Der Inquisitor zu Galilei: „Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf den Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben? […] Was käme heraus, wenn diese alle, schwach im Fleisch und zu jedem Exzeß geneigt, nur noch an die eigene Vernunft glaubten, die dieser Wahnsinnige für die einzige Instanz erklärt!“
Brecht & Galilei: Ideologiezertrümmerung Ein kleines Lehrstück über Wahrheit, Glaube und Macht
/ 16 Minuten zu lesen
Vor 125 Jahren, am 10. Februar 1898, wurde der Dramatiker Bertolt Brecht in Augsburg geboren. Tonbandmitschnitte seiner Proben von "Leben des Galilei" 1955/56 in Ostberlin zeigen ein Stück, das zeitlos gültig geblieben ist. Eine neue CD der bpb macht diesen zeithistorischen Schatz öffentlich, erarbeitet vom Deutschland Archiv in Kooperation mit der Akademie der Künste und dem Theaterregisseur Stephan Suschke. Kurz vor seinem Tod war dies Brechts letzte Inszenierung, die Themen könnten von heute sein: Machtmissbrauch durch Ideologien und Religionen, Populismus, der absolute Wahrheiten setzt, Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungstheorien. Ein multimediales Essay.
Nicht erst seit von 2017 bis zum 20. Januar 2021 ein Immobilientycoon mit einer Mischung aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und vor allem Lügen als US-Präsident herrschte, ist ein erbitterter Kampf um die Wahrheit, aber auch um Deutungshoheit auf allen verfügbaren medialen Kanälen entbrannt. Nicht erst seitdem Medien Verschwörungstheorien zur Wissenschaft ins Verhältnis setzen, wird uns bewusst, wie wichtig Aufklärung im alten Hegelschen Sinne ist, wird deutlich, dass ein entschieden geglaubter Kampf zwischen Wissen und Glauben neu aufflammt, der existentielle Züge trägt und ebensolche Auswirkungen hat. Plötzlich begreifen wir, dass wir in der verwirrenden Komplexität der Gegenwart Antworten brauchen, die dieser Komplexität gerecht werden sollten, uns aber handlungsfähig machen sollten.
In einer ähnlichen Gemengelage befand sich Bertolt Brecht, als er sich entschloss, sein Stück Das Leben des Galilei zu schreiben. Der sich ständig verändernde Kontext, die wechselnden gesellschaftlichen Konstellationen, zwangen ihn, sich wieder und wieder mit dem Stück zu beschäftigen. Das hing auch damit zusammen, dass er als Dramatiker und Dichter die Sehnsucht hatte, mit seinen Texten in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen, zu beschreiben als kleines, gelebtes "Lehrstück" über den Umgang mit Wahrheit, Wissen und Macht. Diese Reibungspunkte verdichten sich im Leben des Galilei.
Brecht-Bildergalerie
Das Berliner Theater am Schiffbauerdamm wurde 1954 zur festen Bühne des im November 1949 von Bert Brecht und seiner Frau Helene Weigel gegründeten
Berliner Ensembles.
Ein Denkmal erinnert auf dem Bertolt-Brecht-Platz vor dem Berliner Ensemble an den Dichter und Gründer des Theaters.
Brecht 1956 im Proberaum des "BE"
Produziert von der Akademie der Künste, dem Musikverlag speak low und der bpb: Die CD "Brecht probt Galilei" mit 151 Minuten Tonmaterial aus den
letzten Proben Brechts am Berliner Ensemble 1955/56. Dazu gehört ein Dokumentationsheft, zusammengestellt von Theaterregisseur Stephan Suschke. Die Doppel-CD ist seit 18. Februar 2021 unter der Bestellnummer 10675 in den bpb-Medienzentren und im bpb-Online-Shop für 7 Euro erhältlich.
Insgesamt 133 Tonbänder mit Probenmitschnitten des "Leben des Galilei" fanden sich im Brecht-Archiv und wurden ausgewertet.
Autor Stephan Suschke (m.) bei seiner Suche im Brecht-Archiv 2020
Die Tonbänder zu "Leben des Galilei" im Berliner Brecht-Archiv
Bertolt Brecht hatte seinem Assistenten Hans Bunge Geld gegeben, um extra ein Tonbandgerät anzuschaffen, damit seine Bühnenarbeit dokumentiert
werden kann.
Fotos von den Theaterproben im Berliner Ensemble 1955/56 aus dem Brecht-Archiv
Brecht und Ernst Busch als Galilei bei den Proben Anfang 1956
Brecht probt mit Ekkehard Schall die Rolle von Galileis wissbegierigem Schüler Andrea Sarti, 1956
Brecht (l.) mit Ernst Busch und Friedrich Engel auf einer Probe von Galilei, 1956
Weitere Szenenfotos aus der Inszenierung des "Galilei" 1956
Bertolt Brecht (m.) mit dem Schauspieler Ernst Busch (sitzend) als Galilei bei Proben Anfang Januar 1956 im Berliner Ensemble. Es war Brechts letzte
Inszenierung vor seinem Tod am 14. August 1956 in Ost-Berlin. Geboren wurde er 1898 in Augsburg.
