So unscharf wie der Demokratiebegriff in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch der Sammelbegriff des Hohenzollernschen Herrscherhauses. Denn „die“ Hohenzollern stellten nach 1918 zu keiner Zeit eine geschlossene Dynastie dar, wie sie allenfalls noch ihrem Oberhaupt Wilhelm II. im Doorner Exil vorschwebte, noch agierten sie im Rahmen einer einheitlichen politischen Kultur und Öffentlichkeit. Das Spektrum der entmachteten Familie reichte schon vor 1945 von nationalsozialistischen Aktivisten wie August Wilhelm bis hin zu demokratisch gesinnten Nachfahren wie Louis Ferdinand, die in ihrer autobiographischen Selbstdarstellung dem Widerstand gegen Hitler nahegestanden haben wollten.
Die friedliche Ablösung der Monarchie
Ausgangspunkt aller Betrachtung ist der Umstand, dass mit der Ablösung der monarchischen Herrschaftsform in Deutschland, anders als etwa in Frankreich oder Russland, keine soziale oder kulturelle Vernichtung verbunden war. Stattdessen vollzog sich die staatsrechtliche Umwälzung in einer „Mischung von Bewahrung und Distanz“:
1918 aber bildete die einzige Ausnahme das Berliner Stadtschloss, in dem während der Revolutionswirren die aus Kiel und Emden gekommene Volksmarinedivision hauste und mit Plünderungen und Zerstörungen nicht sparte. Ihr vandalistisches Auftreten in Berlin stärkte den monarchischen Gedanken in gleichem Maße, wie es den Ruf der Revolution im Berliner Bürgertum nachhaltig schädigte. Doch am Ende waren es die Königstreuen, die dem Berliner Stadtschloss die stärksten Wunden schlugen. An den Weihnachtstagen 1918 begannen von Potsdam herangeschaffte Truppen des geschlagenen Heeres, das Schloss in einem ersten Aufblitzen der Gegenrevolution mit schwerem Geschütz in Schutt und Asche zu legen, bis die hinzuströmende Bevölkerung Berlins die Kampfhandlungen unterband und so mit der demokratischen Revolution auch das königliche Schloss schützte.
Der Kulturkampf zwischen Republikanern und Monarchisten
Das Haus Hohenzollern hat der Republik von Weimar diese Milde nicht gelohnt, sondern ihr in teils nonchalanter und teils aggressiver Distanz gegenübergestanden. Dabei gilt: Ungeachtet einzelner Legitimationskrisen des Wilhelminischen Kaiserreichs wie im Zuge der Daily-Telegraph-Affäre
Schon zum ersten Kaisergeburtstag nach der Novemberrevolution hatte die starke monarchistische Strömung im deutschen Bürgertum ihre Sprache wiedergefunden und meldete ihre restaurativen Ansprüche mit markanter Geste an:
„Wir leben in einer sogenannten sozialistischen Republik; aber wert und lieb sind uns die alten deutschen Farben schwarz-weiß-rot, und wir träumen den Traum von dem heimlichen Kaiser, bis dieser Traum – wir legen uns auf die Person des jetzigen Kaisers wirklich nicht fest, wenn wir ihm auch eine Heimat in der Heimat wünschen –, wieder seine Erfüllung findet. Wir stellen diese Scheinregierung, dieser Scheingeltung und Scheinmacht unser Bekenntnis zu Kaiser und Reich entgegen und warten auf den Tag, da dem deutschen Volke und dem deutschen Reiche wieder ein deutscher Kaiser beschieden sein wird.“
Um die in unterschiedlicher Stärke monarchistisch ausgerichteten Rechtsparteien DNVP und DVP herum bildete sich mit der von Ernst Troeltsch beschriebenen „Welle von rechts“ im Laufe des Jahres 1919 eine Vielzahl von Gruppierungen und Vereinen, die sich der monarchistischen Traditionspflege entweder programmatisch verschrieben – wie der 1922 aufgelöste „Bund der Aufrechten“ bzw. „Bund Aufrechter Monarchisten“ – oder in ihrer politischen Ausrichtung einer Erneuerung der Monarchie vorarbeiteten.
