythen mit Fakten zu widerlegen. Der Text ist der verzweifelte Ruf nach einer deutsch-jüdischen Normalität.
Mit Blick auf die Gegenwart hat dieser Text in seinem Verlangen nach Anerkennung der Normalität und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Deutschland an Aktualität nicht eingebüßt. Der Unterschied zu damals ist freilich, dass jüdische Menschen im Kampf gegen den Antisemitismus und für jüdisches Leben heute nicht mehr allein gelassen werden. Ein Zeichen dafür ist die große Beteiligung der Gesellschaft, Politik und Kirchen am laufenden Festjahr #2021JLID. Gleichwohl ist es besorgniserregend, wie stark
Das Festjahr ist ein organisatorischer Erfolg, nicht zuletzt durch die großzügige finanzielle Unterstützung des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalens und der Stadt Köln, der Beteiligung zahlreicher Projekt- und Kooperationspartner sowie der Beratung durch die Vereinsgremien, der Projektjury und die intensive Arbeit des motivierten Geschäftsstellenteams (2021JLID, 2021). Mit einer breiten Unterstützung konnte das Vorhaben unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit einem feierlichen Festakt am 21. Februar 2021 eröffnet werden.
Ob durch das Festjahr eine nachhaltige Wirkung entfaltet werden kann, wird die Zukunft zeigen. Erste Rückmeldungen machen Mut und geben Hoffnung. Der Erfolg hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Anstrengungen des im Rahmen der Corona-Pandemie verlängerten Festjahres nach seinem Ende am 31. Juli 2022 weiter fortgesetzt und verfestigt werden können.
Literatur:
2021JLID (2021) #2021JLID - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.
Verfügbar unter: Externer Link: https://2021jlid.de/.Brenner, M. (1994) Kleine jüdische Geschichte. C.H. Beck.
Bundesregierung (2011) "Deutscher Bundestag", Unterrichtung durch die Bundesregierung, Drucksache(17/7700), S. 204.
Centralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens CV. (1938) "Wir deutschen Juden : 321 - 1932": Weyland Verlag, Berlin, S. 48.
Dr. Otten, T.; Karabaic, M. (2019) "Das Dekret von 321: Köln, der Kaiser und die jüdische Geschichte", MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier, S. 12.
Verfügbar unter: Externer Link: https://miqua.files.wordpress.com/2021/05/miqua-broschuere_das-dekret-von-321.pdfEck, P. W. (2011) "Spurensuche : Juden im römischen Köln", Gesellschaft zur Förderung eines Hauses und Museums der jüdischen Kultur in NRW e.V., 1, S. 1–28.
Verfügbar unter: Externer Link: https://miqua-freunde.koeln/Publikationen/.Freimüller, T. (2020) "Jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach der Shoah", in Kontinuität, Migration und Fremdheitserfahrungen. Böhlau Verlag Köln, S. 47–66.
Kovacs, A. (2020) Verschwörungsfragen 32: Andrei Kovacs zu jüdischem Leben in Deutschland, SciLogs.
Verfügbar unter: Externer Link: https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfragen-32-andrei-kovacs-zu-juedischem-leben-in-deutschland/.Kreikebaum, U. (2020) "Der Antisemitismus ist ein sehr altes Virus". Köln: Kölner Stadt-Anzeiger.
Verfügbar unter: Externer Link: https://www.ksta.de/koeln/juedisches-leben-in-koeln--antisemitismus-ist-ein-altes-virus--eines-der-toedlichsten--36688744.Public, K. (2018) Special Eurobarometer 484 Report Perceptions of antisemitism December 2018 January 2019 Survey requested by the European Commission , Special Eurobarometer 484 Report Perceptions of antisemitism. European Commission, Directorate-General for Justice and Consumers.
RIAS, B. der R. I. A. e. V. (Bundesverband (2020) "Handbuch zur praktischen Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus". Europäische Kommission - Generaldirektion Justiz und Verbraucher.
Schäfer, Peter (2020) Kurze Geschichte des Antisemitismus. C.H. Beck.
Scherer, D. (2018)Jürgen Rüttgers zu Antisemitismus "Man darf das auf keinen Fall akzeptieren", Kölnische Rundschau.
Verfügbar unter: Externer Link: https://www.rundschau-online.de/news/politik/juergen-ruettgers-zu-antisemitismus--man-darf-das-auf-keinen-fall-akzeptieren--30040606.Steinke, R. (2020) Terror gegen Juden. Piper Verlag.
Stoldt, T.-R. (2018) "'Es gab auch gute Zeiten zwischen Juden und Nichtjuden'", die Welt.
Verfügbar unter: Externer Link: https://www.welt.de/regionales/nrw/article175656035/Abraham-Lehrer-Es-gab-auch-gute-Zeiten-zwischen-Juden-und-Nichtjuden.html.World Jewish Congress (WJC) (2019) "Germany Anti-semitism Assessment Study General Population Survey", S. 1–14.