Unterlagensichtung im Brecht-Archiv, das sich in Brechts ehemaligem Wohnhaus in der Berliner Chausseestraße befindet. Im Bild der Leiter des
Brecht-Archivs, der Literaturwissenschaftler Erdmut Wizisla und Theaterregisseur Stephan Suschke.
Notizen Brechts zur Inszenierung des "Galilei" aus seinem Bühnenskript
Originalmanuskript im Brecht-Archiv: Brechts Clownerien.
Das Ehrengrab von Helene Weigel und Bertolt Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte. Rechts am Rand liegt stets eine
Zigarrenkiste, gefüllt mit Gedichttexten Brechts zum Mitnehmen und Lesen.
Am Grab Brechts. Ein Zigarrenkästchen mit wechselnden Texten, frei zur Lektüre.
Die CD "Brecht probt Galilei" mit 151 Minuten Tonmaterial und einem Dokumentationsheft von Stephan Suschke ist seit 18. Februar 2021 unter der
Bestellnummer 10675 in den bpb-Medienzentren und im bpb-Online-Shop für 7 Euro erhältlich.
Einen akustischen "Zeit-Zoom" zurück in die Proben-Atmosphäre von Brechts letzter Inszenierung des "Galilei" 1955/56 ermöglichen 133 Tonbänder, aufgefunden im Berliner Brecht-Archiv der Akademie der Künste. Er selbst hatte seinem Assistenten Hans Bunge Geld gegeben, um extra ein Tonbandgerät anzuschaffen, damit seine Bühnenarbeit dokumentiert werden kann. Als ahnte Brecht, dass das Leben des Galilei seine letzte Inszenierung würde. Nachfolgend einige dieser Mitschnitte von den Proben auf der Bühne des Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm:
Brecht - Galilei - CD
»Was zählt ist das Beispiel, der Tod bedeutet nichts.«
Heiner Müller
Die Vorgeschichte. 28. Februar 1933. Am Tag nach dem Reichstagsbrand emigrierte Brecht aus Nazi-Deutschland. Sein Leben und das seiner Familie war unmittelbar gefährdet. Schon Ende der 1920er Jahre hatte sich Brecht die Nazis zum Feind gemacht. Gemeinsam mit dem Komponisten Hanns Eisler und dem Sänger Ernst Busch engagierte er sich in Kneipen, Versammlungen und im Theater gegen die Nationalsozialisten, und für die kommunistische Bewegung in den Kämpfen der Weimarer Republik. Ab 1930 störten die Nazis seine Aufführungen immer wieder vehement. Die "goldenen Zwanziger Jahre", für deren luziden Geist Brechts Welterfolg der Dreigroschenoper stand, waren endgültig vorbei.
Mit dem Reichstagsbrand und den sofort einsetzenden Verhaftungen war Brecht klar, dass er das Land verlassen musste. Das Exil war für ihn eine große Herausforderung, war er doch plötzlich der sozialen Zusammenhänge in Deutschland beraubt, die Material für seine Stücke waren. So schrumpften die Theaterbühnen, die für seinen soliden Unterhalt sorgten und rückte die Sprache fern, die sein Lebenselixier war. Er schlug sich durch: Der Weg von Brecht und seiner Familie führte über Prag, Wien, Zürich und Paris zunächst nach Dänemark, auf die Insel Fünen. Später via Helsinki und Moskau 1939 in die USA und 1948 zurück nach Berlin.
Immer interessiert an praktischer Wirkung seiner Texte verfasste er 1933 den Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Unterteilt in fünf kurze Kapitel – der Mut, die Wahrheit zu schreiben, die Klugheit, sie zu erkennen, die Kunst, sie als Waffe handhabbar zu machen, das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen Wahrheit wirksam wird, und die List, sie unter vielen zu verbreiten, – liest sich der Aufsatz wie eine selbstverordnete Handlungsanweisung. Damit stellte sich Brecht der neuen Situation und versuchte, sie für sich produktiv zu nutzen. Dabei hatte er nie ein mechanisches Modell von Wahrheit und Wahrheitsfindung im Kopf. Stattdessen betonte er: »Alles kommt darauf an, dass ein richtiges Denken gelehrt wird, ein Denken, das alle Dinge und Vorgänge nach ihrer vergänglichen und veränderbaren Seite fragt.«
Am Fundort im Brecht-Archiv. Fragen an Regisseur Stephan Suschke
"Brecht hat nicht gefragt: Ist es schön - sondern hat es einen Sinn"
Deutlich wird auch, dass es ihm nicht um eine Wahrheit für die 'Studierstube' ging, sondern immer um deren praktischen Nutzen, also handlungsorientiert gedacht war. »Er hat nicht gefragt: Ist es schön – sondern hat es irgendeinen Sinn?« (Hanns Eisler). Diesen selbstgestellten Auftrag verfolgte er bis zu seinem Lebensende, auch wenn sich die Verhältnisse, die gesellschaftlichen Kontexte, in denen er arbeitete, immer wieder veränderten, und sein Denken und seine Arbeit unter veränderten Herrschaftsverhältnissen stattfanden.