Dies gilt insbesondere für den Frontsoldatenbund „Stahlhelm“ und sein Gegenstück, den 1923 gegründeten „Bund Königin Luise“, der sich unter Führung der ehemaligen Kronprinzessin Cecilie zu einem der größten Frauenvereine der Weimarer Republik mit 200.000 Mitgliedern und prononciert royalistischer Ausrichtung entwickelte. Zum besonderen Kristallisationsort eines restaurativen Monarchiegedankens, der dem republikanischen Staatswesen nicht den geringsten Kredit gewährte, avancierte in den Weimarer Jahren mit Potsdam die Stadt, die von den Hohenzollern geprägt war wie keine andere und mit Berlin um den ersten Rang als Hohenzollernsche Grablege wetteiferte. Welche Rolle die Stadt als monarchistischer Traditionsort in der Weimarer Republik spielte, trat insbesondere bei der Beisetzung der am 11. April 1921 in Doorn verstorbenen und nach Potsdam überführten Kaisergattin Auguste Victoria (geb. 22.10.1858) zutage, die sich in der Bevölkerung deutlich größerer Beliebtheit erfreut hatte als der Kaiser selbst.
Schon Monate vor ihrem Tod hatten Preußen und das Reich angesichts des zu erwartenden Aufeinanderpralls von monarchischer und republikanischer Gedenkkultur Position bezogen. Während die Preußische Regierung lapidar mitteilte, dass sie „keine Beileidskundgebung beabsichtige“, wurde auf Reichsebene der Beschluss gefasst, „daß die Reichsregierung durch ein Telegramm des Herrn Reichskanzlers an den Prinzen Eitel Friedrich ihrem Beileid Ausdruck geben, an der Beisetzungsfeierlichkeit aber nicht teilnehmen solle“.
In krassem Gegensatz zur absichtsvollen Kühle der staatlichen Institutionen stand die Bewegung in der Gesellschaft. „Eine Völkerwanderung“, registrierte die Vossische Zeitung, ergoss sich am 19. April 1921 über Potsdam und den Weg, den der von Geistlichkeit und Generalität gerahmte Trauerzug vom Kaiserbahnhof „Wildpark“ in den Antikentempel vor dem Neuen Palais im Park Sanssouci nahm. Ex-Kaiser und Kronprinz waren in ihrem Exil festgehalten; aber an ihrer statt säumten Hunderttausende die Straßen und bildeten ein überwältigendes Ehrenspalier ergriffen salutierender Massen, deren feierlichen Abschiedsgruß an die wegen ihres karitativen Engagements in der Bevölkerung immer noch sehr populäre Ex-Kaiserin die Wochenschau mit huldigenden Untertiteln in die Welt trug. Auf seinem Weg nach Potsdam hatte der aus drei Wagen bestehende Trauerzug ab der holländisch-deutschen Grenze an jeder größeren Bahnstation Ehrungen empfangen, deren Ausmaß an den Brautzug Marie Antoinettes von der Wiener Hofburg zu Ludwig XVI. nach Versailles 150 Jahre zuvor erinnerte. „Überall wurden Kränze in dem Zug niedergelegt und an allen Orten hatte sich zahlreiches Publikum eingefunden. Als der Zug im Bahnhof von Braunschweig einlief, setzte Geläute der Kirchenglocken ein, das andauerte, bis der Zug den Bahnhof wieder verlassen hatte.“
Unterstützt durch freundliches „Hohenzollernwetter“, entwickelte sich die Potsdamer Trauerzeremonie zu einer machtvollen Huldigung an das entmachtete Kaiserhaus und sein verklungenes Reich. Im fernen Danzig wurde eine Sitzung des Senats „mit einer Trauerkundgebung für die ehemalige Kaiserin eröffnet“
„Ein leiser Regen sickert auf Potsdam herab. Die Stadt trägt ein ernstes, festliches Trauergewand. Fast kein Haus und kein Fenster, aus dem nicht eine schwarz-weiß-rote oder schwarz-rot-goldene Fahne von Trauerflor umwickelt heraushängt.“
Monarchistische Aufzüge und Ansprachen vor den Quartieren der angereisten alten Eliten um Hindenburg und Mackensen meldete die Vossische Zeitung
Die Nachrichtenlage dieses Tages belegte allerdings auch, dass die Trauerfeier für die verstorbene Kaisergattin nicht einmal in Potsdam die politisch-kulturelle Gespaltenheit der Weimarer Republik übertönte. Während die kaisertreue Presse über die „gewaltigsten Menschenmassen“ jubelte, die Auguste Victoria das letzte Geleit gaben, und penibel 50 Ovationen registrierte, mit denen allein Hindenburg von der begeisterten Menge bedacht worden sei,
Potsdam wahrte seine Prägung als Hort des Monarchismus auch im Weiteren: Als am 24. Juni 1922 in Potsdam ein Ordensfest der Johanniter stattfand, auf dem unter Anwesenheit Hindenburgs der Kaisersohn Prinz Eitel Friedrich zum Ritter geschlagen wurde, ließ sich die Veranstaltung von der mittags einlaufenden Nachricht, dass der deutsche Außenminister Walther Rathenau eben in Berlin einem Mordanschlag erlegen sei, nicht weiter beirren; sie nahm vielmehr einer Pressemitteilung zufolge auch nach Eintreffen der Mordmeldung ihren ruhigen Fortgang.
