Vor 55 Jahren, am 18. Juni 1966, weihte der Landrat des Landkreises Königshofen im Grabfeld, Dr. Karl Grünewald, feierlich die "Grenzinformationsstelle" Breitensee ein. Sie war die erste ihrer Art in der Bundesrepublik und lag in der unterfränkischen Provinz, nur etwa 500 Meter von der innerdeutschen Grenze entfernt. Rasch erregte auf der Thüringer Seite das dortige Geschehen die Aufmerksamkeit des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
In den Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv ist festgehalten, dass am 27. Juli 1967 der Geheime Mitarbeiter (GM) „Georg Kelmer“ einen konkreten Auftrag erhielt: „An einem Wochenende hat er die Informationsstelle in der Ortschaft Breitensee Kr[eis] Königshofen aufzusuchen. Dabei hat er Folgendes über das Objekt festzustellen: Lage des Objekts; welche Personen sind für das Objekt verantwortlich; wer führt die Einweisungen durch; gibt es festgelegte Öffnungszeiten; mit welchen Materialien und Fotos ist die Informationsstelle ausgestaltet; werden Prospekte verteilt, wenn ja, Erwerb eines solchen.“
Um zusätzliche Informationen zusammenzutragen, entsandte das MfS weitere inoffizielle Quellen zur Grenzinformationsstelle Breitensee. Eine davon erarbeitete einen Bericht, der über die innere Gestaltung Auskunft gab: „Nach Betreten des Objekts kommt man zunächst links in einen Raum, wo die Verfassung und das Passgesetz der DDR ausgestellt sind. Darüber steht mit großen Lettern: ‚Scheinverfassung der DDR‘. Weiterhin sind in diesem Raum Materialien über die gegenüberliegenden Ortschaften wie Eicha, Gleichamberg, Römhild und Hildburghausen vorhanden und ausgelegt. Gegenüber diesem Raum […] ist eine Ausstellung über den Grenzverlauf, die Grenzsperre und dergleichen zu sehen. In diesem Raum befinden sich weiterhin zwei Puppen, die mit Uniformen der NVA bekleidet sind.“
Die Geschichte der Grenzinformationsstellen ist bislang kaum erforscht. Dieser Beitrag basiert auf Recherchen im Stasi-Unterlagen-Archiv. Er beleuchtet die Aufgaben der Grenzinformationsstellen, wie sie in ihrer Arbeit Unterstützung fanden – und warum sie in das Blickfeld des MfS gerieten.
Aufklärung im Schatten des Todesstreifens
Bis zur deutschen Wiedervereinigung lagen die Grenzinformationsstellen, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, entlang der innerdeutschen Grenze. In den Zonenrandgebieten Bayerns, Hessens, Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sowie in Westberlin informierten sich dort jedes Jahr Zehntausende Menschen über das DDR-Grenzregime. In der Folge entwickelte sich der bundesdeutsche Grenztourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die strukturschwachen Regionen im Zonenrandgebiet. Die Grenzinformationsstellen boten Text- und Bildtafeln, Informationsbroschüren und Schaumodelle, die den Aufbau der Grenzanlagen verdeutlichten. Außerdem thematisierten regelmäßig stattfindende Filmvorführungen, Lesungen und Vorträge die historischen Entwicklungen, die zur deutschen Teilung führten.
Weiterhin beschäftigten sie sich mit den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der DDR. Als besonderer Programmpunkt galten Fahrten und Wanderungen an die innerdeutsche Grenze, die mit erklärenden Einweisungen in den Grenzaufbau einhergingen. Eine Vielzahl von Aussichtsplattformen, Einsichtspunkten und Beobachtungstürmen bot für die Teilnehmenden die Möglichkeit, einen Blick in den Osten zu werfen. MfS und Grenztruppen beäugten diese Szenerien argwöhnisch, und die Dienstkameras klickten unermüdlich, wenn sich Besucherdelegationen, Schulklassen, Touristengruppen und Wandergesellschaften bis auf wenige Meter dem Territorium der DDR näherten. Im Rahmen der Einweisungen kam es regelmäßig zu Zwischenfällen.