AN DIE DÄNISCHE ZUFLUCHTSSTÄTTE
Sag, Haus, das zwischen Sund und
Birnenbaum steht
Hat, denn der Flüchtling einst dir ein
gemauert
Der alte Satz DIE WAHRHEIT IST
KONKRET
Der Bombenpläne Anfall überdauert?
Svendborg auf der dänischen Insel Fünen war die erste ständige Station des Exils. Brecht war von Deutschland nur durch ein schmales Stück Ostsee getrennt, sein Blick war natürlich vor allem dorthin gerichtet. Die Ereignisse im Deutschen Reich der Nationalsozialisten analysierte er scharf, aber auch mit wachsender Hoffnungslosigkeit. Weite Teile der Arbeiterklasse, für die er Lieder geschrieben hatte, der in seinen Stücken die Hoffnung gehörte, ergaben sich dem Nationalsozialismus mit freiwillig erhobenen Händen, eine Wahrheit, die ihn schmerzlich berührte.
Auch sein Blick auf die Sowjetunion, lange Zeit die einzige Hoffnung auf eine Alternative zum Kapitalismus, verdüsterte sich zunehmend. Die ab 1936 stattfindenden Moskauer Prozesse und die "Säuberungen" machten deutlich, dass der stalinistische Terror das utopische Potenzial einer kommunistischen Alternative im Blut erstickte. In seinen Svendborger Gesprächen mit Walter Benjamin half Brecht sich mit pragmatischer Dialektik: »In Russland herrscht Diktatur über das Proletariat. Es ist solange zu vermeiden, sich von ihr loszusagen, als diese Diktatur noch praktische Arbeit für das Proletariat leistet.«
Kurze Zeit nach dem Münchner Abkommen und der deutschen Besetzung des Sudetenlandes begann Brecht im Oktober 1938 mit seiner Arbeit an einem Stück über Galileo Galilei, das er schon nach drei Wochen, am 23. November, abschloss. Im Mittelpunkt dieser ersten Fassung stehen der Mut, die Klugheit und die List, mit der Galilei seine weltverändernde Wahrheit gegen die ideologische Diktatur der katholischen Kirche öffentlich macht – eine Übermalung seines Textes Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit.
Da Brecht seine Theatertexte immer praktisch dachte, ist davon auszugehen, dass Galileis Verhalten ein Muster für den schwierigen Umgang mit der Wahrheit war, eine »Gestentafel«, so Brecht.
Das Handlungsgerüst des Stückes bleibt über die verschiedenen Fassungen hinweg erhalten: Galilei macht bei der Sternenbeobachtung eine ungeheure Entdeckung: Nicht die alte aristotelische Vorstellung vom Weltall entspricht der Wahrheit, sondern die Lehre von Kopernikus, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, sondern sich um die Sonne dreht. Die neue Entdeckung bringt ihn auf Konfrontationskurs mit der weltlichen Macht, dem Hof von Florenz, vor allem aber mit den herrschenden Kirchenfürsten, dem Vatikan, samt Inquisition. Sie begreifen Galileis Entdeckung als Angriff auf ihre ideologischen Grundfesten, den katholischen Glauben, der auf der Bibel beruht.
Unter dem Druck der Inquisition
Obwohl der höchste Astronom des Vatikans, Christopher Clavius, die Entdeckung Galileis anerkennt, wird die dadurch bewiesene Lehre des Kopernikus auf den Index gesetzt. Während Galilei im geheimen weiterforscht, wird seine Lehre bei der Bevölkerung immer populärer. Da dadurch der Machtanspruch der Kirche infrage gestellt wird, reagiert die Inquisition: Galilei wird verhaftet und unter Folter dazu gezwungen, seine Lehre zu widerrufen.