Ein besonders hitziger Kulturkampf entbrannte nach den Attentaten der frühen Weimarer Republik um das in Straßennamen und Platzbezeichnungen bewahrte Erinnerungsinventar an die Hohenzollernherrschaft. Im Reichstag verlangten die Linksparteien USPD und KPD, „die Hoheitszeichen des alten Regimes aus dem Reichstag zu entfernen“; was insbesondere das Standbild Wilhelms I. in der Wandelhalle betraf, das nach Vermittlung durch Reichstagspräsident Paul Löbe für die Trauerfeier immerhin verhüllt wurde.
Die Vermögensauseinandersetzung
Während auf der einen Seite Monarchismus und Republikanismus ihre Fehden austrugen, schritt auf der anderen Seite paradoxerweise eine allmähliche Integration der Hohenzollern und ihres Erbes in die neue Ordnung voran. Für diese Integration erbrachte der neue Staat enorme Vorleistungen, während die entmachtete Herrscherfamilie mit ihrem exilierten Oberhaupt rhetorisch unbeirrt die „Entfachung der großen Nationalen Bewegung mit dem Ziel der Wiederherstellung der Monarchie“ beschwor und sich eher ungewollt und hinterrücks zur Anpassung an die neuen Verhältnisse gedrängt sah. In den Tagen der Novemberrevolution hatte der Rat der Volksbeauftragten nicht zuletzt aus Sorge vor alliierten Reparationsforderungen eine entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürstenhäuser gescheut und die preußische Regierung die Apanagen für die Kaisersöhne lediglich um 25 Prozent gekürzt, ansonsten aber weiterlaufen lassen und bis Sommer 1919 sogar aus der Staatskasse finanziert.
Anders als in Österreich, wo das Vermögen der Habsburger mit Ausnahme eines kleinen Teils zugunsten von Kriegsopfern enteignet wurde, betrachtete man in Deutschland die Vermögensauseinandersetzung nicht als politische, sondern als rechtliche Frage – nur in Sachsen-Gotha wurde das Fürstenvermögen entsprechend einer Forderung der Arbeiter- und Soldatenräte im Juli 1919 umstandslos eingezogen, was das Reichsgericht 1925 prompt ungeachtet öffentlichen Protestes rückgängig machte.
Angesichts dieser unklaren Rechtslage konnte der gestürzte Kaiser noch vor einer endgültigen Einigung mit Preußen das bewegliche Gut der Hohenzollern in 50, nach anderen Angaben sogar 62 Güterwagen aus Deutschland nach Doorn transportieren lassen, denen weitere 140 Möbelwagen auf dem Straßenweg folgten.
Im Fall der Hohenzollern hingegen blieb die Vermögensauseinandersetzung lange strittig, nachdem erst Preußen und dann die Hohenzollernfamilie den jeweils vorgelegten Einigungsvorschlägen widersprochen hatten.
Ein neuer Vergleichsentwurf von 1925 sprach dem Haus Hohenzollern etwa drei Viertel des umstrittenen Grundbesitzes zu und führte auf Reichsebene zu einem von der KPD initiierten Volksbegehren zur „Enteignung der Fürstenvermögen“, dem sich widerstrebend auch die SPD anschloss. Das Volksbegehren zeitigte durchschlagenden Erfolg – nicht nur in der Arbeiterschaft, sondern auch in katholischen und liberalen Kreisen war das Enteignungsbegehren, anders als beispielsweise in Bayern und Ostelbien, sehr populär. Überraschen konnte die verbreitete Empörung gegen die Fürstenentschädigung im Übrigen nicht, denn der Kompensationsanspruch der ehemals regierenden Fürsten stach grell gegen die kümmerlichen Unterstützungsgelder für Millionen von Kriegsopfern ab und ließ sich leicht als eklatantes Gerechtigkeitsproblem angreifen.