Die MfS-Kreisdienststelle (KD) Hildburghausen listete einige für die erste Hälfte der 1980er-Jahre auf: Zerstörung von Grenzmarkierungen; Diebstahl von DDR-Hoheitsabzeichen; Grenzüberschreitungen, bei denen BundesbürgerInnen und auch BundespolitikerInnen (bewusst oder unbewusst) DDR-Territorium betraten; direkte Aufforderungen der Grenzsoldaten zur Fahnenflucht. Ein weiteres Ärgernis für das MfS waren Ballonaktionen. Hierbei ließen BundesbürgerInnen Luftballons mit politischen Grußbotschaften in Grenznähe steigen. Diese flogen bei Westwind in die DDR, wo sie unkontrolliert niedergingen.
Von Lübeck, nahe der Ostsee, bis Hof in Oberfranken befanden sich die Grenzinformationsstellen in Rathäusern und Verwaltungsgebäuden der Gemeinden, Städte und Landkreise, in Museen, in kirchlichen und privaten Räumlichkeiten, oder sie waren innerhalb der Standorte des Bundesgrenzschutzes (BGS), der Bayerischen Grenzpolizei (BGP) und des Grenzzolldienstes (GZD) untergebracht. Als Leiter, in der Regel Ehrenamtliche, fungierten oftmals pensionierte und aktive Bürgermeister, Lehrer sowie Regional- oder Lokalpolitiker Innen. Angehörige des BGS, der BGP und des GZD führten häufig die Einweisungen an der innerdeutschen Grenz durch. Das „Gesamtdeutsche Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben“ koordinierte die Arbeit der Grenzinformationsstellen. Konkret stellten deren in Bonn und Westberlin ansässigen Dienststellen Druckerzeugnisse, Filme, Tonträger und ReferentInnen im Rahmen der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit zur Verfügung.
Zudem förderte das Institut mittels eines Bundeszuschusses Reisen in das Zonenrandgebiet und in die DDR. Das Gesamtdeutsche Institut prüfte auch den Aufbau neuer Grenzinformationsstellen und sorgte für deren touristische Erschließung. Dazu gehörte es, Straßen und Wege anzulegen sowie Hinweisschilder und Aussichtsplattformen aufzustellen. Auch die Bundesländer mit Zonenrandgebiet traten in vielfältiger Weise, vor allem hinsichtlich des Anfertigens eigener thematischer Publikationen, in Erscheinung: Der „Hessendienst der Staatskanzlei“ veröffentlichte 1989 die Broschüre „Die Hessische Grenze zur DDR“. Nach einem Vorwort des hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann folgten Verhaltensregeln für Reisen ins Grenzgebiet und in die DDR. Ergänzend lagen der Broschüre eine Übersicht zu den bedeutendsten Städten der DDR und eine praktische Faltkarte bei. Diese veranschaulichte den Grenzverlauf in Hessen und lieferte Angaben zu den Standorten hessischer Grenzinformationsstellen und den Aussichtspunkten.