Zitate aus "Leben des Galilei"
Galilei: „Denn die alte Zeit ist herum und es ist eine neue Zeit. […] Und es ist eine große Lust aufgekommen, die Ursachen aller Dinge zu erforschen.Denn wo der Glaube tausend Jahre gesessen hat, eben da sitzt jetzt der Zweifel. Alle Welt sagt, ja, das steht in den Büchern, aber lasst uns jetzt selbst sehen. Den gefeiersten Wahrheiten wird auf die Schulter geklopft, was nie bezweifelt wurde, wird jetzt bezweifelt. Dadurch ist eine Zugluft entstanden, welche sogar den Fürsten und Prälaten, die goldbestickten Röcke lüftet, so dass fette und dürre Beine darunter sichtbar werden. Beine wie unsere Beine.“
Sagredo (ein Freund Galileis): „Und ich frage dich, wo ist Gott in deinem Weltsystem?“ – Galilei: „In uns und nirgends!“ Galilei: „Ich glaube an den Menschen und das heißt, ich glaube an seine Vernunft.“
Galilei zum Philosoph: „Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität.“
Galilei zum jugendlichen Andrea: “Was siehst Du? Du siehst gar nichts, du glotzt nur. Glotzen ist nicht sehen.“
Galilei: „Meine Herren, ich ersuche Sie in aller Demut, Ihren Augen zu trauen. […] Ich schlage euch vor: schaut hindurch! Was sind alle Spekulationen über Himmel und Erde, laßt sie fahren, wenn ihr ein Zipfelchen der Welt wirklich sehen könnt!“
Alter Kardinal: „Ich höre, dieser Herr Galilei versetzt den Menschen aus dem Mittelpunkt des Weltalls irgendwohin an den Rand. Er ist deutlich ein Feind des Menschengeschlechts! Als solcher muß er behandelt werden. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, das weiß jedes Kind...“
Der Balladensänger. „…Wie im Himmel so auch auf Erden: Und um den Papst zirkulieren die Kardinäle Und um die Kardinäle zirkulieren die Bischöfe Und um die Bischöfe zirkulieren die Sekretäre Und um die Sekretäre zirkulieren die Stadtschöffen Und um die Stadtschöffen zirkulieren die Handwerker Und um die Handwerker zirkulieren die Dienstleute Und um die Dienstleute zirkulieren die Hunde, die Hühner und die Bettler… Das ihr guten Leute, ist die große Ordnung, ordo ordinium, wie die Herren Theologen sagen, regula aeternis, die Regel der Regel, aber was, ihr lieben Leut‘ geschah? Aufstund der Doktor Galilei (Schmiß die Bibel weg, zückte sein Fernrohr, warf einen Blick auf das Universum) Und sprach zur Sonn: Bleib stehn! es soll jetzt die creatio de mal andersrum sich drehen, jetzt soll sich mal die Herrin, he um ihre Dienstmagd drehen…“
Der Inquisitor: „Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf den Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben? […] Was käme heraus, wenn diese alle, schwach im Fleisch und zu jedem Exzeß geneigt, nur noch an die eigene Vernunft glaubten, die dieser Wahnsinnige für die einzige Instanz erklärt!“
Galileis Schüler Andrea (zitiert Galilei): „Wer die Wahrheit nicht weiß, ist bloß ein Dummkopf. Aber der sie weiß und sie eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher.“
Andrea: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat!“
Galilei: „Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
Galilei: „Sie [die Wissenschaft] handelt mit Wissen, gewonnen durch Zweifel. Wissen verschaffend über alles für alle, trachtet sie, Zweifler zu machen, aus allen… das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern... Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber , sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten“.
Ein Junge (zu Andrea): „Sie sind ja Gelehrter. Sagen Sie selber: Kann man durch die Luft fliegen?“ – Andrea: „Auf einem Stock kann man nicht durch die Luft fliegen. Er müßte zumindest eine Maschine dran haben. Aber eine solche Maschine gibt es nicht. Vielleicht wird es sie nie geben, da der Mensch zu schwer ist. Aber natürlich, man kann es nicht wissen. Wir wissen bei weitem nicht genug, Guiseppe. Wir stehen wirklich erst am Beginn.“
Quelle und mehr zum Stück: Externer Link: Goethe-Institut
Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Galilei unter Aufsicht der Inquisition, aber es gelingt ihm, im Geheimen weiter zu forschen. Seinem Schüler gibt er seine letzte wissenschaftliche Arbeit, die Discorsi mit, um sie in Europa zu verbreiten.
Brecht: Galilei - CD 01: 06
Denkt man an Brechts 1933 geschriebenen Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, sieht man Galilei dabei zu, mit welcher Klugheit er die Wahrheit erkennt, indem er sie in seinen Experimenten wieder und wieder kritisch hinterfragt, sieht, wie er seine Wahrheit gegen den Hof, aber auch gegen die ihn verlachenden Mönche verteidigt, sieht aber auch, wie er in einem Moment der Schwäche – unter der Folter – diese Wahrheit widerruft. Und schließlich findet er in seinem Schüler Andrea, denjenigen, der die Wahrheit wirksam werden lässt, indem er sie verbreitet.
Das alles geschieht nie kathederhaft, sondern ist eingebettet in sinnliche Vorgänge zwischen Figuren, die von ihren Interessen geleitet, manchmal getrieben werden. Dabei entsteht ein vielschichtiges sozial-widersprüchliches Netz. Da sind die innovationshungrigen Kaufleute von Venedig, ein junges wirtschaftliches interessiertes Bürgertum, der dekadente Hof von Venedig, Galileis interessierte Schüler, seine heiratsfähige Tochter, das oberitalienische Bürgertum und der intelligente, machterhaltende Vatikan. Innerhalb dieser Widersprüche muss sich Galilei behaupten.