Ein daraufhin eingebrachter Gesetzentwurf zur entschädigungslosen Enteignung scheiterte jedoch an der bürgerlichen Mehrheit im Reichstag und führte in dramatisch aufgeladener Stimmung zu einem Volksentscheid, der allerdings am 20. Juni 1926 nur eine relative Mehrheit erreichte. Damit blieb dem Volksentscheid, ungeachtet überwältigender Zustimmung der abgegebenen Stimmen, der Erfolg versagt. Denn zuvor hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg, der offen Partei für die Fürstenseite ergriff, das eingebrachte Gesetz als verfassungsändernd eingestuft und damit an eine absolute Mehrheit von Ja-Stimmen gebunden, zu der in der Auszählung dann 4,5 Millionen Stimmen fehlten.
Der Volksentscheid trübte das öffentliche Bild der Hohenzollern weiter und führte nicht nur die tiefe Kluft zwischen Republikanern und Monarchisten bis hin zu dem offen parteilich agierenden Reichspräsidenten vor Augen. Er schürte auch die sozialen Spannungen und öffnete demagogische Agitationsräume – so sprach sich etwa Hitler zur nachhaltigen Irritation von Weggefährten wie Joseph Goebbels gegen eine Fürstenenteignung aus und forderte, statt der Fürsten besser die Juden zu enteignen. Dennoch ordnete sich der gescheiterte Volksentscheid in eine Linie ein, die auf die zunehmende Integration der vormals regierenden Fürstenhäuser in den rechtlichen und politischen Rahmen der Republik zielte. In Preußen kam es im Oktober 1926 zu einer Einigung, die den Hohenzollern gut 60 Prozent und dem preußischen Staat knapp 40 Prozent des beschlagnahmten Vermögens an Grund und Boden zusprach, dazu die Mehrzahl der Hohenzollernschlösser und weitere Vermögenswerte, unter ihnen Tausende von Kunstgegenständen.
Vom Machtsymbol zum Erinnerungsort
Der Vergleich bildete die Grundlage für eine allmähliche Musealisierung des Monarchischen. Wie in Bayern, wo die Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft zur Verwalterin eines großen Teils der Bestände der Münchner Museen wurde, verschob sich auch der Fokus des öffentlichen Wirkens der Hohenzollern allmählich von der Restaurationspolitik zur Kulturpflege. Auf Grundlage der 1926 erfolgten Einigung wandelten sich die ehemaligen Residenzschlösser in Berlin zu Schlossmuseen, deren Interieur häufig nach musealen Gesichtspunkten aus dem früheren Nutzungszusammenhang entnommen und zur Verstärkung musealer Sammlungen an anderer Stelle verwendet wurde. Die museale Nachnutzung stellte, wie Marc Schalenberg argumentierte, „sozialpsychologisch gleichsam ein abfederndes Versöhnungsangebot“ dar, das mit der historischen Verortung der Hohenzollerndynastie auch die Möglichkeit zur betrachtenden Distanzierung von der einstigen Macht einer verblichenen Fürstenherrschaft bot.
Die galt namentlich für eine besondere Erbschaft der Monarchie, das sogenannte Hohenzollern-Museum. Maßgeblich durch den späteren Hunderttage-Kaiser Friedrich gefördert, war nach der Reichseinigung im Berliner Schloss Monbijou ein Dynastiemuseum zur Verehrung des Hohenzollernhauses entstanden, das den Untertanen das Bild eines volksnahen und heroischen Herrschergeschlechtes nahebringen sollte.