Der niedersächsische Minister für Bundesangelegenheiten gab ab 1979 dreimal jährlich die Zeitschrift Grenzreport heraus. Wie aus einer Drucksache des Landtages in Hannover aus dem Jahr 1984 hervorgeht, erhielten Volkshochschulen im Zonenrandgebiet sowie Landesbehörden die Zeitschrift kostenlos. Der „Grenzreport“ diente dazu, „die Mitarbeiter im Grenzinformationsdienst Niedersachsens durch deutschlandpolitische Informationen und Motivationshilfen in die Lage zu versetzen, Besuchergruppen an der Grenze sachgerecht zu betreuen.“
An der bayerischen Landesgrenze zur DDR befanden sich die Grenzinformationsstellen Fladungen, Rappershausen, Breitensee, Bad Königshofen, Dürrenried, Neustadt, Kronach, Lauenstein, Lichtenberg und Töpen. Unter dem Titel „Hinweise für Fahrten an die Demarkationslinie“ ist in den Stasi-Unterlagen ein Merkblatt überliefert, welches mutmaßlich das gesamtdeutsche Referat des Bayerischen Staatsministers für Bundesangelegenheiten verantwortete. Darin steht, dass organisierten Fahrten in das bayerische Zonenrandgebiet dem „Volksbund für Frieden und Freiheit“ übertragen wurden. Neben Landratsämtern und Dienststellen des BGS und der BGP half dieser bei der Planung und Programmgestaltung. Darüber hinaus lieferte das Merkblatt praktische Tipps für die Beantragung des Bundeszuschusses für Reisen an die innerdeutsche Grenze und in die DDR. Zusätzlich fand sich darin eine detaillierte Übersicht zu Grenzinformationsstellen und Aussichtspunkten im Norden Bayerns.
„Emotionale Schockerlebnisse“
Die Grenzinformationsstellen waren den Ostberliner Machthabern ein Dorn im Auge, da diese die staatliche Integrität der DDR in Frage stellten. Die SED übertrug ihrer Geheimpolizei die Aufgabe, möglichst viele Belege für den vermeintlich konterrevolutionären Charakter zu sammeln und die Arbeit zu behindern. Das Stasi-Unterlagen-Archiv bewahrt eine Studienarbeit auf, die ein Offiziersschüler an der Juristischen Hochschule des MfS im Sommer 1989 einreichte.
Unter dem Titel „Zur Struktur und aktuell-politischen Aufgaben der Grenzinformationsstellen des Bundesgrenzschutzes“ formulierte der angehende Geheimpolizist die konkreten Vorwürfe an der Arbeit der Grenzinformationsstellen. Zunächst trug er einführend Details zusammen, wie Angaben zu deren Aufgaben, zur Finanzierung und zu den Zielgruppen. In einem nächsten Schritt argumentierte der Autor, der der Hauptabteilung I (HA I) des MfS angehörte, dass die thematische Wissensvermittlung in den Grenzinformationsstellen der DDR ihr souveränes Recht abspreche, die eigene Grenze zu schützen. Den BesucherInnen würde mittels „emotionaler Schockerlebnisse“ ein Feindbild kommuniziert, das die Grenztruppen als schießwütige, roboterartige Befehlsempfänger darstelle. Zusätzlich würden Menschen in den Einrichtungen, unter dem Motto „Die Grenze ist nicht unüberwindbar“, dazu ermutigt, deutsch-deutsche Kontakte aufzubauen und Reisen in die DDR zu unternehmen. Die 24-seitige Abhandlung schließt mit einer nach Bundesländern sortierten Aufzählung zahlreicher Grenzinformationsstellen.
Der Diensteinheit des angehenden Offiziers, der HA I, kam bei der geheimpolizeilichen Bearbeitung der Grenzinformationsstellen eine Schlüsselposition zu. Die HA I war verantwortlich für die NVA und die Grenztruppen sowie für die „Aufklärung des westlichen Grenzvorfeldes“. Deren Mitarbeiter, die sich ihrem Selbstverständnis nach auch als „Militärtschekisten“ bezeichneten, erstellten eine Übersicht aller Grenzinformationsstellen und hielten diese bis 1989 aktuell. Dokumentiert sind zu jedem Objekt Anschrift, Lage, Ausstattung, Personal, bauliche Beschaffenheit, einmalige oder wiederkehrende Aktivitäten sowie die Qualität der Zusammenarbeit mit BGS, BGP und GZD.