Verunsichert durch den Hitler-Stalin-Pakt
Die politische Situation stellte auch Brecht immer wieder vor komplizierte Fragestellungen. Nicht nur der Hitler-Stalin-Pakt verunsicherte den Emigranten, sondern auch die sich verschärfende Entwicklung in der Sowjetunion. Im Januar 1939 notierte er in sein Arbeitsjournal:
»auch kolzow verhaftet in moskau. meine letzte russische verbindung mit drüben. niemand weiß etwas von tretjakow, der "japanischer spion" sein soll. niemand etwas von der neher, die in prag im auftrag ihres mannes trotzkistische geschäfte abgewickelt haben soll. . . literatur und kunst scheinen beschissen, die politische theorie auf dem hund.«
Spätestens seit dem Einmarsch der Wehrmacht in das Sudetenland war für Brecht klar, dass ein Eroberungskrieg bevorstand, der auch das deutschlandnahe Dänemark nicht verschonen würde. Er wendete seinen Blick bezeichnenderweise nicht in die Sowjetunion, sondern in die Vereinigten Staaten von Amerika. Am 2. Dezember 1938 fragte er den befreundeten Drehbuchautor Ferdinand Reyher in einem Brief, ob er eine amerikanische Aufführung des Galilei in die Wege leiten könne. »Es enthält eine Riesenrolle und wenn man einem einflussreichen, großen Schauspieler damit käme, würde er vielleicht etwas für eine Aufführung tun.«
Durch das aggressive militärische Vorgehen Hitler-Deutschlands fühlte sich Brecht in Svendborg nicht mehr sicher. Er floh mit seiner Familie über die schwedische Insel Lidingö nach Helsinki, wo er ein Visum für die USA beantragte. Nachdem das Visum bewilligt worden war, fuhr Brecht mit seiner Familie über Moskau nach Wladiwostok. Mit einem der letzten Schiffe gelang ihnen die Überfahrt nach San Pedro, dem Hafen von Los Angeles, wo er mit kurzen Unterbrechungen sechs Jahre blieb.
JEDEN MORGEN, MEIN BROT ZU VERDIENEN
Fahre ich zum Markt, wo Lügen verkauft
werden.
Hoffnungsvoll
Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.
(Aus den Hollywoodelegien)
Seine Versuche, im Filmbusiness von Hollywood Fuß zu fassen, gestalteten sich schwierig, auch weil er die durchkommerzialisierten Verhältnisse verachtete. Der Rückweg nach Deutschland schien unmöglich, da Hitlers Armeen von Sieg zu Sieg eilten. Blieben die Zirkel der EmigrantInnen: Räume für Arbeitsbeschaffung, Selbstvergewisserung und politische Diskussionen in Clubatmosphäre. Dort lernte er im März 1944 den Oscarpreisträger Charles Laughton kennen, einen in Hollywood berühmten Schauspieler, dessen Karriere gerade einzuschlafen schien. Gemeinsam machten sie sich an eine neue Galilei-Version, die Brechts »schwerfällige Übersetzung Satz für Satz ins Englische« übertrug. Dabei spielten sie sich abwechselnd einzelne Sätze vor und schrieben die neu gefundenen nieder. In zweijähriger Arbeit entstand ein knapper, sinnlicher, durch den massigen Körper Laughtons hindurchgegangener Text.
Insgesamt 133 Tonbänder mit Probenmitschnitten des "Leben des Galilei" fanden sich im Brecht-Archiv und wurden ausgewertet. (© Brecht-Archiv der Akademie der Künste)
Der amerikanische Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 veränderte noch einmal die Schlussszene. Im Mittelpunkt standen nun die Selbstanklage des Wissenschaftlers und seine Verantwortung für die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner Forschung. Am 30. Juli 1947 fand die erfolgreiche Premiere in einem kleinen Theater in Beverly Hills mit Laughton als Galilei statt. Unter den Premierengästen waren Charlie Chaplin, Ingrid Bergman und Gene Kelly. Drei Monate später verließ Brecht das amerikanische Exil.
WAHRNEHMUNG
Als ich wiederkehrte
War mein Haar noch nicht grau
Da war ich froh.
Die Mühen der Gebirge liegen
hinter uns
Vor uns liegen die Mühen der
Ebenen.
Im Oktober 1948 kehrte Brecht zurück nach Berlin, im sowjetisch besetzten Sektor lebte und arbeitete er. Schnell konstatierte er den »stinkenden Atem der Provinz.«
"Leben des Galilei" wird zu Brechts Reflex auf die Herrschaft der SED
Nach dem Erfolg von Mutter Courage und ihre Kinder gründeten er und Helene Weigel im Mai 1949 das Theater Berliner Ensemble. Brecht geriet immer wieder in den Fokus der stalinistischen DDR-Kulturpolitik. So wurde die Oper Das Verhör des Lukullus, zu der Brecht das Libretto geschrieben hatte, verboten. Auch die Komposition des Opernlibrettos Johann Faustus durch seinen Freund Hanns Eisler wurde durch die DDR-Kulturbürokratie verhindert. Im Kontext des 17. Juni 1953 begann Brecht mit der Arbeit an der dritten Fassung des Galilei, auch ein Reflex des Stückeschreibers auf seinen Umgang mit der Macht.