Mit anderen Worten: Die Hohenzollern wollten ihr Privatmuseum auf Staatskosten als Mittel der öffentlichen Meinungsbildung genutzt wissen, und der preußische Staat ließ sich darauf ein. Was zunächst wie eine staatliche Demutsgeste wirkte, entpuppte sich allerdings als eine weitblickende Entscheidung. Denn unter der Regie seiner unabhängig agierenden Direktoren trug das Familienmuseum der Hohenzollern zu einer außerordentlichen Stärkung der nationalen Museumslandschaft bei. Die neugestalteten Räume wurden Zug um Zug ihrer „patriotischen Pietät“ entkleidet
Offizielles Porträtfoto zum 70. Geburtstag von Ex-Kaiser Wilhelm II in Doorn 1929. (© picture-alliance/AP)
Offizielles Porträtfoto zum 70. Geburtstag von Ex-Kaiser Wilhelm II in Doorn 1929. (© picture-alliance/AP)
Vergleichbare Schritte zur dynastischen Abrüstung unternahmen auch die Mitglieder des entmachteten Kaiserhauses, nur dass sie in ihrem Fall Zug um Zug von der sozialen Machtverkörperung zur familiären Privatisierung führten. Schon der fest auf seine Rückkehr hoffende Ex-Kaiser präsentierte sich im Exil weniger als restaurationsbeflissener Ränkeschmied und Herold der Gegenrevolution, sondern vorzugsweise als Privatier, dessen größte Passion das Holzhacken war und der seine Sägeleistung gern zur Schau stellte. Der frühere Kronprinz Wilhelm trat in der Öffentlichkeit bevorzugt als Sportenthusiast und Lebemann in Erscheinung, und Prinz Oskar gab sich betont als Privatmann, der seine Freunde nicht nach dem Gotha, also dem Genealogischen Adelshandbuch, aussucht.
In der nächsten Generation führte der Kaiserenkel Louis Ferdinand die individualisierende Abkehr von einem monarchischen Lebensentwurf schon im Titel seiner Memoiren vor und betonte, dass er sich nach der Entmachtung der Hohenzollern in Potsdam wie „in einem der Mausoleen“ gefühlt habe, „in denen meine Vorfahren beigesetzt waren. Der goldene Käfig aus kaiserlichen Tagen hatte lediglich einer freiwilligen Abschließung Platz gemacht. Meine Familie war sozusagen in den Ruhestand getreten; sie hatte die neue Situation de facto hingenommen, jedoch nicht de jure anerkannt.“
Er selbst hingegen bemühte sich in der Weimarer Zeit, dem überkommenen königlichen Lebensstil einen zeitgemäßen entgegenzusetzen: „Mit jugendlicher Übertreibung und Ausschließlichkeit kehrte ich der Vergangenheit den Rücken (...). Jeden historischen Hintergrund suchte ich in meinem bürgerlichen Leben auszulöschen“
Die Rückkehr der Hohenzollern auf die politische Bühne
Doch die allmähliche Integration des Hauses Hohenzollern in die bürgerliche Gesellschaft der Zeit nach 1918 bildet nur die eine Seite der Medaille. Denn neben dem kulturellen Monarchismus, der mit der Kraft des Faktischen eingehegt und überformt wurde, wirkte in der Weimarer Republik auch ein politischer Monarchismus, der seine starken Bastionen im Beamtentum wie in der Reichswehr hätte zur Geltung bringen können, um gezielt auf die Abschaffung der Weimarer Ordnung hinzuarbeiten.
Vor allem aber haftete ihm nicht das auch in nationalkonservativen Kreisen gepflegte Odium des kaiserlichen Thronflüchtlings an, der im Herbst 1918 Volk und Heer im Stich gelassen hatte, um sich ins Exil zu retten, statt an der Spitze seiner Truppen gegen die Revolution in der Heimat zu marschieren oder den Heldentod an der Front zu suchen.
„Wir lehnen es ab, mit dem Gedanken an die Wiedererrichtung der Monarchie zu spielen. Grundsätzlich die Monarchie für die bessere Staatsform haltend, sind wir davon überzeugt, dass die Aufwerfung der monarchischen Frage in jetziger Zeit den Todesstoß für die Monarchie bedeuten würde.“
Erst 1970 erfuhr die Öffentlichkeit, dass Reichskanzler Heinrich Brüning ausweislich seiner posthum erschienenen Memoiren insgeheim auf die Wiedereinführung der Monarchie hingearbeitet haben wollte – was allerdings nicht einmal seine engsten Mitarbeiter bestätigen konnten und in der Forschung heute als unglaubwürdige Selbstrechtfertigung eines Weimarer Totengräbers bewertet wird.