Zudem ist in der Dokumentation festgehalten, welche Aussichtsplattformen, Einsichtspunkte und Beobachtungstürme die jeweilige Grenzinformationsstelle bevorzugt nutzte. Fotokopierte Postkarten, Fotografien und Zeitungsartikel ergänzten die spezifischen Abschnitte. Nach Absprache und in ständiger Koordination mit der HA I wurde jeder MfS-Bezirksverwaltung, die an einem Abschnitt der innerdeutschen Grenze lag, mehrere Grenzinformationsstellen zur Kontrolle und Überwachung, häufig im Rahmen eines Feindobjektvorgangs, zugewiesen. Auch die „Arbeitsgruppe Grenze“ der Hauptverwaltung A (HV A; Auslandsspionage) und die HA VI (Grenzkontrolle, Reiseverkehr, Touristik) waren bei der verdeckten Arbeit gegen die Grenzinformationsstellen involviert.
Feindobjekte in Unterfranken
Als Feindobjekte bezeichnete das MfS westliche Institutionen und Organisationen, von denen angeblich subversive Aktivitäten gegen die DDR und andere kommunistische Staaten ausgingen. Zu jedem Objekt legte ein verantwortlicher Mitarbeiter einen mit einem Decknamen versehenen Vorgang an, der vom Vorgesetzten bestätigt werden musste. Die MfS-Bezirksverwaltung Suhl führte bis 1989 21 Feindobjektakten. Fünf davon, nämlich „Haßberg“, „Kurzentrum“, „Thüringenblick“, „Wiesengrund“ und „Zentrum“, standen im Zusammenhang mit der Überwachung der Grenzinformationsstellen.
Hinter „Haßberg“ stand das Volkshochschulheim Sambachshof bei Bad Königshofen. In der Bildungsstätte konnten bis zu 80 Personen übernachten. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) bot ganzjährig deutschlandpolitische Seminare für SchülerInnen und Studierende an. Im Jahr 1985 fanden im Sambachshof 91 Seminare mit über 2.700 Teilnehmenden statt. Ein obligatorischer Programmpunkt war der Besuch der Grenzinformationsstelle Bad Königshofen. Der vorgangsführende Mitarbeiter bescheinigte den Referenten der KAS sowie den Angestellten des Volkshochschulheimes eine negative Grundeinstellung zur DDR. Die Hotels „4 Jahreszeiten“ in Bad Königshofen und „Zum Wiesengrund“ in Niederlauer verbargen sich hinter den Decknamen „Kurzentrum“ und „Wiesengrund“. Die Herbergen gerieten in den Fokus, weil sie als Ausweichquartiere fungierten, wenn die Übernachtungsplätze im Volkshochschulheim Sambachshof erschöpft waren. Zu zahlreichen Hotelangestellten, so belegen es Stasi-Unterlagen, sind Ermittlungshandlungen des MfS nachweisbar.
Unter dem Decknamen „Zentrum“ bündelte die KD Meiningen ihre verdeckten Aktivitäten gegen drei Ziele in Rappershausen, nämlich die dortige Grenzinformationsstelle, den Aussichtsturm und das örtliche Landjugendheim, das im Jahr 1984 77 Gruppen mit 2.500 Teilnehmenden besuchten. Dort fanden deutschlandpolitische Vorträge und Gesprächsrunden zum Thema „Einheit der deutschen Nation“ statt. Zur Grenzinformationsstelle in Rappershausen notierte der Inoffizielle Mitarbeiter (IM) „Bergmann“ nach einer Unterhaltung mit deren Leiterin, dass der Ehemann der engagierten Frau nach langer Krankheit verstorben sei. „Bergmann“, ein IM, der regelmäßig in den Westen reiste, schlussfolgerte daraus, dass die Aktivitäten der Grenzinformationsstelle Rappershausen im Jahr 1985 nun wieder zunehmen würden. Gesondert berichtete „Bergmann“ darüber, dass im April 1985 eine Arbeitstagung aller bayrischen Grenzinformationsstellen am Tegernsee stattgefunden habe, an der auch Vertreter der bayrischen (Grenz)-Landratsämter sowie des BGS, der BGP und des GZD teilnahmen. Über dort getroffene Absprachen konnte er aber nichts in Erfahrung bringen.