Brecht 1956 im Proberaum des "BE" (© Brecht-Archiv)
Mehrere Monate zuvor, am 22. Februar 1953, war Martin Pohl, Brechts Meisterschüler, verhaftet worden. Ihm wurden Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst CIC vorgeworfen. Später wurde er beschuldigt 100 Briefbögen mit dem Kopf der Jugendzeitschrift Junge Welt an einen CIC-Agenten weitergegeben zu haben.
Als Brecht gewahr wurde, dass Martin Pohl verhaftet wurde, verlangte er umgehend von der Staatsanwaltschaft Aufschluss über dessen Verbleib. Brecht schrieb in einer Beurteilung Pohls: »In seinen Arbeiten hat er seine Ergebenheit für die Republik ausgedrückt. Persönliche Äußerungen gegen die DDR von ihm sind im Berliner Ensemble nicht bekannt, dagegen sehr positive Äußerungen.«
Nachdem Pohl unrechtmäßig zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, bemühte sich Brecht wieder und wieder um eine praktische Verbesserung von Martin Pohls Situation: er verschaffte ihm einen Übersetzungsauftrag und Papier, und bat nachdrücklich um dessen vorzeitige Entlassung. Als Pohl nach eineinhalb Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, traf er noch einmal auf Brecht: »Er fing furchtbar an zu schimpfen, vor allem auf die Deutschen, auf die deutsche Justiz. Er nannte sie primitiv und dumm. So etwas passiert nicht einmal in Amerika. Er wollte sich sofort an die Justizbehörde wenden, an den Generalstaatsanwalt und meine Rehabilitierung betreiben.«
Hier wird ein Grundzug Brechtschen Denkens deutlich, der sein Leben durchzieht: praktisches Wirken. Er versuchte, die Verhältnisse, auch immer wieder im kleinen, konkreten Kontext zu verändern, indem er sich für Personen und Werke, die im Widerspruch zur herrschenden Politik standen, mit nicht nachlassendem Einsatz einsetzte. Dabei interessiert ihn so gut wie nie die moralische Komponente von Wahrheit oder Lüge, sondern immer deren praktische Auswirkungen und vor allem die Möglichkeit des eigenen Einflusses. Seine Formulierung: »Keinen Gedanken verschwende an das Unänderbare« klingt im ersten Moment opportunistisch, bedeutete aber für den Hegelleser Brecht, alles Praktische zu unternehmen, um Veränderungen herbeizuführen. Dabei ging es für ihn um konkrete emanzipatorische Prozesse, heute würde man »Empowerment« sagen. In seinem Aufbaulied der FDJ, schrieb er: »um uns selber müssen wir uns selber kümmern« und »Besser als gerührt sein ist sich rühren,/ denn kein Führer führt aus dem Salat,/ selber werden wir uns endlich führen,/ weg der alte, her der neue Staat.«
Notizen Brechts zur Inszenierung des "Galilei" aus seinem Bühnenskript (© Brecht-Archiv)
Das polemisierte auch gegen den Führungsanspruch der SED, der auf eine durch den Nationalsozialismus depravierte Arbeiterklasse traf, die für den Intellektuellen Brecht aber Träger von Hoffnung war. In der Zeit des 17. Juni 1953, der je nach ideologischer Gesinnung als "Arbeiteraufstand" oder "faschistischer Putsch" bezeichnet wurde, schrieb Brecht nicht nur Briefe an verschiedene Staatsfunktionäre, in denen er seine Solidarität mit den Maßnahmen bekundete, aber auch Diskussionen mit den Arbeitern einforderte. Außerdem schlug er vor, dass das Berliner Ensemble im Rundfunk mit Texten auftreten sollte. In der Presse wurde schließlich lediglich ein Satz der Ergebenheit zitiert, die Versuche im Rundfunk aufzutreten, wurden rigide abgeblockt.
Brecht: Galilei CD2:02
Die Bühne für Brecht in der DDR eine "Insel der Denkfreiheit"
Auf einer Probe sagte er: »Eine breughelsche Welt des Paradieses entsteht. Etwas ganz Jammervolles als Kunstwerk – aber groß gedacht.« Das klingt wie eine Brechtsche Beschreibung der DDR. Er unterstützte den großen Versuch, eine Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung, ohne Unterdrückung unter den schwierigen Bedingungen des Externer Link: Kalten Krieges aufzubauen, er kritisierte, wie zumeist mittelmäßige Funktionäre nach dem nicht funktionierenden sowjetischen Muster der ostdeutschen Bevölkerung diese Gesellschaftsordnung überstülpen wollen. Dabei war Brechts Denken auch hier immer wieder praktisch.
Das gemeinsam mit Helene Weigel geleitete Berliner Ensemble wurde zu einer Insel der Denkfreiheit, die sehr viele junge, interessierte Leute, die an Brecht und dessen Arbeit interessiert waren, anzog. Die Friedenstaube des als "Formalisten" verschrienen Pablo Picasso zierte den rupfenen Bühnenvorhang. Die Inszenierungen Brechts und seiner MitstreiterInnen waren aufreizend neu in ihrer Ästhetik und konträr zu den kulturpolitischen Auffassungen, weil sie ein idealisiertes Bild des Aufbaus verweigerten. Brecht proklamierte in einem Radiointerview 1948 »Ideologiezertrümmerung« als wichtigste Aufgabe. Das implizierte eine kritische Hinterfragung der ideologischen Grundfesten der DDR-Gesellschaft.