In seinem holländischen Exil bar jeden Einflusses auf die Politik der Weimarer Republik, sah sich der abgedankte Kaiser im Bannkreis seiner zweiten Frau Hermine von Schönaich-Carolath auf erbitterte Ausbrüche ohnmächtiger Wut gegen die Republik beschränkt, die Besucher und Besucherinnen des Hauses Doorn häufig in ihrer Radikalität und Realitätsverkennung gleichermaßen erschreckte. Die Novemberrevolution erschien ihm als „ein Verrath des von dem Judengesindel getäuschten belogenen Deutschen Volkes gegen Herrscherhaus u. Heer“, für das es nach seiner Rückkehr schwer gestraft würde.
Den ersten Jahrestag seines Sturzes beging er mit den Worten, dass die „Revolutionshelden“ alle gehängt werden müssten, und die Ermordung Matthias Erzbergers 1921 ließ ihn vor Freude beinahe tanzen. „Jedenfalls hat solange ich beim Kaiser bin, kein Ereignis beim Kaiser einen so grossen Jubel ausgelöst wie dieses“, berichtete Wilhelms Leibarzt konsterniert.
Zu Wilhelms überraschend feindseliger Haltung gegenüber einem der führenden Köpfe des Wilhelminischen Zeitalters, mit dem er bis 1914 etwa zwanzigmal zu Vorträgen und Unterredungen zusammengetroffen war
Sich selbst sah der entmachtete Kaiser als Opfer einer jüdischen Weltverschwörung, gegen die er als „das beste Heilmittel“ ein „reguläres internationales Allerweltspogrom à la Russe“ empfahl und gegen die er 1927 in einem eigenhändigen Schreiben an einen amerikanischen Freund Worte fand, die zu der Zeit selbst in der nationalsozialistischen Kampfpresse kaum zu lesen waren: „Die Presse, Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß. I believe the best would be gas?“
Wilhelms bedeutendster Biograph John Röhl hat mit Blick auf auch solche Äußerungen eine Kontinuitätslinie zwischen der Wilhelminischen Ära und dem Dritten Reich gezogen, die den exilierten Monarchen als Bindeglied zwischen Zweitem und Drittem Reich auffasst, der „in Hitler seinen Vollstrecker“ sah.
Auch sein Urteil über Hitler schwankte beständig zwischen Anerkennung und Ablehnung
Warten auf die Restauration
Stetig blieb der Ex-Kaiser lediglich in seinem Bestreben, mithilfe antirepublikanischer Kräfte wieder auf seinen angestammten Thron zurückkehren zu können. Die Hoffnung auf Wiedererrichtung der Monarchie mit ihm an der Spitze durchzog sein Denken im Exil von dem Tag an, an dem er sich vor der Auslieferung an die Entente sicher fühlte, bis zum Hitler-Stalin-Pakt 1939, mit dem er die Hoffnung auf eine Empörung des deutschen Volkes gegen Hitlers Alleinherrschaft verband. Alle zu Hause seien „zu schlapp“, befand er nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 und befand optimistisch: „Es bedarf ja nur eines kleinen Stoßes, und die Regierung fliegt, um den alten Verhältnissen Platz zu machen.“
„In Doorn hört man seit Monaten nur noch, daß die Nationalsozialisten den Kaiser auf den Thron zurückbringen würden; alles Hoffen, alles Denken, Sprechen und Schreiben gründet sich auf diese Überzeugung“, beobachtete Ilsemann Ende 1931.
Zweimal ließ sich der Ex-Monarch dazu bringen, Hermann Göring in Doorn zu empfangen, um die NS-Bewegung hinter sich und seine Rückkehrambitionen zu bringen, und sah sich mit der von ihm mit Befriedigung aufgenommenen Regierungsübernahme am 30. Januar 1933 kurz vor dem Ziel, auf den Thron zurückgerufen und gleichsam als siegreicher Dritter aus dem Kampf zwischen Deutschnationalen und Nationalsozialisten hervorzugehen. Erst als Hitler vor der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag erklärte, dass er „die Frage einer monarchischen Restauration (...) zur Zeit als indiskutabel“ ansehe, sah sich Wilhelm von einer Sekunde auf die andere seiner Hoffnungen beraubt: „Das saß wie ein Blattschuß“, hielt Wilhelms Adjutant fest. „Ich beobachtete den hohen Herrn ganz genau, seine Züge strafften sich, die Augen wurden ganz groß, mehr als das eine Wort: ‚So!‘ brachte er nicht über seine Lippen. Wie er das sagte, klang es wie die Bestätigung eines Verurteilten, der seinen Urteilsspruch vernimmt.“
Fortan nahm Wilhelm Abschied von der Vorstellung, seine Restaurationshoffnungen auf die NS-Bewegung zu gründen. Ende 1933 notierte Ilsemann als Standpunkt des Ex-Kaisers, „daß man sich dem neuen System restlos feindlich gegenüberstellen müsse, daß man Hitler auch nicht helfen dürfe, sondern daß man abwarten müsse, bis die Nazis kaputt seien, um dann den Thron wieder zu besteigen“.