Blick ins Thüringer Land
Im Juli 1984 legte die Arbeitsgruppe Grenzsicherheit der KD Hildburghausen die Feindobjektakte „Thüringenblick“ an. In dem Vorgang finden sich die Grenzinformationsstellen Breitensee und Dürrenried sowie die Aussichtstürme „Henneberger Warte“ bei Bad Rodach und „Bayernturm“ bei Sternberg/Zimmerau wieder.
Für das MfS stand fest, dass die vier Einrichtungen „im Auftrag der bayerischen Staatsregierung der Verbreitung revanchistischen Gedankengutes [dienen] und [deren Aktivitäten gegen] die Souveränität der DDR, ihrer Staatsgrenze und das Grenzgebiet gerichtet“ seien. Aus der Akte wird ersichtlich, dass es dem MfS darum ging, vermutete feindliche Handlungen aufzuklären und Kontakte in die DDR zu dokumentieren. Konkret finden sich Kontrollmaßnahmen und Ermittlungen zu den Leitern der beiden Grenzinformationsstellen, zu Personen, die am „Bayernturm“ und der „Henneberger Warte“ den BesucherInnen Hinweise bei der Beobachtung gaben, und zu InhaberInnen von Hotels, kleinen Verkaufsständen und Gaststätten. Der verantwortliche Mitarbeiter in der KD Hildburghausen versprach sich davon, operative Anhaltspunkte zu finden, um das Engagement der betreffenden Personen einschränken oder beenden zu können.
Der im Sommer 1966 eröffnete „Bayernturm“ besaß eine besondere Strahlkraft. Als „Mahnmal für die deutsche Einheit“ bezeichnet, sollte er den BesucherInnen Unterfrankens einen „Blick in das Thüringer Land“ gewähren. Die mit Wellblech verkleidete Stahlkonstruktion lag unmittelbar an der innerdeutschen Grenze auf dem mehr als 400 Meter hohen Büchelberg. Bereits der Bau wurde aus dem Osten registriert und so manche/r AnwohnerIn des DDR-Grenzgebietes mutmaßte, dort würde eine Raketenabschussrampe entstehen. Einige Monate nach der Inbetriebnahme berichtete ein eifriger IM, dass jede/r BesucherIn „dieses revanchistischen Turmes“ ein Eintrittsgeld in Höhe von 1,50 D-Mark entrichten müsse.
Eine eiserne Treppe führte zur markanten, achteckigen Aussichtsplattform. Hier standen zwei große Reliefmodelle, die den Grenzverlauf und das gegenüberliegende DDR-Gebiet abbildeten. Der IM berichtete nüchtern weiter, dass eines dieser Modelle „mit einer Reihe farbiger Knöpfe versehen [war], die einen elektronischen Anschluss besitzen. Drückt man einen bestimmten Knopf, so leuchtet auf dem Relief eine bestimmte Lampe auf. Beim Drücken der einzelnen Knöpfe ist Folgendes auf dem Relief festzustellen: gelber Knopf: alle gegenüberliegenden Kasernen der NVA-Grenze, grauer Knopf: Ausbildungsgelände der NVA Grenze, schwarzer Knopf: Beobachtungstürme innerhalb der Grenzsicherungsanlagen unserer Grenztruppen.“
Der Bayernturm ermöglichte einen Blick über die innerdeutsche Grenze hinweg bis nach Masserberg und Schnett. Nicht nur für die BesucherInnen, sondern auch für Angehörige des BGS, der BGP und des GZD boten sich demnach vielfältige Einblicke in den DDR-Bezirk Suhl. Bei guter Sicht war etwa das Areal der Grenzkompanie Holzhausen vollständig einzusehen, was Rückschlüsse auf Ausrüstung, Bewaffnung und Mannschaftsstärke ermöglichte. Auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze blieb dies nicht unbemerkt. Die dortigen Verantwortlichen reagierten und pflanzten in der Grenzkompanie schnellwachsende Pappeln, um sich vor allzu neugierigen Blicken aus dem Westen zu schützen.
