Die Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik – der Zentralrat der Juden in Deutschland – wurde nur fünf Jahre nach dem Ende des Externer Link: Zweiten Weltkriegs am 19. Juli 1950 in einer privaten Wohnung in Frankfurt am Main gegründet. Es war zum damaligen Zeitpunkt eher eine Zweckgründung. Hierzu kamen 25 führende Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden aus den vier Besatzungszonen zusammen.
Die deutschen Juden und Externer Link: Auschwitz-Überlebenden Philipp Auerbach (1906-1952), Heinz Galinski (1912-1992) und Norbert Wollheim (1913-1998) bildeten das erste Direktorium einer Institution, die für die "Juden in Deutschland“ sprechen sollte. Die Selbstbezeichnung "für die deutschen Juden“ wurde aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen bewusst vermieden. Die vormals größte jüdische Organisation zur Vertretung der staatsbürgerlichen Rechte deutscher Juden und Jüdinnen – der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens – wurde am Tag der Novemberpogrome 1938 durch die Nationalsozialisten verboten. Nach der
Der neu entstandene Zentralrat sollte vor allem die Auswanderung der Juden und Jüdinnen aus Deutschland sowie ihre Entschädigung durch den deutschen Staat koordinieren. Akzeptanz fand die Wiedergründung jüdischen Lebens in Deutschland bei Juden und Jüdinnen weltweit zunächst nicht. Die Jewish Agency in Israel forderte zwei Wochen nach der Gründung des Zentralrats alle in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen ultimativ auf, das Land binnen sechs Wochen zu verlassen und nach Israel auszureisen.
Es blieben ca. 15.000
In den Folgejahren festigte die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ihre Strukturen, Synagogen und Gemeindehäuser wurden gebaut. Der Zentralrat entwickelte sich immer mehr zu einer Organisation, die sich für die Weiterentwicklung des jüdischen Lebens in Deutschland stark machte. Bereits frühzeitig übernahm der Zentralrat die Herausgeberschaft der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung (heute: Jüdische Allgemeine), gründete 1979 die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und richtete 1987 das Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland ein. In den Jahren 2000 und 2009 unterstützte der Zentralrat die Gründung der Ausbildungsstätten für liberale und traditionelle Rabbiner, das Abraham Geiger Kolleg und das Rabbinerseminar zu Berlin. Etwa im gleichen Zeitraum gründete der Zentralrat unter seinem Dach die Orthodoxe und Allgemeine Rabbinerkonferenzen, in denen die Rabbiner beider Strömungen zusammengeschlossen sind. 2016 folgte die Gründung der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurde die Integration der
Der Zentralrat der Juden vereint unter seinem Dach alle Strömungen des Judentums. Unter den jüdischen Organisationen weltweit ist das eine Seltenheit. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich in der Nachkriegszeit die Jüdischen Gemeinden in Deutschland als Einheitsgemeinden gründeten, die für alle Juden und Jüdinnen der jeweiligen Stadt eine religiöse Heimstätte bilden sollten. Dieses Modell wurde im Laufe der Jahrzehnte zu einem Markenzeichen der größeren Jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland.
Kernaufgabe des Zentralrats ist die Vertretung der Interessen der Juden und Jüdinnen in Deutschland gegenüber der Politik. Dabei nimmt auch der Kampf gegen Antisemitismus einen wesentlichen Anteil im Engagement des Zentralrats ein. Auch steht der Zentralrat seit seiner Gründung solidarisch an der Seite Israels und tritt für dessen Existenzrecht ein.
Die jüdische Gemeinschaft ist föderal aufgebaut. Auf Bundesebene der Zentralrat, auf Länderebene die jüdischen Landesverbände und auf kommunaler Ebene die Jüdischen Gemeinden. Der Zentralrat sowie die jüdischen Landesverbände und der Großteil der Jüdischen Gemeinden sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst. Damit genießt die jüdische Gemeinschaft neben den großen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, das Recht, Kultussteuer zu erheben, Bildungseinrichtungen zu betreiben, ein eigenes Bestattungswesen zu organisieren sowie viele andere für die Religionsausübung notwendigen Rechte, die die Existenz einer religiösen Gemeinschaft nachhaltig ermöglichen.
Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden sind seit 2003 in einem Externer Link: Staatsvertrag geregelt. Die Bundesrepublik verpflichtet sich darin, den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland zu unterstützen und das freundschaftliche Verhältnis zu der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu verfestigen und zu vertiefen. 2019 wurde darin auch die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge bei der Bundeswehr vereinbart.
Neben den politischen Aktivitäten bietet der Zentralrat ein mannigfaltiges Angebot für die Mitglieder der Jüdischen Gemeinden. Mit Programmen und Projekten für Familien mit Kleinkindern, Schulkinder, Studierende, junge Erwachsene, die mittlere Generation als auch für Senioren, bietet er diverse Aktivitäten an. Darunter stehen Bildungs- und interreligiöse sowie interkulturelle Dialogangebote im Vordergrund. 2021 beginnt der Zentralrat mit dem Neubau einer Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main.
Wie bei den christlichen Religionsgemeinschaften ist auch in den Jüdischen Gemeinden ein Rückgang der Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Um die Bedarfe und Interessen der Gemeindemitglieder sowie der ehemaligen und potenziellen Mitglieder besser zu verstehen, führte der Zentralrat 2019 eine breit angelegte Umfrage in den Jüdischen Gemeinden durch. Auf der Grundlage der Externer Link: Ergebnisse dieses "Gemeindebarometers“ sollen in Zukunft die Angebote der Jüdischen Gemeinden und des Zentralrats ausgebaut und den Bedürfnissen der in Deutschland lebenden Juden angepasst werden.
Zentralrat der Juden in Deutschland
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Als Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland vereint der Zentralrat unter seinem Dach alle Strömungen des Judentums. Unter den jüdischen Organisationen weltweit ist das eine Seltenheit.
Daniel Botmann (geboren 1984 in Tel Aviv) ist Rechtsanwalt und seit 2014 Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. Von 2005 bis 2011 war er stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz. Nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahre 2012 war er als Jurist im Bereich Banking and Finance tätig. Ab 2013 war er Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes. Daniel Botmann ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes RIAS, Mitglied im Beirat des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, Prüfer bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Mitglied des Kuratoriums des Jüdischen Museums Berlin und engagierte sich im Beirat für innere Führung der Bundeswehr sowie in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.