Kronprinz Wilhelm und der Nationalsozialismus
Kronprinz Wilhelm von Preußen 1933
Kronprinz Wilhelm von Preußen 1933
So erwies sich der gestürzte Monarch, dem der eigene Sohn attestierte, dass er „von erschreckender Weltfremdheit“ sei
Sein Sohn Wilhelm warb nicht erst nach dem nationalsozialistischen Machtantritt in den USA für eine Anerkennung Hitlers als Retter der zivilisierten Welt. Schon 1928 hatte er den italienischen Faschismus als „eine fabelhafte Einrichtung“ gerühmt, deren „geniale Brutalität“ dafür gesorgt habe, dass „Sozialismus, Kommunismus, Demokratie und Freimaurerei (...) ausgerottet (sind) und zwar mit Stumpf und Stil [sic!]“.fussnote id="56">Zit. n. von Preußen, „Gott helfe unserem Vaterland“, S. 209. Folgerichtig protestierte Wilhelm bei Reichswehrminister Wilhelm Groener im April 1932 energisch gegen das von der Reichsregierung verfügte Verbot von SA und SS, das ein „wunderbares Menschenmaterial“ zerschlage, und er sondierte in derselben Zeit auf Schloss Cecilienhof eine Machtteilung mit Hitler, falls er sich selbst für die Wahl zum Reichspräsidenten zur Verfügung stellen würde. Nachdem diese Kandidatur am Einspruch seines Vaters in Doorn gescheitert war, der um jeden Preis verhindern wollte, dass ein Hohenzoller im Fall seiner Wahl einen Eid auf die Republik hätte schwören müssen, verlegte Wilhelm sich auf eine Unterstützung seines vermeintlichen Bündnispartners und gab bekannt, dass er im zweiten Wahlgang Hitler wählen werde.
Unabhängig von der Frage, ob dieser Aufruf Hitler im zweiten Wahlgang zwei Millionen Stimmen eingebracht – wie der Kronprinz selbst behauptete
An Goebbels‘ schwankendem Hohenzollernbild lässt sich aber zugleich zeigen, dass die historische Fachwissenschaft nicht mit der juristischen Urteilsfindung deckungsgleich sein kann, in die sie in Folge des Hugenberg-Urteils unglücklicherweise hineingezogen worden ist, sondern der notwendigen Eindeutigkeit der Rechtsprechung das Bemühen um inhaltliche Differenzierung und zeitliche Kontextualisierung entgegensetzen muss. Derselbe Goebbels, der sich Anfang August so dankbar für die Unterstützung des Kronprinzen zeigte, hatte nur wenige Tage zuvor selbst unterstrichen, dass das Haus Hohenzollern offenbar ganz andere Ziele verfolgte als die zur Macht gelangte NS-Elite: „Unterredung Kronprinz. Frage Monarchie. Die glauben alle an ihre Restaurierung. Ich habe keinen Hehl gemacht. Wäre unsere größte Dummheit.“
Entgegen einer teleologischen Betrachtung, die ungeprüft von der Wirkung auf die Absicht schließt, bleibt festzuhalten, dass Hitler und die Hohenzollern sich auf der Grundlage von ideologischer Nähe und politischer Konkurrenz wechselseitig für ihre Zwecke einzuspannen suchten. Um sich die Unterstützung durch den Kronprinzen zu sichern, hatte ihm Hitler bereits 1926 so listig wie lügnerisch versichert, allein die Wiederherstellung der Hohenzollernmonarchie anzustreben. Aber auch Wilhelm spielte mit unterschiedlichen Karten und war sich, anders als sein 1930 in die NSDAP eingetretener und ein Jahr später in der SA zum Standartenführer aufgestiegenen Bruder August Wilhelm, lange unschlüssig, ob er mehr auf den mit ihm befreundeten Hindenburg-Intimus Kurt von Schleicher oder aber auf den rabaukenhaften Hitler setzen sollte.