Im Jahr 1987 stufte die KD Hildburghausen auch die „Henneberger Warte“ auf dem Georgenberg bei Bad Rodach als Feindobjekt ein. Der im Mai 1987 fertiggestellte Aussichtsturm entwickelte sich bis zur deutschen Wiedervereinigung zu einem beliebten Ziel des Grenztourismus.
Einem im Westen aktiven IM fiel an der „Henneberger Warte“ ein Mann auf, der den BesucherInnen Hinweise gab und sich für die jenseits der Grenze liegenden militärischen Objekte, unter anderem die sowjetische Radaranlage auf dem Stadtberg bei Hildburghausen, interessierte. Der IM vermerkte: Die Person „versucht in Erfahrung zu bringen, welche Anlagen dort errichtet sind. Analoge Erkundungen zog [anonymisiert] zum Großen Gleichberg ein. [Anonymisiert] wollte von Bürgern, die sich dort aufhielten, wissen, was dort errichtet wurde, weil nach seinen Feststellungen nachts stets ein rotes Licht festzustellen sei. Zu beiden Fragestellungen war die Quelle nicht in der Lage eine Auskunft zu erteilen. Mittels Fernglas konnte die Quelle persönlich feststellen, dass die Radaranlagen auf dem Stadtberg relativ gut einsehbar sind.“ Wie die Informationen an die sowjetischen Verbündeten weitergeleitet wurden und ob diese in der Folge an ihren Standorten am Großen Gleichberg und am Stadtberg bei Hildburghausen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, geht aus den Stasi-Unterlagen nicht hervor.
Das MfS stellte nach kurzer Bearbeitungszeit die Feindobjektvorgänge „Haßberg“, „Kurzentrum“, „Thüringenblick“, „Wiesengrund“ und „Zentrum“ ergebnislos ein. Der Geheimpolizei gelang es zu keinem Zeitpunkt, inoffizielle Zuträger aus dem Umfeld der Grenzinformationsstellen, Hotels, Gaststätten, Aussichtstürme und Bildungseinrichtungen zu werben. Obwohl inoffizielle Zuträger, die das MfS häufig unter DDR-Rentnern rekrutierte, Informationen zusammentrugen und die vorgangsbearbeitenden Offiziere meterweise Prospekte, Zeitungen, Fahrpläne, Festschriften, Branchenbücher und Fotografien auswerteten, blieb die Perspektive des MfS stets auf die des Beobachters und des Dokumentars beschränkt. Die wenigen Versuche, die Aktivitäten der Institutionen in irgendeiner Art und Weise zu behindern, schlugen allesamt fehl. Ziemlich ernüchtert verfügte der Offizier der KD Hildburghausen im Februar 1989 den Vorgang „Thüringenblick“ ins Archiv ab. Er resümierte, dass von den vier Objekten keine Hinweise auf eine direkte feindliche Tätigkeit gegenüber der DDR ausgingen.
Nach 1989
Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 verloren die Grenzinformationsstellen ihre bildungspolitische Daseinsberechtigung. Auch das Wirken des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen und des ihm unterstehenden Gesamtdeutschen Instituts wurde mit dem Hissen der Bundesflagge auf dem Berliner Reichstag in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 gegenstandslos; die Behörde wurde 1991 aufgelöst. Privaten Initiativen und lokalen Bündnissen ist es zu verdanken, dass zahlreiche Grenzinformationsstellen ihren Weg in das vereinte Deutschland fanden. Heute bewahren sie als Begegnungsstätten, Grenz- und Freilandmuseen oder als Mahn- und Gedenkorte die Erinnerung an eine Zeit, in der eine 1.378 Kilometer lange, streng bewachte Grenze Deutschland und Europa teilte.
Das kleine Städtchen Tann, im osthessischen Landkreis Fulda gelegen, beheimatete seit 1987 eine vom GZD unterhaltene Grenzinformationsstelle. Nach der Grenzöffnung wurde die Einrichtung mit dem Zusatz „ehemalige Grenze“ weitergeführt. Die aktuelle Ausstellung vermittelt die deutsche Teilung anhand zeitgenössischer Presseberichte, Fotos, dreidimensionaler Ausstellungsstücke und eines Films. Regelmäßig finden Führungen mit ZeitzeugInnen durch die Ausstellung statt.