Brecht probt mit Ekkehard Schall die Rolle von Galileis wissbegierigem Schüler Andrea Sarti, 1956 (© Brecht-Archiv der Akademie der Künste)
Das Konstrukt, die Idee des utopischen Potenzials der DDR wurde durch den alltäglichen Kleinkrieg mit biederen, häufig dummen Funktionären auf eine harte Probe gestellt. Brecht nahm ihn mit praktischer Klugheit hin – immer "die dritte Sache" im Bewusstsein, dass das Werk, die Wirkung der Arbeit wichtiger sei als kleingeistige Moraldiskussionen. Unter diesem Aspekt wurde das Galilei-Stück, das eine scheinbar weit zurückliegende Geschichte beschrie durch die Verhältnisse auf einmal aktuell aufgeladen, es veränderte vor allem seinen Blick auf die Figur des Galileis.
Brecht als Galilei, die Kurie als Zentralkomitee
Wenn man das Stück als biografisches begreift, wie das sein damaliger Assistent B. K. Tragelehn vorschlägt, ergeben sich einfache und zugleich sinnfällige Konstellationen: Brecht ist Galilei, die Kurie das Zentralkomitee und der Papst der Generalsekretär bzw. Parteivorsitzende der SED. Wer widerspricht, wird quasi Staatsfeind, („ist folglich deutlich ein Feind des Menschengeschlechts“, (so der sehr alte Kardinal in Bild 6 über Galilei).
Brecht ging bei der Arbeit immer wieder wie ein Wissenschaftler vor: vom Gegenteil dessen, was man beweisen wollte. Das stand in fundamentalem Widerspruch zur ideologiezentrierten Wirklichkeitsauffassung der SED-Parteiführung. Brecht hingegen scheute die einfachen, heute würde man sagen: populistischen Wahrheiten. Die Wirklichkeit war widersprüchlich und komplex – und in ihr versuchte sich Galilei/Brecht zu bewegen.
Stephan Suschke über den Kern des Stücks: "Wissen und Macht"
Als Brecht im Dezember 1955 die Probenarbeit zu seinem Stück Das Leben des Galilei begann, war einer der häufigsten Sätze: »Man muss das untersuchen.« Das war Brechts praktischer Beitrag zur "Ideologiezertrümmerung". Im Stück selbst wird Galilei durch einen Balladenerzähler als „Bibelzertrümmerer“ bezeichnet. Er stellte einmal gefundene, fortan geglaubte, manchmal heilige Wahrheiten zur Disposition, stellte Herrschaft, die auf Ideologie beruht, fundamental in Frage.
Nicht die Kirche im Zentrum, sondern "ein Machtprinzip"
Am 7. Januar 1956 notierte der Assistent Tragelehn eine Äußerung Brechts: »Das Stück ist nicht gerichtet gegen die Kirche. Es handelt sich um ein Machtprinzip, das hier, zu jener Zeit, die Kirche vertritt.«
Nachfrage an Regisseur Suschke: "Was geht SchülerInnen Brecht heute an?"
Im Bewusstsein, dass die Widersprüche größer werden, wenn die Figuren recht haben, versuchte er jeder Figur, jeder Figurengruppe ihre Berechtigung zu verschaffen. Die damals übliche vulgärmarxistische Stigmatisierung von sozialen Gruppen mit ihren Klischees, die stets die Gefahr der Denunziation in sich bargen, vermied er.
Die oft gestellte Frage »Wie machen wir das?« war eine Einladung zur Mitarbeit an die SchauspielerInnen und an die anderen MitarbeiterInnen. Er etablierte eine Probenatmosphäre, die nicht diktatorisch war, nicht nach preußischen Gehorsamsprinzipien funktionierte, sondern über emanzipatorische und emanzipierende Mitarbeit. Nicht zufällig gingen aus dieser kurzen Ära Brechts viele große Schauspieler, wie etwas Fred Düren, Heinz Schubert, Regine Lutz, Käthe Reichel, Ekkehard Schall und maßgebliche Regisseure wie Benno Besson, Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth hervor. Er schuf einen Denk- und Arbeitsraum, der es ermöglichte, dass der von ihm postulierte Satz: »Talent ist Interesse« auch einen Raum eröffnete, indem er ihnen die Möglichkeit bot, sich in eigenen Inszenierungen auszuprobieren.
Ende März 1956 Brechts letzte Probe vor seinem Tod
Am 27. März 1956 fand die letzte Probe mit Brecht statt, der seit seiner Kindheit an Herzbeschwerden und rheumatischem Fieber litt. Eine Woche später bat er Erich Engel um die vorübergehende Übernahme der Inszenierung. Kurz darauf teilte er dem Kulturminister Johannes R. Becher mit, dass er die Proben im Oktober wieder aufnehmen werde. Dazu kam es nicht: Am 14. August 1956 starb Brecht in seinem Haus in der Chausseestraße 125.