Der Tag von Potsdam
Das Finale dieses Ringens um gegenseitige Indienstnahme fand bei einem Staatsakt am 21. März 1933 in Potsdam statt, der der anschließenden Reichstagseröffnung in der Berliner Krolloper vorausging und symbolpolitisch das letzte Erlöschen der seit 1930 in Agonie verfallenen Weimarer Republik markiert. Am „Tag von Potsdam“, der bis heute vorwiegend und verkürzt als eine von Hitler und Goebbels listig inszenierte „Rührkomödie“ (François-Poncet) begriffen wird, betraten die unterschiedlichen
Der Handschlag von Adolf Hitler und Paul von Hindenburg am Tag von Potsdam. (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library/WEIMA)
Der Handschlag von Adolf Hitler und Paul von Hindenburg am Tag von Potsdam. (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library/WEIMA)
Umgestaltungshoffnungen von Monarchisten und Nationalsozialisten die Potsdamer Garnisonkirche in effektvollem Mummenschanz – Hitler linkisch im ungewohnten Frack und Zylinder statt im Braunhemd; der ehemalige Kronprinz in der Uniform des ihm früher unterstellten Husarenregiments „Wilhelm Kronprinz“. Die Umstände sprachen für die monarchische Reaktion und nicht für die braune Revolution; das den Hohenzollern so eng verbundene Potsdam präsentierte sich überwiegend in Schwarz-Weiß-Rot statt in der Hakenkreuzfahne, und zum öffentlichen Sieger dieses Tages avancierte nicht Hitler, sondern der messianisch verehrte Hindenburg, der schon vor dem Staatsakt eine Triumphfahrt durch die Stadt unternommen hatte und unter dem Jubel der Massen anschließend noch eine Parade abnahm, als Hitler schon längst wieder eilig nach Berlin entschwunden war. Doch das von Vizekanzler Franz von Papen verfolgte Zähmungskonzept, das Hitlers Massenbewegung für einen ständischen und monarchischen Umbau der Republik in Dienst zu nehmen hoffte, hatte der Dynamik der nationalsozialistischen Bewegung und ihrer raschen Gesellschaftsdurchdringung außer leerer Symbolik nichts entgegenzusetzen. Vergeblich hoffte an diesem Tag noch im fernen Doorn Wilhelm II., als triumphierender Dritter aus dem Kampf zwischen Demokratie und Hitler-Diktatur hervorzugehen. Doch seine Hoffnung, als „der einzige Unparteiische“ nun unverzüglich zurückberufen zu werden und dafür den „Nazi-Schwung“ mitzubenutzen
Wenig später erstickte die als „Röhm-Putsch“ in die Geschichte eingegangene Säuberungsaktion innerhalb der deutschen Rechten die letzten Illusionen der Monarchisten. Die Hohenzollern verschwanden aus dem Blick der Öffentlichkeit; auch der zum Gruppenführer aufgestiegene Hohenzollernprinz August Wilhelm sah sich kaltgestellt. Prinz Wilhelm selbst trat 1936 aus dem Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) aus, nachdem er infolge eines überschwänglichen Gratulationstelegramms an Mussolini für dessen Sieg in Abessinien unter Zensur gestellt worden war. In der Folge machte er nur noch durch sporadische Glückwunschtelegramme an Hitler von sich reden, in denen er Hitler 1939 zur Angliederung Böhmens und Mährens ebenso gratulierte wie 1940 zu seinen Siegen über Polen, Belgien und Frankreich.
Zum aktiven Widerstand fanden die Hohenzollern im Gegensatz etwa zu den Habsburgern oder den Wittelsbachern nicht. Einzig Louis Ferdinand ließ sich, folgt man seinen Memoiren, seit November 1939 passiv in Planungen des militärischen Widerstands einbinden und zeigte sich 1943 sogar bereit, für den Fall eines Regimesturzes als Kronprätendent zur Verfügung zu stehen, sofern sein Vater dem zustimme. Der aber erklärte, „sich allen derartigen Bewegungen ferngehalten“ zu haben, und riet dies auch seinem Sohn, der in der Folge auch nicht in das Attentat vom 20. Juli 1944 involviert war.
Zitierweise: Martin Sabrow, "Die Hohenzollern und die Demokratie nach 1918 Teil I", in: Deutschland Archiv, 18.12.2020, Link: www.bpb.de/324774.