Das deutsch-deutsche Freilandmuseum zur deutschen Teilung an der bayerisch-thüringischen Landesgrenze besteht seit 2003. Hier wirken die Ortschaften Behrungen und Berkach (Thüringen) wie auch Rappershausen (Bayern) als Kernbereiche. In Rappershausen können die ehemalige Grenzinformationsstelle und der Aussichtsturm – zwei der drei Ziele, die im Feindobjektvorgang „Zentrum“ ins Blickfeld des MfS gerieten – besichtigt beziehungsweise bestiegen werden.
In Neustadt bei Coburg, so dokumentieren es die Stasi-Unterlagen, befand sich eine Grenzinformationsstelle in der Kirchstraße. Heutzutage verfügt die Stadt über die „Bildungsstätte Innerdeutsche Grenze“, die „mit einem modernen musealen Konzept und zeitgemäß aufbereiteten Informationen“ zur regionalen Dimension der deutschen Teilung in der Region Oberfranken informiert. Die Grenzinformationsstelle Bad Königshofen war in einer ehemaligen Volkshochschule in der Kellereistraße ansässig. Am 17. Juni 2006 eröffnete das „Museum für Grenzgänger – Nachbarn im Grabfeld“ seine Türen für Besuchende. Neben der Aufarbeitung des DDR-Grenzregimes stehen die lokalen Grenzgeschichten der in Thüringen und in Bayern liegenden historischen Region des Grabfeldes im Vordergrund.
Der vom MfS als Feindobjekt angesehene „Bayernturm“ bei Sternberg/Zimmerau ist in die Jahre gekommen. Der Besuchendenstrom – so kamen vor 1990 mehrere 10.000 Besucher und Besucherinnen, 2015 waren es etwa 2.000 – ebbte mit der deutschen Wiedervereinigung merklich ab. Aktuell fristet das Ausflugsziel, das von der DDR-Propaganda auch als „Revanchistenturm“ tituliert wurde, ein eher farbloses Dasein. Witterungsbedingte Verfärbungen haben sich gebildet, und auch die Besucherplattform hätte dringend einer Sanierung unterzogen werden müssen. Anfang 2020 entschloss sich der Freistaat Bayern dazu, den Bayernturm im Rahmen einer Sonderförderung in Höhe von 400.000 Euro grundlegend zu sanieren, als bleibendes Zeugnis einer für junge Leute immer unbekannteren Epoche deutscher Zeitgeschichte im Externer Link: Kalten Krieg.
Zitierweise: Sascha Münzel, "Emotionale Schockerlebnisse - Einstige "Grenzinformationsstellen" im Blickfeld der Stasi", in: Deutschland Archiv, 10.08.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/337937.
Ergänzend zum Thema:
- Georg Sälter, Interner Link: Die Mauer und die Machtelite der DDR, Deutschland Archiv vom 7.11.2019
- Muhle, Reuschenbach, Arnim-Rosenthal: Externer Link: "Der Teilung auf der Spur - Orte der Berliner Mauer zwischen Authentizität, Massentourismus und Gedenken", Deutschland Archiv vom 7.6.2021
- Holger Kulick, linkextern url="https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/53602/mielkes-mauerbau-erinnerungen">"Nachts vor Ort beim Mauerbau" - Ein Fotoalbum von Stasi-Chef Erich Mielke
- Detlef Matthes, Interner Link: Heimliche Mauerfotos aus Ost-Berlin, Deutschland Archiv vom 8.11.2019
- Historikerstreit: Interner Link: Wer war Opfer der Berliner Mauer?
- Interner Link: "Die Mauer 1961 - 2021" - Bildmontagen und eine Virtual-Reality Animation
- Interner Link: Vor 60 Jahren - Der Bau der Bertliner Mauer. Ein bpb-Schwerpunkt.