Das Ehrengrab von Helene Weigel und Bertolt Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte. Rechts am Rand liegt stets eine Zigarrenkiste, gefüllt mit Gedichttexten Brechts zum Mitnehmen und Lesen. (© Holger Kulick)
Zweiundzwanzig Jahre später fand in der CSSR der Externer Link: Prager Frühling statt. Dieser hatte Auswirkungen auf Hans-Jochen Scheidler, der als Zwölfjähriger unter Brecht den jungen Andrea Sarti, den Schüler von Galilei probte. Als im August 1968 Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR einmarschierten, um den Prager Frühling im Blut zu ersticken, protestierte der nun fünfundzwanzigjährige gegen den Einmarsch: »Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich manches Mal den Mund gehalten hatte, wenn ich eigentlich etwas hätte sagen müssen. Das habe ich nicht mehr ausgehalten. Wenn wir hier noch schweigen machen wir uns mitschuldig. Wir haben mit Kinderstempelkästen Flugblätter gemacht: Bürger, Genossen, Fremde Panzer in der CSSR dienen nur dem Klassenfeind. Denkt an das Ansehen des Sozialismus in der Welt. Fordert endlich wahrheitsgetreue Informationen. Niemand ist zu dumm selbst zu denken.«
Gemeinsam mit vier Freunden zog er los und steckte die Flugblätter in Briefkästen und unter Autoscheibenwischer. Sie wurden erwischt und in das Stasigefängnis in Hohenschönhausen gebracht: »Wir wurden wegen staatsfeindlicher Hetze angeklagt. Sieben Monate Untersuchungshaft, davon die ersten drei Monate unter Folterbedingungen: Isolationshaft. Während der Isolationshaft habe ich meine Rolle in Galilei immer wiederholt. Die Weisheiten Brechts hatten sich mir tief eingeprägt: Wer die Wahrheit nicht weiß ist nur ein Dummkopf, aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher. Das hat mich halbwegs bei geistiger Gesundheit gehalten.«
EPITAPH
Den Tigern entrann
ich
Die Wanzen nährte
ich
Aufgefressen wurde
ich
Von den
Mittelmäßigkeiten.
Brecht probt Galilei - CD2 . 06
Was bleibt sind Bertolt Brechts Texte, welche Herrschaft und Herrschaftsmechanismen infrage stellen. Was bleibt ist das Beispiel seiner Haltung, die auf der einen Seite alles infrage stellt, vor allem Ideologie, aber auch alles versucht, um einen praktischen Beitrag zu leisten in den Kämpfen der Zeit, von oben verordnete Wahrheiten mal poetisch mal kämpferisch in Frage stellt, und Tonbänder, die diese Denk- und Arbeitsweise auf unnachahmliche Art und Weise dokumentieren.
Die CD "Brecht probt Galilei" mit 151 Minuten Tonmaterial und einem Dokumentationsheft von Stephan Suschke ist seit 18. Februar 2021 unter der Bestellnummer 10675 in den bpb-Medienzentren und im bpb-Online-Shop für 7 Euro erhältlich. (© bpb)
Die CD "Brecht probt Galilei" mit 151 Minuten Tonmaterial und einem Dokumentationsheft von Stephan Suschke ist seit 18. Februar 2021 unter der Bestellnummer 10675 in den bpb-Medienzentren und im bpb-Online-Shop für 7 Euro erhältlich. (© bpb)
Zitierweise: Stephan Suschke, "Brecht & Galilei: Ideologiezertrümmerung. Ein kleines Lehrstück über Wahrheit, Glaube und Macht“, in: Deutschland Archiv, 10.02.2023, Erstveröffentlichung 30.01.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/325483. Das Copyright für die Sounddateien liegt beim Berliner Musikverlag speak low und dem Brecht-Archiv der Akademie der Künste.
Alle Beiträge im Externer Link: Deutschland Archiv sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
"Wäre Drosten heute Galilei?" Am 23. Februar 2021 diskutierten in einem Online-Stream aus der Berliner Akademie der Künste über Brechts "Leben des Galilei": die Schriftstellerin Marion Brasch, der Präsident der bpb, Thomas Krüger, die Autorin, Philosophin und Dramaturgin Luise Meier und der Autor dieses Textes, der Linzer Theaterdirektor Stephan Suschke. Die Einleitung erfolgte durch den Direktor des Archivs der Akademie der Künste, Werner Heegewaldt. Externer Link: Hier zu sehen auf YouTube.
FILMTIPP: 3sat zeigte Anfang Februar 2023 den dreistündigen Portraitfilm "Brecht" von Heinrich Breloer. Auch obige Tonbandaufnahmen spielen dabei eine Rolle. Externer Link: Hier der Link zum Film in der ARD-Mediathek.
Der Theaterregisseur Stephan Suschke war Schüler des Dramatikers Heiner Müller am Deutschen Theater und Berliner Ensemble. Er leitet heute das Landestheater im österreichischen Linz.
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